Derzeit lebt, arbeitet und schreibt Simone in Berlin und Hamburg. Sie hat Kultur-, Literatur- und Sprachwissenschaften studiert und promoviert in Hamburg gerade zu einem linguistischen Thema. Mit ihren Freund_Innen macht sie in einer kleinen Gruppe kitschige “Kunst” voller Klischees auf der Grundlage (absichtlich) missinterpretierter Vorbilder. Simone positioniert sich als Feministin und queere WOC.
Es fällt den meisten Menschen ungeheuer schwer, mich „ethnisch“ einzuordnen. Das trifft auf weiße und nicht-weiße Personen zu, auf Menschen die mich aus der Mehrheit ausgrenzen wollen und auf Menschen, die mich einer bestimmten Minderheit – vielleicht der, mit der sie sich selbst identifizieren – zuordnen wollen. Die Tatsache, dass mein Teint und mein Haar keinen richtigen Aufschluss über meine ethnische Herkunft geben, stört sie ungemein. Sie wollen unbedingt wissen, wo ich „wirklich“ herkomme und „was“ ich eigentlich bin. Aber wenn ich ihnen eine Antwort darauf gebe, dann passt ihnen das auch nicht.
„So siehst du aber wirklich nicht aus,“ sagen sie dann, oder, „Nein, echt? Das glaub ich jetz nich, die Leute, die ich von da kenne, sehen ganz anders aus.“
Es geht sicherlich vielen Personen so, die einen weißen und einen nicht-weißen Elternteil haben und/oder deren Aussehen „frecher“ Weise nicht eindeutig kategorisierbar ist. In vielerlei Hinsicht habe ich es ziemlich gut, denn manchmal komme ich als weiß durch und keine_r stellt Fragen. Mein Name ist deutsch; auf dem Papier kann ich also maximal in Bezug auf Gender diskriminiert werden. Mein Deutschsein auf dem Papier macht es mir im Gegenzug zwar schwerer, Menschen von meiner Mehrsprachigkeit zu überzeugen, aber das ist um ehrlich zu sein ein ziemliches Luxusproblem. Denn wenn ich als weiß und deutsch durchkomme, habe ich selbstverständlich als in Deutschland lebende Person automatisch mehr Privilegien. Meistens ist das im Winter der Fall. Im Sommer bin ich also öfter weniger privilegiert, weil ich den Passing-Test nicht (mehr) oft bestehe.
Aber auch dann, wenn ich im Sommer öfter als nicht-weiße Person gelte, gelte ich auf keinen Fall als schwarze Person. Teil meiner Identität ist allerdings auch afrikanisch, und ein Teil meiner Herkunft ist schwarz. Manchmal möchte ich mich über schwarze Körper unterhalten, über den Umgang mit schwarzen Körpern, denn mein Körper weist viele Charakteristiken auf, die dem Schwarzsein zugeordnet werden. Ich interessiere mich dafür, wieso diese Charakteristiken auf meinem nicht-schwarzen Körper als teilweise positiver und teilweise negativer wahrgenommen werden als auf einem schwarzen Körper, und wie ich diesen Teil meiner Herkunft werten kann und soll und sollte, und wie die Hälfte meiner nicht-weißen, aber nicht-schwarzen Herkunft. Wenn ich auf Lesungen gehe, stelle ich dazu Fragen. Weiße, linkspolitische Autor_Innen, die mich als nicht-schwarz wahrnehmen, werten meine Fragen, die zum Teil auf genuinen Erfahrungen beruhen, als privilegierte Außenansichten einer weißen Person ab. Bekannte von Bekannten belächeln mich und sagen, teils im selben Atemzug mit der Aussage, dass sie schwarze Personen als weniger attraktiv empfänden, dass mich das nicht beträfe, weil ich ja nicht schwarz sei. Und natürlich bin ich nicht schwarz. Ich identifiziere mich auch nicht so. Und ich kann auf einer Lesung nicht in zwei Minuten erklären, warum ich ein berechtigtes Interesse an bestimmten Fragestellungen haben könnte. Nicht zuordenbare Identitäten sind nicht Teil des Diskurses.
