Heterosexualität ist eine (schlechte) Angewohnheit.

Als ich 12 Jahre alt war, habe ich mich zum ersten Mal in meine damalige beste Freundin verliebt. Wir hatten eine ziemlich intensive Beziehung. Obwohl wir täglich schon neun Stunden lang nebeneinander in der Schule saßen, haben wir uns anschließend noch Briefe geschrieben, jeden einzelnen Nachmittag. Den neuen Brief habe ich am nächsten Morgen stets mit einem Kribbeln entgegengenommen; jedes Mal standen ein paar weitere, mir bisher unbekannte Geheimnisse drin, mit jedem Brief wuchs unsere Verbundenheit ein Stück. Das alles war für uns normal™ – andere machten das auch und in den meisten der Briefe war immerhin von Jungen die Rede, die wir toll fanden. Also kein Grund zur Sorge. Alles noch im (heterosexuellen) Rahmen. Nach einiger Zeit stellte ich dann aber mit Schrecken fest, dass die Art, wie ich an sie dachte, sich verändert hatte. Da war plötzlich nicht mehr nur Bewunderung und vorsichtige Zuneigung, nein, irgendwie fühlte ich mich auch zu ihr und ihrem Körper hingezogen, auf eine ganz neue Art und Weise. Kleine Berührungen jagten Stromstöße durch meinen Körper, manchmal freute ich mich die letzten zwei Schulstunden lang auf unsere Umarmung zum Abschied. Ich träumte auch von ihr, in meinem Kopf begann sie mehr und mehr Raum einzunehmen, und um zu dieser Zeit von irgendeinem Jungen zu schwärmen, musste ich mir schon etwas aus den Fingern saugen.

Das Ganze verunsicherte mich zutiefst. Was war da los mit mir? Ich war doch nicht etwa lesbisch? Ich bekam plötzlich Angst vor mir selber und meinen Gefühlen. Ich war verwirrt, wusste nicht mehr, wie ich mich verhalten sollte. Wenn sie es merken würde, würde sie bestimmt nicht mehr meine Freundin sein wollen. Und was würden die anderen aus der Klasse mit mir machen? Ich hätte damals so gerne mit irgendwem darüber geredet, aber ich wusste nicht mit wem. Das Internet gab es leider noch nicht, zumindest nicht in meiner Welt. Alles, was ich wusste, hatte ich zum einen aus dem Sexualkundeunterricht, in dem kein Wort über derartige Gefühle verloren worden war. Und aus der Bravo, in der andere Jugendliche immer wieder Fragen über Sex, Liebe und Begehren stellten. Ich durchwühlte alle Ausgaben, die ich zu diesem Zeitpunkt besaß, und in einer von ihnen fand ich einen Leserinnenbrief, in der ein Mädchen, das etwas älter war als ich, dasselbe „Problem“ zu haben schien. Auch sie war in ihre beste Freundin verliebt. Ich glaube es war, ganz klischeemäßig, Dr. Sommer, der ihr antwortete. Ich erinnere mich bis heute an seine Antwort, sie lautete sinngemäß: „Mach dir keine Sorgen, so gut wie alle Mädchen verlieben sich irgendwann einmal in die beste Freundin. Das heißt nicht, dass du nicht heterosexuell (= normal™) bist. Die Pubertät ist eine Zeit voller widersprüchlicher Gefühle. Du darfst das Ganze nur nicht zu ernst nehmen, dann geht es vorbei, versprochen“. Diese Antwort erleichterte mich ungemein. Puh, dann war ja alles gut, ich musste jetzt also nur noch ein bisschen durchhalten, dann würde ich mich irgendwann auch wieder in einen Jungen verlieben. Wie Alle Anderen Mädchen™ auch.

