Wir sind in Kairo auf der Suche nach einem Buch. Man gibt uns Wegbeschreibungen, keine ist richtig. Wir laufen hin und her. Es ist heiß, die Sonne knallt und ich bin genervt. Wir treffen schließlich auf Ahmed, einen jungen ägyptischen Geschäftsmann. Er will uns helfen und führt uns in eine Buchhandlung in der Nähe. Ohne Erfolg, das Buch gibt es dort nicht. „Aber vielleicht in einer anderen Buchhandlung“, sagt der Verkäufer und beschreibt Ahmed den Weg.
„Ich fahre euch“, sagt Ahmed. Keine Widerrede. Schnell räumt er die Kindersitze in seinem Wagen weg, bittet uns hinein und fährt los. Auf der Fahrt erzählt er uns von seinem Familienunternehmen, wie sie unter der Revolution gelitten haben und dass es das aber wert gewesen sei. Er sei glücklich mit dem, was er habe.
Eine Stunde später stehen wir mit dem gesuchten Buch an der Kasse. Als wir zahlen wollen, erklärt Ahmed uns, das Buch sei schon bezahlt. Keine Widerrede. Und nach Hause fahren will er uns auch. Keine Widerrede. Als er später nach einer herzlichen Verabschiedung davonfährt, hinterlässt er bei mir mehr als nur ein Buch.
Einige Tage später sitzen wir in einem klappernden Taxi. Es riecht stark nach Benzin, ich muss mir die Nase zuhalten, atme vorsichtig. Es ruckelt, es wackelt. Ich sitze angewidert auf den alten Sitzen und versuche mich nirgends anzulehnen. Dann sehe ich das Gesicht des Fahrers im Rückspiegel: alt und gezeichnet. Er guckt mich besorgt an. Schnell drehe ich mich zum Fenster und versuche unauffällig durch den Mund zu atmen.
Als wir auf einer Schnellstraße an einem Wagen vorbeifahren, der am Straßenrand steht, hält unser Fahrer an und fährt vorsichtig rückwärts. „Was ist los? Kann ich helfen?“, fragt er den Fahrer des gestrandeten Wagens. „Nein, danke“, er warte auf Benzin. Unser Fahrer nickt und fährt weiter. Nach dem Aussteigen hole ich erst mal tief Luft.
Wir erholen uns in der Sultan-Hasan-Moschee, vor über 700 Jahren erbaut und noch immer hervorragend erhalten. Neben uns sitzt ein Mann und macht sich Notizen. Wir kommen ins Gespräch. Es stellt sich heraus, dass Dr. Osama ein bekannter Architekt ist, früher beauftragt mit der Aufsicht sämtlicher religiöser Stätten in Ägypten, heute schreibt er ein Buch über die Architektur dieser Moschee. Er legt seine Arbeit zur Seite und weiht uns in ihre Geheimnisse ein. Als wir uns aufmachen wollen, besteht er darauf, uns zu fahren. Keine Widerrede.
Sein Wagen ist alt, staubig, die Scheibe zersprungen. „Relikt der Revolution“, kommentiert er. An diesem Tag begleitet uns Dr. Osama mehrere Stunden durch Kairo, fährt mit uns einkaufen und essen, zeigt uns besondere Architektur, bevor er uns am Abend zuhause absetzt. Keine Widerrede.
Mich ärgern Müll und Gestank, Stau und schlechte Luft in dieser Stadt. Noch mehr aber ärgere ich mich darüber, wie blind ich doch immer wieder für das Schöne bin. Herzlichkeit und Bescheidenheit, Glück und Gastfreundschaft – an alldem mangelt es nicht in diesem Land.
Und wieder stehe ich vor meiner Haustür. Mit mehr als nur meinem Einkauf.
(Dieser Text erschien ursprünglich als Kolumne in der Taz.)
Da ist es Gastfreundschaft – hier wären mit Unterbindung von Widerrede erzwungene Essenseinladungen und Geschenke von Männern (zu Recht) zu bekämpfende Relikte patriacher Gesellschaftsstrukturen.
@outraged: Genau. Schenken ist eben auch ein Machtinstrument: Der Beschenkte kriegt das Geschenk (ob er bzw. sie will oder nicht), der Schenkende die Macht. Deshalb hat ja auch früher beim Ausgehen der Mann bezahlt, und deshalb hat sich eine zahlende Frau bis vor kurzem noch außerhalb der Gesellschaft gestellt.
Hmm, ich weiß nicht recht. Mir ging es als Mann genauso in Kairo. Auch ich hätte Angebote von Gastfreundschaft nicht ausschlagen können, ohne eine Ehrverletzung zu begehen. Nun hängen Konzepte von Ehre sicherlich meist mit patriarchalen Verhältnissen zusammen. Aber so einfach scheint mir die Ableitung nicht machbar zu sein.
Zumal es, wenn ich mich nicht irre, üblich ist, selbst bei lediglich höflich gemeinten Angeboten, bei denen eine Umsetzung gar nicht intendiert ist, bis zur dritten Ablehnung zu warten, bis diese akzeptiert wird.