Mit „Frischfleisch“ gegen Frauenhandel?

Anmerkung: Es geht im Folgenden um ein Bild, das ich als ziemlich gewaltvoll, sexistisch und erniedrigend beurteile. Es ist zu sehen, wenn man die blau markierten Links in den ersten beiden Absätzen anklickt. Eine Beschreibung folgt im dritten Absatz.

Die Frauenrechtsorganisation TERRE DES FEMMES (TDF) hat letzte Woche eine Kampagne zur Verbesserung des Aufenthaltrechtes für Opfer von Zwangsprostitution gestartet. Gefordert wird, „dass Opfern von Zwangsprostitution ein unbefristeter Aufenthaltstitel erteilt wird, der unabhängig von ihrer Bereitschaft, vor Gericht auszusagen, gelten muss“. Zusätzlich soll Betroffenen eine geeignete Betreuung und Entschädigung garantiert werden. Mal abgesehen von (der bei weitem nicht erschöpfenden) Kritik, dass auch bei TDF Prostitution und Menschenhandel gerne in einem Atemzug diskutiert werden: so weit, so für sich genommen richtig – Abschiebung gehört abgeschafft, zumal wenn es um traumatisierte, stigmatisierte, von Gewalt betroffene Menschen geht. Frauen, denen Gewalt angetan wurde, gehören geschützt und unterstützt, ohne wenn und aber.

Flankiert wird die Aktion allerdings von einem Postkartenmotiv, derzeit auch das Titelbild der TDFFacebookseite, das mich vorsichtig formuliert schlucken lässt – wer keine Lust hat, es sich anzugucken, kann es sich in etwa folgendermaßen vorstellen:

Abgebildet ist eine handelsübliche SB-Fleischverpackung, so à la Styroporschale mit Frischhaltefolie drüber und aufgeklebtem Preisetikett, nur dass diese statt Hähnchenflügeln oder Koteletts zehn Frauen* (drei verschiedene Personen, mehrfach reproduziert) enthält, die unbekleidet und in Seitenlage zusammengekauert dort „verpackt“ sind; die Gesichter werden mit den Händen abgeschirmt und sind nicht zu erkennen, die Körperhaltung ist bei allen nahezu identisch. Die Botschaft dürfte klar sein.

Ich fühlte mich sofort [Warnung für die beiden nachfolgenden Links: gewaltvolle Inszenierungen] unangenehm an die oftmals kritisierte Herangehensweise der Tierrechtsorganisation PeTA erinnert und formulierte entsprechende Kritik und Nachfragen auf der Facebookseite von TERRE DES FEMMES. Die vorhersehbaren Einwände ließen nicht auf sich warten: Einige Kommentator_innen fanden, die „drastische Darstellung“ sei dem Thema angemessen, man wolle doch das Erniedrigtwerden, das Zur-Ware-Gemachtwerden von Frauen* herausstellen – da wurde dann auch nicht mehr so wirklich zwischen Zwangsprostitution und Sexarbeit generell unterschieden. Außerdem sei Aufmerksamkeit schließlich die Hauptsache und man wolle Betroffenen von Zwangsprostitution „eine Stimme geben“. Doch auch hier gilt: Intent isn’t magic, gute Absichten und nachvollziehbare Begründungen sind kein Zaubermittel gegen die schmerzhafte Wirkung kulturell aufgeladener, brutaler Symbole. Das scheinen auch TERRE DES FEMMES grundsätzlich zu verstehen, denn im besagten Facebook-Thread äußerten sie sich dann folgendermaßen:

Liebe Frauen, wir haben lange überlegt, ob wir ein solches Motiv wirklich nehmen wollen. Eigentlich nutzt TERRE DES FEMMES keine gewaltvollen Motive. Wir haben uns dann für dieses Motiv entschieden, weil es die Reduzierung der Betroffenen zu einer Ware klar verdeutlicht und gleichzeitig doch so künstlich ist, dass es nicht voyeuristisch wirkt.

