Susie Orbachs “Bodies” ist mit seinen gerade mal 145 Seiten so dicht und grundlegend, dass es nicht nur zu einem Klassiker wie ihr Buch “Fat is a Feminist Issue” werden wird, sondern es einem auch richtig schwer macht, wo man jetzt anfangen soll beim Empfehlen. Deswegen greife ich mir einfach mal ihre zentralen Thesen heraus:
“Our bodies no longer make things.”
Dass unsere Körper nichts mehr wirklich tun, mag erst mal nur eine schlichte Feststellung sein, für Orbach ist sie allerdings einer der zentralen Gründe, warum das Verhältnis zwischen uns und unseren Körpern immer gestörter wird. Beziehungsweise Störungen wie die verschiedenen Body Image Disorders zunehmen. Denn weil unsere Körper nicht mehr für unsere tägliche Arbeit funktionieren müssen, wir unseren Körper nicht mehr bei körperlich anstrengenden Arbeiten z.B. auf dem Feld oder in der Fabrik spüren, wird unser Blick – quasi aus Langeweile – auf unseren Körper ein anderer. Er wird vom Subjekt zum Objekt:
“Our bodies are and hace become a form of work. The body ist turning from being the means of production to the production itself.”
“Our body is our calling card, vested with showing the results of our hard work and watchfulness or, alternatively, our failure and sloth.”
Was sich wirklich zum Massenphänomen ausgeweitet habe, so Orbach, dass wir unseren “natürlichen” Körper nur als vorläufige Version wahrnehmen (“Biology need no longer be destiny”). Schon ganz junge Mädchen und auch Jungen lernen den Blick auf ihren Körper, der danach schaut, welche Stellen ein Makeover vertragen könnten. Dieser Blick orientiert sich am gängigen Schönheitsideal und je näher jemand diesem kommt, desto “erfolgreicher” sehen wir seine Arbeit am Projekt Körper. Der wird zum Wert an sich, ihn nicht zu verschönern, wird als Versagen oder sogar als unanständig angesehen:
“The individual is now deemed accountable for his or her body and judged by it. ‘Looking after oneself’ is a moral value. The body is becoming akin to a worthy personal project.”
“For the democratic idea has not extended to aestetic variation.”
Obwohl Schönheitschirurgie und die Arbeit am Körper zu einer “demokratischen Idee” geworden ist, sich also jeder irgendeine Art leisten kann, an sich zu “arbeiten” – oder sich einen Kredit nehmen kann für die neuen Brüste, die Fettabsaugung, die Lidstraffung -, pendele sich paradoxerweise das, was wir als schön empfinden, auf einen immer kleineren Nenner ein. Das wiederum schließt immer mehr Menschen als “nicht schön” aus, die sich dann überlegen können, sich ebenfalls per ärztlicher oder Trainer-Nachhilfe dem Ideal versuchen anzunähern. Es könnte also tatsächlich so etwas wie einen Schönheitsstrudel geben, der sich immer schneller dreht und immer mehr Menschen mit sich zieht.
“…, there has never been an altogether simple, ‘natural’ body. There has only been a body that is shaped by ist social and cultural designation.”
Orbach erklärt, welchen großen Einfluss unser soziales Umfeld auf unsere Körperwahrnehmung hat. Und das heißt nicht nur, dass wir uns an den Bildern sehen, die wir jeden Tag in den Medien sehen. Sondern vor allem bezieht sie sich auf das persönliche Umfeld, auf den „imprint of the familial bosy story“, alsoder Einfluss unserer Familie, vor allem der Eltern auf das eigene Körpergefühl. Besonderes Augenmerk legt sie dabei auf Mutter-Tochter-Beziehungen und die Tatsache, dass die meisten Mädchen heute mit einer Mutter aufwachsen, die sie dabei beobachten können, wie sie vor dem Spiegel kritisch in ihre Fettpolster kneift. Außerdem gäbe es da auch noch grobe Unterschiede zwischen dem Aufwachsen in einem männlichen und in einem weiblichen Körper:
„Studies showed that boys were breastfed for longer, that each feeding period was lengthier, that they were weaned later, potty-trained later and even held more than girls; and this confirmed the emotional experience of the feminine psychology. (…) it is clear that the historical training of girls to be demure and boys to be adventurous affected their bodies‘ structures.“
“… the ‘right’ food and the ‘right’ size now signify one’s membership in modernity.”
