Die ostdeutsche Frau an sich

Reiner Haseloff
Reiner Haseloff
(Bild über Wikimedia Commons)
Reiner Haseloff ist CDU-Fraktionsvorsitzender in Sachsen-Anhalt und hat am letzten Wochenende mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS) gesprochen. In dem Interview geht es hauptsächlich um Ostdeutschland. Wir lesen dort unter anderem:

»Herr Haseloff, […] was ist gut im Osten?

Die ostdeutsche Frau. Sie ist unkompliziert. Durch die Diktaturerfahrung setzt sie andere Prioritäten. Zum Beispiel diskutiert sie nicht stundenlang über Biofleischsorten, sondern es geht um Fleisch oder Nichtfleisch. Sie ist nüchterner.«

Warum die FAS Interviewerin hier nicht weiter nachfragt, darüber kann nur spekuliert werden. Vielleicht war sie selber sprachlos?

Jetzt müssen wir also selber versuchen uns zusammenzureimen, was Haseloff uns da mitteilen möchte. Also noch mal langsam: Die Frage ist, was „gut im Osten“ sei. So viele differenzierte und intelligente Antworten sind hier möglich und für was entscheidet sich Haseloff? Für Sexismus galore. Denn „gut im Osten“ ist: „die ostdeutsche Frau“. Die hat eine Diktatur erlebt und redet deswegen nicht über Biofleisch. Zusammenhang, anyone?

Was Haseloff uns eigentlich sagen will, ist folgendes: Frauen sind dann „gut“, wenn sie einfach sind. Nicht so viel diskutieren. Nicht anstrengend sind. Das Denken den anderen überlassen. Entweder den Diktatoren oder, wenn die gerade nicht greifbar sind, den Männern. Und dieses katastrophale Frauenbild alleine reicht nicht aus, nein, nonchalant werden alle Frauen aus den neuen Bundesländern beleidigt indem er behauptet, dass die Ostdeutsche an sich genau diesen Kriterien entsprechen würde. Sauber!

Wir danken den vielen Hinweisgeber_innen!

16 Kommentare zu „Die ostdeutsche Frau an sich

  1. Meine Güte. Frauen reden zu viel, das kommt da bei mir rüber.
    Der Mann ist so ein Haselhoffnungslos.

    Aber wo der bloß westdeutsche Frauen findet, die stundenlang über Biofleisch reden? Das hat er wohl aus der Praline oder Bild, denn so niveauvoll angelegt ist der Stil der Aussage. Aber das passt zur FAZ, denn Mackerthemen bezüglich Frauen und Feminismus grassieren dort auch in ähnlichem Stil.

    Ja, ihr Frauen! Beschränkt euch auf eure Kernkompetenzen: Mundhalten, Nicht denken, Arbeiten, gute Ehefrau sein.

  2. bin ich dann eine Wessi? Oder schlecht? Weil ich wohl mir über Ernährung, Energiealternativen, Feminismus, Ökologie, Erziehung, kommunikation Gedanken mache und sie auch kommuniziere…
    Mal davon abhängig, dass ich diese Ost-West-Vergleich sowas von überflüssig finde.

    Was gut am Osten wäre? Wenn dieser Mann (und seine Gesinnungsgenossen) abgewählt werden würden.

  3. Gosh, welch ein ärgerlicher Blödsinn.

    Ohne von meinen subjektiven Eindrücken ernsthaft generalisieren zu wollen: Ich hatte als in der Kindheit nach Osten verpflanzte Wessi immer den Eindruck, ostdeutsch sozialisierte Frauen / Mädchen hätten es ein wenig leichter, emanzipiert und selbstbewusst zu sein.

    Weil sie das Recht auf Beruf *und* Familie als etwas Selbstverständliches erlebt haben. Weil sie (dank staatlich verordnetem Atheismus, FKK-Stränden und gemeinsamem Töpfchen-Training, um mal tief in die Klischee-Kiste zu greifen?) sich weniger leicht Scham und Schuldgefühle bezüglich ihres Körpers oder ihrer Sexualität einreden lassen.

    Ich weiß natürlich nicht, ob das stimmt, aber demnach wären ostdeutsche Frauen eigentlich sogar anstrengender und komplizierter für solche hoffnungslosen Machomänner… :) – und davon könnten dann von angeblichen Hausfrau-vs-Karriere-Entscheidungszwängen und Selbstzweifeln geplagte Wessis wie ich noch einiges lernen.

  4. Hier mal ein Kommentar einer Magdeburgerin dazu: http://www.buemannschreibt.de/2011/03/31/27/ – es hätte so viele schöne, denkbare Antworten auf die Frage geben können, was gut im Osten ist. So viele Antworten, die das Image der Frühaufsteher mit der ewiglich-leuchtenden roten Laterne hätten aufpolieren können. Aber nein… stattdessen katastrophaler Stumpfsinn, die der designierte Landesfürst als erste bundesweite Duftmarke setzt. Schmeckt nach Brechreiz.

  5. „DIE ostdeutsche Frau“, ach, wenn ich das schon lese… ^^ Erinnert mich unangenehm an meine Anfangszeit im „goldenen Westen“, als ein Kollege meinen damaligen Herzensschatz fragte, ob „DIE ostdeutschen Frauen“ wirklich so gut im Bett seien, wie die Legenden besagten.
    Ja, Witzischkeit kennt manchmal keine Grenzen.

  6. ich habs auch gelesen und mir meinen teil gedacht. dieser typ ist gewählt worden auweija. was kommt als nächstes ?
    das problem ist ja auch : worte reflektieren „die denke dieser typen“. die 50er jahre lassen grüssen.

