Dieser Text erschien unter dem Titel „Sexismus im Zeitalter des Avatars“ in der aktuellen Ausgabe des prager frühling mit dem Schwerpunkt „Wo Strom ist, ist auch Widerstand — Digitaler Protest und elektronische Demokratie“.
Als ich 2008 anfing, mit Klarnamen als feministische Bloggerin aktiv zu werden, suchte ich nach spannenden Diskussionen und einem neuen Ort für gesellschaftskritische Ideen. Heute, über fünf Jahre später, nach tausenden Beleidigungen, hunderten kräftezehrenden Diskussionen und dutzenden Drohungen ist meine anfängliche Euphorie ziemlich gedämpft.
Was wurde nicht geträumt und theoretisiert: Das Netz, der Ort, an dem soziale Konstruktionen wie Geschlecht aufgelöst werden können, Diskriminierung und Hierarchien abgebaut und Bündnisse über Ländergrenzen hinweg möglich werden. Binäre Ideen von Geschlecht und somit Konstrukte wie „Mann“ und „Frau“ sollten der Vergangenheit angehören. Donna Haraways postmoderner Cyborg, ein Hybrid aus Mensch und Maschine, wurde zur Leitfigur cyberfeministischer Utopien. Ein Cyborg passt nicht in binäre Schemata. Ein Cyborg agiert nicht nach festgeschriebenen identitären Mustern, sondert bildet Verbindungen nach Verbundenheitsgefühl, nicht nach vermeintlich essentialistischen Kategorien.
Die Vorstellung, mit Identitäten zu spielen oder eindeutige geschlechtliche Zuschreibungen zu verwischen, Geschlecht in seiner Wirkmächtigkeit gar zu entkräften, blieb bloße Utopie. Vielleicht ist das nicht verwunderlich, denn hinter den Laptops sitzen reale Menschen, die ihre gesellschaftlichen Vorannahmen, was Geschlecht und andere soziale Kategorien angeht, auch ins Netz übertragen. So kann mensch auf Facebook bei der Anmeldung nur „männlich“ und „weiblich“ ankreuzen, obwohl es kein technischer Aufwand wäre, mehrere Möglichkeiten oder gar ein freies Feld zur Auswahl zu stellen. Aber so bleibt auch im Netz Zweigeschlechtlichkeit strukturell verankert: Eine komplexe Gesellschaft eingequetscht in zwei Boxen, die Identitäten jenseits dieser Kategorien gar nicht erst benennt, sondern unsichtbar macht. Die Idee, dass es nur zwei Geschlechter gibt und diese die einzigen sind, die soziale Netzwerke wie Facebook zur Auswahl stellen, ist Produkt von einengenden heteronormativen Geschlechterverhältnissen, stellt allerdings nicht den einzigen Ausschlussmechanismus dar.
Gesellschaftliche Machtverhältnisse strukturieren das Netz in Hinblick auf Zugang, Themensetzung und Definitionsmacht. Zugang wird nicht nur darüber bestimmt, wer einen Internetanschluss, einen PC und das dazugehörige Wissen hat, sondern auch darüber, ob eine_r sich im Netz pudelwohl fühlen kann oder mit diskriminierenden Inhalten rechnen muss. Sprechen Betroffene von Diskriminierung über ihren Alltag, werden diese Erfahrungen häufig hinterfragt und als „subjektiv“ eingeordnet. Welche Themen als „objektiv“ wichtig und somit politisch relevant kategorisiert werden, orientiert sich ebenfalls an sexistischen, rassistischen und anderen diskriminierenden Maßstäben.
Glücklicherweise bietet das Netz Möglichkeiten zum Widerstand. Die zehntausenden Twitternachrichten unter dem Hashtag #aufschrei Anfang dieses Jahres, die alltägliche sexistische Belästigung thematisierten, konnten auch die Massenmedien irgendwann nicht mehr ignorieren. Eine Sexismus-Debatte folgte – auch wenn diese kaum an die Komplexität gegenwärtiger queer-feministischer Diskussionen anknüpfte. Aktuell werden rassistische Erlebnisse unter dem Hashtag #schauhin gesammelt, um das Ausmaß von Alltagsrassismus zu verdeutlichen. Aktivist_innen im Netz schaffen sich also Möglichkeiten, um innerhalb dieser Sphäre zu agieren. Der Gegenwind bleibt. Das Netz ist auch unser Raum. Wenigstens gibt es dort – im Gegensatz zum Alltag auf der Straße – für diskriminierende Inhalte eine Löschtaste.
Auch gegen die Diskriminierung psychisch Kranker wird jetzt Widerstand getwittert: #isjairre.
„Hinterfragt“? Das ist aber sehr milde ausgedrückt. ich glaube, „bestritten“ trifft es besser.
hier gibts ein script um bei facebook das gender rauszunehmen: http://m0tei.co.uk/facebookgender/