Die Wahl haben?

Bild eines Wahlzettels
Foto: Awaya Legends (Creative Commons BY-SA 2.0)

Vor 95 Jahren wurde in Deutschland das Frauenwahlrecht eingeführt (nach den entsprechenden langwierigen Kämpfen vieler Aktivist_innen.). Am 22. September findet die nächste Bundestagswahl statt. Und ich persönlich habe keine Ahnung, was und ob ich überhaupt wählen möchte. (Es gibt ja auch tatsächlich gute Gründe nicht wählen zu gehen.) Soll es weiter gehen mit Schwarz-Gelb? Natürlich nicht. Aber doch eher Peer Steibrück, der trotz großer „Rassismus in Kinderbüchern“-Debatte in diesem Jahr am vorletzten Wochenende beim SPD-Fest („Deutschland-Fest“, ne) nichts besseres zu tun hatte, als aus „Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer“ vorzulesen?

Falls ihr erfahren wollt, wie eure Direkt-Kandidat_innen (Wahlkreisabgeordneten) positioniert sind, könnte es helfen den „Kandidaten-Check“ zu nutzen. Auch wenn der Name suggeriert, dass dort nur Männer Rede und Antwort stehen, haben sich auch Kandidatinnen beteiligt. Auf übersichtliche Art und Weise könnt ihr dort herausfinden mit welche Direkt-Kandidat_innen ihr die meisten Übereinstimmungen habt. (Leider haben sich aber natürlich nicht alle beteiligt und ich werde nun nie erfahren, ob Frank Di Leo von HUNDEFREUNDE KREUZBERG die Dinge auch so sieht wie ich.)

Und für die Zweitstimme? Könnte eine_r natürlich alle Wahlprogramme ausgiebig durcharbeiten und nach den Aspekten durchforsten, die eine_r_m wichtig erscheinen. Oder? Sich bei Verbänden und Initiativen informieren, die verschiedenen Parteien (häufig aber ausschließlich jenen, die bereits im Bundestag sitzen, manchmal noch zusätzlich Die Piraten) befragt haben und nun ihre so genannten Wahlprüfsteine veröffentlichen. Einige möchte ich euch hier vorstellen. Die Liste ist selbstredend nicht vollständig und kann gern in den Kommentaren ergänzt werden.

Die Bundesarbeitsgemeinschaften kommunaler Frauenbüros und Gleichstellungsstellen hat den aktuellen Bundestagsparteien und den Piraten Fragen rund um das Thema Gleichstellung gestellt. Sie wollten zum Beispiel wissen, welches Leitbild der künftigen Gleichstellungspolitik zu Grunde liegen soll, wie das Gender Pay Gap verringert werden soll und wie das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verbessert oder besser umgesetzt werden soll.

pro familia hakte bei den im Bundestag vertretenen Parteien nach, was es hinsichtlich von sexuellen und reproduktiven Rechten auf der Agenda steht. Wie sehen die Parteien die derzeitige Praxis der Sexualaufklärung in Schulen, besteht Reformbedarf? Wie stehen die Parteien zu der Forderung, das Notfall-Verhütungsmittel „Pille danach“ künftig ohne Rezept in der Apotheke zu erhalten? Wie stehen die Parteien zur derzeitigen gesetzlichen Regelungen des Schwangerschaftsabbruchs?

Der Lesben- und Schwulenverband Deutschland ist mit zehn Frage-Komplexen zu LGBTI-Rechten an CDU/CSU, SPD, FDP, Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen und an die Piratenpartei herangetreten. Dabei geht es vor allem um die Öffnung der Ehe, Adopstionsrecht, Gewaltprävention, das Transsexuellengesetz und Intersexualität.

