Die alltägliche Transphobie

Veraltete Annahmen und nur schlecht verhüllte Diskriminierung machen Transfrauen bis heute das Leben schwer, wie zwei Ereignisse der letzten Wochen zeigen.

In Berlin soll ein Mädchen in die Psychatrie eingewiesen werden, da das Jugendamt glaubt, die Mutter habe die Transsexualität verursacht. Bitten von Mutter und Tochter, zunächst psychatrisch begutachtet zu werden, wurden abgelehnt, so die taz. Geradezu unglaublich ist, dass ihnen im Gegenzug vorgehalten wird, dass sie auf Transsexualität spezialisierte Krankenhäuser aufsuchen wollen, stattdessen soll sie in Berlin „behandelt“ werden:

In der Charité geht es darum, Alex sein „biologisches“ Geschlecht nahe zu bringen und „geschlechtsatypisches Verhalten“ zu „unterbinden“, erklärt Chefarzt Klaus Beier die Therapie. Das bezeichnet die Hamburger Sexual­wissenschaftlerin Hertha Richter-Appelt als „überholten Stand­punkt“.

Vor einigen Jahren wurde Alex schon einmal „Tests“ ausgesetzt, um ihr „wahres Ge­schlecht“ zu bestimmen, doch auch hier klingen die Methoden mehr als frag­würdig:

Über die Rollenklischees der Ärzte wundert sie sich: „Die stellten mich vor ein Regal: links rosa Prinzessinnen, rechts Autos. Ich soll entscheiden, womit ich spielen will, das ist doch lächerlich. Ich habe dann ein Puzzle gemacht.“

Gegen die „Therapie“, ihr ein bestimmtes „männliches“ Rollenverhalten auf­zu­drücken, wurde auf change.org eine Petition gestartet. In den Kommentaren warnen Betroffene vor dieser Entscheidung – nicht zuletzt die Versuche, ihnen Verhalten aufzuzwingen, hätten zu psychischen Problemen bis hin zum Selbst­mord­versuch geführt.

In Kanada wurde schließlich vergangene Woche Jenna Talackova aus der Miss Universe-Wahl geworfen. Obwohl sie bereits an einem Trans-Schönheitswettbewerb teilgenommen hatte, fiel es den Organisator_innen erst auf, als sie bereits für das Finale qualifiziert war. Die Erklärung für den Rausschmiss ist bezeichnend: Man sehe Talackova als „echtes Mädchen“ an, trotzdem könne man nur „natürlich weiblich geborene“ Menschen akzeptieren. Klar ist auch hier wieder niemand transphob, aber…

14 Kommentare zu „Die alltägliche Transphobie

  1. Das ist einfach pervers. Das ähnelt viel zu sehr den ,,Reversionstherapien“ von Homosexuellen aus der religiös rechten Ecke. Was für ein Zirkus!

  2. Hat die Charite überhaupt das Recht auf die Behandlung zu bestehen? Was ist mit freier Arztwahl? Das Sozialgesetzbuch gilt doch noch, oder?

  3. @Nandoo: Zu den rechtlichen Grundlagen gibt es heute beim beck-blog noch ein Update.
    http://blog.beck.de/2012/03/24/kammergericht-pressemeldung-zwangseinweisung-eines-11jaehrigen-kindes-zur-therapie-seiner-geschlechtsorientie

    Es geht derzeit nicht um eine Zwangstherapie/Zwangseinweisung/Unterbringung: Der rechtliche Hintergrund des Beschlusses des KG ist eine Entscheidung über die Gesundheitsfürsorge, die dem Jugendamt übertragen war. Jugendamt und Mutter des Kindes streiten über das weitere Vorgehen. Das Jugendamt strebt eine stationäre Diagnosestellung an. Daraufhin hat die Mutter begehrt, die Gesundheitsfürsorge an sie zurück zu übertragen, was das AG ablehnte, wogegen sich die jetzt vom KG zurückgewiesene Beschwerde der Mutter richtete. Gegen den Willen der Mutter dürfte eine stationäre Diagnose oder Therapie erst durchgeführt werden, wenn auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf das Jugendamt übertragen ist – was das Jugendamt auch schon beantragt hat. Auch hierzu ist, falls das AG dem Jugendamt Recht gibt, noch eine KG-Entscheidung zu erwarten.

