„Schwul als Unterrichtsfach“ – wenn Antidiskriminierung an Schulen zu Hetze führt

In den letzten Wochen wurde schon viel zur Petition „Zukunft – Verantwortung – Lernen: Kein Bildungsplan 2015 unter der Ideologie des Regenbogens“, die sich gegen den kommenden Bildungsplan in Baden-Württemberg richtet, geschrieben. In unseren Blogschauen haben wir bereits auf Beiträge hingeweisen, aber hier an dieser Stelle sollen noch einmal die Abläufe etwas zusammengefasst und einige Texte verlinkt werden.

Die Petition

In den Leitprinzipien des Bildungsplans 2015 für allgemeinbildende Schulen in Baden-Württemberg wurde verankert, dass im Unterricht auch Lebensrealitäten von LSBTTI berücksichtigt und explizit aufgenommen werden sollen. Der Petitionsschreiber, ein Lehrer, sieht darin die Gefahr der „Umerziehung“. Er fordert unter anderem sich gegen eine „Überbetonung einzelner Gruppen und ihrer Interessen“ zu stellen, und sieht natürlich keineswegs, wie Cis-Menschen und Heteros jederzeit in einem heternormativen Gesellschaftssystem überbetont werden und deren Interessen als unmarkiert und allgemeingültig gesetzt stehen. (Und mittenrein kann auch Norbert Blüm in der FAS seinen menschenfeindlichen Mist verbreiten. Ganz unabhängig von der Petition.)

In den Kommentaren zur Petition, die bei OpenPetition eingestellt wurde, entlud sich der geballte Heterosexismus, die Trans- und Inter-Feindlichkeit. Schüler_innen mussten mit ansehen, wie ihre Lehrer_innen oder andere Menschen im Umfeld die Petition unterschrieben.  So berichtet Nele Tabler in einem Interview mit dem Missy Magazine:

Ja, so etwas [, dass Eltern andere Eltern in Klassen auffordern zu unterschreiben] hat [diese Lehrerin] auch erzählt. Auch dass die Petition in den Lehrerzimmern herumgereicht wurde und dass schon fast eine Art Gruppenzwang entstand, die Petition zu unterschreiben. Auch auf Elternversammlungen wurden Listen herumgereicht.

Die Reaktionen

Als eine der ersten (und seitdem beständigsten) hat die eben zitierte Nele Tabler seit Mitte Dezember zu dem Thema geschrieben, ob nun auf ihrem Blog, beim Online-Magazin Weird oder auf Twitter. Das Blog Kätzchen Kotzt veröffentlichte am 08. Januar einen Protestbrief an das Kultusministerium und Landtagsabgeordnete. Auch über andere Wege forderten Aktivist_innen von Politik und Kirchen Statements zur Petition. Diese ließen lange auf sich warten. Als die SPD Baden-Württemberg sich dann am 11.01. äußerte und natürlich betonte, dass sie weiter hinter dem Bildungsplan stehe, hing sie aber auch noch an:

Im Hinblick auf die Kritik der Kirchen bleibt festzuhalten, dass sich der Bildungsplan selbstverständlich am christlichen Menschenbild in Landesverfassung und Schulgesetz orientiert. Entsprechend werden die Aspekte Familie, Eltern und Ehe in den neuen Bildungsplänen wie bisher auch verankert. Wenn man akzeptiert, dass es andere Lebensformen gibt, werden damit die Institutionen Familie und Ehe keineswegs in Frage gestellt.

Die Mainstreammedien schwiegen ebenfalls lange – auch als bereits absehbar war, dass innerhalb kürzester Zeit Zehntausende von Unterschriften zusammenkommen. Als sie dann begannen Artikel zu veröffentlichen, wurden wie so häufig vorangegangene Recherchen und Arbeiten von Aktivist_innen verunsichtbart.

Tut sich was auf der Petitionsseite?

Aktivist_innen kritisierten auch OpenPetition dafür, dass sie dieser Petition eine Plattform geben.  Am 10. Januar wurde dort zumindestens etwas eingelenkt: OpenPetition sperrte die  Kommentarfunktion, es wurden Kommentare gelöscht und es soll nun eine Moderation der Kommentare geben. Dafür wurde ein weiteres Problemfeld deutlich: Bei Unterschriften werden nicht einmal E-Mailadressen verifiziert, bevor sie aufgeführt werden. Und in den letzten Tagen wurde die Petition zunehmend im Namen von bekannteren Aktivist_innen unterschrieben – unter anderem ist auch Nele Tabler betroffen.

