Die Süddeutschen Zeitung berichtete heute: Die italienische Künstlerin Pippa Bacca wurde auf ihrer Reise durch die Türkei vergewaltigt und umgebracht. Ihr Tod löste in der Türkei eine Diskussion um den Umgang der Gesellschaft mit Vergewaltigungen aus:
Es ist eine Debatte über Machismo und Gewalt gegen Frauen, grausame Traditionen und das Wegschauen von Justiz und Gesellschaft. Hätte das überall passieren können, eine solche Vergewaltigung, ein solcher Mord? „Stimmt schon, Vergewaltiger gibt es überall“, schreibt der liberale Kolumnist Can Dündar am Montag in der großen Zeitung Milliyet: „Aber vermutlich werden sie nur in der Türkei gedeckt.“
Tatsächlich seien in türkischen Gerichten immer wieder zu milde Urteile verhängt worden oder der Vergewaltiger ganz freigesprochen. Die Begründungen lauteten dann: „Der Gerichtsmediziner war zu dem Ergebnis gekommen, dass das Mädchen keine seelischen Schäden davongetragen hatte.“ Oder: „Das Opfer habe schließlich früher eine sexuelle Beziehung zu dem Angeklagten gehabt.“
Viele türkische Richter würden nur ganz langsame Fortschritte in ihrem Rechtsverständnis machen. Aber auch der Staat hinke noch hinterher: Erst im Zuge der EU-Anpassung 2004 wurde beispielsweise ein Artikel aus dem türkischen Strafgesetzbuch gestrichen, der einem Vergewaltiger Straffreiheit ermöglichte, wenn er einwilligte, sein Opfer zu heiraten!
Es ist einfach nur traurig, aber selbst in den westlichen Nationen hat es ewig gedauert, bis z.B. Vergewaltigung in der Ehe als Straftatbestand galt. Und ‚gesellschaftsfähig‘ ist so eine Anzeige gegen den eigenen Mann auch heute noch nicht.
aber das in der Türkei ist noch ’ne Nummer härter. Wenn ich mir vorstelle, wieviele Mädchen wohl gezwungen wurden, ihren Vergewaltiger zu heiraten, um der „Schande“ zu entgehen…
Im alten Testament steht auch sowas drin, dass Männer die ein Mädchen „entehren“ es heiraten müssen.
Und auch in Dtld. gibts noch viele die gern mit Argumenten wie kurzer Rock, nicht richtig gewehrt blablub kommen.
@SoE ja, das ist unglaublich, dass es diese Argumente noch gibt. Und was das Alte Testament angeht – man will nicht hoffen, dass das, was dort so in Bezug auf Frauen steht, irgendwas mit Gott zu tun hat.
Das Alte Testament ist eine bunte Geschichten-Sammlung, die nicht nur in Bezug auf Frauen unglaublich gewalttätig und grausam ist und m.M. nach absolut unzeitgemäß ist. Deshalb bekomme ich regelmäßig Hautauschlag, wenn immer vom frauenfeindlichen Islam gesprochen wird. Das Christentum ist ungefähr genauso menschenfeindlich wie der Islam, auch bei Christen gibt es Fundamentalisten! Glücklicherweise gab es in der christlich geprägten Welt sowas wie die Aufklärung, die die schlimmsten Auswüchse des Christentums im Mittelalter beendet haben. Und die Aufklärung verdanken wir sicher nicht der Kirche, aber das nur so nebenbei…
PS: Nicht, dass ich es okay finde, wie in manchen islamischen Ländern die Frauen- und Menschenrechten gehanhabt werden, ich wollte nur darauf hinweisen, dass nicht das Christentum für die Erfindung der Menschenrechte verantwortlich ist…
@Miriam: da hast du natürlich recht. Allerdings wird im Christentum recht klar zwischen Altem und Neuem Testament unterschieden. Im Alten gibt es keinen Christus, und es ist eher für den Judäismus von großer Bedeutung.