Und Dr. Sommer hat Recht behalten; die Gefühle sind irgendwann weniger geworden und dann anschließend ganz verblasst. Er hat auch damit Recht behalten, dass ich mich irgendwann wieder in Jungen verliebt habe. Das Ganze ist jetzt mehr als zehn Jahre her, dazwischen liegen viele Verliebtheiten, einige Liebeleien und auch ein paar Beziehungen. Alles, was ich davon als „ernster“ erachtet habe, ist auf einer heterosexuellen Basis passiert. Und trotzdem bin ich auch immer wieder in Frauen* verliebt gewesen. Nur dass ich diese Gefühle nie wirklich ernst genommen, geschweige denn weiter verfolgt habe. Wenn ich heute zurück blicke, dann frage ich mich, ob das anders gelaufen wäre, wenn in der Antwort von Dr. Sommer damals etwas anderes gestanden hätte. Wenn ich mit irgendeiner Person hätte reden können, die mir gesagt hätte, dass es nicht nur normal™ ist, wenn diese Gefühle mal kommen und gehen – sondern auch, wenn sie bleiben. Wenn ich nicht zu Beginn meiner sexuellen Orientierungsphase eingetrichtert bekommen hätte, dass Verliebtheitsgefühle gegenüber Frauen* etwas sind, was ich nicht ernst nehmen sollte. Dass das einfach Verwirrungen sind, ganz im Gegenteil zu meinen heterosexuellen Liebesgefühlen, die Ausdruck von wahrer™ Zuneigung und Begehren sind.

Jahrelang habe ich mich selbst als heterosexuell bezeichnet und betrachtet, trotz meinen immer wiederkehrenden Liebesgefühlen Frauen* gegenüber. Erst als ich angefangen habe, mich in einem Umfeld zu bewegen, in dem Heterosexualität zumindest nicht immer die Norm darstellt, habe ich begonnen, diese Gefühle in einem anderen Kontext zu sehen, ihnen einen anderen Stellenwert zuzuschreiben. Und ich bekomme erst langsam ein Gefühl dafür, was es bedeutet, zu sagen, dass Heterosexualität und Heteronormativität mächtige, gesellschaftliche Konstrukte sind. Es ist weder Zufall noch etwas Natürliches™, dass ein Großteil unserer Gesellschaft sich selbst als heterosexuell wahrnimmt. Unser Begehren wird jahrelang geformt, manipuliert und beständig überwacht. Wir werden sanktioniert, positiv wie negativ. Uns wird vermittelt, dass es für uns Vorteile birgt, die heterosexuelle Matrix [s.u.] nicht zu verlassen. Und viele tuen es (deshalb) auch ihr Leben lang nicht.

Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass ich keine Angst habe vor dem, was da für mich möglicherweise noch kommen wird. Jetzt, wo ich befürchte, sie zu verlieren, wird mir ein Großteil meiner Heteroprivilegien erst so richtig bewusst. Wie viel schwerer es werden würde, an meinem bisherigen Lebenskonzept, meinem Kinderwunsch festzuhalten. Wie viele grenzüberschreitende Fragen sicher auch in meinem Freund*innenkreis auf mich zukommen würde. Die Befürchtung, dass es von anderen wieder als eine „Phase“, etwas das vorübergeht, etwas nicht wirklich ernstzunehmendes, abgetan werden würde. Gewalt und fremde Blicke auf der Straße, wahrscheinlich auch im autonomen Zentrum. So viele Zweifel und Ängste, die nicht sein müssten, wenn diese Gesellschaft nicht so verdammt heterosexistisch wäre.

Erklärung „Heterosexuelle Matrix“ (nach Judith Butler): Die heterosexuelle Matrix bezeichnet die Vorstellung, dass es zwei (und nur zwei) eindeutig bestimmbare und als zueinander gegensätzlich konstruierte Geschlechter gibt (Mann/ Frau), deren Begehren sich wechselseitig aufeinander bezieht.