    //huch ich bin dann eigentlich ossi und nen mann//

  7. Wenn ich (Ostfrau, ab Studium nach Bayern verpflanzt) auch mal mit Klischees um mich werfen darf: „Die Ostfrau an sich“ ist eigentlich der schlagende Beweis, dass Gleichberechtigung auch für die Männer Vorteile bringt. Männer von Ostfrauen sind nämlich vom Alleinernährerjoch befreit und alle betrachten es als so normal, dass es nicht extra thematisiert wird. Man(n) hat also die Vorteile, ohne sich mit der anstrengenden Feminismusdebatte auseinandersetzen zu müssen.

    Das ist nämlich eine Beobachtung, die mir bei Ostmännern öfter untergekommen ist. Im Alltag wird bei vielen Themen ganz selbstverständlich weitgehende Gleichberechtigung gelebt, aber wenn man das Thema aufbringt, kommen heftige Abwehrreaktionen.
    Während „die Westmänner“ die klassische verbale Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre zeigen.

  8. Die ursprüngliche Aussage würde ich gar nicht mal als gegen Frauen einstufen. Das halt genau das gleiche wie „Und die Einheimischen sind ja so unkompliziert und gastfreundlich! Und ein Rhythmusgefühl haben die!“ Ups, falscher Kontinent.

  9. Auf dieses Interview bleibt mir nur die Frage: „Häh???“

    Ich war zehn Jahre ostdeutsches Kind und fand es immer normal, dass meine Mutter arbeitet und mein Vater sich viel um uns kümmerte (auch weil meine Mutter arbeitet) Erst nach der Wende lernte ich, dass sowas nicht überall so ist. Das können die ostdeutschen Frauen mit einer (staatlich gestützten) Selbstverständlichkeit eventuell besser…

    Aber, diesen Staat gibt es seit 20 Jahren nicht mehr, viele Frauen haben jede Menge Brüche in ihrem Leben gehabt und sind (wie viele Männer auch) in ihrem Selbstwertgefühl verunsichert

    und:
    Was hat die Antwort mit der Frage zu tun?

    Naja, ich halte jetzt mal die Klappe

  10. Ahm, ich muss sagen, den Interviewausschnitt an sich, hatte ich anders verstanden. Deckt sich mit meiner Meinung, dass Ost-Frauen (wenn wir schon mal bei der Differenzierung sind) machen, anstatt alles auszudiskutieren.
    Bleiben wir beim Beispiel. Ich meine Bio-Produkte an sich kaufen ist Überzeugungssache, entweder glaubt man dem Siegel oder hält das alles für Humbug und nur Grund mehr Geld für die Gleiche Sache zu verlangen, Hauptsache man hat am Ende das Schnitzel auf dem Teller. Bin ich von der Geschichte überzeugt, kaufe ich die Produkte, wenn nicht, dann nicht. Was muss ich da viel drumherum diskutieren? Davon wird das Essen nicht fertig.
    Der Hinweis auf den diktatorischen Hintergrund der Ost-Frauen muss ja auch nicht zwangsläufig heißen, sie machen, was der Mann sagt. Nein die Aussage als Ganzes sagt mir eher, anstatt den Mann um Rat zu fragen, wird einfach gemacht. So habe ich diesen Ausspruch verstanden und denke ich an die Frauen in meiner Familie, Nachbar- und Bekanntenkreis im Osten, IST es auch genauso.

    Ich kenn Herr Haseloff nicht persönlich, hab auch nur Ausschnittsweise Aussagen von ihm mitbekommen und will mir darauf keine Meinung über ihn oder seine Denkweise bilden. Dass er die Ost/Westunterschiede noch sieht und sich nicht scheut, sie zu benennen, find ich teilweise sogar beachtenswert. Die Art und Weise ist nochmal eine andere Geschichte. Aber ich für meinen Teil hab die Aussage anders verstanden und war überrascht, was hier folgte. Vielleicht liegt es daran, dass ich mich nicht genug mit dem Herrn Hasseloff auseinandergesetzt habe in der Vergangenheit und ihm deshalb auf Grund dieser Aussage ein solchen Machismus nicht unterstellen würde.

  11. Der Hinweis auf den diktatorischen Hintergrund der Ost-Frauen muss ja auch nicht zwangsläufig heißen, sie machen, was der Mann sagt.

    Das heißt es auch in keinster Weise. Dieser Hinweis vom Herrn Haselhoff ist völlig unzutreffend. Diejenigen Ostfrauen, die sich hier angesprochen fühlen mögen, haben nicht „gemacht“, weil ihnen das die Diktatur auferlegt hätte, sondern weil es eher üblich war, Entscheidungen selbstständig zu treffen. „Mann fragen“ oder „machen, was der Mann sagt“ war kaum eine Option. Aber das hatte nicht mit einer Diktatur zu tun, sondern mit der Unabhängigkeit, die aus ganz selbstverständlicher Berufstätigkeit resultierte.

  12. Was Du sagst, Neeva, trifft den Nagel haarscharf auf den Kopf: Frauen aus dem Osten unterscheiden sich im Bezug auf die materielle Anspruchshaltung gegenüber Männern in praktisch jeder Beziehung- und zwar deutlich!

    Hier würde ich mal sagen: Das Neue (in Anlehnung an Remarque)- die neue Frau und Mutter, wenn man so will- kommt für mich eindeutig aus dem Osten. Nichts oder der kaum Neues hingegen im Westen. Das ist ein ausgesprochen bemerkenswertes Phänomen, das allerdings auf zahlreiche Ursachen zurückgeführt werden muss.

    Ich kenne keine einzige Studie, die das nicht belegen würde. Und das sind viele.

Kommentare sind geschlossen.

Betrieben von WordPress | Theme: Baskerville 2 von Anders Noren.

Nach oben ↑