Erfreulich: TDF erkennt an, dass das Motiv gewaltvoll ist. Aber künstlich, nicht voyeuristisch, und deshalb ok? Puh.

Dieses Bild bedient genau die gleiche Marketing-Optik, die so viele Feminist_innen zu Recht kritisieren – offensichtlich junge, weiße konventionellen Schönheitsstandards entsprechende Frauen* als Werbe- bzw. Botschaftsträgerinnen, unbekleidet, sexualisiert, zum Objekt degradiert. Die Opferposition wird auch hier ästhetisiert und erotisiert, man sieht langes Haar und Brüste, makellose Haut, alles ganz hübsch anzusehen. Ich kann da beim besten Willen nichts“aufrüttelndes“ oder „verdeutlichendes“ sehen, im Gegenteil: Genau diese Bildsprache wird Frauen* tagtäglich in sexismusreproduzierenden Settings zugemutet, da kann mensch noch so sehr darauf hinweisen, dass es ja in diesem Fall aber doch kritisch gemeint sei. Ändert aber wenig: Die Reproduktion von Sexismus vermeintlich zugunsten eines feministischen Anliegens geht nicht auf. Die „Reduzierung der Betroffenen zu einer Ware“ wird in dem TDF-Bild nicht aufgedeckt und dekonstruiert, sondern fortgeführt – letztlich konsequent, wenn man wie TDF die Gleichsetzung von Menschen mit Waren, wenn natürlich auch als Kritik an Ausbeutung gerahmt, legitim findet.

Auch bleibt in der TDF-Begründung der Kontext außen vor, für den diese Kampagne gemacht ist: Sie richtet sich an die allgemeine Öffentlichkeit, also ein „breites Publikum“, bedient dessen Sehgewohnheiten, bedient den male gaze. Betroffene werden in diesem Bild erneut viktimisiert, also zum Opfer gemacht: Der Erniedrigung werden keine empowernden Bilder entgegen gesetzt, die Menschen, um die es hier gehen soll, werden ausgeliefert und im Opferstatus belassen. Subjektstatus und Agency (Handlungsfähigkeit, Selbstwirksamkeit) für diejenigen, die durch diese Kampagne unterstützt werden sollen? Fehlanzeige, selbst von TDF, deren Motto lautet:  „Menschenrechte für die Frau!“, wird ihnen diese symbolisch abgesprochen.

Einem Anliegen, einer Position Gehör verschaffen und für jemanden sprechen, sich zu jemandes Retter_in erheben sind nicht dasselbe. Ich weiß nicht, ob eine Kampagne, an der (potentiell) von Zwangsprostitution Betroffene beteiligt wären, in diesem Kontext mit so einem Bildmotiv aufwarten würde. Weiterhin würde mich interessieren, wie viele von denen, die dieses Motiv als „aufrüttelnd“ empfinden, nähere Erfahrungen mit Zwangsprostitution oder auch mit sebst gewählter Sexarbeit haben. Ich persönlich habe diese nicht. Die Perspektiven von Sexarbeiterinnen zur Kenntnis zu nehmen, ist daher umso wichtiger. So tritt beispielsweise der Verein Hydra e.V. unter anderem dafür ein,

  • … dass Sexarbeit einerseits und sexuelle Gewalt, Ausbeutung und Frauenhandel andererseits nicht in einen Topf geworfen werden. Prostitution ist ein Job – Frauenhandel und sexuelle Gewalt sind Verbrechen. […] Dass diese Verknüpfung in der öffentlichen Debatte immer hergestellt wird (unter dem Begriff „Zwangsprostitution“), ist Teil des Problems, nicht Teil der Lösung: So wird verhindert, dass Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter als eigenständige Akteure wahrgenommen werden und die ihnen zustehenden Rechte bekommen.
  • … dass die Debatte über Prostitution nicht über die Köpfe der Betroffenen hinweg geführt wird. Was im Interesse von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern ist, was ihre Würde verletzt und was nicht, wissen sie selbst am besten. Prostituierte sind keine „Opfer“, sondern mündige Personen. In der Debatte über Prostitution darf nicht nur über die Prostituierten, es muss auch mit den Prostituierten diskutiert werden.

