Wie NEON sexualisierte Gewalt an Unis verharmlost

Carina Sohalt ist Studentin eines MINT-Faches, ein wenig älter als ihre Kommiliton_innen, immer mal wieder mit dem Feminismus in Berührung gekommen und daran interessiert, aber nach eigenen Angaben zu uninformiert, um sich guten Gewissens als Feministin bezeichnen zu können. Eigentlich sieht sie sich eher als Leserin statt Textproduzentin, doch ein Artikel in der aktuellen Ausgabe der NEON macht sie derartig wütend, dass sie es darauf ankommen lässt und es mit dem Schreiben versucht.

Die NEON ist eine Zeitschrift, die sich nach eigenen Angaben an „Männer und Frauen zwischen 20 und 35“ richtet und unter dem Leitsatz „eigentlich sollten wir erwachsen werden“ „über gesellschaftliche und politische Themen, Modetrends, Beziehungen, Karriere, Reisethemen und Popkultur [berichtet].“ Im ersten Quartal 2012 wurden laut IVW 228.071 Exemplare der NEON verkauft. Im Vergleich dazu hat zum Beispiel das Missy-Magazine eine Auflage von 20.000 Heften. Damit erreicht die NEON meines Erachtens eine ganze Menge Leser_innen. Darüber hinaus hat die NEON meiner Wahrnehmung nach durchaus den Anspruch, sich kritisch mit ihren Themen auseinanderzusetzen, genau das ist aber in diesem Fall nicht passiert.

Unter der Überschrift „Die dunkle Seite der Uni“ berichtet die NEON in ihrer gedruckten Ausgabe über eine Studentin, die im Vorfeld ihrer Abschlussprüfung von zwei verschiedenen Professoren sexuell belästigt wurde. In beiden Fällen machten die Professoren wiederholt mehr oder weniger unterschwellige sexuelle Angebote, einer von beiden drohte nach ihrer Ablehnung sogar direkt damit, dass er sie auch durch die Prüfung fallen lassen könne.

Hierzu werden die Gedanken und Gefühle der Betroffenen geschildert und Ausschnitte aus Emails zitiert. Gut, dass die NEON dieses wichtige Thema aufgreift, schlecht nur, dass zwischen den Zeilen nicht zu knapp sexistische Strukturen reproduziert werden. Beispiele?

Auch wenn man sie [die betroffene Studentin] kritisiert: Sie lacht erst mal. Möglich, dass ein Professor das als Flirten interpretieren könnte. […] Irgendwann verloren Anna und der Professor das Gefühl dafür, was an einem Ausbildungsplatz ein akzeptabler Ton ist. Und was nicht.

In beiden Fällen wird impliziert, dass die Kommilitonin die Verantwortung für die Grenzüberschreitungen ihrer Professoren zumindest mitträgt. Im zweiten Zitat wird sogar der Übergriff bagatellisiert, als wäre eine sexuelle Belästigung lediglich ein Fall von „sich im Ton vergreifen“. Im selben Duktus heißt es später im Text:

Der Professor hat eine Grenze überschritten – und sie hat es zu spät gemerkt. Schuldig fühlt sie sich trotzdem nicht.

Trotzdem?! Hoffentlich tut sie das nicht. Und ich hoffe ebenso, dass andere Leser_innen des Artikels, die sich in vergleichbar unerträglichen Situationen befinden, sich nicht nach der Lektüre verantwortlich oder gar schuldig fühlen. Denn genau das ist es, was die Autor_innen hier in Kauf nehmen.

Dem Artikel ist ein Interview beigefügt, in dem eine Angestellte der Universität Bremen, die dort „sexuell diskriminierte Frauen“ berät, zum Thema befragt wird. Unter anderem so:

Wie sehr fühlen sich Studentinnen geschmeichelt, wenn sich ein Professor unter den tausenden Kommilitoninnen für sie interessiert?

Was bitte ist das in diesem Kontext für eine Frage? Der Artikel schließt mit den Worten:

Sie bekommt in ihrer Prüfung eine 1,0. Sie weiß, dass sie eine sehr gute Studentin ist. Sich monatelang gut vorbereitet hat. Die gute Note hat sie verdient.

Nachdem ich den Artikel soweit gelesen hatte, konnte ich mich nicht gegen den Eindruck wehren, dass dieser letzte Satz dort steht, damit ich mir am Ende die Frage stelle, ob die gute Note womöglich doch nicht verdient sei, immerhin ist die Studentin ja selber daran schuld, gleich an zwei Arschlöcher geraten zu sein. Ich bitte um Entschuldigung für den Sarkasmus.

Man muss wahrlich nicht in feministischer Theorie promoviert haben, um zu bemerken, dass dieser Artikel sexistische Strukturen reproduziert und ich frage mich, wie es sein kann, dass so ein Text in einer Zeitschrift erscheint, die sich durchaus einen aufgeklärten, liberalen Anstrich gibt.