Der Körper, das zeigt die Autorin, hat viel von einer Visitenkarte (s.o.) und die gestalten Menschen heute so wie sie gern gesehen werden möchten – sowohl den angestrebten sozialen Status soll der Körper darstellen, es geht auch darum, sich über die Arbeit am Körper seines Geschlechts zu versichern – er ist Teil des doing gender.
“As we perform our exercises, do our hair, put on our clothes, we are underpinning how we wish to be seen and how we see ourselves. We prepare with pleasure. Our bodily practices don’t come to us from on high as a prescription to follow like some catechism.”
Susie Orbach untersucht unser merkwürdiges Verhältnis zu unseren Körpern von allen Ecken und Enden, nähert sich dem Zeitgeistphänomen durch Erfahrungen aus ihrer Praxis als Psychoanalytikerin und -therapeutin und ist vor allem reflektiert und an vielen Stellen selbstkritisch. Das alles liest sich sehr spannend und gräbt in Tiefen, in die sich die allgemeine Berichterstattung über „Magermodel“ und Schönheits-OPs so gut wie nie begibt. Deswegen: Extrem lesenswert.
Erschienen bei Profile Books, 145 Seiten, 17 Euro.
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„it is clear that the historical training of girls to be demure and boys to be adventurous affected their bodies’ structures.“
Mit Sicherheit ein interessantes Buch, aber wenn ich so etwas lese, muss ich ersteinmal lachen.
Nicht nur das „soziale Geschlecht“ sei also gesellschaftlich bedingt, sondern auch das biologische. Erinnert mich ein wenig an Frau Schwarzers Überzeugung die Menschen kämen ohne sexuelle Orientierung auf die Welt, diese würde gesellschaftlich geprägt *gg*.
„“… the ‘right’ food and the ‘right’ size now signify one’s membership in modernity.”
Da stimme ich absolut zu. Interessant ist das sich das ganze insofern gewandelt hat, als das früher die Kleidung also das was man sich kaufen konnte der Hauptfaktor war, mit der Zeit der Körper aber immer mehr an Bedeutung gewonnen hat.
@ Frank P.: Aus dem Kontext heraus verstehe ich Susie Orbachs Ausführungen nicht so, als würde sie an dieser Stelle behaupten, die Erziehung und Prägung durch die Umwelt würde unsere Gene und die Anlagen unseres Körpers beeinflussen/verändern. Mit „body structures“ ist die Wahrnehmung des Körpers gemeint. Beispiel: Wenn jemand z.B. Leistungssport macht, hat er oder sie eine ganz andere Körperwahrnehmung als jemand, der das nicht tut. Der Sportler oder die Sportlerin kennt viel besser ihre Grenzen, die Wahrnehmung des eigenen Körpers im Kopf ist eine ganz andere. Um genau diesen Punkt dreht sich das Buch – der Kontext wird sehr klar, weil sich ein Großteil des Geschriebenen auf Body Image Disorders bezieht. Sonst hätte sie auch einfach nur „bodies“ schreiben können und hätte nicht den Begriff „body structures“ bemühen müssen.
Deswegen ist deine Unterstellung, sie würde da weitab vom wissenschaftlichen Schuss argumentieren, nicht angebracht.
@Susanne
Das würde so sicherlich zum restlichen Buch passen, aber „their bodies structures“ bzw „body structure“ kann man nicht mit Körperwahrnehmung oder auch Wahrnehmung des Körpers übersetzen.
Es bedeutet Körperaufbau/Körperbau, das passt auch gut in den Satz da sie ja auch von geschichtlicher Prägung Junge=Abenteuerlustig – Mädchen=Wohlgesittet spricht, welche „affected their bodies’ structures“, also den Körperaufbau beeinflusst -hat-.
„der Kontext wird sehr klar, weil sich ein Großteil des Geschriebenen auf Body Image Disorders bezieht. Sonst hätte sie auch einfach nur “bodies” schreiben können und hätte nicht den Begriff “body structures” bemühen müssen.“
Ja sie haette auch einfach affected their bodies schreiben können, aber dann wäre nicht hinreichend klargestellt was jetzt genau am Körper beeinflusst wurde, daher „structure“ also Aufbau.
Es geht ihr aber trotzdem nicht um eine Beweisführung, dass unser biologisches Geschlecht „gesellschaftlich bedingt“ ist, wie du es unterstellst, um darüber lachen zu können.
Sie schreibt sehr ausführlich – und bitte, dann lies doch das Buch erst einmal, bevor du dich über das von ihr Geschriebene lustig machst – dass unser Umfeld einen Einfluss auf unsere Körper hat, auf allen Ebenen. Das „body structures“ wird einem vor allem klargemacht beim Fallbeispiel des Patienten, der sich seine Beine amputieren lassen will, weil er sich mit dem Bein nicht „normal“ fühlt. Das würde ich ganz klar unter „body structure“ einordnen, hat aber nichts mit dem biologischen Geschlecht zu tun.
