In der aktuellen Ausgabe der Zeit kritisiert die Autorin Mely Kiyak die aktuelle Feminismusdebatte als realitätsfern. Die Frauen der weißen Mittelschicht Deutschlands gingen nur auf ihre eigenen, verhältnismäßig unproblematischen Probleme ein, schreibt Kiyak:
Die Frage, ob wir einen neuen Feminismus brauchen oder schon haben, scheint bereits beantwortet: Die Mitte der Gesellschaft redet doch schon lebhaft darüber!
Doch wo ist die Mitte der Gesellschaft? Nicht ein einziges Mal tauchte in der Debatte das Wort Migrantinnen auf. Immerhin hat inzwischen ein Fünftel der deutschen Gesellschaft eine nichtdeutsche Herkunft. Nicht ein einziges Mal tauchte der Hinweis auf, dass es Frauen in anderen sozialen Schichten gibt, die über die diskutierten Alternativen – zu Hause bleiben oder arbeiten, Kinder kriegen mit oder ohne Ehemann, allein erziehen oder doch noch einen Masterstudiengang dranhängen – gar nicht verfügen. Kein Wort davon, dass in unserer Gesellschaft Frauen leben, die über keine sexuelle Selbstbestimmung verfügen, die aufgrund ihrer Herkunft bei der Ausbildungs- und Arbeitsplatzsuche systematisch diskriminiert werden. Nichts über Frauen, die doppelt so häufig von häuslicher Gewalt betroffen sind wie diejenigen, über die die ganze Zeit gesprochen wird. Ganz zu schweigen von all jenen, die verheiratet sind und deren Ehemänner in befristeten Arbeitsverhältnissen stehen. Da können die Ehefrauen gar nicht auf die Idee kommen, zu Hause zu bleiben, weil sie finanziell gar keine andere Wahl haben.
Unsere Leserin SoE schreibt dazu:
Ein Vorwurf, der weder ganz neu, noch unbegründet aber meiner Meinung nach auch nicht 100% gerechtfertigt ist. Den meisten weißen, mehr oder minder christlichen Mittelstandsfrauen ist klar, dass es anderen Frauen noch viel schlechter geht als ihnen. Und auf Blogs werden diese Themen auch durchaus angesprochen. Aber wenn man sich so hinstellen und ein Buch schreiben oder bei irgendeiner Podiumsdiskussion darüber reden würde, wäre es im besten Fall nur unglaubwürdig, im schlechtesten würden sich die „Betroffenen“
bevormundet fühlen.
Ich persönlich sehe das genauso. Es ist meines Erachtens schon eine relativ große Herausforderung, die eigenen Umstände zu bestimmen und daraus Forderungen abzuleiten bzw. das für Menschen zu tun, von denen man meint, sie hätten in etwa dieselben Voraussetzungen. Tatsächlich ist es so, dass es mehr und lautere Stimmen von Frauen mit Migrationshintergrund in der Feminismusdebatte braucht. Gleichzeitig müssen dafür aber überhaupt Kanäle entstehen.
Deshalb ist die Grundsatzfrage von SoE sehr wichtig :
Wie schaffen wir es, dass der Feminismus tatsächlich als eine Bewegung für alle Frauen ins Bewusstsein rückt?
Wenn ihr Vorschläge für Grundsatzfragen habt, dann mailt sie an mannschaftspost(at)web.de.
Ich verstehe nicht, was das soll. Das ist halt das Problem von Gruppenrechtstheorien, falsch verstandenem Marxismus als ideologischer Basis immer noch nicht weniger feministischer Strömungen (für die Diskussion zugelassene Oppressions-Gruppenkategorien in den USA, logisch historisch bedingt: Geschlecht, Hautfarbe, und „Klasse“, aber da sind die Abgrenzungen unpräzise und meinen meist nur „Vermögen“) und Intersektionalismus, am Ende landet man logisch wieder beim Individualismus/Humanismus. Die gleiche Debatte läuft übrigens gerade auf so ein paar feministischen US Blogs.
http://de.wikipedia.org/wiki/Triple_Oppression
Solange ich meine eigene, kulturell/pädagogisch bedingte „Aufzucht“ nicht klar und deutlich anschaue, und nur immer wieder aufs Neue auf meine Mitmenschen, Gruppen etc. mit „Vorschlägen“, Kritiken und so weiter, und so weiter projiziere, ändert sich überhaupt nichts! Intellektuell kann ich alle Themen „ansprechen, umsetzen ist da schon etwas schwieriger, denn es betrifft – wenn ich mit mir ehrlich bin, zuerst das „Eingemachte.“ Die eigenen Familiengeschichten sind meist alles andere als befreit!
