Die rosa Brotdose meines Sohnes

Dieser Text ist Teil 1 von 45 der Serie Muttiblog
Die rosa Brotdose
Die rosa Brotdose meines Sohnes

Montag morgen, der übliche Trubel. Ich schmiere Butterbrote. Kind 1, 4 Jahre, besteht auf Erdnussbutter. Aber erstens finde ich, das Erdnussbutter eine Süßigkeit ist und fürs Wochenende und zweitens ist in seiner Nachbargruppe ein Kind mit Nussallergien. Sicher ist sicher, aber das erste Drama hat schon begonnen. Mit vier Jahren ist er momentan nicht sehr empfänglich für  „Argumente“.

Ich lege also das Brot und seine halbe Banane wie jeden Morgen in die heißgeliebte, rosa Brotdose. „Ich will die rosa Brotdose nicht mehr mitnehmen!“

Das kommt unerwartet. Erst neulich hatte er gesagt, die anderen Kinder würden ihn auslachen oder sagen, er sei ein Mädchen. Ich bin dann zu seiner Erzieherin gegangen und habe sie drauf angesprochen. Sie selbst war verwundert und versprach, das Thema in der Morgenrunde noch mal anzusprechen.

Nun war ich bei dieser Morgenrunde nicht dabei. Minime kam nachmittags fröhlich auf mich zu gerannt und sagte: „Mama, Jungs dürfen auch rosa Brotdosen haben!“ (Dass sein Papa und ich das vorher auch gepredigt haben und ich ein kleines bisschen meine Autorität schwinden sah, weil die Worte der Erzieherin wohl mehr Einfluss haben als meine, lasse ich mal außen vor).

Ich dachte, damit hätte sich die Sache erledigt. Aber dem war wohl nicht so. Wie gesagt, ich weiß nicht genau, wie die Erzieherin an die Sache gegangen ist. Vielleicht hat sie so was gesagt wie: „Wisst ihr Kinder, es gibt keine Jungs- oder Mädchenfarben. Jeder darf jede Farbe haben“. Das hat dann vermutlich den gleichen pädagogischen Effekt, wie wenn ich meinen Kindern das Zähneputzen predige: Nachhaltigkeit gleich null. Die Botschaft kam offensichtlich nicht bei allen Kindern an.

Und da stand ich nun am Montag morgen vor einem verzweifelten und enttäuschten Jungen, der Angst hat seine heißgeliebte rosa Brotdose mit in den Kindergarten zu nehmen. Alles Zureden half nicht: „Schatz, Du weißt doch, dass rosa ne super Farbe ist, für alle Kinder! Und wenn Dich jemand ärgert, dann ist das schlechtes Benehmen und Du kannst der Erzieherin Bescheid sagen.“

Hat das mal bei eine_m von Euch funktioniert? Dass das Kind damit umgestimmt wird? Ich packte also sein Butterbrot in eine andere Dose und brachte ihn zum Kindergarten.

Ähnliche Szenen gab es mit seinen rosa Glitzerschuhen, die ihr vielleicht noch aus diesem Beitrag kennt. Im Sommer habe ich ihm ein rosa Kleidchen gekauft, ganz schlicht. Seine Augen leuchteten erst. Dann schlug er wild um sich, als ich ihm helfen wollte, es anzuziehen. Vermutlich begreift man auch schon mit vier, dass es verschiedene Abstufungen von „rosa ist nicht ok für Jungs“ gibt. Ich frage mich, wie lange seine rosa Zahnbürste noch bleiben darf.

rosa Zahnbürste
Die rosane ist von Minime

Ich geb es ja zu: Nach meinem Studium der Gender Studies war mir klar, das es nicht einfach werden würde, meine Kinder, in einer Welt, in der alle Menschen in Männer und Frauen unterteilt werden und unterschiedliche Rollen zugewiesen bekommen, geschlechtsneutral* zu erziehen.

