Auf dem tazlab-Panel „Meine Damen und Herren, liebe N-Wörter und Innen!“ wollten die Publizistin und Schriftstellerin Sharon Dodua Otoo, Publizistin und Kolumnistin Mely Kiyak sowie Leo Fischer, Chefredakteur des Satiremagazins Titanic, unter der Moderation von taz-Redakteur Deniz Yücel über den Zusammenhang von Diskriminierung und Sprache diskutieren. Daraus wurde jedoch nichts. Da aus der taz-Nachlese eigentlich nochmal ziemlich klar hervor geht, wo diese das Problem (nicht) sieht, freuen wir uns über die Erlaubnis zur Veröffentlichung des folgenden Artikels: Sula war auch bei der Veranstaltung und berichtet darüber aus ihrer Perspektive.
Anstatt sich ernsthaft mit einer Debatte auseinanderzusetzen, die Ernsthaftigkeit verdient hätte, entschieden sich die Organisatorinnen des tazlab, ausgerechnet Deniz Yücel, der bereits im Vorfeld durch seinen unsensiblen Umgang [CW für den Link : rassistische Begriffe] mit dem Thema aufgefallen war, das Podium für die von ihm moderierte Diskussionsrunde „Meine Damen und Herren, liebe N-Wörter und Innen“ zu überlassen. Erschreckend schnell wurde deutlich, dass Yücel sich selbst anlässlich seiner Rolle als Moderator nicht zu einer tieferen inhaltlichen Auseinandersetzung hatte hinreißen lassen. So war er unfähig, den Titel des Buches der einzigen eingeladenen Schwarzen Frau, der Autorin und politischen Aktivistin Sharon Dodua Otoo, korrekt vorzulesen, was er notdürftig durch Ironie zu überbügeln versuchte. Dies sollte im Verlauf des Abends, abgesehen von zunächst ebenfalls als humoristische Einlagen (miss-)verstandenen Wutausbrüchen, dann auch seine einzige Strategie bleiben. Geladen waren außerdem die Kolumnistin Mely Kiyak und der Titanic-Chefredakteur Leo Fischer. Eine Einführung in die verschiedenen Positionen des Diskurses – oder auch nur eine Erläuterung der Forderung nach inkludierender, nicht diskriminierender Sprache – seitens Yücels blieb aus. Stattdessen wurden durch die Diskutant_innen und einen Zuschauer kurze, in geschlechtergerechter Sprache verfasste Texte vorgelesen, vermutlich, um zu demonstrieren, wie unmöglich zu verstehen diese seien oder wie absurd sie klängen. Da die taz mit Philip Möcklinghoffs Artikel [CW für den Link: rassistische Sprache] den Hergang der Diskussion zumindest inhaltlich bereits recht gut abgedeckt hat, möchte ich hier nur auf das eingehen, was dort unterschlagen wird.
Wohl qua mangelnder fundierter Beschäftigung mit dem Diskurs verlas Deniz Yücel gefühlte 100.000 Texte, in denen jeweils mehrfach das N-Wort vorkam, ohne dass die ständige Benennung desselben irgendeinen näheren Nutzen erkennen ließ. Sowohl Kiyak als auch Yücel wiederholten das Wort dann noch unzählige Male im Rahmen von Moderation und Statements. Sharon Dodua Otoos Bitte, dies zu unterlassen, wurde geflissentlich ignoriert, bis ein circa 14-jähriger Junge aus dem Publikum rief: „Sag doch einfach ‚N-Wort‘.“
Da rastete Deniz Yücel aus. Was er dem Jungen sowie den verschiedenen anderen Stimmen entgegenbrüllte, die nun durch Zwischenrufe ihrem Unmut Luft machten, kann wohl nur Yücel selbst verstehen: „Wir sind hier nicht in der Uni!“ und „Geh bügeln!“ waren darunter.
Daraufhin verließ Sharon Dodua Otoo das Podium und den Raum – und mit ihr wohl auch der Rest der Schwarzen Menschen, die nicht bereits gegangen waren.
Machen wir uns nichts vor, Deniz Yücels Ziel war es nicht, eine informative Diskussion anzustoßen, um mit den unzähligen und zum größten Teil auf strategischem Unwissen beruhenden Missverständnissen aufzuräumen, die die diesjährigen Debatten um Rassismus und Sexismus in der Medienlandschaft dominierten.
Und vielleicht bin ich selber schuld, mich immer wieder Veranstaltungen auszusetzen, bei denen ich bereits im Voraus sicher sein kann, dass aggressive inhaltliche Leere auf vergeudetes Expert_innenwissen treffen wird.
Ich frage mich jedoch: Was sagt es über das tazlab aus, wenn ein so kontrovers diskutiertes und gewaltvolles Thema einzig im Rahmen einer satirischen Inszenierung seinen Ausdruck findet, die offensichtilch ausschließlich der Verlachung von Minderheiten und Anliegen von Frauen dienen sollte? Was bedeutet es, wenn die cholerischen, rassistischen und sexistischen Ausbrüche eines Moderators im nachfolgenden taz-Bericht unter den Tisch fallen?
Ich habe lange überlegt, weshalb Deniz Yücel Sharon Dodua Otoo überhaupt eingeladen hat, da ihre Expertise – die sie der taz übrigens aus Solidarität (!) unentgeltlich zur Verfügung gestellt hatte – sehr offensichtlich nicht erwünscht war, nicht gewürdigt wurde. Warum nicht jemand, der theoretisch und konzeptuell dem Niveau des Panels entsprach: ein Clown z.B., oder jemand vom Cirque du Soleil?