14 Kommentare zu „Heterosexualität ist eine (schlechte) Angewohnheit.

  1. Danke, danke, danke für diesen Beitrag!

    Ich habe mir selbst schon lange überlegt zu diesem Thema zu bloggen, aber hatte (auch das ein Symptom der Hetero-Matrix) schlicht und einfach Angst davor, was passiert, wenn mein Freundeskreis das liest. Dabei geht es garnicht darum, dass sie mich nicht mehr akzeptieren würden, sondern dass ich mich sicherlich rechtfertigen müsste. Warum ich denn momentan mit einem Mann* zusammen bin, ob ich das denn bleibe, woher ich denn wissen will, dass es wirklich so ist etc. pp. Ich gehe in meiner jetzigen Beziehung sehr offen damit um, dass ich schon in Mädchen verliebt war, mich auch angezogen fühle, aber nie eine Beziehung eingegangen bin. Trotzdem möchte ich auch nicht, dass sich mein Partner irgendwie rechtfertigen muss. Wie du schon richtig sagst, ich habe Angst, meine (unsere) Privilegien zu verlieren.

    Dein Artikel ist abr sicher nochmal ein wichtiger Denkanstoß für mich und vielleicht auch Ausgangspunkt die Angst zu überwinden?! Wir werden sehen.. ;)

  2. „Wenn ich heute zurück blicke, dann frage ich mich, ob das anders gelaufen wäre, wenn in der Antwort von Dr. Sommer damals etwas anderes gestanden hätte.“

    Vermutlich nicht. Andere Mädchen in Deiner damaligen Situation bekommen noch sehr viel mehr Gegenwind als „das geht vorbei“. Sie verlieben sich weiter in Mädchen, egal, was ein fremder Ratgeber ihnen sagt. Sie offenbaren sich Mädchen. Sie outen sich vor anderen. Sie werden von Fremden, Freunden und Eltern als abartig, pervers, widernatürlich, krank und widerlich bezeichnet, bespuckt, lächerlich gemacht oder körperlich angegriffen. Und verlieben sich weiter in Mädchen.

    Ich finde diesen Text ärgerlich, weil er reale Gewalt- und Unterdrückungserlebnisse von lesbischen Frauen* als „was wäre wenn…“-Schauer-Fantasie einer bislang wohl ausschließlich hetero lebenden Vielleicht-auch-mal-mit-Frauen-Frau* verwendet.

  3. Hallo Lisa,

    ich kann deine Ängste verstehen, möchte aber nochmal darauf hinweisen, dass es in einer heterosexistischen Gesellschaft nicht die heterosexuell lebenden Paare sind, welche sich für ihre Beziehungen/ Partner*innenwahl rechtfertigen müssen. In der Regel sind es auch nicht die heterosexuellen Partner*innenschaften, welche in Frage gestellt werden; sondern im Gegenteil alle, die davon abweichen. Darüber hinaus ist es ein Unterschied, ob eine sich ein paar unangenehmen Fragen von Freund*innen stellen muss, oder von verbaler sowie körperlicher Gewalt bedroht wird, weil eine sich in einer nicht heteronormativen Beziehung befindet. Die Angst davor, die eigenen Heteroprivilegien zu verlieren, ist scheiße und Teil eines heterosexistischen Systems – aber sie ist immer noch das kleinere Übel. Vielleicht magst du ja auch nochmal in diesen Text von Nadine reinschauen: „Warum es manchmal okay ist, Heteros doof zu finden.“.