Anküpfend an „Enthüllungen der Konsequenzen von institutionellem Rassismus der Sicherheitsorgane im sogenannten „NSU“- Fall, die Rüge der UN Anti-Rassismuskommission im April 2013 sowie die anhaltende Kontroverse um Racial Profiling“ stellt die Initiative Schwarzer Deutscher Fragen zu Antidiskriminierung, Rassismus, Chancengerechtigkeit und Umgang mit Kolonialgeschichte. Es antworten Bündnis 90/Die Grünen, CDU/CSU und Die Linke. Edit: Und nun auch die SPD. Der ISD möchte da unter anderem wissen: Wie genau wollen sie sicherstellen, dass institutioneller Rassismus in den Sicherheitsbehörden abgebaut wird? Planen sie, das Verbot von Racial Profiling zu konkretisieren und durchzusetzen? Erkennen Sie Schwarze Menschen als in besonderer Weise von Rassismus betroffene Gruppe an? Wenn ja, wie planen Sie, diese Anerkennung auf eine Weise umzusetzen, die rassistische Diskriminierung Schwarzer Menschen umfassend erfasst?

Auch vom MiGAZIN gibt es Wahlprüfsteine. Sie haben so zum Beispiel Fragen zu doppelter Staatsbürger_innenschaft, Besuchervisa für Angehörige von Drittstaaten und Förderung von Mehrsprachigkeit.

Wer_welche wissen möchte, was die fünf Bundestagsparteien in ihren Wahlprogrammen zum Thema „Politik für Menschen mit Behinderung“ stehen haben, kann sich bei Der Paritätische Gesamtverband einlesen. In Stichpunkt ist dort nachzulesen, was geplant ist zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention, inklusiven Schulen, persönlichen Budgets und Arbeitsmarktpolitiken.

23 Kommentare zu „Die Wahl haben?

  1. Vielen Dank für die Übersicht! Ich bin mir auch noch nicht 100% sicher, wen ich wählen werde – die Zusammenstellung wird mir da sicherlich helfen. :)

    Aber, ernstgemeinte Frage: Was sind denn gute Gründe, um nicht wählen zu gehen? Mir fällt ehrlich gesagt keiner ein. Ich versuche eigentlich immer, auch alle politik-verdrossenen/-uninteressierten Menschen in meinem Umfeld dazu zu überreden, wählen zu gehen (im Zweifelsfall halt das für sie geringste Übel/kleine Partei/ungültig wählen), weil ich nicht-wählen total doof finde. ;)

  2. Der Verband binationaler Partnerschaften und Familien hat auch die Parteien unter die Lupe genommen. Folgende waren ihre Wahlprüfsteine: Sprache und Mehrsprachigkeit, Interkulturelle Öffnung und Bildung, Anerkennung und Qualifizierung, Ausländerrecht, Besuchervisum, Staatsangehörigkeit/ Mehrstaatigkeit, Eheschließung, Familie und Binationalität, Antidiskriminierung
    Und hier gibt es die Ergebnisse: http://www.verband-binationaler.de/index.php?id=452

  3. @Kristin: Ich persönlich finde die Frage „Wählen – ja oder nein?“ komplex und für mich selber schwierig zu beanworten und entscheide das meist von Wahl zu Wahl – gerade im Kommunalbereich hängt es ja tatsächlich manchmal am Wahlergebnis, ob einzelne relevante Entscheidungen getroffen oder abgewendet werden. Außerdem sehe ich meine Stimmenabgabe auch als gezielten Support für Frauen, die in der Staatspolitik tätig sein wollen, gerade auch migratisierte Kandidat_innen.

    Für mich ist z.B. ein guter Grund, nicht wählen zu gehen, die Überzeugung, dass wählen nicht sonderlich viel nützt – oder sogar im Gegenteil noch bestätigend für ein von mir als problematisch betrachtetes System wirkt, denn schließlich ist ja jede noch so problematische Politik dann „demokratisch abgesegnet“ und also legitimiert. Die wahllogische Idee, man bräuchte „nur“ die „richtige“ Partei/die „richtigen“ Leute in der Regierung, dann würde alles gut (mal etwas vereinfacht ausgedrückt), teile ich nicht. Ich bin überzeugt, dass im derzeitigen wirtschaftlich-politischen System die „Realpolitik“ von anderen Faktoren als (im besten Falle fachlich fundierten) persönlichen Überzeugungen der Kandidat_innen oder auch die Auffassungen einzelner Parteien geprägt wird – abgesehen davon, dass es schwer ist, diejenigen Fraktionen, die meine Überzeugungen zu grundlegenden Dingen teilen, überhaupt erst zu finden, geschweigeden unter jenen, die bei Wahlen eine realistische Chance auf Mehrheiten haben.