Gleichzeitig werde ich manchmal als Teil einer von Rassismus betroffenen Gruppe identifiziert, die ich nicht einmal zu einem Teil repräsentiere. Ich werde zum Beispiel öfter als südamerikanisch, irgendwie ostasiatisch oder türkisch wahrgenommen (je nachdem, in welchem geographischem Kontext ich mich bewege). Das bedeutet für mich, dass ich Diskriminierungspatterns erwarten muss, die Lebenswelten ansprechen, die ich selbst nie erfahren habe. Konkret heißt das für mich, mich im Detail mit Islamfeindlichkeit auseinanderzusetzen. Mit dem Hass und den Vorurteilen, die mir, wenn ich als Teil einer anderen Minderheit wahrgenommen werde, entgegengebracht werden können. Während meinen Teens empfand ich das als anstrengend, aber diese frühe Solidarisierung mit Menschen, die Rassismuserfahrungen machen, war insgesamt etwas Positives, weil ich andere Perspektiven besser wahrzunehmen lernte. Meistens bedeutet diese Fremdwahrnehmung- und -zuschreibung natürlich, sich gegen islamfeindliche und andere rassistische Aussagen und Haltungen verteidigen zu müssen, gegen selbsternannte Verteidiger_Innen des Abendlandes und Körperverhüllungsgegner_Innen. Oder Menschen zu erklären, das sexualisierte Gewalt kein nordafrikanisches oder muslimisches Problem ist, und dass die Sicherheit von Frauen in Deutschland nur dann Thema ist, wenn man glaubt, die Anderen waren’s. Manchmal bedeutet es aber auch, einem türkischen Mann zu erklären, dass ich kein Kopftuch trage, weil ich nicht Muslimin bin und es auch auf Grundlage des Korans nicht Pflicht für Musliminnen ist, Kopftuch zu tragen, sondern sie diese Entscheidung für sich selbst treffen können und dürfen. Oder einem Mann, der sich als Perser identifiziert, zu erklären, dass er in keinem Szenario Anspruch auf meinen Körper hätte, auch dann nicht, wenn ich „so eine hübsche Perserin“ wäre. Oder dem weißen, angeblich linkspolitischen Türsteher eines Clubs zum dritten Mal in Folge zu bestätigen, dass ich tatsächlich kein gutes Spanisch spreche, und ich ihn deswegen bitten muss, mich nicht mehr auf Spanisch anzusprechen.
Diese Erfahrungen einzuordnen und zu erzählen ist nicht immer einfach. Wenn man so etwas erzählt läuft man nämlich immer Gefahr, dass sich Menschen – gerade bei der Anekdote mit dem Kopftuch zum Beispiel – in ihren rassistischen Vorurteilen bestätigt sehen und nichts von allem anderen mitnehmen, was ich sage. Oder dass andere Menschen beleidigt sind, weil ich ihr Interesse an meiner Person irgendwie als Rassismus werte, und das ja nicht so gemeint sei. Aber alle diese Erfahrungen gemeinsam illustrieren ganz gut, warum es nicht reicht, nur feministisch oder nur anti-rassistisch zu sein, sondern dass diese Positionen immer nur intersektional wirklich Sinn machen.
13% haben im September die AfD gewählt. Diese 13% werden mich, sofern ich nicht für sie als weiß durchgehe, so einordnen, wie es ihrem unmittelbarem Feindbild entspricht, als Muslimin, Geflüchtete, nicht-Deutsche. Diese 13% kann ich wahrscheinlich nicht davon überzeugen, anders zu denken oder zu handeln. Aber für die Menschen, denen solche (nicht-)Details wichtig sind und für diejenigen, die selbst Teil einer Minderheit sind: Es ist gerade jetzt unglaublich wichtig, sich immer und immer wieder die eigenen Grundhaltungen und Vorurteile vor Augen zu führen, die eigene Position kritisch zu hinterfragen und die Erfahrungen anderer Personen anzuhören (und vor allem zu hören).
Achja, vielleicht sollte ich am Schluss noch aufklären, „was“ ich nun eigentlich genau bin, „woher“ ich genau komme. Aber um ehrlich zu sein: Das geht euch nur dann was an, wenn ich es von mir aus erzählen möchte.
Danke für diesen Artikel !!!
Das Thema beschäftigt mich schon eine Weile.
Ich habe versucht mit anderen Menschen über dieses Thema zu reden und bin komplett auf Unverständnis gestoßen.
Leider habe ich auch kein Umfeld was sich mit Feministischen und Rassistischen Themen großartig auseinandersetzt und mir fehlt auch irgendwie intellektueller Umgang damit.
Deswegen großen Dank an die Autorin
Ebenfalls ein großes Dankeschön für diesen bewegenden, wichtigen und so präzise formulierten Artikel! Ich strauchle auch immer wieder damit und darin, dass ich für mich bislang noch keine „passende“ Formulierung für Erfahrungen des rassialisierten „(Nicht-)Passing“ im Deutschen gefunden habe… Gleichwohl denke-fühle ich auch, dass es „die eine“ stimmige Bezeichnung für diese hochkomplexen Erfahrungen wohl ohnehin nie geben wird. Daher finde ich den Artikel auch so anregend, weil er aus meiner Sicht so präzise Erfahrungseindrücke und Analysen enthält und damit überhaupt erst Möglichkeiten des sprachlichen Austauschs über “ (Nicht-)Passing“ eröffnet.
Ich selbst merke auch immer wieder, wie sich die Möglichkeiten und Kategorien des „(Nicht-)Passing“ je nach Kontext (zB geografisch, sprachlich, „kulturell“) ändern und somit Differenzen der jeweils vorherrschenden rassialisierten Ordnungen offenbaren.