  4. Liebe Viruletta! Ich finde es sehr schön, wie du hier aus persönlicher Erfahrung und Perspektive ein Phänomen darlegst, dem ich auch schon so oft begegnet bin. Ersteinmal auch, wie die BRAVO tatsächlich einfach Normalität konstituiert (hat) und zum anderen wie homosexuelle „Ausschweifungen“ bei Jugendlichen tatsächlich als solche gesehen und bagatellisiert werden. Also es ist „normal“ dass sich ein Mädchen in die beste Freundin oder eine junge Lehrerin verguckt, DENN das geht ja wieder vorbei. Das ist richtig schlimm. Und in dem Alter ja echt nichts verdutzendes, sondern es gibt die Sicherheit, dass man nicht „lesbisch“ = unnormal ist, sondern sich keine Sorgen machen braucht, denn es geht vorbei. „Das ist ja nur eine Phase.“

    Das ist eine kompellte Abwertung und ein Nichternstnehmen der Gefühle empfindender Menschen und zeigt wirklich ganz deutlich, dass gerade in diesem Alter, aber eben auch darüber hinaus gehend nur heterosexuelle Gefühle als vollwertige, als reife Gefühle verstanden werden, heterosexuelles Begehren „richtiges“, „normales“ begehren ist und homosexuelles von Unreife, vielleicht auch von „Angst“ vor dem „anderen“, dem „ergänzenden“ Geschlecht her rührt.

    Danke, dass Du mir das nochmal vor Augen geführt hast. Wie tief diese Zwangsheterosexualität eben internalisiert wird und sich konstituiert, wie homosexuelle Gefühle und Begehren während der pubertären Entwicklungsphase „normal“ sind, bei Bestand aber nicht mehr.

    Wie der Mensch hinter seinem Geschlecht einfach immer sekundär bleibt.

  5. Nina, ich gehe davon aus, dass Viruletta von ihrem eigenen Standpunkt aus schreibt, und nicht für alle Frauen*, die sich in andere Frauen* verlieben. Aus der Perspektive von einer, die gerne Liebesbeziehungen zu Frauen* aufbauen würde, wenn sie darin bestätigt würde. Die sich aber auch in Beziehungen mit Männern* zurechtfindet. Natürlich ist dies eine andere Erfahrung als die einer Lesbe*, die sich entgegen aller Widerstände vor allem in Frauen* verliebt und dafür Gewalt erfährt.

    Es geht in Virulettas Text, wie ich ihn verstanden habe, nicht um Lesben, sondern um Bisexuelle (oder pan/queer/omni… was auch immer die Selbstbezeichnung sein mag). Warum diese Position abwerten? Dein Ausdruck „Eine bislang wohl ausschließlich hetero lebende Vielleicht-auch-mal-mit-Frauen-Frau*“ klingt für mich herablassend. Die Fremdbezeichnung „hetero lebend“, was heißt das? Wie wäre es mit „bisexuell lebend“, da sie sich offensichtlich (wie eine Menge anderer Leute) sowohl gleich*geschlechtlich als auch entgegen*geschlechtlich verliebt? Oder zählt „Bi“ für dich nur, wenn Sex (was zählt dann zu Sex?) oder feste Partnerschaften dabei sind?

    Ist deiner Meinung nach der Wunsch nach Liebe mit einer Frau* weniger ernstzunehmen bei einer, die sich auch in Männer verliebt? Diese Position habe ich schon oft gehört, und sie ist einfach bifeindlich. Einen Tag nach Bi(IN)VisibilityDay finde ich das relativ irritierend.

    Mehr Infos zu Heteraprivilegien von Bisexuellen gibt es hier (auf englisch): http://freaksexual.wordpress.com/2007/05/11/bisexuals-and-straight-privilege/

  6. mir ging es ähnlich, meine so called beste freundin war die erste große liebe in meinem leben (über zehn jahre lang, bis die freundschaft aus anderen gründen auseinanderging). wir duschten zusammen, schliefen aneinandergekuschelt in einem bett. ich war verliebt wie sonstwas. war aber derart in heterosexistischen kontexten groß geworden, dass mir nicht einmal in den sinn kam, dass beziehungen zu frauen für mich in frage kämen. nicht ein einziges mal.
    ein häufiger gedanke damals war: ich wünschte, ich wäre ein typ, dann könnte ich mit ihr zusammen sein.
    ich habe erst so viele jahre später begriffen, was das bedeutet.
    was für eine gesellschaft solche gedanken überhaupt möglich macht.