Habe selbst relativ viele Bekannte aus dem orientalischen Raum. In dieser „gehobenen Mittelschicht“ ist es besonders schwer über die, von unserer Sicht aus gesehenen Unterdrückungen zu diskutieren, denn den Frauen geht es materiell meist hervorragend. Die Männer „schaffen“ an (nicht nur das Essen, sondern alle materiellen Annehmlichkeiten). Das Tragen des angesammelten Goldschmuckes ist wichtiger, als die geistigen, wie andere Freiheiten.
Fangen wir doch lieber in unserem Kulturkreis an, da sind die Frauen untereinander – nicht nur Jung gegen Alt, sich zuweilen spinnefeind, im Gegensatz zu den orientalischen. Da könnte unser Kulturkreis sich etwas abschauen. Ich wiederhole mich hier gerne. Vor der eigenen Haustüre beginnen. Es ist eine Menge Schmutz zu kehren.
Ich finde es sehr wichtig, dass die aktuelle Debatte um den Feminismus noch um einige Perspektiven bereichert wird – durch lesbische Frauen, durch Migrantinnen, durch Alleinerziehende, Arme und eigentlich durch alle, dessen Lebensumstände bisher noch zu wenig beleuchtet wurden. Nur fühle ich mich als deutsche Mittelstandsfrau einfach nicht in der Lage, über das Leben Anderer zu sprechen. Bin aber sehr daran interessiert, ebendiese Frauen sprechen zu hören.
Deswegen habe ich mich eigentlich sehr über den Artikel in der Zeit gefreut. Eigentlich. Denn die Haltung „Die sollen mal bitte …“ kann ich nicht nachvollziehen und unterstützen. Viel besser fände ich ein „Ich will mal an dieser Stelle unsere Sicht einbringen …“
Ich wünsche mir von allen Diskutierenden mehr aktives Selbermachen als nur ein passives Kritisieren. Die paar Stimmen, die bisher laut wurden, sind doch NATÜRLICH nicht das gesamte Spektrum einer gesellschaftsübergreifenden Debatte. Je mehr verschiedene Sichtweisen, desto besser. Ich finde es zu einfach, wenn jemand in der Beobachterrolle verharrt und nur kritisiert, was da noch fehlt oder blöd sei; hoffe aber sehr, dass das Thema Migrantinnen jetzt wirklich bedeutender wird.
@jj:
Damit gibst Du Mely Kiyak (Typo im Artikel) leider doch recht, dass der Feminismus sich sehr einseitig definiert. Das finde ich schade, denn meiner Meinung nach kann man die Gleichstellung von Frauen und Männern nicht nur über Maßnahmen erreichen, die weißen, studierten Feministinnen nützen.
Wenn es jetzt einen feministischen Kongress gäbe und dort wäre keine einzige Muslimin oder keine einzige Frau ohne Schulabschluss wäre das genauso eine Verzerrung der Realität, als wenn da keine Alleinerziehende, keine Brünette, keine Brillenträgerin oder keine Lesbe wäre.
Die Frage inwieweit es bei Feminismus um Humanismus geht, wurde schon oft durchgekaut. Aber darum geht es mir gar nicht. Es geht darum, dass alle Frauen eine Stimme bekommen müssen und zwar ihre eigene authentische. Klar wird man es kaum in nächster Zeit erreichen, dass die B*ld eine Kolumne „Fatimas Sicht der Dinge“ einrichten wird. Doch irgendwie sollten doch gerade Feministinnen verschiedene Frauen erreichen und repräsentatieren können. Und um dieses wie
Ich sehe das genau so, dass „wir Weißen“ nicht diejenigen sind, die über die Probleme der Migrantinnen sprechen sollen. Allerdings ist es wichtig, dass die lauten Stimmen im Diskurs darauf aufmerksam machen, dass es diese Bevölkerungsgruppe mit ihren spezifischen Problemen gibt, um ihr so zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen.
Es geht darum, den Migrantinnen zu grundlegenden Dingen wie mehr Bildung, mehr Öffentlichkeit usw. zu verhelfen. Denn so lange dies nicht erreicht wird, ist es fast utopisch zu glauben, dass an einem möglichen Kongress für Feminismus Musliminnen teilnehmen. Bildung ist eine wichtige Grundvoraussetzung dafür, dass diese Frauen sich mehr für ihre Rechte einsetzen können und an die Öffentlichkeit gehen.