    Das derzeitige politische System gaukelt vor, gut und gerecht zu sein – schließlich können doch alle(tm) mitmachen und dann wird es eben so gemacht wie die Mehrheit vermeintlich will. Eine solche Auffassung, die ja auch massiv propagiert wird, blendet z.B. bestehende strukturelle Machtverhältnisse innerhalb der Gesellschaft völllig aus. Mich persönlich macht es daher immer sehr wütend, wenn „Nicht an der Bundestagswahl teilnehmen“ mit „Politikverdrossenheit“ oder Desinteresse gleichgesetzt wird – das Gegenteil ist oft der Fall, und meine persönliche Beobachtung ist, dass die Nichtwähler_innen in meinem Umfeld oftmals politisch durchaus aktiv sind und ihr Nichtwählen oft wesentlich mehr durchdacht haben und es stichhaltiger begründen als viele, die wählen gehen, weil man das halt eben macht.

  4. @Anna-Sarah: Vielen Dank für die Erläuterung, jetzt ist mir das schon ein bisschen klarer geworden. :)
    Aber das Argument, dass es „nichts nützt“… also das finde ich schwierig in dem Sinne, als das „nicht wählen gehen“ ja genauso „nichts nützt“, sondern eher das bestehende System (respektive die gegenwärtige Regierung) noch unterstützt. Ich persönlich kann mich auch mit keiner der zur Wahl angetretenen Parteien auch nur ansatzweise im größeren Ausmaß identifizieren, deswegen werde ich wohl das (für mich!) geringste Übel wählen, weil ich auch gar nicht weiß, wie ich großartig anders etwas ändern könnte. :(

    Übrigens wollte ich Verdrossenheit nicht mit Desinteresse gleichsetzen. In meinem Umfeld gibts nur halt Beides: Leute, die nicht wählen wollen, weil sie tatsächlich ebenfalls der Meinung sind, dass es sowieso nichts ändert. Und Leute, die nicht wählen gehen, weil sie (selbst so verbalisiert) „kein Interesse an/keine Ahnung von Politik“ haben.

  5. @Kristin: Klar, nicht wählen nützt erstmal in sofern nichts, als es keine alternative Politik bereit stellt. Auch wenn nur noch wenige Leute zu Wahl gehen würden, würde die Regierung mit Personen/Parteien besetzt, deren Positionen viele ablehnen – nur halt mit jeweils weniger Stimmen… Ich sehe den Nutzen/die Wirkung eher in der längerfristig einfach nicht mehr verleugbaren Erkenntnis, dass dem derzeitigen politischen System und seinen Protagonist_innen die Legitimationsbasis entzogen wird, wenn immer mehr Menschen sich einer „Pest vs. Cholera“-/“kleineres Übel“-Taktik verweigern. Ich bin aber weder Staatspolitikexpertin noch eindeutige Verfechterin des Nichtwählens und vermute mal ganz stark, dass schon diverse Menschen schlaue Sachen über dieses Thema geschrieben haben :)

  6. @ Anna-Sarah:
    Danke für die Übersicht auch meinerseits! Ich teile viele Deiner Punkte in der Kommentarreihe übers wählen (bzw nicht wählen) – dass es nicht viel nutzt, dass mensch politisch viel aktiver sein kann, ohne wählen zu gehen… aber ich glaube auch, dass es sich nicht ausschließen muss. Und dass wählen in einem ganz bestimmten Punkt doch sinnvoll sein kann.
    Mein Ansporn, wählen zu gehen ist z.B. dass Anhänger_innen der CDU, Republikaner, NPD etc meines Wissens nach sehr bewusst wählen gehen/ ihre Parteien wählen, und wenn die allgemeine Wahlbeteiligung niedrig ist, ihre Stimmen mehr wiegen.
    Zudem kann mensch z.B. kleine vielleicht sinnvollere Parteien wählen (es gibt z.B. feministische Parteien, von denen ich aber nicht weiß, was sie genau machen, ob sie cool sind etc, nur als Beispiel) die keine Chance haben, über 5% zu kommen, und die pro Wähler_in 5 Euro erhalten und sich somit ein bisschen besser finanzieren können.

