[Trigger Warnung: Es geht um sexualisierte Gewalt]
In unserer Gesellschaft wird vielen Mädchen beigebracht, nicht offen aggressiv zu sein, sondern sich rücksichtsvoll, nachgebend und vorsichtig zu verhalten. Trotzdem erscheint Gewalt – insbesondere sexualisierte Gewalt – als Frauenproblem: Um nicht Opfer zu werden, sollen Frauen von klein auf möglichen Gefahren aus dem Weg gehen. Sie sollen nicht ‘provozieren’, sich ‘vernünftig’ verhalten, sich nicht ‘aufreizend’ kleiden, sich nicht zu sehr betrinken, nicht Nachts alleine auf der Straße sein, etc. Diese Vorstellungen haben zur Folge, dass im Falle eines sexuellen Übergriffs der Frau oder dem Mädchen die Schuld gegeben wird. ‘Sie war eben nicht vorsichtig genug’ heißt es dann. Dieser Mechanismus wird oft ‘Blaming the victim‘ genannt.
Täter sind in den meisten Fällen Männer und Jungen. Selbstverständlich werden auch Frauen gewalttätig, doch statistisch gesehen sind sie in der Minderheit. Laut einer Studie den Bundesfamilienministeriums von 2004 waren 99 Prozent der Täter von sexueller Gewalt gegen Frauen erwachsene Männer. Ähnlich sieht es bei häuslicher Gewalt aus: 2/3 der Tatverdächtigen sind Männer (und, by the way, der Großteil davon sind wiederum männliche Deutsche). Dennoch erscheint Vergewaltigung kaum als Männerproblem. Folglich wird vielen Jungen nicht beigebracht, weniger aggressiv zu sein, nicht zu schlagen und nicht zu vergewaltigen. Vielmehr gilt oft weiter die traditionelle männliche Geschlechterrolle für sie. Der ‘normale’ Junge scheint mutig, wild, laut, Raum-greifend und latent aggressiv.
“Don’t teach women how to avoid being raped, teach men not to rape” oder ”Don’t teach us what to wear, teach your son not to rape” lauten deswegen viele Leitsprüche – nicht erst seit der brutalen Vergewaltigung in Steubenville: Statt Mädchen dazu zu erziehen, nicht vergewaltigt zu werden, sollen Jungen lernen, nicht zu vergewaltigen. Zerlina Maxwell zählt hierzu fünf Punkte auf, wie sexualisierte Gewalt durch Männer verhindert werden kann. Sie wurden von Maike auf kleinerdrei übersetzt:
“1. Bringt jungen Männern bei, was einvernehmlicher Sex ist.
2. Bringt jungen Männern bei, Frauen als Menschen anzusehen, und nicht als sexuelle Objekte, die zum Vergnügen der Männer da sind.
3. Bringt jungen Männer bei, wie sie ihre Männlichkeit auf eine positive Weise ausdrücken.
4. Bringt jungen Männern bei, missbrauchten oder vergewaltigten Frauen und Mädchen zu glauben, die mit ihren Fällen an die Öffentlichkeit treten.
5. Bringt jungen Männern bei, einzugreifen, wenn Sie Zeugen von Vergewaltigung oder sexuellem Missbrauch werden.”
Sinnvoll ist allerdings, nicht erst bei den ‘jungen Männern’ anzusetzen, sondern bei den Erziehung von Jungen generell. Hier gilt es, überzogene Stereotype von traditioneller Männlichkeit in Frage zu stellen. Der Berliner Verein Pat-Ex bietet ‘patriarchats-’ bzw. ‘identitätskritische Jungenarbeit’ in der Schule an. Zu seinen Publikationen gehört unter anderem das Buch ‘Müssen Jungen aggressiv sein?‘ von Jens Krabel. Dabei ist ein Ziel von Jungenarbeit: “Einen Raum schaffen, indem das Selbstbewußtsein gefördert, das Vertrauen in die eigenen Stärken und Schwächen entwickelt und gelernt wird, Grenzen zu setzen und zu respektieren.”
Die Grenzen anderer Menschen wahrzunehmen und zu respektieren stellt auch einen der Schwerpunkte in der Sexualaufklärung des Wiener Vereins Selbstlaut dar. Seine Broschüre richtet sich nicht nur an Jungen, sondern an alle Kinder. Beim Thema “Zustimmung & Grenzen setzen” (S. 16) geht es darum, “die Schüler_innen zu ermutigen, das Mitteilen von Wünschen und Grenzen auszuprobieren und somit über die Wichtigkeit von achtsamem, konsensuellem Miteinander zu lernen und dieses erfahrbar zu machen.” Die anschliessenden Übungen beinhalten eine ‘Ampel’ zum Einschätzen von Zustimmung und einige Beispielgeschichten mit Situationen beim Sport, beim Spielen oder in ersten Liebesbeziehungen.
Über die Erziehung ihrer Söhne schreiben einige Blogger-Väter. So ist bei Mochadad zu lesen: “As fathers, we must teach our sons to respect women. This culture of disrespect can only be reversed by strong men taking a stand. We must model appropriate behavior and teach them that their manhood is not tied to their sexual conquests. Most of all, we have to reinforce the notion that ‘No’ means ‘No.’”