Gegenpetitionen

Seit einigen Tagen gibt es direkt bei OpenPetition und bei Campact Gegen-Petitionen. Auf der Facebook-Seite von Medienelite schreibt Nadine, warum diese, trotz der Kritiken daran, ein Zeichen setzen können und welche Punkte außerdem in den Fokus gerückt werden sollten:

Momentan gibt es zwei Unterschriftenkampagnen gegen die heterosexistische, trans- und inter-diskriminierende Hetze gegen den neuen Bildungsplan in Baden-Württemberg, der „sexuelle Vielfalt“ als Leitlinie in Schulen verankern wird. Ich bin skeptisch, was die konkrete Umsetzung dieser Leitlinie in Schulen betrifft: Werden die Ursachen und Auswirkungen von Diskriminierung vermittelt und wenn ja, wie? (Oder geht es wie so oft nur um Akzeptanz und Toleranz von „Abweichung“?) Wie wird Lehrpersonal für das Thema sensibilisiert? Wie sehen die pädagogischen Mittel aus? Wieviel Gelder werden bereitgestellt? Wie ist es möglich, betroffene Schüler_innen (und Lehrer_innen) zu bestärken, trotz der stattfindenden Diskriminierung in der Schule, zu Hause und im nahen sozialen Umfeld? Trotz dieser Fragen ist es für betroffene Schüler_innen und Lehrer_innen, sowie Eltern/Bezugspersonen gerade wichtig zu sehen, dass sich Widerstand gegen die Hetze bildet. Widerstand, der sich nicht nur in einzelnen Blog- und Zeitungsartikeln, in empörten Wortmeldungen auf Twitter, sondern auch anhand konkreter Zahlen zeigt. Die Texte beider Gegenpetitionen sind kritikwürdig bis *augenroll*, aber die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache. Gegen den Initiator der Hetzpetition liegt eine Dienstaufsichtsbeschwerde (er ist selbst Lehrer) und eine Strafanzeige vor. Doch die Rhetorik dieser Aktion bleibt nach wie vor mehrheitsfähig und keineswegs nur anschlussfähig für rechtsradikale und christlich-fundamentalistische Kreise, speist sie sich direkt (auch) aus Mainstream-Diskursen, die „Homosexualität“ und Trans*/Inter zur Privatsache erklären, während jeden Tag in Schulen, in den Medien, im staatlichen Handeln, im öffentlichen Raum, in sozialen Umfeldern der „heterosexuelle Lebensstil“ als Norm gepredigt wird. Wir sollen täglich „eindeutig“ als Frau oder Mann performen, wir sollen das jeweils andere „Geschlecht“, lieben, begehren, heiraten und mit ihm/ihr Kinder in die Welt setzen. Wir sollen Heterosexualität ständig zum Thema machen, damit in der Öffentlichkeit hausieren gehen, jedem_jeder unser Hetero-sein ungefragt auf die Nase binden, damit es auch der_die Letzte begreift, dass Hetero-Sein das „Natürliche“ und Selbstverständliche ist, während alles jenseits davon als individuelle Entscheidung oder wahlweise auch „biologischer/psychischer Defekt“ angesehen, abgewertet und diskriminiert wird. Und von staatlicher Seite zwangsoperiert und zwangstherapiert wird. Oder gutmenschlich Toleranz und Respekt für ein „Anderssein“ entgegengebracht wird. LGBT*I haben sich nicht für ein „Anderssein“ entschieden, sondern schlicht und einfach für ein Leben, das ihren Wünschen und Bedürfnissen entspricht, die in dieser Gesellschaft keinen Platz haben sollen.

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Links zu dem Thema (sowie eine Übersicht über welche Stellen die Petition verbreitet wurde_wird) hat auch Nele Tabler zusammengestellt, und bei fuckermothers findet sich ebenfalls eine Übersicht zu Beiträgen.

Ein Kommentar zu „„Schwul als Unterrichtsfach“ – wenn Antidiskriminierung an Schulen zu Hetze führt

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