  7. Nicht Wählen ist so ne Sache, wer nicht wählt, aber Steuern zahlt, unterstützt den Staat finanziell, verzichtet aber auf jegliche Einflussmöglichkeit auf die Politik dieses Staates. Frag dich also, „Wer spiegelt meine Interessen und mein politisch Meinungsbild am ehesten wieder?“; das muss keine der über 5% Parteien sein; auch eine Stimme an eine Partei welche an der 5% Hürde scheitert ist sinnvoll, da die Partei dann mehr finanzielle Unterstützung erhält.

    Ganz anderes Thema: Wer kein Schwarz-Gelb will, sollte meist Erststimme SPD wählen, es gibt kaum Wahlkreise in denen Direktkandidatinnen, die nicht der Union oder SPD angehören eine Chance haben (Grüne z.T. in Berlin; Linke z.T. in Ostdeutschland).

  8. @reactio: Dein Kommentar bestätigt eigentlich ziemlich exakt die Einwände, die ich gegen das Wählen zum Ausdruck gebracht habe ;) Du sprichst von Einflussmöglichkeit auf die Politik dieses Staates – die habe ich aber gar nicht in dem Sinne, wie es eigentlich gedacht ist. Zumindest nicht qua Bundestagswahl – mein Politik- und Einflussnahmeverständnis beschränkt sich aber bei weitem nicht auf Wählen gehen und nicht Wählen gehen.

    Die Bundesregierung wird, egal mit welchen Abgeordneten sie besetzt ist, ganz überwiegend Politik machen, die ich ablehne und nicht wählen würde. Egal ob einzelne der Abgeordneten meine Interessen und mein poltitisches Meinungsbild widerspiegeln. Und das Dilemma der „kleineres Übel“-Taktik ist doch: Wenn alle, die die CDU verhindern wollen, SPD wählen (um in deinem Beispiel zu bleiben), sieht es im Wahlergebnis so aus als stünden all diese Leute hinter der Poltik der SPD, egal ob dem so ist oder nicht. Das ist doch eine Scheinlegitimation. Und Scheindemokratie sowieso.

    Wie gesagt, ich kann gerade auch kein „Hier ist mein super Vorschlag für ein Alternativsystem zur parlamentarischen Demokratie“-Konzept vorlegen, aber ich finde, hier wird z.T. etwas zu idealtypisch argumentiert.

  9. @ Anna-Sarah

    deinen letzten Punkt finde ich sehr bemerkenswert. Was ist das eigentlich, dass unsere Gesellschaft so auf Sieger*innen steht und deswegen alle Parteien nach einer Wahl sich so abfeiern als wären die Leute gerade ihre Parteienreligion beigetreten? Und das obwohl die wissen, dass sie zu der Berufsgruppe gehören, der laut Umfragen am wenigsten Vertrauen entgegengebracht wird und die meisten wie du sagst schlicht das kleinere Übel oder gar nicht wählen. Aber Hauptsache da wird ordentlich Siegmentalität ausgestrahlt… die Ahnungslosen werden schon glauben da müsse was dran sein…

  10. Ich denke man muss bei der Wahl einfach den Pragmatismus über den Idealismus siegen lassen.
    Bin ich 100 % mit den Linken einverstanden? Nein. Aber ich weiß, dass es ohne sie in der Opposition noch schlimmer aussieht.

    Jeder muss seine eignen Grenzen ziehen, aber nicht wählen zu gehen finde ich, um ehrlich zu sein, scheiße. Nach mehr Demokratie verlangen aber gleichzeitig die Demokratie die da ist und Wirkung hat nicht nutzen.

