An diesem Wochenende feierte meine Facebook-Timeline das Ende des Pride-Month in einem Regenbogen-Fahnenmeer. Viele meiner Kontakte tauchten ihr Profilbild in bunte Streifen, hier und da wurden Artikel über die Öffnung der Ehe für schwule und lesbische Paare in Deutschland, über die Entscheidung des Supreme Courts in den USA geteilt, die Aktion #Ehefüralle läuft nach wie vor viral und auch auf Twitter gibt es immer mal wieder Diskussionen darüber, ob die Ehe abgeschafft oder ausgeweitet gehört. Vor allem US-amerikanische Schwarze Aktivist_innen und Aktivist_innen of Color sind es, die dieser Tage, 46 Jahre nach den Stonewall-Riots in New York (sexarbeitende Schwarze Transfrauen und Transfrauen of Color protestierten gegen u.a. gegen Polizeigewalt), gebetsmühlenartig gegen die weiße Wand der „Out and Proud“-Euphorie von LGBT* und Heten intervenieren, mit Texten und Aktionen innerhalb und außerhalb der großen Demonstrationen.
Take back #sfpride! #stonewallwasarebellion we fight for our people! #qtipocresistanceandliberation #BlackLivesMatter pic.twitter.com/Rik0kVP73B
— QTPOC Liberation (@QTPOCLiberation) 27. Juni 2015
Zwar finden in hiesigen Kontexten diese US-amerikanischen Perspektiven ebenfalls Anklang, jedoch habe ich den Eindruck, dass diese Kritik in Argumenten wie „es muss kein entweder, oder sein“, „die Forderungen schließen sich nicht aus“ bisweilen untergeht. Sicherlich bleibt immer eine zentrale Frage sozialer Bewegungen, wenn es um konkrete Forderungen geht, was umsetzbar ist und was vorerst Idee bleiben muss. Orientiert wird sich bei solchen Abwägungen an den staatlichen Regulierungsmöglichkeiten, z.B. Gesetzesänderungen, die sich positiv auf die Gruppe auswirken (sollen). Dem Staat kommt in Bezug auf die Lebensbedingungen und -realitäten derer, die innerhalb seiner Grenzen leben (wollen), ein sehr großer Machtstatus zu, dennoch ist diese Form der Macht eine, die durch ein gewaltvolles Abhängigkeitsverhältnis gekennzeichnet ist. Für die einen mehr, für die anderen weniger als ein solches spür- und wahrnehmbar. Ein weiterer Bezugsrahmen für Überlegungen ist die Gesellschaft. Diese wird allerdings häufig durchweg als privilegiertere Gruppe (als sich selbst) vorgestellt: weiß, deutsch, hetero, klassenprivilegiert, gut situiert, mit Staatsbürger_innenschaft. Diese Gruppe wird zur Solidarität aufgefordert, denn sie ist es, die die Privilegien inne hat, die mensch selbst vermeintlich bekommen will. In diesem Fall: Das Recht auf Eheschließung. Die vollständige Gleichstellung der Ehe und Gleichverteilung ehelicher Privilegien auf Heten, Schwule und Lesben.
Die Kritik, dass die Institution Ehe im Kern ein kolonialrassistisches, heterosexistisches und kapitalistisches Ordnungs- und Gewaltinstrument ist, das die staatliche Gewalt-Dynamik bis in den persönlichen Nahraum von Menschen wiederholt (siehe Links am Ende des Textes), scheint der „Why not?“ und „Tut ja keine_r weh!“-Stimmung keinen Abbruch zu tun. Manchmal werden Schwule und Lesben von den „Ehe abschaffen“-Rufen ausgenommen, weil das angeblich homofeindlich sei. Mensch würde sich damit in konservative Diskurse reinsetzen und Platz für problematische Aneignung schaffen. Ein weiteres Argument gegen die vollständige Abschaffung der Ehe samt ihrer Privilegien: Ehe ja, Privilegien nein. Gleiche Rechte für alle.