Nochmal ganz klar: Es geht nicht darum, hier Verbrechen vor allem gegen Mädchen* und Frauen* zu relativieren oder kleinzureden, im Gegenteil. Gewalt und Zwang ächten und sanktionieren, Solidarität mit Betroffenen: bitter nötig. Menschen zu bevormunden, die aus anderen Gründen als unmittelbarem Zwang der Sexarbeit nachgehen: not my feminism. Gewalt reproduzieren, um gegen Gewalt vorzugehen: not my feminism.

18 Kommentare zu „Mit „Frischfleisch“ gegen Frauenhandel?

  1. Volle Zustimmung. Und vor dem Hintergrund, dass das Verpacken von Personen – oft Frauen – in Plastikfolie im BDSM-Kontext ein gängiger und häufig pornografisch dargestellter Fetisch ist, halte ich die Bilder zudem für extrem voyeuristisch und auch deshalb für völlig ungeeignet für eine solche Kampagne.

  2. Leider kann ich euch da gar nicht zustimmen. Ich finde Kampagne gut. Ähnliche Motive findet man ja auch immer wieder bei Veganerinnen und Vegetarierinnen.

    Es ist künstlerische Provokation! Diese Kampagne soll wach rütteln und klar machen:
    Frauenhandel ist nicht harmlos, wie sollte es also dieses Bild seiN?

  3. @Marie: Die Forderung nach einem „harmlosen“ Bild habe ich nicht gestellt, und genau die Punkte, die du nennst, habe ich sämtlich im Text behandelt. Ich habe auch anhand dieser Argumente erklärt, warum ich die Kampagne nicht gut finde – wenn du das anders siehst, ok, aber ich fände es nicht so hilfreich, meine Argumente jetzt nochmal zu wiederholen.

  4. ich finde die argumente bestechend und habe als cih das Bild und viele andere in diesem stil gesehen habe oft bauchschmerzen gehabt, die ich nicht einfach auf das thema selber attribuieren konnte. danke für dfie arbeit es so klar aufzuschreiben, sehr gelungener artikel und werkzeug für künftige analysen von bildkampagneien.

  5. interessant bei dieser metaphorischen bezugnahme auf fleisch, die die kampagne verfolgt, ist, das der ursprüngliche gewaltzusammenhang, auf den hier referenziert wird, unsichtbar bzw. unkritisiert bleibt. die skandalisierung der behandlung von frauen als waren und als ein „stück fleisch“ in diesem zusammenhang funktioniert ja aber nur insofern, als das andere lebewesen alltäglich und in großem ausmaß ausgebeutet, zur ware gemacht, umgebracht, zerstückelt und konsumiert werden. dies wird aber bei solchen kampagnen als gegeben normalität hingenommen, und bleibt unkritisiert. frauen sollen nicht als ware behandelt werden, tiere jedoch schon. schade, dass dies auch in der kritik der mädchenmannschaft nicht thematisiert wird. wer sich für die verbindungen zwischen der ausbeutung von tieren und einem hierarchischen geschlechterverhältnis interessiert, dem/der seien u.a. die arbeiten von carol j. adams empfohlen, z.b. das buch sexual politics of meat. ähnlichkeiten zwischen den unsäglichen kampagnen von peta sehe ich hier allerdings eher auf der phänomenologischen ebene, das ziel ist ja in beiden fällen ein völlig anderes.