    Ich denke nicht, dass man durchs wählen der linken, grünen oder einer unter 5 % partei die CDU, FDP oder SPD unterstützt.

    reactio: Da die SPD sowieso keine Chance hat UND die SPD einen auf CDU, kann man da auch gleich nach Überzeugung wählen…

  11. Ein sehr schöne Übersicht, wie ich finde. Danke dafür.

    Zu dem Dialog über den Sinn oder Unsinn vom Wählen gehen, würde ich gerne zwei Sachen ergänzen:

    1. Ich bin mir nicht sicher, wie das „nicht wählen gehen“ hier gemeint ist. Es macht nämlich schon einen Unterschied, ob nicht zur Wahl gegangen wird oder ob sich jemand der Wahlt enthält, in dem der Stimmzettel ungültig gemacht wird. Geht eine Person nicht zur Wahl hin, zeigt das eher ein politisches Desinteresse, während das Ungültig machen, ein Statement ist, dass das momentane politische System (bzw. die Parteien die zur Wahl stehen) nicht unterstützenswert ist.
    Kurz gefasst: Wer die momentane Politik nicht mag, sollte auf jeden Fall zur Wahl gehen, aber den Stimmzettel ungültig machen, wie ich finde.

    2. Das ist nur ein marginaler Effekt, der aber doch recht interessant ist. Enthält sich jemand der Wahl (egal ob durch nicht Hingehen oder Stimmzettel ungültig machen), geht die absolute Zahl der gültigen Stimmen zurück. Dadurch wird es tendenziell leichter für nicht fördernswerte Parteien (z.B. NPD), die 5% Hürde zu knacken, da sie dafür absolut weniger Stimmen benötigen.
    Aber wie gesagt, dass stimmt zwar so, aber real ist der Effekt wirklich nur marginal.

  12. @Aljoscha:

    Geht eine Person nicht zur Wahl hin, zeigt das eher ein politisches Desinteresse

    Und ich wiederhole es zum gefühlt 12. Mal: Nee. ich finde es ehrlich gesagt relativ ignorant, politisches Interesse gedanklich einzig auf „Beteiligung an der parlamentrischen Demokratie per Wahl“ zu beschränken. Es geht auch nicht nur um „die momentane Poltitk nicht mögen“, sondern um systemimmanente Probleme, deretwegen man das gesamte wirtschaftlich-politische System ablehnt.

    @Lea: Ich verlange nicht nach „mehr Demokratie“ – ich „verlange“ einen Systemwechsel. Und zum Thema Teilhabe, wie gesagt: Die Tatsache dass mehr Leute zur Wahl gehen, bedeutet nicht automatisch, dass in der Staatspolitik diversere Interessen vertreten werden.

  13. @Anna-Sarah: Was ist denn die Alternative? Das ist nicht schnippisch gemeint, sondern eine ehrliche Frage. Revolution? Und wie soll die entstehen?
    Wenn du nicht nach mehr Demokratie verlangst, welches System wünschst du dir denn?

  14. @Lea: Ja genau, sowas in der Art fände ich ganz gut ;) Ich habe keinen ausgereiften Plan B für eine optimale Gesellschaftsorganisation in der Tasche, und meine politischen Interessen/Prioritäten liegen anderswo (zum Glück gibt es aber andere schlaue Leute die sich damit befassen), ich denke aber es ist legitim ein bestehendes Sytem auch ohne den perfekten globalen Alternativvorschlag zu kritiseren. Kurz und allgemein gesagt: Ich wünsche mir ein Modell, dass möglichst arm an systematischen Machtstrukturen ist. Die derzeitige parlamentarische Demokratie in Deutschland kann das zumal angesichts der globalen (kapitalistischen) Zusammenhänge, in die sie eingebunden ist, nicht leisten. Egal mit welcher Partei/Person an der Spitze.

    Dessen ungeachtet kann es natürlich in den ganz konkreten Leben von realen Personen einen handfesten Unterschied machen, welche politischen Akteur_innen jeweils in einem konkreten Setting am Drücker sind. „Auf die Revolution warten“ muss man sich auch erstmal leisten können.

  15. @Aljoscha und andere: Ich hatte ja befürchtet, dass mein langer Text in der Diskussion letzten Endes auf die kleine Anmerkung, dass Wahlen nicht per se das tollste sind, reduziert wird… Würde ich Wahlen aktuell für vollkommen überflüssig halten, hätte ich mir wahrscheinlich nicht die Arbeit gemacht, all die Informationen hier im Text zu recherchieren, aber Wahlen als das große politische Teilhabe-Event zu verklären, finde ich eben schwierig.

