Als Kind und Teen war ich immer sehr neidisch auf meine (überwiegend weißen) Freund_innen und Mitschüler_innen, die ihre Ferien im europäischen Ausland oder vielleicht sogar in den USA verbrachten. Meine Familie fuhr alle paar Jahre in den Iran alias The Homeland.
Obwohl es dort immer sehr schön, wenn auch zu heiß, war, hatte ich dort das Gefühl, vieles zu verpassen. Meistens ein paar Schultage, weil die Flüge außerhalb der Ferienzeiten billiger waren, potenzielle Sommerausflüge mit Freund_innen und heteronormative Urlaubserlebnisse wie einen Flirt mit irgendwelchen Boys auf einem schwedischen Campingplatz oder am spanischen Strand. Vor allem fühlte ich mich nicht so cool und kosmopolitisch wie meine Mitschüler_innen, die in angesagten Städten wie New York, Paris oder Barcelona kurze Trips mit ihren Herkunftsfamilien machten.
Damals war ich sehr angepisst darüber, dass wir immer nur in den Iran flogen. Seltene Ausnahmen: Als ich fünf war, fuhren wir mit unserem VW-Bus via Amsterdam nach Paris, ich durfte ins Disneyland, wir campten im Auto. Wir haben zwei Mal Verwandte in London besucht. Und als ich 17 war, besuchten wir entfernte Bekannte meines Vaters in Norditalien. Das sind mehr Auslandsreisen als sehr viele andere in ihrem ganzen Leben hatten, aber damals kam es mir verdammt wenig vor, weil die meisten anderen in _jeden_ Ferien irgendwo Besonderes waren. Selbst über Pfingsten oder Himmelfahrt. Heute verstehe ich, warum Dinge so waren, wie sie waren.
In der Diaspora bist du ohnehin schon nicht Zuhause. Wenn du also die Möglichkeit hast, in ein Land zu fahren, wo deine Sprache gesprochen wird, deine Lieblingsspeisen gekocht werden, dein Aussehen und dein Name nicht auffallen (zumindest nicht als „ethnische Minderheit“) und wo deine Familie lebt, dann würdest du doch lieber dorthin reisen. Zumindest lieber als in dein Land, in dem du noch weniger Zugang zur Sprache hast, wo du noch mehr fremd bist, weil du dich lokal nicht auskennt, wo du noch mehr, weil wortwörtlich, auf Durchreise bist und aus dem Koffer lebst. Sich irgendwo nicht auszukennen und kaum Zugang zu haben, benötigt viele Ressourcen, vor allem finanzielle. Warum also in ein Land fahren, in dem du noch nicht mal die quirky Tourist-Experience machen kannst, weil du dort genauso als brown Immigrant-Family geandert wirst wie in Deutschland? Und dafür viel Geld ausgeben?
Die wenigen Male, in denen wir im EU-Ausland waren, war ich auch sehr angespannt. Ich war sehr lange die einzige in meine Herkunftsfamilie, die Englisch verstehen und sprechen konnte. Ständig musste ich Übersetzungsarbeit leisten. Nicht nur nach dem Weg fragen, sondern auch Rabatte aushandeln oder peinlich irgendwelche Leute auf der Straße fragen, was eins in dieser Stadt denn unbedingt gesehen haben muss. Mal einen Nachmittag lang im Café chillen oder durch Szenebezirke flanieren? Fehlanzeige. Cool und kosmopolitisch stellte ich mir anders vor. Und wieder der Vergleich mit den anderen: Alle anderen hatten Eltern, die mittelmäßiges bis sehr gutes Englisch gesprochen haben. Das nimmt sehr viele Barrieren, zum Beispiel, dass du als junge Person nicht den kompletten Trip organisieren musst. Wenn die Kinder noch nicht alt genug sind, um Englisch sprechen zu können, ist es für Eltern(teile) eigentlich auch verantwortungsvoll, in kein anderes rassistisches Land ohne jegliche Sprachkenntnisse fahren zu wollen. Ich hätte es mir an ihrer Stelle auch nicht zugetraut.
An solchen Erinnerungen merke ich, wie privilegiert ich heute bin, wenn ich mit Billigflug und auf der Couch von Bekannten Schlafen ins Ausland reise. Oder selbst dann, wenn ich im ICE sitze und zu einer Veranstaltung in einer anderen deutschen Stadt fahre, bei der ich als Speakerin eingeladen bin. Das einzige Mal, als ich vor dem Studium im ICE saß, war als meine Schwester und ich mit unseren Niedersachsenferientickets in den falschen Zug gestiegen sind. Und heute fahre ich mit Schnellzügen durchs Land und zahle die Tickets nicht mal selbst. Verdrehe vielleicht auch mal die Augen, wenn die Durchsagen mit einem krassen deutschen Akzent auf Englisch gemacht werden. Abgefahren und irgendwie komisch.