  6. xmakax, I agree. evoziert wird die Supermarkt-Situation: vom Kühlfach stehen mit diesen ekelhaften Fleischpackungen (ich bin kein_e Veaganer_in oder konsequente_r Vegetarier_in). Dazukommen die well-known Tiernamen, mit denen in herabsetzender Absicht Frauen belegt werden. Und: Diese Frauen in der Fleischpackung sind ohne Zweifel tot, auf irgendeine barbarische Weise getötet worden. Und die „Frischfleisch“-Metapher (für Frauenhandel), die nahe liegt (und sich ja offensichtlich auch für die Blogüberschrift angeboten hatte), wirkt hier noch einmal besonders Frauenfeindlich. (Botschaft: die sind ja gar nicht „frisch“, sondern tot – trotz des unvermeidliches Schönheitsstandarts, den sie offenbar zugleich verkörpern müssen. Sie wäre also eher: Für die Betroffenen geht es oft schlicht um Leben oder Tod – liegt hier vielleicht etwas „Afrüttelndes“?)

  7. Ja, auch ich habe meine Zweifel hinsichtlich dieser Kampagne, da dieses Bild eben genau patriarchale Sehgewohnheiten bedient und diese drei weißen, jungen Frauen gängige Schönheitsideale und „whitness“ erfüllen (auf der anderen Seite wäre es auch wieder schwierig gewesen, people of color zu nehmen). Das Bild will gegen die Erniedrigung von Frauen zur Ware protestieren (übrigens finde ich nicht, daß Fleischkonsum damit normalisiert wird – im Gegenteil, ich finde, ein Bewußt-sein für die Vergleichbarkeit tierischen und menschlichen Lebens wird dadurch angeregt) und mag aber für das unkritische Auge genau dieses Denken bestätigen. Von daher – Kritik ist angebracht, auch wenn es sich für mich nicht mit den unsäglich sexistischen, gewaltverherrlichenden Kampagnen von Peta vergleichen läßt.
    Aber einen Kritikpunkt an der Autorin muß ich noch äußern: Ich verstehe die Akzeptanz von Prostitution aka Sexarbeit von Seiten vieler Feminist*innen überhaupt nicht. Es gibt sicherlich einen kleinen Teil Prostituierte (einen wirklich kleinen, denn die Mehrheit der Prostutuierten wird von Hydra etc. nicht repräsentiert!), die dieser Tätigkeit freiwillig nachgehen. So weit, so gut. Das heißt doch aber nicht, daß ich diese Tätigkeit bejahen oder unterstützen muß. Prostitution repräsentiert ein bestimmtes Geschlechterverhältnis und unterstützt die Wahrnehmung und Reduzierung von Frauen* (und manchmal auch Männern*) als Sexualobjekte. Wenn jemand sich freiwillig dafür entscheidet, kann ich das nicht verbieten, muß das aber als Feministin* genauso wenig bejahen oder unterstützen, wie wenn jemand sich für sexistische Werbung hergibt oder sich für Peta auszieht…

  8. @Lea Wie soll man dem denn entkommen? Ich arbeite zb für die bürgerlichen Medien und unterstütze dadurch auch allen möglichen Scheiß. Bei Lohnarbeit gehts nun mal nicht um Selbstverwirklichung, sondern um den Zugang zu Geld. Ich sehe keinen Grund, Sexarbeit da besonders zu betonen.

  9. Liebe Anna Sarah,
    danke für deinen Artikel! Ich stimme dir absolut zu! Ich habe mich über die gleichen Aspekte auch sehr geärgert!
    Es ist SO SCHADE, eine Kampagne, die ich wirklich gerne unterstützen möchte, aber dann so billig und unmöglich umgesetzt, dass mir schon Bedenken kommen, ob die nicht mehr Schaden anrichtet, als Nutzen bringt!?