  4. Endlich beschäftigt sich jemand mal mit den systematischen Demütigungen der Sexologie. Wichtig zu wissen ist aber, dass das, was Beier so macht, im DSM IV festgelegt ist, der 1994 verabschiedet wurde. An diesem Werk waren auch deutsche Sexologen beteiligt. Zur Zeit läuft ein „Reformprozess“ des DSM. Die Mitglieder des „Gender Identity Disorders Subcommittee“ sind dann u.a. auch Friedemann Pfäfflin, M.D., Ph.D. aus Ulm und Peggy T. Cohen-Kettenis, Ph.D., die zusammen mit Hertha Richter-Appelt aus Hamburg veröffentlicht hat.
    Links:
    http://www.gidreform.org/dsm5.html (rechte Seite)
    http://www.google.com/search?hl=de&q=Peggy+T.+Cohen-Kettenis%2C+Ph.D.+hertha+richter+appelt

    Die Pläne zum neuen DSM 5 beinhalten dann wieder Spielzeug, Spielkameraden und Rollenverhalten. Das sieht dann wie folgt aus:

    „1. a marked incongruence between one’s experienced/expressed gender and primary and/or secondary sex characteristics (or, in young adolescents, the anticipated secondary sex characteristics) [13, 16]
    2. a strong desire to be rid of one’s primary and/or secondary sex characteristics because of a marked incongruence with one’s experienced/expressed gender (or, in young adolescents, a desire to prevent the development of the anticipated secondary sex characteristics) [17]
    3. a strong desire for the primary and/or secondary sex characteristics of the other gender
    4. a strong desire to be of the other gender (or some alternative gender different from one’s assigned gender)
    5. a strong desire to be treated as the other gender (or some alternative gender different from one’s assigned gender)
    6. a strong conviction that one has the typical feelings and reactions of the other gender (or some alternative gender different from one’s assigned gender)“
    Link: http://www.dsm5.org/ProposedRevisions/Pages/proposedrevision.aspx?rid=192

    Der biologistische und rollenstereotype Heterosexismus ist also nicht nur bei Beier zu finden, sondern hat System. Mensch sollte sich davor hüten, nur Beier zu verurteilen. Schiesslich macht er das, was Richter-Appelt, Pfäfflin, Becker uns wie sie alle heissen, mitersponnen haben. Auch in anderen Städten (und nicht nur in Berlin) wird also das gemacht, was Beier macht. Dieser Mensch ist nur die Spitze des Eisbergs.

    Eine umfassende Aufklärung der Menschenrechtsverletzungen der Sexologie an transsexuellen Menschen ist daher dringend nötig.

  5. Unfassbar!

    Hoffen wir, dass das Alex und ihre Mutter die Kraft haben, gegen dieses Unrecht anzugehen, das ihn von behördlicher Seite und sturen, ja geradezu dummen, Beamten angetan wird.

  6. Unglaublich! Am erschreckendsten finde ich eigentlich die Art des Tests. Diese überkommenen Stereotypen werden dann ja an jeden/jede angelegt. Ich habe, wie schon meine Mutter mit Puppen und Lego gespielt…sollte ich aber wohl besser keinem Arzt erzählen oO

  7. Könnt ihr das korrigieren?. Ich hatte nicht die geplante Diagnose für Kinder kopiert. Für Kinder ist es die unter dem angegeben Link (die mit dem Spielzeug und den Spielkameraden). Entschuldigung.

    Also folgendes gehört in den obigen Post (den von 18:01 – die anderen können dann gerne wieder weg. Mensch, ist das peinlich. Schäääm.):

    „A. A marked incongruence between one’s experienced/expressed gender and assigned gender, of at least 6 months duration, as manifested by at least 6* of the following indicators (including A1): [2, 3, 4]

    1. a strong desire to be of the other gender or an insistence that he or she is the other gender (or some alternative gender different from one’s assigned gender) [5]

    2. in boys, a strong preference for cross-dressing or simulating female attire; in girls, a strong preference for wearing only typical masculine clothing and a strong resistance to the wearing of typical feminine clothing [6]