Ohne die damit einhergehenden Privilegien funktioniert die Ehe allerdings nicht. Sie wäre sinnlos. Mit der Ehe schützt und bevorteilt der Staat privilegierte Heten, die in das oben beschriebene Muster passen. Es gibt so gut wie keine Einschränkungen für diese Gruppen, was Lebensplanung und Lebensführung betrifft, Reproduktion und Familie(ngründung) ist auf vielen Wegen möglich und z.T. subventioniert (durch Staat und Krankenkassen), mit jeder Steuererklärung gibt der Staat Geldgeschenke (z.B. durch das Ehegattensplitting). Die sozialstaatlichen Transferleistungen für die weiße, deutsche, hetige Mittel- und Oberschicht mit deutscher Staatsbürger_innenschaft sind in Höhe und Umfang enorm. Sie profitieren mehr als jede andere soziale Gruppe von ihnen. Und noch einmal mehr, wenn sie untereinander verheiratet sind. Auch die Diskriminierungsbelastung in anderen Beziehungsnetzwerken und Verhältnissen wie Lohnarbeit und Freund_innenschaften ist für diese Gruppe vergleichsweise gering. Gender Pay Gap, gläserne Decke, Typenklüngel-Netzwerke, sexualisierte und häusliche Gewalt sind trotzdem Themen, die relevant sind, obwohl das keine Problematiken sind, die auf diese Gruppe begrenzt wären, im Gegenteil.
Alle großen Parteien orientieren sich mit ihren politischen Linien an diesen Heten, weil dort das Geld sitzt. Kaufkraft, Möglichkeit der steuerlichen Belastung, auf ideologischer Ebene deutsche, meritokratische Prinzipien und Werte repräsentierend. Weil die Politiker_innen genau so sind. Staatliche Antidiskriminierungspolitik ist deshalb in erster Linie an Menschen interessiert, die diese Norm widerspiegeln oder nah an diese heranreichen. Und wenn Diskriminierung in Mini-Schritten abgebaut wird, so wird im Austausch das wertekonservative Klientel samt Regierungspartner mit Zugeständnissen besänftigt. Die „Emanzipationserfolge“ bleiben oft nur Veränderungen auf symbolischer Ebene, rhetorisch modernisiert, solange Gerechtigkeit einen Preis hat und an Bedingungen geknüpft ist, die wiederum im negativen Sinne folgenreich für andere soziale Gruppen sind. Was bleibt ist, dass der Staat es wieder einmal geschafft hat, potentiell gefährliche Subjekte (in diesem Fall Schwule und Lesben) befriedet und (weiterhin) an sich zu binden. Speaking of Abhängigkeiten.
Die Union sträubt sich nach wie vor, die Eheprivilegien auch für Schwule und Lesben gelten zu lassen. Die Union wird voraussichtlich auch noch die nächsten Jahre allein oder in Koalitionen regieren. An der Entscheidungsmacht der Union ändern auch die vielen Gesetzesentwürfe der anderen Parteien nichts. Und letztlich landen immer die Kompromisslösungen zur Abstimmung im Bundesrat, wo die Union an nicht so vielen Hebeln sitzt. Das Grundgesetz hätten wir ja auch noch, ganz egal, wie das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entscheidet. Es gibt also viele und ziemlich gewichtige Stellschrauben, an denen zu drehen wäre, damit eine tatsächliche Gleichstellung stattfinden kann, die auch die Diskriminierung von nicht-hetigen Beziehungen, Familien und Lebensgemeinschaften unterbindet (z.B. im Adoptions- und Sorgerecht) und nicht nur aus einer eingetragenen „Lebenspartnerschaft“ eine Ehe auf dem Papier macht. Kurz- und mittelfristig realistisch ist allerdings lediglich letzteres.