Deshalb ist es wichtig, sich mit Migrantinnen auszutauschen. Der neue Feminismus genießt relativ große mediale Aufmerksamkeit. Warum diese nicht dazu nutzen, auch auf die Probleme anderer aufmerksam zu machen?
Es war schon immer das Argument der Dummköpfe, dass es anderswo schlimmer sei/jm. anders es schlechter gehe. Wer allen Ernstes meint, dass so etwas Grund wäre, für sich selbst nichts besseres zu fordern, der geht selbst unter das Niveau der Heideggernazis und anderer Poststrukturalisten zurück.
„Bildung ist eine wichtige Grundvoraussetzung dafür, dass diese Frauen sich mehr für ihre Rechte einsetzen können und an die Öffentlichkeit gehen“
Und Einbildung ist auch eine Bildung. Was ist denn Bildung anderes als die Aufzucht der nächsten Generation Humankapital? Nichts. Freies und selbstbestimmtes Denken wird man in der Schule und Universität vergeblich suchen. Der Staat ist darauf angewiesen, dass es Migranten und sog. Illegale gibt, die für 2 Euro die Stunde bei Mercedes putzen. Und da der Staat die Bildung organisiert, ist sie nur zu seinen Bedingungen zu haben. Gegen Bildung ist das Motto, dass angebracht ist.
SoE,
der Punkt ist doch der, daß soziologisch geclustert wird und jede Kategorie gesellschaftliche Trennlinien schafft. Letztlich kann das niemandem gerecht werden – daher ist es als politische Theorie Müll. Die postmodernen Feministinnen („die Kategorie ‚Frau‘ ist nicht zu halten“) haben das mittlerweile auch erkannt, wissen aus meiner Sicht nur nicht so genau, wie sie denn damit umgehen sollen, ihren Vorgängerinnen erklären sollen, daß außer normativen Forderungen bei dem Forschungsprogramm epistemologisch nichts wirklich rausgekommen ist. Aber für politischen Aktivismus ist diese Reduzierung wohl sinnvoll und notwendig – und das bedeutet, daß manche Trennlinien von manchen Bewegungen als bedeutender erachtet werden als andere. Im Feminismus ist das halt das Geschlecht.
„Weisse, christliche Mittelschichtsfrau“ finde ich lustig, fast so wie „das Patriarchat“. Man könnte meinen da entwickelt sich etwas neues :>
Unbegründet finde ich die Kritik nicht. Eigentlich bietet der Feminismus nur ein paar bestimmten Frauen (Moderatorinnen, Journalistinnen,…) eine Plattform ihre persönliche Meinung im Plural in die Öffentlichkeit zu tragen.
@ Goofos: Häh??? Ist das nicht mit den meisten Meinungsäußerungen so, dass diese vor allem von ModeratorInnen, JournalistInnen, AutorInnen,… in die öffentlichkeit getragen werden? Erst denken, dann schreiben…
@Miriam: Leider nicht. Viele Meinungsäußerungen werde überhaupt nicht in die Öffentlichkeit getragen. Da haben die Frauen einen klaren Vorteil, weil es unter den Moderatorinnen, Journalistinnen, Autorinnen viele gibt, die in feministischer Absicht, Frauen (z.B. alleinerziehenden Müttern) eine Plattform geben, ihre Meinung zu äußern und diese dann in die Öffentlichkeit tragen.
Diese Möglichkeit haben viele Männer nicht, weil keine Ideologie da ist, die unter den Journalisten der Massenmedien hinreichend verbreitet wäre, dass sie ihre Meinungsäußerung an die Öffentlichkeit tragen würden. In diese Gruppe fielen lange Zeit und zum Teil auch heute noch die abgeschobenen Väter.
@Miriam, … ?? Erst lesen, dann denken. Ich schreibe „ihre persönliche Meinung im Plural“ nicht die Meinung anderer, wie z.B. von Migrantinnen *hint*. Vielleicht liest du mal den Artikel durch, dann weisst du möglicherweise was ich meine.
@jj:
Vielleicht ist das einfach nur zu spät, aber diese sehr theoretische Aussage sagt mir erst mal nichts.