  7. @Sunny,

    erstmal hätte ich gerne wahrgenommen, dass lesbisch nicht gleich heißt: Frauen, die Frauen lieben_begehren. Und Begriffe wie gleich- und gegengeschlechtlich sind einfach mal super problematisch, weil sie Geschlecht als gesetzt betrachten und sich in einem enorm cis- und heteronormativen Bedeutungsrahmen bewegen. Es gibt Lesben, die sehen sich nicht als Frauen und begehren nicht nur Cis_Frauen und verstehen ihre Identität als Lesbe nicht einfach nur als Begehrensmarker oder mit wem sie Sex_körperliche Nähe teilen. Viruletta hat ja ebenso nochmal das Prinzip der heteronormativen Matrix erläutert. Das bedeutet, dass Begehren nicht unabhängig von Körper und Gender gesehen werden oder da herausgenommen für sich betrachtet werden kann, sondern sich diese drei Sachen gegenseitig bedingen und verändern und stabilisieren oder eben eine Abweichung von dieser Matrix Auswirkungen auf die jeweils anderen Teile dieser Matrix hat.

    Wie Nina schreibt, macht es einen Unterschied, ob ich für mich als Jugendliche (oder auch später als Erwachsene) schon weiß, dass Typen in meiner Begehrensstruktur (erstmal) nicht vorkommen werden oder eben nicht. Egal, ob das jetzt bi oder hetero gelabelt wird von einer_m selbst oder anderen. Das hat nicht nur Auswirkungen darauf, wie mich mein soziales Umfeld wahrnimmt, mit mir umgeht, sondern zieht auch unterschiedliche Diskriminierungsformen nach sich. Und die machen eben auch was mit meiner Genderperformance und meinem Körper. Lassen mich Dinge von mir selbst ständig hinterfragen, verändern meine Wahrnehmung auf mein Gender, auf meinen Körper, können zu schwerwiegenden Identitätskrisen führen and so on. Wer für sich behaupten kann, Typen in die eigene Begehrensstruktur mit einzubeziehen, lebt und erfährt andere Dinge. Und ja auch Privilegierungen, Anerkennung. Wer Typen begehrt (egal ob hetero oder bi), dem_der werden viel seltener bestimmte Formen von Weiblichkeit in Frage gestellt als Beispiel. Wer als jugendliche Person als hetero eingelesen wird (egal, ob das zutreffen muss), bekommt andere Formen sexistischer Gewalt ab, vom Freund_innenkreis, von der (Herkunfts)Familie and so on. Und Menschen werden nicht nur anhand der Partner_innen bi, lesbisch, hetero, queer usw eingelesen oder fremdmarkiert, sondern auch anhand ihres Körpers und ihres Genders (und den Körpern und Gendern ihrer Partner_innen).

    Ein Infrage-Stellen der eigenen Heterosozialisation als Bi zu bedeuten finde ich darüber hinaus ziemlich schwierig, weil es – wie Nina auch schreibt – reale Diskriminierungs-, Zurichtungs- und Gewalterfahrungen von Leuten, die noch nie oder schon über einen gewissen Zeitraum Typen aus ihrem Begehrensspektrum ausschließen, einfach mal wegwischt und Heteroprivilegien wegnennt.