Ich habe inzwischen eine Antwort auf meine Mail an die NEON erhalten:

Liebe Leserin,

vielen Dank für Deinen Leserbrief. Ziel des Artikels ist es, diesen Graubereich zu beleuchten, in dem eine Studentin oft nicht genau weiß, wie sie sich verhalten soll. Sollte man als Studentin aus Angst vor einer schleichenden Sexualisierung eines Verhältnisses zu einem Prof schon die ersten, vielleicht harmlos wirkenden Anspielungen abblocken? Immerhin erfordert das ja viel Mut: Die Studentin im NEON Text ist ja abhängig von ihren Prüfern.
Da statistisch gesehen viele Studentinnen diese Situationen kennen, fand ich es wichtig, diesen Text zu schreiben.
Nicht gut finde ich es natürlich, wenn bei Dir der Eindruck entsteht, ich würde mich als Autor gegen die Studentin stellen. Das war wirklich nicht meine Absicht.
Nehmen wir das Beispiel, das Du nennst: “Schuldig fühlt sie sich trotzdem nicht.”
Hier liest Du offenbar heraus, dass ich denke, dass sich die Studentin eigentlich schuldig fühlen sollte. Und ich mich darüber wundere, dass sie sich nicht schuldig fühlt.
So ist dieser Satz aber nicht gemeint.
Gemeint ist: Viele Studentinnen fühlen sich (fälschlicherweise) schuldig, das sagt ja auch die Frauenberaterin der Uni Bremen. Der Satz soll also heißen: Diese Studentin fühlt sich (glücklicherweise) nicht schuldig (was sie ja auch nicht ist). Das aufzuschreiben fand ich aber wichtig, vor dem Hintergrund, dass sich laut Frauenberaterin viele Studentinnen in einer vergleichbaren Situation schuldig fühlen.

Nochmals danke für Deinen Leserbrief. Beste Grüße aus München,

Sascha

16 Kommentare zu „Wie NEON sexualisierte Gewalt an Unis verharmlost

  1. Erstmal find ich gut, dass der Autor sich zu Wort gemeldet hat, aber es nett zu meinen reicht einfach nicht aus. Das müsste er schon weitreichender erklären. Vergewaltigungsmythen sind in den Köpfen verankert, ohne einer Auseinandersetzung werden diese allenfalls reproduziert statt kritisch hinterfragt. Bin völlig deiner Meinung Carina, ich hätte mich vermutlich auch total über den Artikel aufgeregt – bzw tue dies hiermit.

  2. Der Neontext ist unfassbar. Und dass Sascha, der Autor, das alles SOO NATÜRLICH nicht gemeint hat, war ja auch irgendwie klar… Warum hat er sich denn nicht in dem veröffentlichten Text so eindeutig formuliert, wie er es dann in der Email konnte.

    Eine inoffizelle Rechtfertigung gegenüber der EINEN Stimme, die sich beschwert hat, halte ich für zu wenig. Ich weiss nicht, in wie fern es sinnvoll oder realistisch ist, von einer Zeitung wie der NEON zu fordern, das Thema neu aufzurollen und auf die Vermeidung ‚unglücklicher Formulierungen‘ zu achten, aber eigentlich finde ich, dass genau das getan werden müsste.

  3. Der Kritik kann ich mich nur anschließen. Wenn die Studentin eindeutig als unschuldig dargestellt werden soll, wieso muss dann dauernd der Ball zu ihr zurückgespielt werden? SIE lacht (zu viel), SIE merkt es zu spät. Fühlt sich vielleicht sogar geschmeichelt? Das klingt für mich mindestens nach Verständnis, wenn nicht gar nach einer Entschuldigung des übergriffigen Verhaltens der Professoren. Von dem Neon-Journalisten sollte man erwarten können, dass er sich der Wahl und Wirkung seiner Worte bewusst ist. Seine Antwort klingt ja eher nach „Da hast du was falsch verstanden“ – wieso eigentlich duzen? – als nach Bereitschaft zur Reflexion.

  4. Oh Mann. Seufz.

    Zur Beantwortung des Leserbriefes seitens des Autors: Es entsteht der Eindruck, als wüsste der Mann nicht, was die Schreiberin mit ihrer Kritik überhaupt meint. Und als würde er sich auch nicht im geringsten dafür interessieren, das herauszufinden.

  5. Super, dass Du Dich damit beschäftigt hast, Carina. Toll, dass Ihr das mit aufgenommen habt, Mädchenmannschaft. Es ist wirklich unglaublich, wie viele Seitenhiebe in den Zitaten drin stecken. Ich glaube dem Autor ja, dass er es nicht so gemeint hat. Vielleicht gibt es wirklich zu wenig Sensibilität für das Thema. Aber die Einstellung der „Beraterin“ dazu ist ja auch der Hammer. Sowie der Punkt mit dem „Bemerken“ der Grenzüberschreitung.