@access denied:
Hä? Gegen Bildung? Weil Bildung Humankapital verschafft? Aber sind das billige dumme Arbeitskräfte nicht auch? Sogar noch viel besser weil die keine dummen Fragen stellen und alles besser machen wollen? Klar regen Multiple-Choice-Tests, die jetzt in vielen Bachelorstudiengängen üblich sind nicht zum kritisch hinterfragen an, aber deswegen den Kindern nicht mehr Mathe beizubringen, damit sie wenigstens bei Mediamarkt nachrechnen können, ob ihr Wechselgeld stimmt, halte ich für nen argen Sprung.
Den Artikel im Mädchenblog finde ich übrigens klasse, Lale Akgün kannte ich bisher noch nicht, also wieder was gelernt.
Warum ich mich über den ZEIT-Artikel geärgert habe:
Einmal mehr wird die dringend notwendige Debatte um den Feminismus von einer Frau dazu benutzt, einer anderen Frau etwas auf die Mütze zu geben. Anstatt die gemeinsame Absicht zu sehen und die Kräfte zu bündeln, indem man sagt: „Ok, ich knüpfe an das bereits gesagte an und ergänze einen Punkt, der mir dazu wichtig erscheint“.
Wirklich glaubwürdig kann ich doch nur sein, wenn ich aus meiner eigenen Position heraus argumentiere und mich nicht zum Sprachrohr aller denkbaren Gruppierungen mache, nur um niemanden auszulassen. Und, mit Verlaub: Frauen sind wir doch alle, ob mit Migrationshintergrund oder nicht, insofern sind doch ohnehin erstmal alle eingeschlossen.
Das Deklinieren des Themas durch alle Gruppen, durch alle Schichten kann nicht ein paar wenigen Vorreiterinnen überlassen werden, denen das Verdienst zukommt, eine Vorlage gemacht, einen Anstoß gegeben zu haben. Natürlich muss ein solcher Anstoß aufgenommen und fortgetragen werden, um letzten Endes erfolgreich zu sein. Warum nur sind Frauen untereinander so unglaublich unsolidarisch und feindlich gesonnen?
Und was soll eigentlich der Wettbewerb darum, wem es denn nun am allerschlechtesten geht? Absurder Einwurf.
seit wann gilt eigentlich immigraten=nicht-weiße?
bloß son detail, hat mich aber verwundert.
„Aber sind das billige dumme Arbeitskräfte nicht auch?“ Nein, das Lumpenproletariat dient vorrangig: 1) als industrielle Reservearmee, mittels derer man Lohnsenkungen durchsetzen kann
2) als Arbeitsmittel dann, wenn die Anschaffung und Wartung von Maschinen für diese Arbeit teurer ist
3) im Falle von Migranten, wenn man Arbeiten hat, für die man keine gemeldeten Deutschen einstellen kann, also wie bei Mercedes, wo mit Giftstoffen für 3,50 die Stunde geputzt wird.
„Klar regen Multiple-Choice-Tests, die jetzt in vielen Bachelorstudiengängen üblich sind nicht zum kritisch hinterfragen an, aber deswegen den Kindern nicht mehr Mathe beizubringen, damit sie wenigstens bei Mediamarkt nachrechnen können, ob ihr Wechselgeld stimmt, halte ich für nen argen Sprung.“
Erstens ist der Bachelor nur die letzte Konsequenz einer schon 100jährigen Bildungsfeindlichkeit, die sich gegen das Nietzsche Ideal bürgerlicher Bldung richtet.
Zweitens habe ich auch nicht gemeint, dass keiner mehr in die Schule soll, dass man aber gegen die Institution Schule/Uni vorgehen muss und das geht nur, wenn man das Konzept selber kritisch hinterfragt. Wer „mehr Bildung“ fordert, kriegt sie ohne weiteres, aber nur zu den Bedingungen des Staates. Und der bruacht keine Idividuen.
Judith,
„Und was soll eigentlich der Wettbewerb darum, wem es denn nun am allerschlechtesten geht? Absurder Einwurf.“
Sorry, aber das ist doch zu erwarten, wenn man ein System hat, daß „Oppression“ zur Grundlage der Wertigkeit einer persönlichen Aussage macht. Auf feministing.com hat das eine Kommentatorin mal mit einer ganz eigenen Oppressionsleiter zum Ausdruck gebracht, habe leider den Link nicht mehr – ganz oben auf ihrer feministischen Bedeutungsskala standen dicke, unattraktive, farbige, lesbische, arme Frauen, ganz unten weiße, reiche, heterosexuelle, gutaussehende Männer. Wie gesagt, das Spiel nennt sich „oppression olympics“ – wem es am schlechtesten geht, dessen Meinung gilt in diesem System am meisten (und erlaubt – bei Institutionalisierung und staatlicher Unterstützung – natürlich auch die Inanspruchnahme/Umverteilung der meisten Ressourcen). Das ist ja letztlich auch das Grundproblem der heutigen Linken insgesamt: Außer der Annahme, daß (sozial) „schwach“ gleichzeitig „moralische Überlegenheit“ impliziert ist da nichts übrig.