Vielleicht macht es dieser Auszug aus einem Interview mit Orbach noch mal deutlicher:
Ein Mensch, der sich z.B. ein Bein amputieren lassen möchte, leidet unter einer Störung namens Body Integrity Identity Disorder
http://de.wikipedia.org/wiki/Body_Integrity_Identity_Disorder
Diese schwere psychische Störung in einem Atemzug zu nennen mit dem ziemlich natürlichen und Jahrtausende alten Streben nach Verschönerung, Fitness und Gesundheit, halte ich für fragwürdig.
Eine Aussage wie „dass wir unseren “natürlichen” Körper nur als vorläufige Version wahrnehmen“ ist allerdings eine zu 100% den Tatsachen entsprechende Beobachtung. Der Körper verändert sich täglich. Das kann jeder mit etwas Aufmerksamkeit beobachten. Ich wüsste nicht, was daran neu oder bemerkenswert wäre.
„So etwas wie einen “natürlichen” Körper gibt es nicht? – Ganz genau …“
Spätestens wenn der Körper „natürlich“ krank wird, wird Orbachs Aussage zu dem was sie ist: Leere populistische Polemik.
@ susimaus: Ich war auch erst irritiert, dieses Beispiel in dem Buch zu finden. Aber wie gesagt: Sie nähert sich dem Thema von allen Seiten, auch von ungewöhnlichen. Sie ist Psychoanalytikerin und schaut sich alle Facetten und auch die Extreme von Körperwahrnehmungsstörungen an. Das mag eine ungewöhnliche Herangehensweise sein, aber ihre Aussagen sind schlüssig – als populistische Polemik würde ich sie nicht bezeichnen, ich kann so gar nichts darin erkennen, was dem Wortsinn von Populismus entsprechen könnte.
ich hatte neulich einen Artikel über die Wirkung der Bildermacht auf unsere Leben und unser Sozialverhalten zur Korrektur vor mir liegen und die Auswirkungen von z.B. der Erfindung des Fernsehens sind in der Wissenschaft recht gut untersucht, wie mir scheint. Da ist es doch nur logisch, den wissenschaftlichen Blick auch auf unsere Körper zu richten. Und was oben geschildert wird klingt zunächst sehr sehr schlüssig. Deswegen werde ich mir das Buch auch kaufen (oder leihen ;)).
darüber, wie babys offenbar bereits prä- und postnatal geschlechtsspezifische unterschiedliche behandlungen erfahren, las ich auch schon mit interesse (heulender weiblicher säugling – angst, heulender männlicher säugling – wütend; babybauch mit weiblichem kind drin wird öfter gestreichelt und mit gesprochen; betitelung w. säuglinge als hübsch, niedlich, süß, m. säuglinge als groß, stark usw).
allerdings scheint mir die obige schlussfolgerung irgendwie eher widersprüchlich – das jungen länger und mehr gestillt und gehalten werden, könnte man doch als ‚verhätscheln‘ interpretieren, was ich eher als gegenteilig zu abenteuerlustig & co empfinden würde?!
„ich kann so gar nichts darin erkennen, was dem Wortsinn von Populismus entsprechen könnte.“
Das Missbilligen von Schönheits- und Schlankheitsbestrebungen, die Kritiker nennen es ja nicht umsonst abfällig unf pathologisierend Wahn, ist doch eines der populärsten Modethemen. Hier im Blog finden sich derzeit gleich 2 Stränge zu diesem Themenkreis.
Definition von Populismus trifft hier zwar nicht im politischen Sinne zu, aber zum Zwecke des Populärwerdens der eigenen Person bzw. Veröffentlichungen sehr wohl:
„Populismus … bezeichnet eine um „Volksnähe“ bemühte Politik, die Unzufriedenheit, Ängste und aktuelle Konflikte für ihre Zwecke instrumentalisiert, an Instinkte appelliert und einfache Lösungen propagiert, …
Zielgruppe des Populismus sind in der Regel soziale Schichten und gesellschaftliche Gruppen, die sich durch die bestehende gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Ordnung oder ihre Entwicklung benachteiligt sehen.“
Natürlich hat die Gesellschaft immer einen Einfluss auf Körperbilder. Das ist nicht mehr als ein Allgemeinplatz. Wir wissen heute weit mehr über unsere Körper, als unsere Altvorderen. Wir kommen in den Genuss eines Gesundheitswesens, wie es früher kaum denkbar gewesen wäre und wir sehen mehr und andere Bilder als früher. Dass das nicht ohne Konsequenzen bleibt, ist m.e. keine große Sache und kein Grund zu klagen.