Vor einer Weile habe ich erfahren, dass meine Ex-Freundin „geheiratet“ hat. Sie und ihre Partnerin in einem weißen Brautkleid inmitten ihrer homophoben (auch sonst alles -istischen) Familie. Meine Ex-Freundin ist mittlerweile Polizeibeamtin. Ich erlebte Gewalt in der Beziehung mit ihr, nicht nur durch sie, sondern auch durch ihre Familie und brauchte Jahre nach der Trennung, um den Kontakt zu beenden. Als wir noch Kontakt hatten, zog sie mich ständig damit auf, warum ich mich denn gegen Diskriminierung engagiere, „wir“ dürften ja jetzt auch heiraten. Alles, was sie von ihrer Familie und den Kontexten unterscheidet, in denen sie sich bewegt ist, mit wem sie in einem Bett schläft. Eine Gemeinsamkeit, die sie mit ihrem lesbischen Freundinnenkreis teilt.
Unabhängig von den Folgen der Beziehung für mich, ist dieser kurz geschilderte Kontext bereits alles, was ich zur Öffnung der Ehe wissen muss: Ehe findet inmitten von Gewalt und Abhängigkeit statt. Die verschiedenen Gewaltdimensionen auf individueller, interpersoneller, institutioneller und struktureller Ebene, die die Ehe begleiten, werden sehr viel seltener oder gar nicht in den Kontext von LGBT* und Aktivismus gestellt: Polizeigewalt, häusliche Gewalt, Diskriminierung durch die (Herkunfts-)Familie und das soziale Umfeld, auf dem Arbeitsmarkt, im Gesundheitssystem, bei Behörden, um nur ein paar Beispiele zu nennen, die deutlich machen, dass es um viel mehr als nur um die Gestaltungen der Rahmenbedingungen für Beziehungen von privilegierten Schwulen und Lesben geht.
Selbst Eheschließungen aus aufenthalts- und staatsbürger_innenrechtlichen Gründen erfahren bei weitem nicht die Eheprivilegien, die für die weiße Ober- und Mittelschicht (egal ob hetero oder nicht) bereit gestellt werden. Und nicht einmal in diesem Feld wird bar jeder Kritik auf das Recht auf Eheschließung gepocht, sondern es geht um die Kritik an rassistischen Strukturen, die eine Eheschließung manchmal als eine der wenigen Möglichkeiten quasi erzwingen. Was folgt sind Gängelungen und Überwachung durch staatliche Institutionen und keine netten Geldgeschenke und einen regenbogenfarbenen Schulterklopfer der Familienministerin.
Für mich ist die Öffnung der Ehe für „gleichgeschlechtliche“ (LOL) Paare die Schaffung einer Illusion von Antidiskriminierung, eine Täuschung. Der Versuch mich beschäftigt zu halten, abzulenken und mir falsche Hoffnung zu vermitteln, ich könnte zum erlesenen Kreis dazu gehören, wenn ich nur artig das will, was die Heten um mich herum auch wollen. Der Versuch, mich zur Entsolidarisierung zu bewegen. Wer sagt, dass sich verschiedene Kämpfe nicht ausschließen, vergisst, dass Gleichstellung ein Versprechen ist, das niemals eingehalten wird. Auf Kosten von anderen.
Es muss also auch darum gehen, dass Privilegien umverteilt werden, doch mit dem Staat ist dahingehend kein Geschäft zu machen. Wie können wir trotzdem gemeinsam an Umverteilung und der Ermöglichung alternativen Zusammenlebens und Absicherung arbeiten, ohne auf Zugeständnisse des Staates zu warten, der sowieso immer nach Schlupflöchern sucht und andere die bittere Pille schlucken lässt, die mir zu meiner Gleichstellung verhilft? Warum sprechen wir so wenig über finanzielle Umverteilung? Umverteilung von Care und Sorgearbeit? Umverteilung von politisch-unterstützender Arbeit? Wie können wir uns von gewaltvollen Abhängigkeitsstrukturen frei_er machen? Hier sind nämlich alle gefragt, die von diesen profitieren und sie aufrechterhalten durch ihr Nichts_Tun.