Die Autorin hat daher den „neuen Feminismus“ vielleicht noch nicht ganz verstanden, den dessen (bewußte oder unbewußte, da bin ich mir noch nicht so sicher, der Emma Artikel in dem Lisa Ortgies ihre ideologische Unkenntnis beschrieb war ja schon interessant) Theorielosigkeit/Ideologielosigkeit ist ja gerade seine Stärke (und sein bedeutendstes Koalitionspotential).
Wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit, bis es mal einen Film „Stupid white women“ gibt. Ein Gutes hat es aus meiner Sicht auf jeden Fall, so eine stupid white woman zu sein: Wenn man in der internationalen Wahrnehmung direkt auf der zweiten Stufe nach den stupid white men rangiert, kann man sicher sein, nicht mehr als Opfer gesehen zu werden. Sondern ernstgenommen zu werden. Lieber lasse ich mich beschimpfen als infantilisieren.
>“Wirklich glaubwürdig kann ich doch nur sein, wenn ich aus meiner eigenen Position heraus argumentiere und mich nicht zum Sprachrohr aller denkbaren Gruppierungen mache, nur um niemanden auszulassen. Und, mit Verlaub: Frauen sind wir doch alle, ob mit Migrationshintergrund oder nicht, insofern sind doch ohnehin erstmal alle eingeschlossen.“
Die meisten erwarten dabei, dass wohl alle anderen konzentriert und solidarisch mitziehen nach dem Motto „Alle für Eine!“. Das kann irgendwo nicht funktionieren wenn jeder das erwartet und daher finde ich Opfer-Wettbewerb trifft das ganz gut.
Wenn man in der internationalen Wahrnehmung direkt auf der zweiten Stufe nach den stupid white men rangiert, kann man sicher sein, nicht mehr als Opfer gesehen zu werden. Sondern ernstgenommen zu werden. Lieber lasse ich mich beschimpfen als infantilisieren.
Respekt, die Haltung gefällt mir. Wenn das mehrheitsfähig wird, kann der Dialog endlich beginnen.
Wieso auf der zweiten Stufe? Ich glaube nicht daß jenseits der westlichen Hemnisphäre „stupid white man“ als „stupid white men“ wahrgenommen wird.
Auf der zweiten Stufe der von jj beschriebenen Oppressionsleiter meinte ich. Den zweiten Teil hab ich nicht verstanden, Nils.
Ich hatte schonmal hier gepostet, aber irgendwie ist das nicht angekommen. Also 2. Versuch, etwas out of thread…
Zunächst mal eine Bemerkung zu den weißen Mittelschichtfrauen. Meine beiden Großmütter durften noch nicht einmal eine Ausbildung machen. Das Lehrgeld wurde gespart für die Aussteuer. Meine Mutter hätte gerne eine weiterführende Schule besucht – und durfte nicht. Eine Lehre war das höchste der Gefühle. Ich bin die erste Frau in der Familie, die Abi hat – und dann noch ein Studium. Ich erzähle das jetzt nur deshalb, weil ich glaube, dass das ziemlich typisch ist. Der Firniss ist noch ziemlich dünn…
So, und nun zu den Problemen der Migrantinnen.
Ich kann mich ehrlicherweise nur zu Problemen äußern, die ich selbst habe. Natürlich treffen sich unsere Lebenswelten. Was kann ich tun?
Ich kann mit den Jungs an der Straßenecke diskutieren, die mich „Nutte“ nennen, weil ich in Radlerhosen joggen gehe (und die mich auf die Palme bringen damit…also erst wieder absteigen und dann gaaanz ruhig).
Ich kann unter den vielen Bewerbern eine Praktikantin aussuchen, die mit Vornamen Emine heisst.
(…)
Aber in die geschlossenen Gesellschaften komme ich natürlich nicht hinein. Es wäre Illusion, das zu glauben.
