Als letzte Woche bekannt wurde, dass das Verbot der heutigen Nazi-Demonstration in Hannover keinen Bestand hat, und daraufhin an vielen Stellen Zugwarnungen (insbesondere für PoC und muslimischstämmige Personen) ausgesprochen wurden dachte ich auch zunächst: Keine Zugfahrt am Samstag für mich.
Nun stand ich gestern aber in einem voll gestopften RE Richtung Minden – derselbe, der für heute als (einer von einigen Zügen) unfahrbar gilt, als No-Go-Area, als gefährliche Zone. Hinter mir ein Glatzkopf mit eindeutigem Pulli, Tattoo, Bierflasche in der Hand. Ich nahm ihn erst gar nicht wahr bis ich merkte, dass hinter mir einer hasserfüllt in sein Handy rotzte („Die asozialste Zugfahrt die ich je erlebt habe, nur Gesocks im Zug!!!“), zwischendurch beherzt rülpste und aggressiv den Schnodder in der Nase hochzog und zwei Dudes (Kanaken-Bros) mir verzweifelt-sarkastisch zuzwinkerten. Den Kopf einmal halb zur Seite gedreht offenbarte sich mir die ganze Pracht des Elends, und ich muss zugeben, fast noch mehr als der Nazi-Sponk im Rücken widerte mich die Vorstellung an dass jemand mir auf die Haare rülpst, und ich stellte mich so gut es eben in dem beengten Zug ging in den nächsten Gang.
Und da dämmerte es mir: Diese Arschgesichter haben mich abgehärtet, denn der latente Rassist ist mittlerweile Standardware und der offensichtliche Aggro-Nazi auch keine Ausnahme mehr. Sie sind vielmehr regelmäßig anwesende (wenn auch unberechenbare) Größen in meinem Mikrouniversum, und wenn beispielsweise die Presse andeutet dass sich die Gefahr auf Ausnahmeveranstaltungen (wie eben die #HoGeSa) beschränkt, dann entbehrt das jedweder Realität. Denn eigentlich ist #HoGeSa Alltag.
Der Hauptbahnhof meiner Stadt ist an Wochenenden stets ein Sammelbecken auch für die „Ackerboxer“ unter den Fußballfans, und denen nun reine politische Unbeteiligtheit anzudichten wäre mehr als untertrieben. In besagten REs der Deutschen Bahn sitzen während der Saison fast jedes Wochenende aggressive Fans, die auf ihren Bierkästen hocken und gerne auch mal rassistische Parolen singen – und schon oft teilte ich mir einen Waggon mit dieser Klientel. Es sind übrigens Fahrten, bei denen die deutsche Bahn anscheinend vermeidet Zugkontrolleure durch die Wagen zu schicken. Je höher die Bierlachen auf den Plastikböden in den Abteilen, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit dass mensch bei diesen Fahrten kein Zugpersonal sehen wird – und auch nicht die Bundespolizei, die sonst so gerne Racial Profiling in den Zügen betreibt. Ich bin schon oft genug Zug zu solchen Anlässen gefahren, um eine Korrelation zwischen diesen beiden Sachverhalten festzustellen.
Einsam sitzt mensch dann in der Regel zwischen den angetüddelten oder komplett besoffenen (vorwiegend white-male) Fans, die johlen, gegen Zugwände klopfen, im oberen Abteil durch den Waggon trampeln, Alkoholgeruch ausdünsten, rumschreien und auf ihre Art ihren ganz besonderen Spaß haben. Unbeteiligte Fahrgäste rollen mit den Augen, teilweise wirft mensch sich schon mal pro forma solidarisierende Blicke zu (für den Fall der Fälle), und alle, die mit der Aggro-Fan-Kakophonie nix am Hut haben, hoffen nur eins: Dass die Fahrt schnell vorbei ist und mensch an seinem Zielbahnhof aussteigen kann – möglichst unbeschadet.
Und das sind wiederum nur die Begegnungen mit einem Nazi-Milieu, dass sich dem Fußball verschrieben hat – die „sportlich nicht interessierten“ sind da noch gar nicht mit aufgeführt. Die tatsächliche No Go-Area gibt es nicht, sie ist in Bezug auf Nazi-Warnungen ein Mythos, verwandt mit einem Phänomen wie „Rape Culture“ – Nazis, das sind Ausnahmen, das sind berechenbare Größen, das sind Personen die zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort stattfinden, das sind vielleicht „Hooligans“ wird einem mitgeteilt, immer und immer wieder. #HoGeSa, das sei eine Ausnahmeveranstaltung, nur ein kleines i-tüpfelchen, ein kleiner Ausreißer im beschaulichen Deutschland das zwar irgendwie ein Rassismus-Problem habe, aber eins, das klar zu verorten ist (NSU, Beate Zschäpe, ein paar rechtsextreme Verwirrte). Und das alles stimmt nicht. Leute werden überall angegriffen, erschossen, zusammengeschlagen, ihre Unterkünfte oder Gebetshäuser angezündet, beschimpft – auf der Straße, in ihren Häusern, in ihren Geschäften, in Parks und in Diskotheken.
Vielleicht ist an Tagen wie diesen ja auch mal mehr Bundespolizei in den Zügen unterwegs – das wäre dann schon lustigerweise eine Verbesserung zu den sonstigen Fahrten, die mensch immer mal wieder über sich ergehen lassen muss (wenn sich denn dann mehr den gewaltbereiten Reisenden gewidmet würde statt dem Racial Profiling). Auf jeden Fall wäre eine Zugfahrt heute mit Sicherheit scheißiger, aber genauso unberechenbare scheißige Zugfahrten habe ich schon erlebt und werde sie noch erleben. Und, wer weiß, vielleicht steige ich heute noch in einen Zug – auch wenn ich es nicht unbedingt weiter empfehlen würde.
[Dieser Artikel ist ein Crosspost.]