Eine Feststellung wie „(der Köper) wird zum Wert an sich“ ist leider einfach hohl. Der Körper war schon immer ein Wert an sich. Vielleicht sogar früher mehr als heute, wo die Möglichkeiten der Einflussnahme viel größer sind.
„…ihn nicht zu verschönern, wird als Versagen oder sogar als unanständig angesehen“ ist eine unbewiesene Behauptung. Man braucht sich nur mal in einer beliebigen Fußgängerzone umzusehen, und kann feststellen, dass sehr viele Leute nach dieser Aussage als Versager gelten müssten. Aber wer legt fest, ob das Versager sind? Die Autorin? Eher nicht.
@ susimaus:
Glaub mir, Susie Orbach hat’s nicht nötig, Thesen nur deswegen aufzustellen, weil sie gern bekannt werden will. Sie ist auf dem Gebiet eine Institution.
Die Leute aus deiner Fußgängerzone sind übrigens sehr wohl der Beweis dafür, dass Dicksein als Versagen gilt. Natürlich nicht sie selbst, aber die öffentliche Debatte über dicke Menschen zeigt das doch ganz deutlich.
Aber mein Vorschlag wäre: Du liest das Buch, und wenn du anschließend immer noch so eine vernichtende Meinung zu Orbachs Arbeit hast, dann legst du sie hier noch mal ausführlich dar. Ich finde es nämlich etwas merkwürdig, dass jemand so erboste und latent beleidigende („einfach hohl“) Kommentare schreibt über ein Produkt, mit dem er sich nicht ausführlich beschäftigt hat. Deal?
No Deal.
Kann sein, das Buch ist lesenswert, dann spiegelt der obige Artikel das für mich nicht wider.
Ich kommentiere hier nicht das Buch sondern die im Artikel angeführten Zitate. Und dieses eine: „der Körper wird zum Wert an sich“ – Entschuldigung – ist hohl. Ein Gemeinplatz 1. Güte. Es hat keine substanzielle Aussage. Der Körper ist nämlich eh das Wertvollste, was ein Mensch haben kann. Ohne Körper ist er nämlich gar nichts. Folglich muss / kann der Körper nicht zum Wert werden. Er ist es. Immer gewesen.
Beleidigend wäre ein argumentum ad personam, eine interpretativ vermutete negative Emotion eines anderen Diskutanten. Z.B. „so erbost“. Ob ich erbost bin, kannst du aus meinem Posting nicht herleiten und ich möchte dich bitten, es auch nicht zu tun. Ich bin vielleicht anderer Ansicht als du und formuliere dies unverbrämt aber in aller gebotenen Sachlichkeit. Hier geht es um die Kritik an einem Satz. Der kann sich ja schlecht beleidigt fühlen.
Im übrigen isses auch nicht „meine“ Fußgängerzone Ich besitze leider keine Fußgängerzone, habe aber auch nicht vor, mir eine zuzulegen. Und eben in der x-beliebigen Fußgängerzone gibts keinen „Beweis“ für Dicksein als Versagen.
Falls doch: Her damit! Ich bin gespannt.
Na dann.
Natürlich ist es ein völlig vernünftig davon zu reden das irgend etwas beliebes ein „Wert an sich“ wird. Insbesondere und nicht als unvernünftigstes „der Körper“. So zu tun als wäre selbiger der/einer der einzig mögliche/en „Wert/e an sich“ verkennt 4000 Jahre Ideengeschichte und Metaphysik. Nur um eine etwas polemische, keineswegs unproblematische Alternativen für andere Vorschläge als „Wert an sich“ zu nennen: Freiheit, Menschenrechte, Schönheit. Für nicht wenige dieser und anderer Alternativen kann man durchaus argumentieren das „der Körper“ weniger ein Zweck als vielmehr bloßes Mittel ist. Ein wichtiges möglicherweise, aber eben doch nur Mittel.
Um das klarzustellen, keine der Alternativen ist unproblematisch, alle vielleicht sogar falsch. Aber so zu tun als wäre „der Körper“ selbsterklärender und notwendiger Weise „Wert an sich“ der keiner weiteren Erklärung bedarf zeugt entweder von Ideologischer Selbstüberschätzung oder Leichtfertigkeit mit der Ideengeschichte.