    Ich habe in den vier Jahren, die ich jetzt an der Uni bin und den 1,5 die ich da arbeite doch schon einiges mitbekommen, an belästigendem Verhalten, an zumindest Distanz-überschreitendem Verhalten. Sexuelle Belästigung im Sinne mehr oder minder expliziter Avancen in Bezug auf Prüfungssituationen zum Glück (!) (noch) nicht persönlich. Doch bei Fällen, die ich nur vom Hörensagen kenne verliefen auch Gespräche mit Vertrauenspersonen im Sande und wurden mit sowas wie „das kann ich mir aber nicht vorstellen, der ist doch so…“ abgekanzelt.

    „Charmante“ Kommentare alter Herren dafür aber schon mal öfter…

    Fakt ist, es handelt sich nun einmal um hierarchische Beziehungen. Die zwischen StudentInnen und ProfessorInnen, die zwischen Profs und stud./wiss. Hilfskräften, die zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Es gibt definitiv ein Machtgefälle in den Beziehungen zwischen dieses Positionen. Und es liegt an denen, die „oben“ sind, dafür zu sorgen, dass diese Macht nicht ausgenutzt wird, dass diejenigen in den anderen Positionen nicht in Bedrängnis geraten, in Verlegenheit, in eine Situation in der sie nicht wissen, wie sie agieren sollen, weil sie tatsächlich Angst haben MÜSSEN, dass das, was sie dagegen tun können, sich negativ auf sie auswirken wird!

  6. hmm…. seltsame Autoren haben die ..

    „Gemeint ist: Viele Studentinnen fühlen sich (fälschlicherweise) schuldig,“

    Wenn das gemeint war, warum hat man es dann nicht einfach auch so in den Artikel geschrieben?

    Grad bei solch heiklen Temen sollte man sich als Profesioneller Autor doch mühe geben das man alles komplet klar ausdrükt um keine Missverständnisse zu provoziren und auch um anderen Betroffenen Mut zu machenund einen Ausweg aufzuzeigen.

    Auch würde ich mir von solch einen Magazin im Artikel einen Überblik wüntschen was Professoren denn so droht sollten solche Belästigungen angezeigt werden, und einen nachfrage bei der Uni warum ein solches Verhalten hingenommen wird.

    Kein Student sollte einen Professor ausgelifert sein, und in jeder Uni sollte es Disziplinarmasnahmen gegen solche Professoren geben, zu denen nach meiner Meinung auch gehört ihnen die PRüfungen über die Studenten zun entziehen die sie angezeigt haben um Rachebenotung vorzubeugen.

    Was mich also viel mehr über solche Artikel ärgert ist der Untertohn das man eh nicht dagegen machen kann und es einfah erdulden soll bis zur Prüfung.

  7. Gibt es diesen Artikel irgendwo im Netz zu lesen, oder gibt es diesen nur in der Printausgabe?

    Da hat sich wiedermal ein Autor mit Halbwissen vergaloppiert. Mich wundert es, dass die Redaktion so einen Artikel zur Veröffentlichung angenommen hat.

    So ein Satz macht überhaupt keinen Sinn:

    „Der Professor hat eine Grenze überschritten – und sie hat es zu spät gemerkt. Schuldig fühlt sie sich trotzdem nicht.“

    Wenn es klar ist, dass jemand eine Grenze überschreitet und ich merke es zu spät, dann brauche ich mich auch nicht schuldig fühlen.

    Diese Erklärung hilft da auch überhaupt nichts:

    „Gemeint ist: Viele Studentinnen fühlen sich (fälschlicherweise) schuldig, das sagt ja auch die Frauenberaterin der Uni Bremen. Der Satz soll also heißen: Diese Studentin fühlt sich (glücklicherweise) nicht schuldig (was sie ja auch nicht ist).“

    denn das Problem bei sexuellen Übergriffen gerade an Unis liegt ja vielmehr gerade darin, dass oft die Klarstellung fehlt, dass der Prof. die Grenze überschritten hat.

    Staatdessen wird oft gesagt, dass die Studentin die Grenze überschritten hat und der Prof. hätte das zu später gemerkt, und deshalb fühlt sich die Studentin schuldig.

    Wenn der Autor nicht den Anstand oder den Mut hat zu schreiben:

    „Der Professor hat eine Grenze überschritten – und sie hat es zu spät gemerkt. Schuldig fühlt er sich trotzdem nicht.“

    oder

    „Die Studentin hat eine Grenze überschritten – und er hat es zu spät gemerkt. Schuldig fühlt er sich trotzdem nicht“.

    sind die Sätze widersprüchlich.

