Was passiert eigentlich östlich von uns? Journalist Silviu Mihai kennt sich aus und wirft für uns alle zwei Wochen einen feministischen, gender- und gesellschaftskritischen Blick auf das „andere“, östliche Europa. Die konkreten Herausforderungen der Gleichberechtigung in Polen, woran wir einen bulgarischen Macho erkennen und welche Rolle Homophobie und Gendermainstreaming in Rumänien spielen, erfahrt ihr in dieser Kolumne.
Rumänien steckt weiterhin in einer tiefen Wirtschaftskrise, und Frauen tragen dabei bisher die größte Last. Der EU-Beitritt des Landes am 1. Januar 2007 hatte zahlreiche Investoren angezogen und zu einem beispiellosen Boom geführt. Anders als in Deutschland stiegen eine Zeit lang auch die Löhne jedes Jahr kräftig an. Die alten Armutsprobleme waren zwar nicht verschwunden, aber vielerorts weniger akut geworden. Geld war billig, und reichte auch für Kulturveranstaltungen, eine kleine alternative Szene in den Großstädten, ein paar emanzipatorische Projekte der NGOs.
Doch als die riesige Immobilien- und Konsumblase Ende 2008 weltweit platzte, erlebte die rumänische Gesellschaft eine böse Überraschung. Erst nahm die Arbeitslosigkeit zu, dann schoss das Staatsdefizit in die Höhe. Noch vor der Eurokrise musste die Regierung in Bukarest an die Tür des Internationalen Währungsfonds (IWF) klopfen, um – unter strengen Auflagen – einen Notkredit zu bekommen. Die drastischen Sparmaßnamen vom letzten Jahr lassen westeuropäische Krisenprogramme als Witz erscheinen: Alle Gehälter im öffentlichen Sektor wurden prompt um 25 Prozent gekürzt, ebenso wie sämtliche Sozialleistungen. Bildung, Gesundheit und Verwaltung, wo der Frauenanteil hoch ist und die löhne ohnehin schon niedrig waren, sind am stärksten betroffen.
Es folgten ein massiver Stellenabbau – ebenfalls im öffentlichen Sektor – und, ab dem 1. Januar, eine Kürzung der Elternzeit von ursprünglich zwei auf nur noch ein Jahr. Obwohl die Elternzeit prinzipiell auch Männern zur Verfügung steht, bleiben Babys überwiegend „Frauensache“. Rumänische Medien, die ständig von „Mutterzeit“ statt „Elternzeit“ sprechen, zeigen sich wenig hilfreich. Im Dezember demonstrierten viele Rumäninnen gegen diese Entwicklung, unter anderen wurde dabei die Regierungszentrale mit schmutzigen Windeln beworfen. Bisher haben die Proteste aber keinerlei Wirkung gehabt.
Für 2011 stehen noch mehr Kürzungen auf der Agenda. Der Staat hat weiterhin kein Geld für öffentliche Investitionen, die vor allem eben im Bildungs- und Gesundheitssektor dringend nötig wären. In Bukarest kann nur noch jedes fünfte Kind einen Platz in der Krippe bekommen. Dabei hatte alles so gut angefangen, denn in den letzten Jahren haben sich Kultur und Gesellschaft rasch verändert: Die Aufgaben, die bis vor Kurzem die Großmütter oder andere Verwandten erledigten, wurden zunehmend von staatlichen Krippen und Kindergärten übernommen. Scheitert der Staat, verlangsamt sich die Modernisierung der Gesellschaft. Und der Druck auf Frauen wächst.
Vielleicht sollte sich die rumänische Regierung Fachleute wie Avivah Wittenberg-Cox (20-first.com) oder Asa Loefstrom (se2009.eu ) holen, die ihnen erklären, dass das Wirtschaftswachstum Rumäniens von der Chancengleichheit der Frauen abhängen wird …
Holger