    Ich finde es ehrlich gesagt auch sehr erstaunlich, wie hier auf einer feministischen Plattform, so getan wird, als sei Wählengehen der wahre Gradmesser für „politisches Interesse“. Menschen, die täglich auf feministischen, anti/contra-rassistischen, anti-ableistischen etc. Seiten bloggen, sind poltisch uninteressiert, falls sie nicht wählen gehen? Menschen, die an Demonstrationen teilnehmen, Petitionen starten, sind ohne den Wahlgang am Sonntag alle vier Jahre unpolitisch? Menschen, die gesellschaftskritische Kunst produzieren, sind nicht politisch interessiert, wenn sie sich für keine Partei entscheiden können und am 22. September eher an einem aktivistischen Treffen teilnehmen als zur Wahlurne zu schreiten? (Und dass „das Politische“ weiterzufassen ist, ist ja auch ein grundlegender feministischer Gedanke.)

    Ansonsten möchte ich mich Anna-Sarah anschließen, die hier ja schon vieles geschrieben hat.

  16. @Anna-Sarah und Charlott
    Ich glaube, ich habe mich leicht missverständlich ausgedrückt und bitte um Entschuldigung. Ich wollte nicht zum Ausdruck, dass das nicht-zur-Wahl-hingehen, gleichzusetzen ist mit politischen Desinteresse (dieser Meinung teile ich mit euch).
    Allerdings wird es im Allgemeinen damit gleichgesetzt und daraus folgere ich, dass es ein effektiverer Protest ist, zur Wahl zu gehen und den Stimmzettel ungültig zu machen, als nicht zur Wahl zu gehen. Das es auch einen Effekt haben kann, zeigt sich u.a. bei der Wahl im Saarland von 52. Mit dem ungültig machen, wird ja u.a. ein Protest gegen das momentane System zum ausgedruck gebracht.

    Im Übrigen ist mir sehr bewusst, dass politisches Interesse über vielfältige Formen von Protest, Partizipation und Engagement zum Ausdruck gebracht wird und sich das nicht auf die Wahl beschränkt. Wenn ich aber darüber schreibe, wie politisches Interesse bei einer Wahl (nicht) zum Ausdruck kommt, meine ich auch nur den Interessensausdruck bei einer Wahl. Ich meine, der Blogeintrag befasst sich mit der Wahl, die Kommentare befassen sich mit der Wahl und auch diesem Grund schreibe ich auch über politisches Interesse bei der Wahl (- und nicht über politisches Interesse auf Demonstrationen u.Ä.).
    Ich finde es des Wegen leider auch „ignorant“ (um diesen Begriff mal aufzugreifen), anhand einer Aussage, gleich auf eine gesamte Einstellung zum politischen Interesse schließen zu wollen.

  17. @ => Anna-Sarah

    “ .. Wie gesagt, ich kann gerade auch kein “Hier ist mein super Vorschlag für ein Alternativsystem zur parlamentarischen Demokratie”-Konzept vorlegen, aber ich finde, hier wird z.T. etwas zu idealtypisch argumentiert .. „

    Ich habe mir dazu Gedanken gemacht und ein Konzept dargestellt wie es zu ‚mehr Demokratie‘ hier bei uns kommen könnte – das erfordert allerdings ein Umdenken hinsichtlich der Parteien (2. Absatz) & ihrer Funktion bei der Kandidatenauswahl.

    So verändert wäre das Wahlsystem tatsächlich eine „Wahl“ und nicht – wie du es richtig nennst – eine „Scheindemokratie“.