Man hat mal eine kleine Umfrage gemacht und Eltern von Neugeborenen gefragt, für wie groß und schwer sie ihr Baby schätzen. Die Eltern von Mädchen schätzten ihre Babys kleiner und leichter ein, als sie 1. tatsächlich waren und 2. als gleich große und schwere Jungs, die man ihnen zeigte. Bei den Eltern von neugeborenen Jungen war es umgekehrt: Sie hielten ihre Babys für größer und schwerer als vergleichbar große Mädchen und auch, als sie tatsächlich waren.

Und jetzt sagt mir noch mal, dass die Gesellschaft keine Rolle spielt? Dass alles angeboren sei, was Mädchen zu Mädchen und Jungen zu Jungen macht. Immer wenn Eltern sagen: Also wiihir erlauben unseren Söhnen auch mit Puppen zu spielen oder unseren Mädchen mit Autos“ muss ich an Szenen denken wie

  • die Mama in der Krabbelgruppe, die vor Entzückung quietscht, weil ihre 18 Monate alte Tochter ihre Schuhe holt und gleich noch ein paar andere die dort rumstehen mit. „Sie steht auch schon auf Schuhe, ganz die Mutter“
  • der Vater auf dem Bolzplatz, der mit seinem zwei Jahre alten Sohn Tore schießt, während die ca. vierjährige Tochter am Rande steht und sehnsüchtig zu den Beiden rüber schaut, aber nicht dazu gerufen wird.

Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht von anderen Eltern im Kindergarten, auf dem Spielplatz, im Turnverein oder bei der Krabbelgruppe Sätze höre wie „typisch Mädchen/Junge“.

Wenn ich mich daran zurück erinnere, wie ich Überzeugungsarbeit leisten musste, damit Minime eine Puppe und einen Puppenwagen bekommt. Oder mal was aus der Elfen- und Feen-Serie von Playmobil, nicht nur Ritter und Piraten. Oder als beim Kindergeburtstag die Seifenblasen mit Cars-Motiv automatisch in seinem GoodieBag landen, obwohl er viel lieber die Eiskönigin gehabt hätte.

Und auch der Kindergarten bietet auf dem Weg zu einer geschlechtsneutralen (oder sagen wir besser: -sensiblen) Erziehung Stolpersteine. Minime erzählt, dass sie in der Mittagsruhe (in der die kleinen Kinder noch Mittagsschlaf machen, die größeren eine „Pause“) oft von den Kindern mitgebrachte CDs hören oder Bücher lesen. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Medien nicht danach geprüft werden, ob sie Genderklischees (von Rassismus und Co. ganz zu schweigen) reproduzieren. Zu Hause halte ich es oft wie Suse und lese Bücher mit vertauschten Rollen vor. Dann erst fällt auf, wie eklig 50er Jahre-mäßig nicht nur die Hauptcharaktere in ihren Geschlechterrepräsentationen sind. Und das bei recht aktuellen Büchern. Ich habe das mal bei den Olchis ausprobiert.

Im Kindergarten braucht es mehr als eine Morgenrunde, in der eine Erzieherin die Kinder ermahnt, niemanden für seine rosa-Vorliebe auszulachen. Deswegen muss nicht gleich die Puppenecke abgeschafft werden. Aber es gibt – siehe unten – tolle Tipps und Anregungen um eine offene Atmosphäre zu schaffen, in der alle Kinder ihre Interessen und Vorlieben ausleben können.

Ob ich da ein bisschen überempfindlich reagiere? Wenn mein Sohn einfach fröhlich oder genervt seine rosa Brotdose liegen lassen würde – damit käme ich zurecht. Aber am Montag morgen, da war er nicht fröhlich oder genervt, sondern zutiefst traurig und enttäuscht. Und das kann ich weder als Mutter, noch als Pädagogin gutheißen.

