Haben wilde Mädchen eigentlich ein Verfallsdatum? Auch unsereins mit 30± verfängt sich immer wieder in Diskussionen, ob das „Mädchen“-Label denn nicht zu sehr nach Liebkind klänge.
Ich frage bloß, weil mir in letzter Zeit vor allem Frauen 50+ auffallen, die coole Dinge zum Thema Feminismus sagen und stärker für unangepasste Frauen werben, während sich die jungen Damen in gefälligen Widersprüchen verfangen. Zum Beispiel Kelly Clarkson. Feministing.com griff ein Interview der American Idol-Gewinnerin auf, in dem sie die Frage, ob sie eine Feministin sei, vehement verneinte.
No, not at all. […] I’m like, „Hey, knock-knock, 2008.“ Most of the men in my life have been very highly supportive. I’ve never had to even think like a feminist because no one around me even thinks one [sex] is higher than the other.
(C) Eva Hillreiner, www.evahillreiner.de
Ein paar Fragen weiter fiel ihr das Musikbusiness dann doch als Boys-Club auf.
I just know for a fact … why I said that was because I was actually on a phone call with two people who did not know I was on the phone, and I literally heard somebody I used to work with say, „Well, you know what, he can get away with it because it’s a guy. She’s a girl, so let’s just face it, it’s different.“ And I was like, „Is this the 1950s?“ I hung up and didn’t listen to the rest.
Und jetzt Iris Berben. Die Schauspielerin hat gerade das Buch „Frauen bewegen die Welt“ mitherausgegeben. Dort werden Frauen portraitiert, die mit aller Konsequenz für ihre Überzeugungen einstehen und, ungeachtet der eigenen Sicherheit, gegen Ungerechtigkeiten und Unterdrückung aufbegehren wie die russische Journalistin Anna Politkowskaja, die 2006 einem Mordanschlag zum Opfer fiel. Oder die Menschenrechtsaktivistin Monira Rahman, deren Organisation sich für die Opfer von Säureattentaten in Bangladesh einsetzt.
Im Interview mit Spiegel Online gibt Iris Berben ein paar Antworten auf die Frage nach männlicher und weiblicher Courage. Zwar bezeichnet sie sich nicht als „Feministin im Sinne von Alice Schwarzer“, nennt aber genau jene Eigenschaften, die ein wildes Mädchen ausmachen: Selbstbewusstsein, die Fähigkeit ungewöhnliche Entscheidungen treffen, Radikalität und – wenn notwendig – Wut und Angriff als die bessere Verteidigung.
Es gab Momente, wo ich reagiert habe, und ich würde das auch heute tun. Ich erinnere mich an einen Abend, als wir im niederösterreichischen Waldviertel in einer Gaststätte Theaterproben hatten. Da saß ein alter Mann allein am Tisch und wurde von anderen Gästen permanent bepöbelt. „Dich haben wir ja hier nur aufgenommen, weil sie vergessen haben, dich zu vergasen“, sagte einer der Bauern. Ich bin dem buchstäblich an die Gurgel gesprungen vor Wut.
Ein anderer alter Hase unter den wilden Mädchen ist die Schauspielerin und Regisseurin Katharina Thalbach. Im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erklärte sie im vergangenen Jahr, warum ihr Elisabeth I. die liebste historische Figur ist.
Weil sie eine grandiose Frau in einer überaus spannenden Zeit voller Umschwünge war, in der das Bürgertum eine revolutionäre Klasse darstellte und diese wilden Weiber – auch Katharina von Medici, Maria Stuart, die allerdings politisch unfähig war, oder Jeanne d’Albret, die Mutter von Henri IV. – plötzlich erhebliche Macht ausübten. Elisabeth I. hat das Hausfrauendenken und ihre Weiblichkeit auf eine praktische, uneitle Art in die Regierungsform hineingebracht und produktiv mit einem Stab – aktuell würde man es Kompetenzteam nennen – zusammengearbeitet. Die Frechheit, mit der sie sich etwa die Dienste von Piraten gesichert hat, um spanische Schiffe auszurauben, und dann Francis Drake noch zum Ritter schlug, gefällt mir.
Es scheint, als wäre es mit den wilden Mädchen wie mit Wein und Käse, je älter und reifer, desto besser. Auch ohne sich explizit das F-Schild umzuhängen, nehmen sie Stellung und bewerten jene Eigenschaften als positiv und zum Vorbild eignend, die sich nicht in einem kleinen Abendhandtäschchen verstecken lassen. Ganz schön klasse – aber erreichen solche Statements uns überhaupt? Und wenn ja, haben die Aussagen zum Feminismus von Frauen der Generation 50+ einen anderen Effekt auf uns, als die der Vertreterinnen unserer Generation?
Ich finde es immer bedauerlich, wenn junge Frauen sich selbst nicht als Feministin bezeichnen, so als wäre das uncool oder als wenn frau sich deswegen irgendwie verteidigen müsste.