    Der PETA-Kampagnen-Vergleich – war genau mein Gedanke! Es wird genau die gleiche effekthaschende Ästhetik mit unzulässigen Vergleichen bedient. Der Vergleich/ Gleichsetzung/ optische Umsetzung von Schlachttierkörpern in Frischhaltefolie mit dem Thema Frauenhandel & Zwangsprostitution, der zu allem Überfluss in der Terre des Femmes Darstellung auch noch an perverse Sexualtriebtaten mit Erstickungsphantasien erinner(n soll?), bedeutet meiner Ansicht nach nicht eine der sachlichen Grundlage angemessene Ästhetik. Oder soll etwa suggeriert werden, dass die verschleppten bzw. hergelockten Frauen in die Körperverwertung zur Nahrungsmittelproduktion gehen? Bald oder sogar jetzt schon als neue Fleischsorte in den Supermarktregalen liegen? Wohl kaum! Das geht ja wohl sehr am Thema vorbei, oder nicht?
    Die ästhetische Umsetzung der Kampagne ist in dieser ans Widerwärtige grenzenden, selbst den wohlwollenden, inhaltlich voll zustimmenden Betrachtenden abstossenden Verdrehung wirklich nur noch sehr schwer unterstützbar.

    Ich finde es auch sehr schwach, dass auf die vielfältigen Bekundungen von Bedenken keinerlei adäquate Statements von Verantwortlichen seitens der KampagnenmacherInnen zu lesen sind. Sollen so Sympathien gewonnen werden?

  10. @Samia: Ich kann nicht beurteilen, was Du mit Deiner Tätigkeit unterstützt oder nicht. Aber wenn eine*r sich freiwillig prostituiert, unterstützt sie*er ganz entscheidend eine bestimmtes Geschlechterverhältnis und -bild, das ist das Eine – 95% der Freier*innen sind Männer, und die Mehrzahl der Prostituierten Frauen*. Um Kunden zu bekommen, müssen Prostituierte ganz bestimmte sexistische Prämissen und Phantasien erfüllen.
    Aber selbst, wenn es nicht so wäre, bleibt der Aspekt, daß ich mir eine Gesellschaft ohne Grenzüberschreitungen jeglicher Art wünsche – und in dieser idealen Gesellschaft würde keine*r genießen, Sex mit jemandem zu haben, der diesen nicht ebenfalls genießt.
    Sexualität und Macht(ausübung) sind in unserer Gesellschaft gekoppelt, und Prostitution ist eine Form, diese Macht auszuüben – darauf weisen auch die wenigen Freier-Studien hin.

  11. wieso ist sexarbeit ganz entscheidend fürs geschlechterbild? ist so was wie sexistische tütensuppenwerbung und anderer alltagskram nicht viel präsenter? kriegen kleine kinder denn zB viel von sexarbeit mit – oder kriegen die ihre geschlechterbilder nicht doch ganz anders vermittelt?

  12. „unterstützt sie*er ganz entscheidend eine bestimmtes Geschlechterverhältnis und -bild, das ist das Eine 95% der Freier*innen sind Männer, und die Mehrzahl der Prostituierten Frauen*.“

    @Lea: Findest du auch, dass Krankenpflegerinnen, Coiffeusen etc. ein bestimmtes Geschlechterverhältnis festigen? Dass Frauen sehr selten Freierinnen sind liegt nicht unbedingt an irgendwelchen Machtverhältnissen- wenn, dann wäre dieses eher zu Gunsten von Frauen da sie auf dem Sexmarkt ausserhalb der Prostitution tendenziell diejenigen sind, welche aussuchen können- sondern daran, dass heterosexueller Sex für Frauen immer noch als etwas gesehen wird das SIE „weggibt“ und sie auch auf eine Art erniedrigt, anstatt etwas das zwei Menschen zusammen machen. Es gibt massenhaft Männer welche gerne hetero-Sexarbeiter wären, nur gibt es dafür keinen Markt- es liegt also kaum daran, dass Frauen sich eher mit einer „dienenden“ Rolle in der Sexualität abgefunden haben als Männer oder das Männer unwillig sind, sich nach den Wünschen von Frauen zu richten.