@Rabenmutter: Was haben die Probleme deiner weiblichen Vorfahren mit den feministischen Anliegen von heute zu tun?
Warum wird sowas in aktuellen Geschlechterdebatte so häufig thematisiert? Ist die Benachteiligung der Frauen von heute nicht mehr groß genug als dass man mit ihnen ausreichend Frauenförderung begründen könnte.
Wenn du wählen müsstest: Wärest du in die Generation unserer Großeltern (Jahrgänge um 1920) hineingeboren, wärst du lieber als Junge oder als Mädchen geboren? Ich bin mir bei dieser Frage alles andere als sicher.
@Johannes – diese Probleme erklären, warum es weder für mich noch viele andere Frauen selbstverständlich ist, was heute erreicht ist. Schon der Ist-Zustand ist etwas Fragiles.
Zitat: „Ist die Benachteiligung der Frauen von heute nicht mehr groß genug als dass man mit ihnen ausreichend Frauenförderung begründen könnte.“ – habe ich Frauenförderung gefordert?
Ich empfehle (nicht fordere) die Förderung stark unterrepräsentierter Gruppen. Etwa die von Männern im Erzieherberuf oder im Grundschullehramt. …
Zitat: „Wenn du wählen müsstest: Wärest du in die Generation unserer Großeltern (Jahrgänge um 1920) hineingeboren, wärst du lieber als Junge oder als Mädchen geboren? Ich bin mir bei dieser Frage alles andere als sicher.“
Keine Ahnung. Die Frage habe ich mir noch nie gestellt. Die Zeit vor 1945 hätte ich mir freiwillig nicht als Geburtsjahrgang ausgesucht, weder als Mann noch als Frau.
@Schnatterinchen: stupid white man = dummer weißer Mensch, so haben das die Ureinwohner Nordamerikas wohl gemeint.
Die Zwischenstufe hat das westliche christliche Bürgertum eingezogen, unter eifriger Mithilfe von Feministinnen. Da wirst du wohl noch ein weilchen warten müssen, mit dem ernst nehmen = verantwortlich machen.
@Rabenmutter: Vor der Bildungsreform um 1960 – 1970 haben generell nur 8% studiert ( Quelle ) Klar, wenn die Ressourcen knapp waren, wurde nur der Bruder zur Uni geschickt. Damals wurde ja auch von ihm erwartet daß er die Familie alleine ernährt – Wer das nicht konnte, galt insbesondere bei der holden Weiblichkeit als Versager, Heiraten ohne eine Familie ernähren zu können war ein no go. Außerdem fanden es die meisten Frauen damals chic nicht arbeiten zu müssen, hatte was vom Lebensstil des Adels. In reichen Familien haben auch die Töchter studiert.
Ist natürlich eine riesige historische Ungerechtigkeit, schon klar – Wir bösen Männer halt mal wieder. Alles nur, um Frauen in Abhängigkeit zu halten..
@Nils
„Außerdem fanden es die meisten Frauen damals chic nicht arbeiten zu müssen, hatte was vom Lebensstil des Adels. In reichen Familien haben auch die Töchter studiert.“
Sehr witzig. Die Frauen, von denen in meinem Beitrag weiter oben die Rede war, waren anscheinend nicht gewitzt genug, sich einen von den 8% einzufangen.
Im Ernst. Die meisten Frauen haben ihren Teil zur Ernährung der Familie beigetragen – als ungelernte Arbeiterinnen in Fabriken, mit Nebenerwerbslandwirtschaft, Wäsche machen für die Familien der o.g. 8%. Hinzu kommt, dass ein Haushalt ohne Waschmaschine und Wegwerfwindeln – und ohne Pille und Stiftung-Warentest getestete Kondome auch ein bischen anders aussah. Soviel zum Lebensstil ähnlich dem des Adels ;-)
Aber natürlich. Die Frauen hatten viele Vorteile. Sie konnten – von Bismarcks Arbeitsgesetzen geschützt nicht an Silikose sterben, denn sie durften gar nicht einfahren in die Bergwerke.
Sie wurden nicht eingezogen.
Die wenigsten wurden bedrängt, in die NSDAP einzutreten.
Ich kann die Vorteile schon sehen.
Sie haben dann anstatt der eingezogenen Männer in den Stahlwerken geschuftet. Und wurden nach dem Krieg sofort entlassen.