Und es hat ja wohl auch überhaupt nichts mit der Tatsache zu tun, ob frau mit Männern gut zusammenarbeiten kann oder nicht, sondern es geht einzig und allein darum, dass wir anerkennen, dass immer noch etwas gegen die Benachteiligung von Frauen in der Gesellschaft getan werden muss. Insofern stellt sich Kelly Clarkson hier selbst ein Armutszeugnis ist (und widerspricht sich ja dann später auch noch selbst).
Hui, schwierig.
Kelly Clarkson: ja, das hab ich auch auf feministing gelesen, und klar sind das „Argumente“ (die natürlich keine Argumente sind, eher sich widersprechende Worthülsen), die einem oft begegnen und oft aus den Mündern junger Frauen (und Männer). Sie hören sich ungefähr so an: Benachteiligung von Frauen war früher (oder in anderen, als vormodern kodierten Kulturen), heute ist alles gut; Abweichungen davon bedeuten: die Person, die mich diskriminiert, ist nicht in der Moderne angekommen, strukturell ist da nix, Feminismus ist gestrig. Aber müssen wir Kelly Clarkson als Vertreterin ihrer Alterskohorte annehmen?
Iris Berben: an dem Beispiel gefällt mir nicht, dass Zivilcourage in die Domäne „wilder Mädchen“ gesteckt wird. Es als „ungewöhnliche Entscheidung“ zu bezeichnen, wenn eine Prominente so etwas nicht im Raum stehen lässt, macht uns alle schwächer, als wir sind. Es gibt im übrigen, wie du weißt, auch viele junge Frauen, die couragiert gegen jede Diskriminierung eintreten – nur eben nicht alle medienwirksam.
Katharina Thalbach: Hier gefällt mir nicht der differenzfeministische Einschlag des Zitats. Aber gut, das ist Geschmackssache. Mir persönlich geht es gehörig auf den Zeiger – da gibt es schon mal eine mächtige Frau in der Geschichte, und das wird dann mit dem geschickten Einsatz ihres (angeborenen???) „Hausfrauendenkens“ und ihrer Weiblichkeit begründet. Find ich nicht fortschrittlich von Frau Thalbach.
Aber zum eigentlichen Thema: ich könnte mir vorstellen, das hat was mit Selbstbewusstsein zu tun. In unserer Gesellschaft wird nicht nur Männlichkeit, sondern auch Erfahrung honoriert. Es ist vielleicht leichter für Frauen, die auf ein Leben zurückblicken, in dem sie trotz widriger Umstände vieles erreicht haben, sich das Recht auf eine starke Meinung herauszunehmen. (Nicht nur bei Promis, ich erlebe ähnliches bei meiner Oma.) Will heißen: ich habe die Hoffnung, dass das keine Generationenfrage ist. Dass es nicht eine Frage des Alters ist, sondern eine des Selbstbewusstseins. Und dass sich da was machen lässt.
Und zum „Mädchen“-Label: ich kann damit persönlich nicht so viel anfangen, vielleicht genau aus den genannten Gründen. Ich bezeichne mich selbstbewusst als Frau. Ich assoziiere mit „Mädchen“ eben Verniedlichung und ein schlimmes Magazin, das ich vor Jahren gelesen hab und das mir bei der Entwicklung zur selbstbewussten Frau keine Brücken gebaut hat. Aber gerade eine Umkodierung von „Mädchen“ könnte vielleicht das Problem lösen, dass Mädchen und junge Frauen sich weniger eine Meinung zutrauen als („gestandene“) Frauen… wünsche der „Mädchenmannschaft“ deshalb viel Erfolg dabei.
Vielen Dank für die Umkodierungs-Worte, elbu.
Junge Frauen, die zu Hause und in der Schule gleichberechtigt behandelt werden, haben oft noch nicht wirklich erlebt, auf wie viel Widerstände und Ungerechtigkeiten frau im Alltag auch heute noch stößt – bei Bewerbungen, im Berufsleben, in langjährigen Beziehungen, in Wirtschaft und Politik… Die Erkenntnis, dass der Kampf um gleiche Rechte und Chancen noch lange nicht gewonnen ist, nimmt einfach mit der Lebenserfahrung zu und damit auch (die Wut :-) der Mut und die Überzeugung, sich nichts gefallen zu lassen.
hi
Ich bin eine junge Frau von 20 Jahren und stehe dazu, emanzipiert zu sein.
Mir sind die Emanzipation und Gleichberechtigung sowie Frauenrechte sehr wichtig. Diese Meinung vertrete ich auch selbstbewusst.
In der Schule (Oberstufe) ist mir erst richtig klar geworden, wie wichtig mir Emanzipation ist, nämlich dadurch, das wir im Englischunterricht darüber diskutiert haben. Das Thema war “ Changing Gender Roles“ oder so ähnlich.