    Was denkst du, weshalb ist transaktionaler Sex in der Schwulenszene zwischen jüngeren und älteren gang und gäbe, in der Lesbenszene aber quasi inexistent (zumindest habe ich noch nie davon gehört)? Gerade dort wo Menschen sich von heterosexuellen Geschlechterverhältnissen weitmöglichst freigemacht haben, zeigen sich umso deutlicher Unterschiede.

    Unverbindlicher Sex ist einer der wenigen Bereiche, wo es im Schnitt tatsächlich grosse unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt, woran auch immer das liegt.

  13. in dieser idealen Gesellschaft würde keine*r genießen, Sex mit jemandem zu haben, der diesen nicht ebenfalls genießt.

    Ja, bin ich voll bei dir. Und in der Gesellschaft will ich dann auch keinen Arbeitszwang haben, keine Ausbeutung, nix dergleichen. Sexarbeiter_innen stehen aber unter diesem Zwang, wie die meisten Menschen. Sexarbeiter_innen sind nicht am Sexismus schuld, das sind die Sexist_innen. Alles andere: Victim Blaming.

  14. @Sina: Ich bin davon überzeugt, dass auch auf dem Sexmarkt gesellschaftliche Machtverhältnisse zum tragen kommen, z.B. in der Form, dass männliche* und weibliche* Sexualität sehr unterschiedlich vermittelt/sozialisiert werden, Männern* nach wie vor andere Bedürfnisse und deren Auslebung zugestanden werden als Frauen*, nicht zuletzt auch die Frage, wer sich die Inanspruchnahme von bestimmten Dienstleistungen leisten kann und sicher noch andere Faktoren. In diesem Kontext würde ich auch die Gründe dafür vermuten, dass es keinen nennenswerten Markt für sexuelle Dienstleistungen für Frauen gibt; es ist ja auch in anderen Branchen nicht so, dass das Angebot allein durch die Nachfrage bestimmt wird. Oder das ein faktischer Bedarf eine marktförmige Nachfragesituation generiert. Aber ok, ich bin keine Wirtschftsexpertin ;) Jedenfalls würde ich Unterschiede bezüglich unverbindlichem Sex wie andere Unterschiede auch eher vor strukturellen Hintergründen suchen. Aber, wie du ganz richtig sagst: Entsprechendes gilt eben für andere Berufsfelder auch. Ich würde behaupten: „Herrschaftsfreie Branchen“ gibt es nicht.

    @all: Es sind inzwischen allerlei Kommentare eingegangen, die sich darüber wundern, dass hier Sexarbeit „verharmlost“ würde, ihre vermeintlich schädlichen Auswirkungen auf Frauen* geleugnet würden oder dergleichen. Ich möchte hier allerdings keine Diskussion darüber führen, ob und warum Prostitution, die ohne unmittelbaren Zwang (unter neoliberal-kapitalistischen und generell *istischen Bedingungen ohnehin ein nicht ganz leicht zu fassender Begriff, dennoch würde ich es für kontraproduktiv und gewaltverharmlosend halten, in jeder beruflichen Situation von Zwang zu sprechen) im engeren Sinne ausgeübt wird, „schlechter“ für Frauen ist als andere Jobs. Und ich muss eine Tätigkeit als solche nicht abfeiern, um die, die sie ausüben, als Menschen mit Agency und der Fähigkeit, für sich selbst zu sprechen, anzusehen. Wie ich persönlich unter gesellschaftskritischen Gesichtspunkten die Tatsache beurteile, dass es eine Sexindustrie gibt, ist dabei nicht relevant – es verträgt sich schlicht nicht meinem feministischen Verständnis, Frauen* erklären zu wollen, warum ihr Job für sie nicht gut sein kann bzw. per default schlimmer als alle anderen Jobs ist, wenn sie selbst etwas anderes sagen (vgl. z.B. einige im Artikel verlinkte Quellen). Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass Leute, die praktische Erfahrung mit Sexarbeit und dementsprechedes Expert_innenwissen haben, Interesse haben, sich an Diskussionen unter solchen Vorzeichen zu beteiligen – und zum Beispiel Einblick gewähren, was für sie wirklich eine Unterstützung wäre, welche Art der Solidarität sie selbst als nützlich und hilfreich beurteilen, wo sie Hilfebedarf sehen. Ich möchte hier nicht bevormundenen Stimmen Raum geben, der anderswo zur Genüge zur Verfügung steht, gerade auch in feministischen Kontexten. Der Artikel, der hier zur Debatte steht, sollte kein Aufhänger sein, darüber zu diskutieren, wie schlimm Prostitution „wirklich“ ist, sondern war ein Versuch zu zeigen, wie problematisch es ist, mit gewaltvoller Bildsprache zu hantieren. Bei diesem Thema würde ich gern bleiben bzw. dahin zurück kehren. Danke.

