Die Türken in Wien

Die nervigste Konstante in meinem Leben sind Identitätskrisen. Wer oder was bin ich? Wo gehöre ich hin? Irgendwann kam ich auf die richtige Fährte und fragte: Muss ich irgendwo hingehören? Also eigentlich dachte ich ja, das Thema sei in meinem Kopf endlich abgeschlossen. Ich bin, wonach mir lustig ist. Punkt. Ha! Hätte ich wohl gern. Denn was wäre eine Konstante ohne Konstanz? So holte mich die Identitätskrise kürzlich in Wien wieder ein. Ganz heimtückisch und unerwartet.

Wien, muss man wissen, ist fast wie München, mit dem Unterschied, dass Wien auch offiziell nicht in Deutschland liegt, sondern in Österreich. Und in Österreich ist nun mal vieles ganz anders als in Deutschland. Dort heißt die Supermarktkette „Plus“ nämlich „Zielpunkt“, „Aldi“ wird nicht nur in „Nord“ und „Süd“ unterteilt, sondern nennt sich: „Hofer“. In der U-Bahn-Werbung geht es um Abtreibung und in den Kirchen hängen Schilder wie „Schreien ist uncool.“ Außerdem sprechen die Menschen auch ganz anders. Sie rollen das R, haben eine Liverpoolsche Sprachmelodie, und von weitem klingt es wie Türkisch – finde ich.

Vieles ist anders und damit auch gut. Ich bin ja nicht in Deutsch-, sondern im Ausland. Man holt mich also am Flughafen ab, wir düsen durch die Stadt und kommen bei meinen türkischen Gastgebern an. Herzlich empfängt mich Melek, die Mutter des Hauses, mit Umarmungen, warmem Gebäck, heißem Schwarztee und lecker-üppigem Frühstück. Weil wir unter Frauen sind, hat sie ihr Kopftuch locker nach hinten gebunden und trägt ein T-Shirt. Sie hat ein warmes Lächeln. Wir unterhalten uns auf Türkisch über Gott und die Welt. Ich fühle mich wohl zu Gast bei türkischen Wienern.

Dann, plötzlich, klingelt ihr Handy, sie steht auf, stemmt ihren Arm in die Hüfte und spricht fließend Deutsch. Also Österreichisch. Oder Wiener Deutsch. Vielleicht Ostmittelbairisch. Ich weiß es nicht. Ich kann auch nicht verfolgen, was sie da sagt. Ich bin einfach nur schockiert. Eben noch saß Melek in der Schublade „mütterlich türkisch“, jetzt steht eine lustig frohe Frau mit Wiener Mundart vor mir – mit Kopftuch auf dem Kopf und türkischem Tee im Glas. Man kauft ihr das Österreichische sofort ab. Ohne Zweifel und Zögern. Melek ist eine waschechte Wienerin, ja so wienerisch, dass sie deutscher ist als deutsch.

Ich bin baff. So einfach ist das also. Ein Dialekt war es, das mir in meinen 22 Jahren Integrationsbemühung fehlte. Ich Hamburgerin eierte mit meinem Hochdeutsch durch die Gegend und mischte mich in Integrationsdebatten, dabei fehlte mir nur das Hamburgische. Das „Moin Moin“ meines Mathelehrers und das Grummeln von Käptn Blaubär. „Min Jung“ hätte ich Sarrazin anreden müssen und ein bisschen vom Hamburger Shitwetta snacken sollen. Wir wären bestimmt Freunde geworden.

Schafft das Hochdeutsche ab, verdammt noch mal! Das Goethe-Institut soll Sächsisch lehren oder Bayerisch. Und die Integrationskurse sollen Plattdeutsch unterrichten. Hochdüütsch kann jeden Dösbaddel snacken, Platt is för de Plietschen! Genauso isses.

(Dieser Text erschien ursprünglich als Kolumne in der Taz.)