    Was hier auch nicht mitbedacht wird und ich gern unabhängig von Virus Text ergänzen möchte: Hetero, Bi, Pan, Queer, Lesbe, schwul sind nicht einfach nur Bezeichnungen für ein bestimmtes Begehren oder Identitätsmarker, die je nach eigenem Gusto gewählt werden können (und auch sollten – das stelle ich gar nicht in Abrede), sondern Begriffe mit bestimmten (Bewegungs-)geschichten und (hegemonialen) Bedeutungen_Aneignungen. Queer, lesbe_dyke, schwul sind_waren Schimpfwörter, die als empowernde Selbstbezeichnungen mehr als nur das Begehren definieren, sondern auch als Form eigener antisexistischer (und bei queer v.a. antirassistischer und antiklassistischer) Verortung dienen, weil Menschen die als queer, lesbe_dyke und schwul noch heute beschimpft werden, bestimmte auch strukturelle Gewalt-Erfahrungen machen und das _immer_ auch Auswirkungen auf Verhandlungen mit dem eigenen Gender und dem eigenen Körper hat. Das sollte nicht vergessen werden.

    Mir ist klar, dass Bi auch nicht gleichbedeutend ist mit: Cis-Frauen und Typen stehen auf Cis-Frauen und Typen, aber auch nicht alle Menschen, die für sich verschiedene Personen und Positionen in ihr Begehren einbeziehen, labeln sich als bi. Bi hat ganz bestimmte Bedeutungsebenen zugeschrieben bekommen und bezieht sich auf eine Geschichte, die auch unabhängig von Körper und Gender laufen kann. Es immer wichtig ist zu schauen, welche Menschen diesen Begriff für sich benutzen und wie sie ihn in ihrer Alltagspraxis mit Bedeutungen füllen. (genau wie queer mittlerweile als Sammelbegriff für weiße Mittelstandsschwule und -lesben verwendet wird, was angesichts der Begriffsgeschichte super problematisch ist.) Die schlichte Rechnung: hetero = Mann/Frau // Homo = Frau/Frau und Bi/Pan/queer = alle mit allen ist super verunsichtbarend (nicht nur in Bezug auf Bewegungsgeschichte), und verunsichtbart Machtverhältnisse und deren Auswirkungen auch auf individuelle Diskriminierungserfahrungen und Identitäts- und Politikweisenausbildungen.

  8. @Nadine,

    danke. Ich verstehe jetzt eher was gemeint ist, also die unterschiedlichen Erfahrungen dadurch, wie mensch wahrgenommen wird.

    Und natürlich danke an Viruletta für den Text!

  9. Toller Artikel, danke dafür! Mir geht es da sehr ähnlich. Auch mir ist es ab und an in meiner Jugend passiert, dass ich mich zu anderen Mädchen* oder Frauen* hingezogen fühlte. Ich habe diesen Gefühlen aber letztlich nie nachgegeben. Gleichzeitig habe ich mich aber auch in Jungs* und Männer* verliebt und dies auch aktiv ausgelebt. Irgendwie glaube ich, dass ich damit das gemacht habe, was letztlich für mich einfacher war. Es ist eben zunächst einmal leichter einen Freund* zu finden als eine Freundin, wenn man, wie ich in einer kleinen Stadt ohne nennenswerte Szene lebt. Und erst die Eltern und die Familie und der Freundeskreis…diese Baustelle habe ich mit der gelebten Heterosexualität mal schön ausgelassen. Dennoch würde ich mich als „Bi“ bezeichnen. Meinem Freund geht es übrigens genauso. Auch er hat sich schon in Männer* verliebt, aber nur die (ebenfalls vorhandene) Liebe zu Frauen bisher tatsächlich ausgelebt. Wir beide sind uns einig, dass wir uns vielleicht anders verhalten hätten, wenn Homo- und Bisexualität in unserer Gesellschaft oder auch in unseren Familien mit offenen Armen empfangen worden wäre.

    Naja, jetzt bin ich erstmal mit ihm zusammen, aber wer weiß, was irgendwann nochmal kommt? :-)

  10. Hallo Viruletta,

    da gebe ich dir absolut recht, ich hoffe, ich habe das in meinem Text nicht in Frage gestellt. Danke für den Denkanstoß, die Reflektion über Privilegien ist gerade bei diesem Thema essentiell und ich werde mich da nochmal ransetzen.

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