P.S.: ich will mich hier nicht zur Fürsprecherin des Christentums machen. Nur so, der Genauigkeit halber…
Da hast du vollkommen recht, aber auch das neue Testament ist nicht so menschenfreundlich, wie von „Spaßchristen“ immer gern behauptet. Es ist vielleicht nicht ganz so gewalttätig wie das AT, aber Andersdenkenden wird im NT auch ganz gewaltig mit dem Fegefeuer gedroht
@Michaela
„Es ist einfach nur traurig, aber selbst in den westlichen Nationen hat es ewig gedauert, bis z.B. Vergewaltigung in der Ehe als Straftatbestand galt.“
Bis 1998! Und ich fand das damals (mit 12!) ziemlich seltsam. So nach dem Motto: „Wie? War’s noch gar nicht?“
Frage: wieso kommt immer das Thema Christentum auf, wenn es um den Islam geht? Wenn man eines kritisiert, bedeutet das noch lange nicht, dass man das andere für gut befindet.
Zweitens ist die Türkei nach ihrem Selbstverständnis ein säkulares Land. So oder so, in der Türkei muss sich einiges ändern. Dann wäre der Tod der armen Frau nicht ganz so sinnlos.
Übrigens: für alle, die gegen einen EU-Beitritt sind, die Türkei hat ihr Sexualstrafrecht nur wegen den EU-Beitrittsverhandlungen an das europäische angepasst. Wer sich also gegen den Beitritt stellt, stellt sich auch gegen die Verwestlichung der Türkei, die verglichen mit den jetzigen Zuständen einen Fortschritt bedeuten würde.
Vermutlich müsste man eher über die türkische Justiz sprechen. Nach allem, was man mitbekommt, ist das in der Tat eine ganz eigene Welt – ein Staat im Staat sozusagen.
Aber ich will mich da auch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, ist hier irgendjemand mit eingehenden Türkeikenntnissen?
Ehrlich gesagt hab ich das mit dem AT nur angemerkt, um zu zeigen, dass dieses „na wenn er sie heiratet ist ja alles in Ordnung“, bei dem es überhaupt nicht um die Frau geht, sondern nur darum ihre „Schande“ zu minimieren, eben nicht nur in der Türkei gab.
@Lini: Einfach mal drauf achten oder sogar gezielt ansprechen. Gibt immer irgendwen der meint, dass man das ja verstehen könne wenn der Mann so heiß ist, weil sie so sexy aussah. Gutes Gegenargument wäre mal, dass ja auch niemand einfach so bei seinen Nachbarn einbricht und mitisst, weil die so lecker Kochen und das Fenster auflassen.
„Gutes Gegenargument wäre mal, dass ja auch niemand einfach so bei seinen Nachbarn einbricht und mitisst, weil die so lecker Kochen und das Fenster auflassen.“
Das ist ja mal gut gekontert. Das hab ich noch nie gehört. Warum hat das bisher noch niemand benutzt?
@access denied
„Wer sich also gegen den Beitritt stellt, stellt sich auch gegen die Verwestlichung der Türkei, die verglichen mit den jetzigen Zuständen einen Fortschritt bedeuten würde.“
Also, das würde ich so nicht sagen. Es geht darum Menschenrechte zu achten, dafür muss ich kein EU-Mitglied sein. Und wenn letzteres der einzige Beweggrund ist, dann wird das, was auf dem Papier steht, nur schwer umzusetzen sein.
Warum sollte das schwer umsetzbar sein?
Zumal erst bestimmte Bedingungen erfüllt werden müssen.
Für sowas gibt’s Indices und da ist sogar die Gesellschafts-Wissenschaft mal für was gut.
Zumal bestimmte Paragraphen wie die „Verunglimpfung des Türkentums“ wegfallen würden und ausserdem dem Nationalismus der Türken ein Schlag versetzt werden würde.
@SoE: ja, ein sehr gutes Argument! Muss ich mir merken.