Fat Acceptance – Was soll das eigentlich 2.0

Dieser Text ist Teil 38 von 45 der Serie (Mein) Fett ist politisch
Katrin bloggt bei Reizende Rundungen über Plus Size Fashion, Fat Acceptance und alltäglichen Flitterkram, und twittert auch unter @fresheima. Mit ihrer freundlichen Genehmigung dürfen wir ihren Blogpost hier zweit-veröffentlichen. 

Porträtaufnahme einer Person mit Make-Up und bunt gefärbtem Haar, die eine goldene Halskätte trägt. Der Anhänger bildet den Schriftzug"Fat babe".

Ich hab vor einiger Zeit mal darüber geschrieben, warum Fat Acceptance wichtig ist. In den letzten Tagen wurden vermehrt Tweets in meine Timeline gespült, die sich mit dem Thema auseinander setzten, warum oder warum nicht Fat Acceptance unterstützenswert ist oder eben nicht. Was dabei mal wieder im Vordergrund stand, war das Gesundheitsargument. Ob dick_fett sein nun gesund oder ungesund ist, ob es da Grundsätzlichkeiten oder Regeln oder Ausnahmen gibt, werden wir wohl nie einfach in einem Blog Post klären können. Was man aber schon klären kann ist, welche Facetten in der Fat Acceptance für mich viel wichtiger sind als körperliche Gesundheit.

In der Fat-Acceptance-Bewegung geht es für mich nicht in erster Linie um Gesundheitsfragen, sondern darum, dass für meinen Körper und meine Meinung ein Platz geschaffen wird, in einer Gesellschaft, die zutiefst geprägt ist von eingeschränkten Körpernormierungen und Idealbildern. Eine Gesellschaft, in der du nie richtig, sondern immer nur zu dick/dünn/sportlich/unsportlich/gesund/ungesund sein kannst.

Fat Acceptance will nicht ein einzelnes Körperbild promoten, sondern Augen gegenüber Körperbildern öffnen, die nicht jeden Tag in den Medien zu sehen sind, die nicht als schön oder begehrenswert gefeiert werden.

Fat Acceptance möchte dicke_fette Menschen dabei unterstützen, wieder selbstständige Entscheidungen für sich und ihre Körper treffen zu können. Es möchte empowern und Mut machen, damit man sich selbst nicht nur auf sein Gewicht reduziert und sich auch nicht nur auf sein Gewicht reduzieren lassen sollte.

Ich, als fetter Mensch, habe wahrscheinlich schon alles gehört. Von gut gemeinten Sport- und Ernährungstipps, zu Beleidigungen, Bevormundungen, Demütigungen, Komplimenten die keine waren und Bemerkungen, die stark an Übergriffigkeit grenzen. Ihr erzählt mir nichts Neues. Der Gedanke, dass dick=ungesund sein soll, ist keine bahnbrechende Idee, sondern gelerntes Verhalten. Gelerntes Verhalten, dass ihr jeden Tag versucht Menschen aufzudrücken, egal ob sie es hören wollen oder nicht. Und nein, es nicht hören zu wollen heißt nicht, dass man sich zurücklehnt, dass man aufgibt oder sich der Wahrheit verschließt, es heißt nur, dass man ein Recht darauf hat zu entscheiden wann und wo und vor allen Dingen mit wem man über sich und seinen Körper reden will.

Fat Acceptance will nicht Gesundheit verteufeln, es will, dass Gesundheit wieder eine selbstständige und individuelle Sache ist, die jede_r mit sich und für sich ausmachen kann und sollte, und die nicht im öffentlichen Raum zur Debatte steht.

Fat Acceptance kann und sollte so viel mehr sein als ein Gesundheitsthema.

Fat Acceptance fordert Respekt und Menschenwürde ein, es geht dabei um Selbstakzeptanz und darum, Menschen, die ihr Leben lang von einer Diät in die nächste geworfen wurden, eine Alternative zu bieten, diese Menschen mal anzuhalten und ihnen zu zeigen, dass man auch als dicker_fetter Mensch an andere Dinge als Ernährungspläne und die nächsten -7 kg denken darf. Und das ist für mich ein ganz, ganz wichtiger Punkt: Fat Acceptance zeigt dicken_fetten Menschen, dass ihr Lebens lebenswert ist, dass es lebenswert sein darf. Bis ich 20 war, war mein Alltag bestimmt von Zweifeln und Hass, ich habe immer darauf gewartet und gehofft, dass, wenn ich doch endlich nur xy Kilogramm abnehmen würde, mein Leben los geht. Alles anders wird, ich endlich ein Mensch bin, der etwas Wert ist, der einen Platz in der Gesellschaft haben darf. Heute scheiße ich darauf, ob andere damit leben können, dass ich als fette Frau mein Leben genieße, ich hasse mich nicht mehr dafür, dass ich esse und ich kann mich nackt im Spiegel anschauen und lächeln. Und wenn all das nichts Wert sein soll, weil jemand der Meinung ist, dass Fat Acceptance nicht unterstützenswert sei, wegen „aber eure Gesundheit !1!elf!!!“, dann ist das für jeden dicken_fetten Menschen ein Schlag ins Gesicht.