Ein sehr alltägliches Beispiel, wie eine solche Erziehung aussehen kann, gibt Yesmeansyes. Dort wird eine Szene beschrieben, in der ein zweijähriger Junge ein kleines Mädchen beim Spielen kitzelt. Der anwesende Vater sagt zu seinem Sohn einfach: “If she’s not having fun, you have to stop.” Wenn es Ihr nicht mehr gefällt, musst Du aufhören.
(Dieser Beitrag erschien bereits auf ‚Fuckermothers‘.)
Kleiner Übersetzungskommentar: In dem Text vom yesmeansyesblog geht es um „tackle“ nicht um „tickle“- demnach nicht um „kitzeln“ sondern „attackieren“/“angreifen“.
„Ein sehr alltägliches Beispiel, wie eine solche Erziehung aussehen kann, gibt Yesmeansyes. Dort wird eine Szene beschrieben, in der ein zweijähriger Junge ein kleines Mädchen beim Spielen kitzelt. Der anwesende Vater sagt zu seinem Sohn einfach: “If she’s not having fun, you have to stop.” Wenn es Ihr nicht mehr gefällt, musst Du aufhören.“
mir wäre es noch wichtig, dass bei den Kindern nicht nur „neue“ Regeln etabliert werden, sondern die Empathie geschult wird, so dass sie verstehen, WARUM das schlimm ist, wie sich das für die andere Seite anfühlt, und nachvollzeihen zu können, wie man sich selbst in einer solchen Situation fühlen würde. Mir ist öfter schon eine recht vereinfachte Rhetorik bei diesen Ansätzen aufgefallen, die das sicher so meinen, aber „du musst aufhören, wenn“ ohne „warum“ finde ich manchmal auch problematisch.
@Jane: Andererseits darf Nachfühlenkönnen auch keine Bedingung für das Einhalten von Grenzen sein – zumal da ja auch die Grenzen und Kontexte unterschiedlich sind (ich denke gerade an diverse Diskussionen zu Sexual Harassment mit Männern*, die, wenn mensch es mit Empathieanregung versucht, die altbekannten „Also mir würde das nichts ausmachen, wenn mir eine Frau an den Hintern fasst“-Argumente bringen). Und wenn man immer eine Begründung mitliefert, verfestigt das ja auch den Ansatz „Du musst dich rechtfertigen, wenn du etwas nicht möchtest“.
Plus: Wie sich Übergriffigkeiten evt. anfühlen, lässt sich glaube ich schlecht bis zum Nachfühlenkönnen erklären – da würde ich mir eigentlich fast wünschen, dass Kindern das Nachfühlen schwer fällt, weil es andernfalls ja hieße, dass sie selbst auch schon Übergriffigkeiten erfahren haben…
Ja, das fühlen meinte ich nicht im Sinne von einen Übergriff nacherleben, es ging mir um respektloses Verhalten, und das Kinder verstehen, dass das nciht einfach eine von Erwachsenen willkürlich gezogene Grenze ist (sie sind ja mit vielen für sie erst mal unverständlichen Geboten konfrontiert), sondern, dass sie eben den Sinn hinter einer solchen Grenzziehung nachvollziehen können, im Sinne von selbst erkennen, wenn sich der andere verletzt oder bedroht fühlt.
@Jane: Ah ok, danke, jetzt verstehe ich.
hey, das mag ja alles schön und dut sein für kleine kinder, aber glaubt ihr wirklich, die haben das als erwachsene nicht doch verstanden, das mit der grenzverletzung? die machen das ganz bewusst, weil es eine grenzverletzung ist. weiter will ich selbst nicht darüber nachdenken… meist ist es noch schlimmer, als sich eine situation auf den ersten blick darstellt.
Irgendwie passt das, was gleich kommt, zum Thema, ist aber derart verfehlt, dass ich sprachlos bin. Ich stolperte vorhin über einen alten Telepolis-Artikel aus dem Jahr 2000 (http://www.heise.de/tp/artikel/5/5865/1.html), der sich der sog. Aversionstherapie bei vermeintlich sexuellen Vergehen von Kindern und Jugendlichen widmet. Ich bin mir noch nicht sicher, wie ich das alles einordnen soll. Es geht mir nicht so sehr darum, ob die Handlungen, für die die Jungen (und auch Mädchen, aber seltener) bestraft wurden, strafbar waren oder nicht. Das kann ich ohnehin nicht beurteilen, weil auf Grundlage von Artikeln nicht abzuschätzen ist, ob das Gegenüber die an ihm vorgenommenen Handlungen gewollt hat oder nicht. Allein, dass Menschen auf diese Art der Therapiemethode bei Kindern (!) kommen, macht mich sprachlos. Und ja, der Gedanke an Clockwork Orange liegt extrem nahe. (ich kann mich nicht vernünftig ausdrücken gerade, aber ich hoffe, Ihr versteht, was ich sagen möchte)
Werden diese Praktiken noch angewendet? Gibt es oder gab es das in Deutschland auch? Ich komme da nicht wirklich weiter.
Was ist eigentlich aus dem Jungen geworden, der eine gleichaltrige geküßt hat und dafür vor ein paar Wochen angeklagt wurde? Weiß da wer was?