    Allerdings muß ich widersprechen was die Wahl jetzt, unter den Bedingungen die wir haben, angeht:
     
    Zu wählen heißt immer abwägen welche der Parteien den eigenen Vorstellungen einer Gesellschaft mit größerer Wahrscheinlichkeit zur Durchsetzung verhelfen könnte. Eine 100%-ige Übereinstimmung wird es bestimmt nicht geben, auch nicht, wenn die Kandidaten anders ausgewählt würden. Insoweit ist die Schlußfolgerung hinsichtlich der Legitimierung die du machst NIE zu erreichen – was bedeutet, daß du da etwas Unmögliches zur Prämisse erhebst. Das funktioniert nicht.
    Politik ist stets und überall auf der Welt eine Suche nach Kompromissen.
    Nicht zu wählen halte ich daher für die schlechteste Lösung. Es spielt den großen Parteien in diesem Land die Karten zu – besser ist es hinzugehen und die kleine Partei zu wählen, die den eigene Vorstellungen am nächsten ist.

  18. @wvs:

    Zu wählen heißt immer abwägen welche der Parteien den eigenen Vorstellungen einer Gesellschaft mit größerer Wahrscheinlichkeit zur Durchsetzung verhelfen könnte.

    Ich glaube wie gesagt nicht an diese Prämisse. Warum? Siehe meine vorherigen Kommentare.

    Klar kann ich eine Größeres-Übel-Verhinderungswahl machen – aber da geht’s doch schon los mit dem Systemfehler.

  19. “ .. Klar kann ich eine Größeres-Übel-Verhinderungswahl machen – aber da geht’s doch schon los mit dem Systemfehler .. „

    Völlig klar, den „Systemfehler“ sehe ich auch.

    Aber in der Zwischenzeit, bis es gelingt die vielen Widrigkeiten endlich einmal aus dem Weg zu räumen, ist es doch schon wichtig die Politik nicht komplett denen zu überlassen die jetzt an der Macht sind. Die nur im Sinne von Kapital, Banken & Fortschreibung der derzeitigen Gesellschaftsstruktur denken & handeln.

    Durch „Nicht-Wählen“ verändert sich nichts, denn bei aller Notwendigkeit für Aktivitäten jenseits der Wahlen (Demos, Vorträge, Straßenaktionen) bleibt doch die Tatsache bestehen:

    Entschieden wird – ob es uns nun gefällt oder nicht – in Parlament & Regierung.

  20. @wvs:

    Aber in der Zwischenzeit, bis es gelingt die vielen Widrigkeiten endlich einmal aus dem Weg zu räumen, ist es doch schon wichtig die Politik nicht komplett denen zu überlassen die jetzt an der Macht sind. Die nur im Sinne von Kapital, Banken & Fortschreibung der derzeitigen Gesellschaftsstruktur denken & handeln.

    Genau, deshalb mischen auch viele Menschen nach kräften in der Politik mit – nochmal, Politik und Staatspolititk sind nicht äquivalent. Und gerade den Punkt, dass es reell etwas an diesen Fortschreibungen ändert, wenn die Protagonist_innen sich ändern, bezweifle ich doch die ganze Zeit.

    „Durch “Nicht-Wählen” verändert sich nichts“
    Sehe ich ebenfalls nicht so.

    Wie bereits gesagt: Ich sehe mich nicht als engagierte Nichtwählerin. Aber die Argumente, die hier bisher gegen das Nichtwählen vorgetragen wurden (und die ich natürlich kenne und verstehe) finde ich nichtüberzeugend genug, um zur überzeugten Wählerin zu werden. Ambivalenz nach wie vor.

  21. Oh, ich will beileibe nicht meine Vorstellung ‚überstülpen‘ oder um jeden Preis die Diskussion ‚gewinnen‘ – ich stelle nur eine persönliche Sichtweise dar. Wie aus der Lektüre meiner Artikel leicht zu erkennen ist setze ich bei den Verhältnissen hierzulande das eine oder andere Fragezeichen. Möglich, daß das aus anderer Sicht an den falschen Stelle passiert.

    Du mußt ja nicht unbedingt ‚überzeugte Wählerin‘ sein – es reicht schon hin zu gehen und den Stimmzettel ungültig zu machen. Das spielt wenigstens nicht den großen Parteien zu.

    Historisch betrachtet ist es allerdings schade. Denn es hat viel ‚Blut, Schweiß & Tränen‘ gekostet das Wahlrecht für Frauen zu erringen. Ohne das es in dieser Gesellschaft noch viel finsterer aussähe ….

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