Wenn weiße privilegierte (verheiratete) Heten vom Staat finanziell bevorteilt werden, warum fließen diese Gelder nicht in Antidiskriminierungsorganisationen, in (auch private) Unterstützungsangebote für alle, die diese Privilegien (vielleicht) niemals haben werden? Warum halten Typen an ihrem Sperma fest, als sei es heilig, auch dann, wenn sie überhaupt nicht als Ver_Sorger in Erscheinung treten? Warum ist es ihnen angenehmer, ihre Ressourcen in Gerichtsprozesse zu stecken (bis hoch zum Europäischen Gerichtshof), die ihnen unabhängig vom Kindeswillen und bereits vorhandener Integration in Beziehungsnetzwerke den Status des Patriarchen zusprechen, als nicht-hetero Lebensgemeinschaften zu unterstützen (mit Geld, mit Sperma, mit strategischen Beziehungen und Eheschließungen)? Warum gibt es keine (privaten) Fördertöpfe für Menschen mit Kinder/Familienwunsch, die nicht auf Krankenkassen hoffen können oder sich nicht die anwaltliche Unterstützung leisten können, die die Chancen auf positive Adoptions- und Sorgerechtsentscheidungen erhöhen? Warum wird nicht auch viel mehr im persönlichen Umfeldern geguckt, wer braucht was und was kann ich geben?
Zum Weiterlesen:
Darkmatter – The Other Side of Pride: In the Fight for LGBT Rights, Visibility for Some Doesn’t Mean Justice for All
Kami Chisholm – All I feel right now is shame: The high cost of marriage „equality“
Dean Spade und Craig Willse – Marriage will never set us free
Against Equality. Queer challenges to the politics of inclusion
Trouble X: The oppression of some will never be the liberation of others. Oder was die Homo-Ehe mit Unterdrückung zu tun hat. (FB-Link)
Magda bei der Mädchenmannschaft: „Homo-Ehe“? Ja. Heteronormativität hinterfragen? Nee.
Sushila Mesquita: BAN MARRIAGE! Ambivalenzen der Normalisierung aus queer-feministischer Perspektive
Kathrin Ganz: Neoliberale Refamiliarisierung & queer-feministische Lebensformenpolitik
danke
Volle Zustimmung zu dem Meisten was du schreibst.
Aber das hier:
„Warum halten Typen an ihrem Sperma fest, als sei es heilig, auch dann, wenn sie überhaupt nicht als Ver_Sorger in Erscheinung treten?“
Scheint mir nicht so ganz schlüssig. Typen halten doch an ihrem Sperma bloß fest, wenn dieses Sperma es zu einer Eizelle geschafft hat. Vorher gehen sie bemerkenswert achtlos damit um.
Auf diese Weise lässt sich doch jeder Erfolg einer marginalisierten Gruppe im Kampf um Akzeptanz und Emanzipation diskretitieren, der nicht zum völligen Umsturz der herrschenden Verhältnisse führt. Jede*r, die*der sich nicht gerade einer Untergrundarmee anschließt, muss sich doch ein Stück weit mit der existierenden Gesellschaft arrangieren in der er lebt. Es kann doch den Lesben, Schwulen und Bisexuellen schwerlich vorgeworfen werden, dass sie versuchen, schrittweise die Gegebenheiten zu ändern um dieses Leben erträglicher zu machen anstatt auf die (wünschenswerte) Abschaffung des Kapitalismus zu warten.
Natürlich erhalten sie dadurch Priviligien und natürlich sind solche Erfolge nur aufbauend auf schon erreichten Privilegien möglich. Aber die in Folge abnehmende Distanz zur Mehrheitsgesellschaft als eine Art Verrat an der Bewegung anzusehen, finde ich nicht richtig. Nach dieser Logik ist jede marginalisierte Gruppe, die sich emanzipiert, in Folge dessen priviligiert und wird zum Teil des unterdrückenden Systems, das bekämpft werden muss.
Auch ein interessanter Artikel zum Thema:
http://www.academia.edu/259575/Is_Gay_Marriage_Racist