Homophobie verschwindet immer mehr. So jedenfalls das Fazit, das Soziologe Mark McCormack gegenüber Salon.com zieht. Genauer gesagt geht es um die Ergebnisse einer Studie, die McCormack an britischen Schulen durchgeführt hat und die er nun als Buch veröffentlicht. Ein Jahr lang hat er die Interaktionen von männlichen britischen Teenagern beobachtet und dabei entdeckt, dass „schwul“ (gay) als Schimpfwort nur noch sehr, sehr selten vorkommt. Dies sieht er als Hinweis, dass Homophobie im Allgemeinen rückläufig sei. Im Interview gibt er zu, dass die USA im Vergleich zu Großbritannien Jahre hinterher hinken – auch durch die unterschiedlich starke christliche Rechte. Doch verschwindet Homophobie wirklich? Ich wünschte es wäre so.
Ich frage mich, wie die Zahlen in Deutschland aussehen. Ich kann zumindest unter Leuten meines Alters oder jünger nicht feststellen, dass „schwul“ als Schimpfwort rückläufig ist. Es ist immer noch im Gebrauch – wie auch das ableistische „behindert“.
Außerdem, selbst wenn die Gesellschaften weniger homophob werden, so sind sie doch noch immer zu homophob oder heterosexistisch. Es sagt auch einiges aus, dass seine Studie sich mit Männern und Beleidigungen gegenüber männlichen Homosexuellen befasst. Die Sache sieht wahrscheinlich für lesbische Frauen – die Art des Heterosexismus ist anders, zudem kommt noch Sexismus hinzu – und bisexuelle Menschen ganz anders aus. Und die Lage für Trans*menschen ist … furchtbar.
Ich würde McCormack vorsichtig zustimmen, wenn er sagt, dass einige Kämpfe gewonnen werden. Die Sache ist nur die – die Kämpfe, die gewonnen werden, gehen um Dinge, die im 21. Jahrhundert mehr oder wenig selbstverständlich sein sollten. Zum Beispiel gleichgeschlechtliche Ehe: Es ist toll, dass sich die Dinge zum Guten wenden in dieser Angelegenheit. Ich möchte auch die Bedeutung von gleichgeschlechtlicher Ehe nicht kleinreden, ich unterstützte die Gleichheit in der Ehe voll und ganz und es gibt in diesem Bereich auch noch viel zu tun. Aber die Frage der gleichgeschlechtlichen Ehe ist doch verhältnismäßig – hier fehlt mir das richtige Wort – einfach. Viele Menschen können verstehen, wieso das wichtig ist – im Grunde genommen geht es doch nur darum, eine gut eingeführte Institution für mehr Leute zu öffnen. Leute, die sind „wie du und ich“, außer dass sie eben schwul oder lesbisch sind. Dies ist ein überfälliger Sieg.
Es ist eine Schande, dass generelle Gleichheit in der Ehe noch nicht erreicht ist – weil es für die Gesellschaft noch beschämendere Dinge gibt, gegen die es zu kämpfen gilt: Rape culture. Ausradierung von Identitäten. Diskriminierung queerer Lebensentwürfe. Benachteiligung außerehelicher Beziehungsmodelle. Die vielen, vielen furchtbaren Dinge, gegen die Trans*menschen noch immer kämpfen. Für mich ist die Vorstellung, dass meine Identität von der Gesamtgesellschaft negiert, ausradiert wird noch viel schlimmer als die Vorstellung, dass ich nicht heiraten darf.
Aber offensichtlich müssen erst diese verhältnismäßig kleineren Kämpfe wie die Öffnung der Ehe gewonnen werden, bevor wir die ganz großen Probleme angehen können. Homophobie und Heterosexismus gehen vielleicht langsam zurück – Trans*phobie noch längst nicht.
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Meine Einschätzung ist etwas anders:Ich denke nicht, dass erst die „kleinen Kämpfe“ gewonnen werden müssen, um dann die „Großen Kämpfe“ zu wuppen.
Ich finde die Hierarchisierung, die sich aus dieser Betrachtungsweise gibt, nicht hilfreich.
Transphobie ist keine Sache, die besser überwunden werden kann, wenn es weniger Homophobie gibt – Menschen, die die Homoehe eigentlich ganz Ok finden, sind nicht akzeptierender gegenüber Trans*menschen, als andere.
Das ganze System der Zweigeschlechtlichkeit ist grosser Mist, und ALLE wären besser dran, wenn wir damit endlich aufhören würden – dafür kämpfe ich lieber!
http://www.sueddeutsche.de/muenchen/unterricht-ueber-homosexualitaet-ausgegrenzt-auf-dem-schulhof-1.1278788
Von der Rückläufigkeit des Schimpfwortes „Gay“ auf einen Rückgang von Homophobie zu schließen ist meines Erachtens auch in etwa so zuverlässig wie von der Häufigkeit des Wortes „Scheiße“ auf die Darmtätigkeit einer Personengruppe zu schließen. Gesellschaftlich aufgestülpten Verhaltensregeln zu folgen („Gay sagt man nicht“) ist vermutlich nicht gleichbedeutend mit einer Veränderung der Grundhaltung, auch wenn es schön wäre.
Es ist doch so: Nachdem einige Ziele erreicht sind, werden neue Ziele gesetzt und deren Durchsetzung erarbeitet.