Sie haben (die o.g. höheren, studierten Töchter), predigen, taufen, beerdigen dürfen in manchen evangelischen Landeskirchen. Aber als die ehemaligen Feldprediger wieder auftauchten, da waren sie dann wieder abgemeldet.
Und sie durften, so sie eine Lehrerinnenausbildung hatten, als Kriegerswitwen wieder in den Schuldienst – denn sie erfüllten ja die Bedingungen des Lehrerinnenzölibats (bis es dann abgeschafft wurde).
(You’ve got me started here…)
„diese Probleme erklären, warum es weder für mich noch viele andere Frauen selbstverständlich ist, was heute erreicht ist. Schon der Ist-Zustand ist etwas Fragiles.“
Sorry, aber das ist einfach nur Schwarzseherei. Oder hat die Wissenschaft inzwischen festgestellt, dass das Opfer-Gen weitervererbt wird? Ich kann mich dem nur anschließen, was haben die Probleme von damals mit heute zu tun? Der Unmut der Migrantinnen ist nachvollziehbar wenn Feministinnen lieber das überaus große und wichtige Problem in den Vordergrund rücken, dass ihre Großmutter kein Abi machen konnte.
@Goofos
„Sorry, aber das ist einfach nur Schwarzseherei. Oder hat die Wissenschaft inzwischen festgestellt, dass das Opfer-Gen weitervererbt wird? Ich kann mich dem nur anschließen, was haben die Probleme von damals mit heute zu tun? Der Unmut der Migrantinnen ist nachvollziehbar wenn Feministinnen lieber das überaus große und wichtige Problem in den Vordergrund rücken, dass ihre Großmutter kein Abi machen konnte.“
Ich habe nichts von Opfer-Genen geschrieben und weiß auch nicht, was das sein soll.
Was die Probleme von damals mit heute zu tun haben?
Warum gibt es Probleme zwischen Deutschen und Polen?
Warum ist Jugoslawien implodiert?
Warum haben die Griechen Probleme damit, dass FYROM sich Mazedonien nennt?
Man kann eine Tafel auswischen. Aber man kann nicht den Text der darauf stand aus den Köpfen löschen.
Mein erster Beitrag hat im ersten Teil auf die Situation der gutgestellten weißen Mittelschichtfrau hingewiesen. Im zweiten Teil hat er sich dann mit der Migrantinnenfrage beschäftigt. Falls Du darüber diskutieren möchtest, nur zu.
@Rabenmutter: Natürlich, der Lebensstil des Adels war eben auch nur wenigen Frauen vorbehalten. Für den Rest war das Leben sicher kein Zuckerschlecken – Für ihre Männer aber auch nicht.
Es wurde aber, denke ich, in breiten Schichten als anzustrebendes Ideal angesehen: Frau heiratet reichen Mann und widmet sich den ganzen lieben langen Tag den schönen Künsten, unterstützt von diversem Personal. Eine Frau, die Erwerbstätig sein „musste“ war ziemlich weit unten was gesellschaftliches Ansehen betrifft, dann lieber Hausfrau. Und das haben sich „die Männer“ nicht alleine ausgedacht.
Für eine Familie aus der aufstrebenden Mittelschicht hieß das: Die Töchter möglichst „weit oben“ verheihraten, und die Söhne möglichst gut ausbilden. So sah Aufstieg aus, und aus der Reihe Tanzen ging für niemand.
Die Frauen wurden 1945 aus den Stahlwerken herausgeschmissen weil die Stahlwerke zugemacht haben, und das Bedürfnis, dort in den „Wirtschaftswunderjahren“ wieder anzufangen hielt sich in Grenzen. Da wurde dann lieber Alfonso und Ali ins Land geholt.
P.S. Das Lehreerinnenzölibat wurde 1919 abgeschafft, um dann von Konservativen wieder 1923 wieder eingeführt zu werden. Wer hat die bloß gewählt?
Rabenmutter,
„Ich kann mit den Jungs an der Straßenecke diskutieren, die mich “Nutte” nennen, weil ich in Radlerhosen joggen gehe (und die mich auf die Palme bringen damit…also erst wieder absteigen und dann gaaanz ruhig).“
krass. Echt nicht meine Lebensrealität. Ich stelle mir halt nur die Frage, ob das nicht eher ein Ausdruck ihrer Unsicherheit ist, gerade im Umgang mit dem anderen Geschlecht, eingeklemmt zwischen zwei oder mehr Idealen männlicher Identität, angesichts einer gewissen Aussichtslosigkeit im Beruflichen und den zum Teil noch archaischen familiären Ansprüchen der Elterngeneration, vor allem, was Sexualität und Familiengründung betrifft.