  15. Zum Thema: Ich finde so werbung immer extrem unnütz und finde die verbindung fleisch/tier und tote nackte frau auch nicht unproblematisch. Gerade als Tierschützerin wird mir da in beide Richtungen nicht wohl dabei..

    Zum Prostitutionthema: Ob Lohnarbeit für etwas das man nicht gut findet aber machen muss (also die anderen Arbeiten die genannt wurden) genauso problematisch sind, geht ein bisschen an der Debatte vorbei. Ob ich Henker bin, Fleischer oder Putzfrau – das kann alles problematisch sein, ja, aber auf verschiedene Ebenen. Und deshalb zu sagen „Andere Jobs sind auch problematisch, wieso sollte man da Prostitution hervorheben“ ist ein Pseudoargument. Weil ja, vielleicht sind die anderen problematisch und wir sollten uns denen mal zu wenden mit all den jobspezifischen Facetten, aber es geht gerade um Prostitution und den Dingen die gerade für diese Tätigkeit spezifisch sind.

    Ps: andere Lea als oben

  16. Zuerst: hier ist wieder die erste Lea ;)

    @Anna-Sarah: Ich kann gut verstehen, daß Du die Diskussion wieder auf ihr Ursprungsthema zurücklenken möchtest. Da ich aber hier verschiedenheitlich auf bestimmte Themen „angesprochen“ wurde, möchte ich ganz kurz antworten – danach ziehe ich mich auch raus, versprochen!