Niemand sagt, dass Gesundheit nicht wichtig ist, aber was oder wer als gesund oder ungesund definiert wird, hängt leider viel zu oft vom äußeren Erscheinungsbild ab. Und nur weil Fat Acceptance sagt, dass dick_fett sein nicht gleichzeitig auch bedeutet, dass man auf jeden Fall ungesund ist, heißt das nicht im Gegenzug, dass wir sagen, es ist gesund/gesünder, oder es ist besser, oder es ist die einzig wahre Lösung. Body Acceptance ist für jeden Menschen da, für jeden Körper. Und zur Body wie auch zur Fat Acceptance gehört eben dazu, dass wir lernen, dass uns die Gesundheit von anderen nichts angeht.

Und mal ganz ehrlich, lauft ihr wirklich alle durch die Stadt und macht euch bei jedem Menschen Gedanken über den Gesundheitszustand? Fragt ihr euch an der Ampel, ob die Dame neben euch wohl morgen noch lebt? Nein! Wieso ist es also okay, dicke_fette Menschen dauerhaft zu bevormunden und zu verurteilen und das unter den Mantel der Besorgnis um die Gesundheit zu verstecken? Wenn ihr fette Menschen scheiße findet, dann steht wenigsten dazu und versucht nicht, euch das selber schön zu reden.

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5 Kommentare zu „Fat Acceptance – Was soll das eigentlich 2.0

  1. Das Gesundheitsargument taucht ja dann auch oft mit dem Argument der Kosten für die Gesellschaft auf. Leuten, die Sport treiben, macht niemand den Vorwurf, was sie das Gesundheitssystem kosten, obwohl ich fast sicher bin, dass all die Sportverletzungen mehr kosten als die paar, die vielleicht wirklich aufgrund ihres Gewichts krank sind. Wobei da ja auch schwierig festzustellen ist, was wirklich am Gewicht liegt und was nicht.

  2. @Nicola: Das halte ich doch für ziemlich an den Haaren herbei gezogen. Darüber, wie viel Freude und „Nutzen“ Bewegung dicken wie dünnen Menschen macht, will ich jetzt gar nicht anfangen. Jetzt unbedingt ein Gegengewicht zu suchen à la „andere sind ja selbst geschädigt/krank/verursachen Kosten“ ist an sich schon eine ziemlich trotzige Attitude, die hier weder den einen noch den anderen was nützt, und meiner Meinug nach auch nicht nötig wäre.

  3. Fat-Shaming und insgesamt Body-Shaming sind zu verurteilen.

    Dieser Satz „Eine Gesellschaft, in der du nie richtig, sondern immer nur zu dick/dünn/sportlich/unsportlich/gesund/ungesund sein kannst.“ hat mich hellhörig gemacht. Klar, Unsportlichkeit und Ungesundheit (Gibt es das Wort überhaupt?) werden von den meisten als schlecht abgelehnt; Sportlichkeit und Gesundheit hingegen gefeiert. Dicksein und Dünnsein gehören aber nicht auf das gleiche Level, finde ich. Ob nämlich Dicksein/Dünnsein von der Mehrheit abgelehnt wird, hängt viel stärker von kulturellen Faktoren ab, als die Frage nach Sportlichkeit und Gesundheit. In der Geschichte gibt’s einige Beispiele, die zeigen, dass Dicksein absolut gefragt war. Die Beispiele aus der Geschichte hingegen, die zeigen, das Unsportlichkeit und Ungesundheit der letzte Schrei waren, sind wohl deutlich weniger zahlreich, oder?

    Wenn nun die problematische Vermischung von dick mit unsportlich und ungesund aufgelöst wird, hat man aber dem Body-Shaming-Problem einen Bärendienst erwiesen. Indem man sich als dicker Mensch nämlich von der Zwangskategorisierung unsportlich/ungesund distanziert, drängt man letztere noch weiter in die Buh!-Ecke.
    Wenn ich nun aber ungesund oder unsportlich leben will (ganz egal das bedeutet, dass ich dick oder dünn bin, oder ob da gar keine Wechselwirkung besteht), sollte ich das genauso dürfen, wie ich auch meine Körpermaße selber bestimmen dürfen sollte!

  4. @Jane
    Ich glaube, dass Nicola damit sagen will (das ist zumindest was ch sagen will), dass es vieles gibt, was ungesund oder risikoreich ist, aber besonders bei dicken_fetten Menschen es als gerechtfertigt und okay empfunden wird, öffentlich ihre Gesundheit nicht nur anzusprechen, sondern Urteile rein auf Äußerlichkeiten basierend zu treffen. Es wird ja auch nicht jedem rauchenden Menschen ständig hinterher geredet wie sie_er das Gesundheitssystem belastet oder? Es geht einfach draum, dass die Pauschalisierung von Übergewicht = ungesund und damit der Freifahrtsschein, dass jedem dicken_fetten Menschen auch so vorzuhalten, falsch ist.

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