Es hilft nicht, zu wissen, dass auf dem Hausblog der taz Sharon Dodua Otoos Foto mit dem Namen der einzigen anderen zum tazlab eingeladenen Schwarzen Frau versehen wurde. Es hilft nicht zu bedenken, dass die anderen drei Panelists gut vernetzte etablierte Medienleute sind, die für ihre Arbeit für die Mainstreampresse bezahlt werden und ausgerechnet jene Person, für die dies nicht zutrifft, sich seitens der taz einer solchen Behandlung ausgesetzt sieht. Und es hilft übrigens auch nicht zu wissen, dass den Panelists zwar die Erstattung von Reise- und Übernachtungskosten angeboten wurde, an Kinderbetreuungskosten seitens der sich als emanzipatorisch verstehenden taz jedoch nicht gedacht wurde – ein weiteres strukturelles Hindernis für jemanden wie Sharon Dodua Otoo, die u.a. Mutter eines sehr jungen Kindes ist. Um die Aktivistin mit ihren eigenen Worten zu zitieren: „Ich bin nicht nur nicht bezahlt worden, ich bin ins Minus gegangen. Weil ich hoffte, es wäre eine Investition…“
Einmal mehr zeigt sich hier die Notwendigkeit, über die Bedeutung von Weißsein in Deutschland nachzudenken. Etwa darüber, wie Zugang zu Weißsein immer schon durch (alle Formen von) Gewalt an Schwarzen und anderen Menschen of Color „verdient“ werden konnte. Etwa darüber, wie Weißsein es zumeist weißen Männern ermöglicht, persönliche Meinungen als universelle Wahrheit zu behaupten. Vielleicht auch über das weiße Privileg, über alles sprechen zu können, ohne etwas wissen zu müssen. Oder über Weißsein als Position des Alles und des Nichts, die ein Schwarzes Gegenüber benötigt, um sich zu entfalten. Mit Richard Dyers Worten:
„It is this sense of absence that also proves white peoples‘ greatest weakness, for in it lies the desolate suspicion of non-existence.“
Immerhin, einige Brüche scheint es zu geben: Leo Fischers Witze schien irgendwie niemand mehr so richtig lustig zu finden, und nachdem er versehentlich die historischen Gewaltverbrechen, die in den letzten Jahrhunderten an Schwarzen Menschen begangen worden sind, negiert hatte, indem er behauptete, der Begriff „Hexe“ sei viel schlimmer als das N-Wort, denn Hexen seien verbrannt worden(!), was ebenfalls von weiten Teilen des Publikums nicht sehr positiv aufgenommen wurde, zog er sich weitgehend in ein angenehmes Schweigen zurück.
Eine andere Frage drängt sich auf: jene über den Zustand des deutschen Journalismus. Denn Yücel ist kein Einzelfall. Recherche, die engagierte Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Positionen eines Konfliktes, die Analyse von Diskursen suchen wir immer öfter vergeblich.
Ich war ebenfalls dort und bin ebenfalls gegangen (übrigens ist zumindest ein Teil der Kommentare zu dem genannten taz-Artikel recht brauchbar, da dort noch einmal sehr deutlich wird, dass die Wahrnehmung des Autors ganz genau keine anwesende Person teilt).
Mir schrieb Yücel noch im Nachgang auf Twitter: „Zu sprengen haben die Leute versucht, die vom ersten Moment an auf nichts anderes aus waren.“ (Quelle) Und das betrachte ich persönlich als absoluten Affront gegenüber einem Publikum, das nicht nur zahlreich erschienen war, sondern von Anfang an nicht nur Spitzen, sondern offensive Beleidigungen und bewusst ausgesprochene Rassismen über sich ergehen lassen musste.
Das ist leider ebenso wahr wie schade.
„In Germany panels on anti-discriminatory language are moderated by people using the n-word but claiming 2 be anti-racist.“
Traurig aber wahr. Und es sagt auch viel über den deutschen Journalismus aus, wenn selbst das Panel einer „alternativen“ und sich als irgendwie links und emanzipatorisch verstehenden Zeitung zu einem Gutteil aus reaktionärem Krakele über das „Recht“ auf das N-Wort und Antirassismus als das Ende der „Meinungsfreiheit“ besteht. Die Huffingtonpost, die so groß ist, dass sie schon beinahe „Mainstream“ ist, ist mit ihren Black Voices, den Gay Voices, Latino Voices usw. emanzipatorischer als die „linksalternative“ taz mit ihren Attacken auf CW und den sexistischen, rassistischen Kolumnen. Aber zum Glück gibt es Rassismus ja ohnehin nur in den USA. Genau wie es Sexismus nur in Russland und Homophobie nur in der Türkei gibt. *augenroll*
Ich war ebenfalls dort. Yücsels Texte lese ich gerne, aber als Moderator war er eine glatte Fehlbesetzung. Anstatt die Podiumsdiskussion, die durchaus Potential hatte, am Leben zu halten, beginnt er einen Kleinkrieg mit Teilen des Publikums. Ich empfand die ständigen Zwischenrufe zwar auch als störend, aber sich davon so provozieren zu lassen und rumzuschreien war schlichtweg überflüssig und zum fremdschämen. Krönung dann dieser unsägliche „Geh bügeln!“ Spruch.
Ein wenig Theorie zur Problematik :)
http://motmw.blogsport.de/2013/04/11/kommen-zwei-schwule-in-eine-bar/