    3. a strong preference for cross-gender roles in make-believe or fantasy play [7]

    4. a strong preference for the toys, games, or activities typical of the other gender [8]

    5. a strong preference for playmates of the other gender [9]

    6. in boys, a strong rejection of typically masculine toys, games, and activities and a strong avoidance of rough-and-tumble play; in girls, a strong rejection of typically feminine toys, games, and activities [10]

    7. a strong dislike of one’s sexual anatomy [11]

    8. a strong desire for the primary and/or secondary sex characteristics that match one’s experienced gender [12]

    B. The condition is associated with clinically significant distress or impairment in social, occupational, or other important areas of functioning, or with a significantly increased risk of suffering, such as distress or disability.** “
    http://www.dsm5.org/ProposedRevisions/Pages/proposedrevision.aspx?rid=192

  8. Danke Marcel.

    Die Urteilsbegründung liest sich wie ein Manifest der Transphobie und, es muss einfach gesagt werden, ein Manifest patriarchaler Strukturen. Denn zuvorderst wird das Recht des Mannes auf Einflussname verteidigt, der aber von der nachweislich falschen Annahme ausgeht, es ginge bei der von der Mutter gewünschten Behandlung um irreversible Massahmen (das Blockieren der körpereigenen Pubertät dient ja dem Offenhalten der Möglichkeiten und ist vollständig reversibel, ganz im Gegensatz zu einer Traumatisierung durch eine sogenannte ). Statt in der Weigerung des Kindes, sich mit dem Vater auseinanderzusetzen, ein deutliches Zeichen zu sehen, das er nicht in dessem Interesse handelt, wird eine Beeinflussung durch die Mutter zugrunde gelegt.

    Des weiteren wird den Kliniken, die Ergebnisoffen handeln, aber bekannt dafür sind, auch Entscheidungen zugungsten einer GnrH Therapie zu treffen, vom Gericht selbst unterstellt, nicht Ergebnisoffen zu sein, während die Abteilung der Charité niemal eine solche Entscheidung trifft und damit eben nicht Ergebnisoffen ist.
    Mit der selben Begründung hat das Gericht zwei eingereichte Gutachten ignoriert (indem es Befangenheit bei der Wahl der Gutachter unterstellt hat).

    Zwar ist richtig, das, wie in der Pressemitteilung gesagt, das Gericht nicht direkt beschlossen hat, das Kind „Zwangseinzuweisen“, aber es ist sich sehr wohl bewusst, das die Pflegerin nach ihrem Beschluss genau das einleiten wird.

    Ebenfalls wissentschaftlich völlig haltlos ist die Begründung, die Mutter könne das Kind hin zu einer Transsexualität beeinflusst haben, der grossen Raum eingeräumt wird.

    Es ist für jeden, der sich ein wenig mit dem Thema auseinandersetzt völlig klar, dass hier entgegen dem Kindswohl gehandelt wird – die öffentliche Kritik am Beschluss des Gerichts ist absolut richtig, da kann „es“ sich nicht heraus winden.

  9. wer anfängt, sich mit deutscher Gerichtsbarkeit auseinanderzusetzen, braucht starke Nerven, das wilhelminische Zeitalter schimmert an allen Ecken und Enden durch. Dieses Urteil macht mich so wütend, dass mir fast die Worte fehlen. Ich habe gerade eine Mail an die Präsidentin des Kammergerichts, bzw. ihre Pressestelle geschrieben (pressestelle@kg.berlin.de). Es macht vielleicht Sinn, die mit wütenden, bzw. informierten Mails zu fluten, auf dass Ihnen aufgeht, dass ihre Ansichten nicht mehr ganz up to date sind.

    Gibt es in Berlin eigentlich Proteste?

  10. Hoffen wir, das sich das Mädel nicht in der Zwischenzeit umbringt, denn wer will schon zu einem Jungen zwangstherapiert werden.

    Was Gerichte, TI und Gutachter_innen anbelangt, ist das nur über die Jahre schlimmer geworden. Heutztage werden von den Gerichten nur noch die scharfen Hunde, sprich sexologische Menschenquäler zugelassen.

    Pures Patriarchat samt medizinischer Pervertierung von „Hilfe“.

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