Es ist mir ein Rätsel, dass ich mit meinen Studienabschlüssen in Sozialpädagogik und Gender Studies nicht schon eher drauf gekommen bin. Zumal ich bereits für den Bereich Berufsorientierung von Jugendlichen solche Workshops für pädagogisches Personal konzipiert und durchgeführt habe und ja schon eine Weile als Freiberuflerin unterwegs bin. Vielleicht war es zu naheliegend und mein Sohn musste mich erst darauf bringen, aber:

Wer mich für Vorträge und Workshops zur gendersensiblen Pädagogik in Bildungseinrichtungen von der Kita bis zur Schule oder zur geschlechtersensiblen (andernorts wird geschlechterneutral verwendet) Erziehung einladen will: Ich freue mich auf Eure Nachricht an

gluecklichscheitern @ gmail.com

– und hier noch ein bisschen zu meinem fachlichen Hintergrund


Wer sich ebenfalls für geschlechtersensible Pädagogik interessiert, findet hier einige Literaturhinweise, Links und Materialien:

Bücher:

Almut Schnerring und Sascha Verlan (2014): Die Rosa-Hellblau-Falle. Für eine Kindheit ohne Rollenklischees

Melitta Walter (2005): Jungen sind anders, Mädchen auch. Den Blick schärfen für eine geschlechtergerechte Erziehung


* geschlechtsneutral heißt für mich nicht, dass ich mein Kind als „Neutrum“ erziehen will, sondern das ich ihm alle Optionen offen halte.

7 Kommentare zu „Die rosa Brotdose meines Sohnes

  1. Ich könnte mir so einen Vortrag gut in der Reihe ‚Jenseits der Geschlechtergrenzen‘ an der Uni Hamburg von der AG Queer Studies vorstellen, die jedes Semester angeboten wird.

  2. @lua: organisierst du da was oder war das ein allgemeiner hinweis? bei ersterem können wir uns gerne austauschen, bei letzterem danke für den hinweis!

  3. Ja, das Ganze ist schon sagenhaft – ich bin seit 6 Wochen Mutter einer Tochter, und wenn die Leute erfahren, dass das ein Mädchen ist (sie trägt nicht nur rosa, sondern auch ein schickes grau oder olivgrün), fällt sofort „Prinzessin!!!!“ und „Ja bist du eine Schöne!!!“…bei meinem Sohn war das ganz anders. Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass man dagegen ankommt.

  4. Die Kinderbücher mit vertauschten Rollen vorzulesen, finde ich eine sehr gute Idee. Das werde ich mal ausprobieren. Zu Deinem Text: Ich empfinde das sehr ähnlich. Wir versuchen auch unsere Kinder geschlechtersensibel zu erziehen und stoßen dabei auf so manchen Widerstand, sogar auf dem Gymnasium. So hat erst neulich die junge Klassenlehrerin meiner Tochter (5. Klasse) die zwei Mädchen, die sich für die stets überfüllte Fußball-AG eingetragen hatten, dann doch in die Schulgarten-AG gesteckt (obwohl der Losentscheid zugunsten der Mädchen ausgefallen war), weil „Fußball doch wohl eher was für Jungs ist“. Nachdem sich die Eltern (wir und noch ein anderes Paar) dann beschwert hatten, sind die Mädchen allerdings doch noch aufgenommen worden…

  5. Wir versuchen auch unseren Sohn (3) geschlechtsneutral zu erziehen, aber so leicht ist das Ganze nicht. Wir erleben auch einiges, neulich wollte unser Sohn einen rosa/roten Stoff für sein Zimmer haben bzw. für Kissen (mit Elefanten haben), nachdem wir es auch gekauft haben und sein Kissen damit übergezogen haben, mussten wir es abnehmen. Die Großeltern hatten den kleinen erzählt die Farbe ist für Mädchen, ich konnte ihn nicht mehr umstimmen, dass wir anlassen.

    Ach … übrigens danke für die Links, ich werde mir in den nächsten Tagen Zeit nehmen, um es ein wenig zu studieren und mich zu belesen

Kommentare sind geschlossen.

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