So wie ich dich verstanden habe, ist demnach die Homo-Ehe ein erreichtest Ziel, das durchgesetzt wurde. Jetzt kann man sich neuen Zielen zuwenden, zB die gesellschaftliche Anerkennung von Trans*menschen.
Dabei finde ich aber sehr problematisch, dass du Wertigkeiten der verschiedenen Ziele einführst und dadurch die Relevanz anderer Ziele relativierst: Ist die Homo-Ehe weniger wichtig, nur weil es auch andere Ziele durchzusetzen gilt?
Sollten die Ziele nicht gleichwertig nebeneinander stehen? Und ist es nötig sich die Frage zu stellen: „Homo-Ehen sind schon wichtig, aber ist es nicht noch VIEL wichtiger, dass… „
@Semia: Ja, so ähnlich sehe ich es auch. Ich hoffe, es ist im Text rübergekommen, dass ich seine These zumindest für recht optimistisch halte.
@18 Tage, Alexandra: Zugegeben, eine Hierarchisierung schwingt in meinem Text mit. Ich bin mir allerdings bewusst, dass es fragwürdig bzw. wenig hilfreich ist, ‚oppression olympic‘ zu spielen. Es ist mehr mein ganz subjektiver Eindruck, dass erst einige Ziele zuerst erreicht werden müssen/sollen/können, bevor sich ein größerer Teil der Öffentlichkeit bereit für andere ist. Ich möchte nicht sagen, dass das richtig ist. Ich halte die Homo-Ehe auch für sehr, sehr wichtig, wie auch die Vielzahl anderer homophober und sexistischer Probleme. Es kommt mir nur – aus einiger Distanz – so vor, als wären einige Probleme, gegen die z.B. Trans*menschen kämpfen, existentieller für die betroffenen Personen als z.B die gleichgeschlechtliche Ehe.
„ Ich frage mich, wie die Zahlen in Deutschland aussehen.“
yo, d a s frage ich mich u.a. auch.
wobei ich generell u. speziell anmerken möchte, dass eine pragmatische skepsis bei solche/n umfrage/statistik/soziologie/studie nachwievor/durchaus angebracht ist.
leider/habe ich die tendenz worte wörtlich zu nehmen. und in deinem post lese ich dann relativ linear heterosexismus – homophobie – ehe*.
also für mich sog. lineare, geschlechts-binäre und (primär) sog. androzentrische deduktionen.
(eigentlich wünsche ich mir/auch für dld. eine abschaffg. von sog. kyriarchischen institutionen wie ehe*. das wird wohl meine illusion bleiben von wg. GG Artikel 6
(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.)
ich bezweifele auch, dass es sinnvoll ist, Homophobie als die Anzahl der homophoben Beleidigungen zu definieren. Früher war das Schimpfwort „schwul“ vollkommen irrelevant, und trotzdem war Homophobie weit ausgeprägt; „lesbisch“ hingegen wird nicht als Schimpfwort benutzt, was nicht auf Lesben“freundlichkeit“ schließen lässt.
Christoph möchte ich in dem zustimmen, dass ich die Diskriminierungserscheinungen gegenüber Trans*menschen als tiefgreifender erlebe als die gegenüber Lesben und Schwulen. Bisexuelle sind auch immer noch stärker betroffen. (impliziert aber natürlich nicht, dass Homosexuelle schon gleichgestellt seien oder ihre Probleme unwichtig.)
(@ Angelika: ich finde deinen Schreibstil immer ein bisschen verwirrend. Ist das absichtlich mit den Ab-/Wegkürzungen, den genannten Synonymen und dergleichen?)
@Jule
Widerspruch. „Lesbe“ oder „Bist du lesbisch oder was?“ werden schon als Beleidigungen gebraucht, vor allen Dingen von Typen, die nicht die Aufmerksamkeit von Frauen erhalten, unabhängig ob die Frage oder Bezeichnung zutrifft…Dahinter tritt deutlich der misogyne Charakter von Heterosexismus und Homophobie hervor.
Ich finde es auch nicht besonders cool, hier davon zu sprechen, wer mehr diskriminiert ist. Deswegen habe ich mit der Aussage von Christoph im Text auch so meine Problemchen. Weil ich meine, wonach geht mensch da? Interaktionen, Ressentiments, Zuschreibungen? Strukturen? Kultur? Das kann mensch ja weder getrennt voneinander sehen noch müssen diese Dinge immer Hand in Hand für Betroffene gehen. Für die ist die Situation schlimm genug und das reicht mir dann erstmal als Gradmesser. Allerdings, und so würde ich die Aussagen bezüglich Trans*phobe dann doch wenden wollen: Trans*phobie ist akzeptierter (wenn überhaupt als Diskriminierung anerkannt), greift viel mehr auf heteronormative Denkmuster zurück und zieht andere Diskriminierungen nach sich. Ich denke ebenfalls wie Christoph und andere hier, dass das nach wie vor nicht thematisiert wird, womit Trans* umzugehen haben im Gegensatz zu Cis.
@Jule – was meinst du ?
ggf. wenn ich / verwende ?
(weil zB geht es mE um komplexe themen/themata.
wie möchtest du diese oder solche komplexe themen per-worte-darstellen ? frage ich mich dann und versuche es ebend. getippt geht das mEn relativ einfacher als IRL/gesprochen)
@Nadine – yo.
deshalb habe ich zB auch nix von wg. unsichtbarkeit/unsichtbarmachung von lesben/lesbisch sein/lesbisch leben dazu geäussert.