Als ich das erste Mal so richtig über Emanzipation und Gleichberechtigung diskutiert habe, und meine Meinung dargelegt habe ( vorher hatte ich sie auch schon, aber noch nicht so explizit ausgesprochen), habe ich mit einem Macho darüber diskutiert. Einem Jungen in meinem Alter.
Er hat gesagt : “ Du bist eh viel zu emanzipiert! “ . Und dann haben wir über Gleichberechtigung diskutiert.
Ich habe das Gefühl, dass mich die Konfrontation mit gegensätzlichen Meinungen ( von dem Macho oder von Leuten in der Schule ) in meiner Überzeugung gestärkt haben.
Ich denke, dass es bei vielen jungen Frauen sicher damit zu tun hat, dass sie noch nicht mit der Ungerechtigkeit zu tun hatten. Andererseits, glaube ich auch, dass viele sich einfach lieber anpassen anstatt ihre eigene Meinung zu sagen. Es ist meistens leichter dem Mainstream zu folgen.
Sie denken, es ist uncool, emanzipiert zu sein, oder eine Meinung zu haben, mit der frau auch mal alleine da steht.
Ps: Ich habe früher auch „Mädchen“ und “ Bravo Girl“ gelesen, als kleines Kind mit Barbie gespielt. Es hat meiner Emanzipation keinen Abbruch getan, ich denke das Wichtigste ist, dass frau/mann sein/ihr kind damit nicht allein lässt, sondern als Eltern Orientierung und Halt bietet.
@elbu’s wunsch nach „umkodierung“ von selbst-bezeichnungen schließe ich mich an. das wort ‚alpha-mädchen‘ brachte mich schon immer zum kichern – das wort ‚alpha-männchen‘ allerdings auch. je länger ich darüber nachdenke, desto klarer wird mir, dass ich bei beiden wörtern aus in etwa gleichen gründen kichern mußte …
aber ich kenne das auch, diese unlust jüngerer frauen, durch den gebrauch von etwas mit „feminis..“ position zu beziehen. sogar meine tochter maulte mich schon an, sie wolle nicht ständig ge-gendert werden.
je nun – ich auch nicht! ich will deshalb auch nicht ständig -ge-mamat werden oder dergleichen. sondern als die „wilde frau“ die „wilde mutter“ und „wilde anwältin“ und „wilde studentin“ und „wilde köchin“ ist/sein kann, wenn es denn sein muß.
allerdings – und das sah dann die tochter auch ein – ist es immer noch besser, wenn ich mich selbst „gendere“ und dabei die brüche sichtbar mache, als wenn ich dies anderen überlasse, welche die brüche gern weg-gendern.
fazit: „wildheit“ kennt kein alter – aber mit 50+ macht sie richtig spaß!
Ich habe früher in meiner Mädchenschule in einem schützenden Kokon gelebt. Klar habe ich damals gesagt, dass ich völlig gleichberechtig behandelt werde, es gab ja keine Jungen. Um so älter ich werde, um so mehr lerne ich die Schranken, die uns Frauen gesetzt werden, kennen. Und um so glücklicher bin ich sogar über extremere Feministinnen der Generation vor mir. Sie haben so manches durchgeboxt und mein Leben dadurch erleichtert. Deswegen fühle ich mich von Jahr zu Jahr mehr als Feministin.
„wilde mädchen“ ist leider eine sehr herabsetzende, unpassend verniedlichende und – ehrlich gesagt – fast unverschämte bezeichnung für erwachsene frauen wie berben und thalbach. nicht nur, dass sie das frausein zum mädchensein verkleinert, nein, sie diffamiert das wohl überlegte engagement als etwas „wildes“ und qualifiziert es ab als „typisch weibliches“ aus der vermeintlich weiblichen instinkt-ecke.
ich frage mich, ob die autorin gestandene männer wie z.b. mario adorf analog als „wilde jungs“ bezeichnen würde.
was ist denn das für ein eigenartiger konsens hier, jüngere frauen hätten weniger bewusstsein über ihre unterdrückung als ältere? könnte das bitte mal jemand begründen oder gar belegen? bis dahin ist das für mich subjektivistisch und damit irrelevant.
interessant, dass dieser bericht jetzt wieder kommentiert wird ?!
und bei „wilde mädchen“ assoziere ich alles bis max ca. 18J, danach sind generell erstmal alle „frauen“ für mich.
also frauen, egal welchen alters etc., die klar und auch öffentlich „stellung beziehen“ (für z.b. frauenrechte, feminismus, emanzipation, autonome frauenbewegung) – DAS finde ich immer gut.
und wichtiger denn je ?! iSv „gegen jugendwahn, gegen diskrimierung ab 30+“ usw. usf.
ich habe bei mir lediglich festgestellt „je oller desto doller“ iSv ich werde jetzt nochmal/wieder – und dank internet – so richtig „radikal“, für alles , was feminismus betrifft – und das fängt bei mir „beim denken“ und bei meiner wahrnehmung und analyse an, geht weiter in den/meinen alltag.