    @Sina: Du schreibst:“Unverbindlicher Sex ist einer der wenigen Bereiche, wo es im Schnitt tatsächlich grosse unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt, woran auch immer das liegt.“ Ja, aber das hat keine naturgegebenen Ursachen. Was, wenn nicht Sexualität, ist ein Spiegel gesellschaftlicher Machtverhältnisse und Prägungen? Und weder Schwule noch Lesben machen sich durch die bloße Tatsache ihrer eigenen Homosexualität mit einem Schlag von heterosexuellen Machtverhältnissen frei. Wir reproduzieren die Vorgaben unserer Gesellschaft solange, wie wir uns nicht bewußt mit ihnen auseinandersetzen. Daß die Verhältnisse in der Schwulen- und Lesbenszene so sind, wie Du sie beschrieben hast, ist für mich ein Beweis für die Reproduktion patriarchaler Strukturen und nicht deren Widerlegung. (Und bevor gleich wieder Vorwürfe kommen – ich definiere mich nicht als heterosexuell)
    @Samia: Gut, aber wenn Prostituierte/Sexarbeiterinnen für Dich selbstbestimmte Akteur*innen sind, sind sie auch dafür verantwortlich, wenn sie ein bestimmtes Geschlechterbild transportieren. Nur wenn sie das eben nicht wären, sondern Opfer der Gegebenheiten, wäre es victim blaming.
    @ nochmal an Anna-Sarah: Es gibt Frauen*, die einen wohlhabenden Mann* als Versorger suchen. Es gibt Frauen*, die sich für Alice oder Peta ausziehen. Es gibt Frauen*, die als Prostituierte arbeiten, und damit bestimmte Männerphantasien erfüllen. Soll ich das alles aus feministischer Hinsicht gutheißen? Nur, weil sie das freiwillig wählen, muß ich das doch nicht gut finden oder unterstützen.
    @all: Nur allzu gerne werden hier Prostitution und andere Formen mehr oder minder ausbeuterischer Lohnarbeit verglichen. Ich kenne einige Prostituierte persönlich, und bis auf eine haben sie alle ihre Tätigkeit freiwillig gewählt. Ich bin mir bewußt, daß das keine repräsentative Statistik darstellt, aber alle, die ich kenne, haben Taktiken entwickelt, sich bei ihrer Tätigkeit mental vom Geschehen zu entfernen. Keine hat diese Tätigkeit genossen, alle haben Traumata zurückbehalten, alle hatten Gewalterfahrungen in ihrer Kindheit gemacht. Es gibt viele Wege, mit solchen Erfahrungen umzugehen, ich bin mir aber relativ sicher, daß Prostitution nicht der beste ist.
    Und zu allerletzt – ich gehe vom Konsensprinzip der Sexualität aus. D.h., idealerweise ist Sexualität etwas, was beide wollen und genießen, und zwar die ganze Zeit über. Dieses Prinzip wird bei Prostitution ausgehebelt: Idealerweise besteht ein Anfangskonsens, aber danach wird die Lust EINER beteiligten Person außer acht gelassen. Was ist das für ein Sexualitätsverständnis (von Seiten der Freier), wenn man Lust aus einer Sexualität gewinnt, bei der die andere Person keine verspürt und es auch gar nicht wichtig ist, ob sie diese verspürt? Das ist nicht die Form von Sexualitätsverständnis, die ich mir in unserer Gesellschaft wünsche, sorry.

  17. @Lea: Zu deinem Einwand

    Es gibt Frauen*, die einen wohlhabenden Mann* als Versorger suchen. Es gibt Frauen*, die sich für Alice oder Peta ausziehen. Es gibt Frauen*, die als Prostituierte arbeiten, und damit bestimmte Männerphantasien erfüllen. Soll ich das alles aus feministischer Hinsicht gutheißen? Nur, weil sie das freiwillig wählen, muß ich das doch nicht gut finden oder unterstützen.

    möchte ich nur nochmal wiederholen, was ich im letzten Kommentar sagte:

    Ich muss eine Tätigkeit als solche nicht abfeiern, um die, die sie ausüben, als Menschen mit Agency und der Fähigkeit, für sich selbst zu sprechen, anzusehen. Es verträgt sich nicht meinem feministischen Verständnis, Frauen* erklären zu wollen, warum ihr Job für sie nicht gut sein kann bzw. per default schlimmer als alle anderen Jobs ist, wenn sie selbst etwas anderes sagen.

    Im letzten Absatz gehst du auf die Kunden von Prostituierten ein – deren (gesellschaftliche) Rolle steht (für mich) auf einem anderen Blatt als die der Sexarbeiter_innen selber und fügt der Debatte, die hier bisher geführt wurde und die ich nun eigentlich gerne beenden möchte, eine weitere Ebene hinzu.

    @alle: Weitere Kommentare, die Prostitution als solche diskutieren, werden nicht freigeschaltet. Dafür gibt es andere Orte und Zeiten, hier sollen gerade andere Dinge im Vordergrund stehen, bitte respektiert das.

  18. Hm, schade, dass gar niemand was zu meinen Beitrag eingefallen ist. Fühlt sich blöd an, so absolut unbeachtet zu bleiben, dabei hätte ich eigentlich Austausch gesucht zum Thema.

Kommentare sind geschlossen.

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