Ist halt kompliziert. Was ist denn bei dem Gespräch rausgekommen?
@Nils
„Für eine Familie aus der aufstrebenden Mittelschicht hieß das: Die Töchter möglichst “weit oben” verheihraten, und die Söhne möglichst gut ausbilden. So sah Aufstieg aus, und aus der Reihe Tanzen ging für niemand.“
Mein Punkt war ja gerade, dass sehr große Teile der Bevölkerung nicht „der aufstrebenden Mittelschicht“ angehörten, jedenfalls nicht bis in die Wirtschaftswunderzeit. Und für die Frauen aus der Arbeiterklasse sah die Welt ziemlich anders aus (für ihre Männer auch, darauf bin ich ja auch eingegangen).
Stahlwerke wurden in meiner Region nicht geschlossen sondern unmittelbar von der neuen Staatsmacht gewinnbringend weiterbetrieben. Aber das ist eine Petitesse ;-)
@jj
Die Diskussion habe ich schon öfter geführt, aber immer nur, wenn ich gut gelaunt bin. Sonst bringt es nichts und es ist besser, einfach weiterzugehen und so zu tun, als habe ich nichts gehört. Es ist auch nur dann sinnvoll, wenn es höchstens drei sind. Besser nur zwei. Meistens ist einer der Wortführer, oft nicht der, der gebrüllt hat. Der wollte sich nur profilieren.
Was rauskommt? Keiner von denen hat mich je wieder beleidigt.
Ob es was verändert weiss ich nicht. Es kratzt zumindest an der Oberfläche.
@Rabenmutter: Von der Warte aus hast du natürlich recht, da ist die Firnis immer noch dünn – Und wird eher dünner. Die Kinderarmut nimmt zu, und was das in unserem miserablen Bildungssytem bedeutet wissen wir ja.
Rabenmutter: „diese Probleme erklären, warum es weder für mich noch viele andere Frauen selbstverständlich ist, was heute erreicht ist. Schon der Ist-Zustand ist etwas Fragiles.“
Ich finde, dazu passt das Beispiel Eva Herrman ganz hervorragend. Diese Frau propagiert ein Frauen-Bild, dass einem jeden modernen aufgeklaerten Menschen die Haare zu Berge stehen lassen sollte, aber statt dessen hoert man von vielen “ Sie ist vielleicht etwas zu weit gegangen, aber im Prinzip hat sie doch gar nicht so unrecht…“
Von daher stimme ich Rabenmutter vollkommen zu, der Ist-Zustand ist sehr fragil und es ist bei weitem nicht selbstverstaendlich heute in Deutschland, dass Maenner wie Frauen, egal aus welcher sozialen Schicht, vollkommen frei entscheiden koennen, wie sie ihr Leben mit Beruf und Familie gestalten moechten.
Dass ich als deutschstaemmige, promovierte Ingenieurin andere Probleme habe als eine tuerkischstaemmige Putzfrau ohne Ausbildung ist wohl nicht zu leugnen, aber es gibt auch Probleme, die sich ueberschneiden, z.B. was das mangelhafte Angebot an staatlicher Kinderbetreuung in Westdeuschland angeht.
Noch mal zur Anfangsfrage:
„Wie schaffen wir es, dass der Feminismus tatsächlich als eine Bewegung für alle Frauen ins Bewusstsein rückt?“
Das wäre mE nur dann möglich, wenn es keine sich gegenseitig widersprechenden Wünsche und Forderungen unter den Milliarden von Frauen dieses Planeten gäbe. Denn wenn sich Wünsche und Forderungen widersprechen (was sie Gott sei Dank tun, sonst wär’s ja schön langweilig) – wofür wird sich dann entschieden? Jede Entscheidung für eine bestimmte Stoßrichtung schließt die jeweils gegenläufige aus. Und schon ist es keine Bewegung mehr für ALLE.
http://www.djb.de/Kommissionen/kommission-oeffentliches-recht-europa-und-voelkerrecht/St-07-08-Zuwanderung/
Im Zeit-Zünder war ein lesenswertes Interview mit Sidar Demirdögen vom Bundesverband der Migrantinnen in Deutschland über ddieses Thema:
http://zuender.zeit.de/2008/29/feminismus-debatte-migrantinnen-interview-demirdoegen-bundesverband