    Wenn es so war:

    „Der Professor hat eine Grenze überschritten – und sie hat es zu spät gemerkt.“

    muss dann stehen: „schuldig fühlt sie sich deshalb nicht“.

  8. Nachtrag…………

    Wenn die Studentin den Avancen des Profs abwehren konnte, bevor es wirklich zu spät wurde (z.B. Geschlechtsverkehr) was bei ihr dann gravierende seelische Schäden hinterlassen hätte können (und ja, dann hätte sie sich auch schuldig gefühlt, nicht weil sie schuldig ist, sondern weil Schuldgefühl auch ein Symptom der Traumatisierung sein kann), dann hat sie die Grenzüberschreitung noch rechtzeitig gemerkt und rechtzeitig reagiert.

  9. Vielen Dank für Eure Rückmeldung! Hier zu lesen, dass Ihr meine Wahrnehmung des Artikels teilt, empfinde ich als enorm hilfreich für meine eigene Auseinandersetzung mit dem Thema. Eure Ergänzungen und Erfahrungen ebenso.
    Wie Luna bin ich der Ansicht, dass die Antwortmail eigentlich nicht reicht. Am Wichtigsten erscheint mir, dass Betroffene, die den Artikel gelesen haben, erfahren, dass sie eben nicht verantwortlich sind. Meine Ideen, eine mail an die Redaktion zu schreiben und bei der Mädchenmannschaft bescheid zu sagen (an dieser Stelle nochmal vielen Dank für die Möglichkeit, diese Diskussion in die Öffentlichkeit zu tragen!) sind da ziemlich ausgeschöpft. Es bestünde noch die Möglichkeit, auf der [http://www.neon.de/magazin/2012/8/906712]Neon-website[/url] in der Heftkritik mitzudiskutieren, wobei ich mir davon eine ähnliche Reaktion verspreche, wie ich sie auch schon auf die mail erhalten habe.
    @noname, der Artikel ist nur im Print zu lesen und so wie ich den Webauftritt der Neon verstehe, wird das wohl auch so bleiben.

  10. Danke Carina für deinen Artikel!
    Da ich auch eine solche „Beraterin“ einer Universität bin, tut mir die Kollegin der Universität Bremen fast leid, sie hat sich mit Sicherheit mit guten Motiven auf das Interview eingelassen. Unprofessionell ist es dennoch.

    Ich bin geschockt, welches Bild den Betroffenen hier vermittelt wird. Der Artikel wird sicherlich einige davon abhalten, Fehlverhalten von Profesor_Innen an die entsprechenden Stellen zu melden. Und genau darauf sind wir, die sich an den Hochschulen gegen sexuelle Belästigung einsetzten, angewiesen.

    Schade, dass ein Artikel, der eigentlich Betroffenen helfen soll, durch einen in diesen Fragen überhaupt nicht sensibilisierten geschweige denn geschulten Autor verfasst wurde, das halte ich für fahrlässig. Neon sollte sich der Verantwortung stellen und sich zum einen von dem Artikel distanzieren und zum anderen das Thema noch einmal aufgreifen und durch wirkliche Expert_Innen beleuchten lassen.

  11. irghs, da ist mir die Hälfte vom tag verlorengegangen, hier nochmal der link zur Heftkritik: http://www.neon.de/magazin/2012/8/906712

    Was die interviewte Beraterin betrifft: Ich habe oben eine Frage zitiert, die an sie gerichtet wurde. Ihre Antworten sind meinem Empfinden nach in Ordnung, zumindest die einzige Stelle im Artikel, an der thematisiert wird, dass Betroffene sich oft fälschlicherweise verantwortlich fühlen. Vielleicht war das in meinem Text missverständlich formuliert, daher dieser Kommentar zur Klarstellung.

  12. Und der Artikel bewegt sich auch mal wieder in gängigen rassistischen Diskursen. Wir unterscheiden nach hell-dunkel, schwarz-weiß. Alles klar. Weiß ist immer gut, schwarz ist immer schlecht. Schonmal weiß gefahren?

  13. Ein Beitrag wie -zig andere in den ach so reflektierten, intelektuellen Medien.

    Wer diese Zeitschrift liest, hat den Schuß nunmal nicht gehört. Ich tat es als sie rauskam, fand sie gut, eine Stimme für jüngere Leute – bis sie dann Studiengebühren gut fanden.

    DAS fand ich unglaublich – völlig undifferenzierter Beitrag, als ob die CDU dafür bezahlt hätte. Das ist btw ca 8 Jahre her. In der Zeit ist dieses „Blatt“ scheinbar nicht arg vielen aufgestoßen… da sieht man, wie reflektiert wir sind.

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