10 Kommentare zu „Die Türken in Wien

  1. Das sag ich schon seit Jahren über die Schweiz – um hier akzeptiert zu werden, muss man Dialekt sprechen, das ist das Sesam-öffne-dich der Integration. Vor allem jetzt, wo so viele Deutsche herziehen, kriegt man erst „Heimvorteil“, wenn man Schwyzerdütsch redet…

  2. Hochdeutsch? Das ist eine Zwangsjacke.
    Mit Hochdeutsch (Oxenfurt-Deutsch ;) ) kommt eine überall hin und ist nirgends zuhause!
    Hochdeutsch schafft und zeigt auch niemals Identität oder Heimat (sic!), nur den Beweis, dass bildungsbürgerliche Werte als voran flatterndes Fähnlein des Deutschtums gelten.

    Ich kann schlecht Deutsch (jedenfalls haben mir das Deutschlehrer immer vermittelt und bezeugt) und fühle mich sauwohl. Ich bin Fränkin, keine Hochdeutsche. Mit mehrfachem Migrationshintergrund in der Kinder- und Jugendzeit nebst schlimmen Kulturschocks.

  3. Ich verzeihe meinen Eltern bis heute nicht, dass sie mit uns Kindern Hochdeutsch gesprochen haben. Untereinander haben sie Dialekt geredet, ich verstehe den Dialekt, aber ich kann ihn einfach nicht sprechen. Leider kann ich meinen Mann, der bis zu seinem 19. Lebensjahr nur Dialekt gesprochen hat, nicht davon überzeugen, dass er mit dem Kind Dialekt spricht. Zu viele Umzüge haben bei meinem Mann leider den Dialekt verkümmern lassen :-(
    In der Schweiz bin ich sogar einmal Opfer eines Nazis geworden, weil ich auf Hochdeutsch geantwortet habe…

  4. hm, hier bei uns gibt es sehr viele stark sächselnde migranten, weil die zentrale sprachschule lange jahre in leipzig war (oder so ähnlich). das ist dann schon sehr kurios, wenn ein baumlanger, unglaublich schwarzer kubaner, ein vietnamese und ein paar russinnen in breitem leipziger deutsch miteinander traaschen. ich wünschte auch, dass das schon reichen würde.

  5. Gut das in den Kommentaren nicht Dialekt geschrieben wird, sonst würde ich die Debatte nicht verstehen. Dialekte verstärken nur die Abgrenzung und vertiefen die Gräben. Es für dazu das ich mich, als Deutscher, schon in Bayern nicht heimisch fühle. Oder umgekehr. Ein mundart sprechender Bayer wird niemals in Hamburg einen Job bekommen. Ich hab manchmal das Gefühl, wir Deutschen sind nicht einmal untereinander integriert.
    MfG

  6. @witzig

    Dialekte verstärken nur die Abgrenzung und vertiefen die Gräben. Es für dazu das ich mich, als Deutscher, schon in Bayern nicht heimisch fühle. Oder umgekehr.

    Als Deutscher in Bayern? Ist Bayern für sie schon Ausland?
    Wo fühlen Sie sich heimisch?
    Wo sie herkommen wird korrektes Hochdeutsch gesprochen? Was für ein Land ist das? Wo liegt das? Germanistrien?

    Ein mundart sprechender Bayer wird niemals in Hamburg einen Job bekommen.

    Falsch. Sie implizieren, dass dieser niemals ein Wort Hochdeutsch verstände und spräche. Bayern sind weder dumm noch lernunwillig.
    Das gilt auch für andere Menschen mit Dialekt.

    Ich stelle mir gerade die Frage, ob Sie aus Abneigung gegen Dialekte die Abschaffung des Sorbisch als nichtdeutsche Sprache in Deutschland fordern würden.

    Ich habe das Gefühl, es geht nicht darum ein Teil des Ganzen zu sein, in der Verschiedenheit (Integration) sondern sich aufzulösen (Assimiliation).

    Plädieren Sie für die Abschaffung des Dialekts, plädieren Sie auch für die Auflösung von Kultur und Identität. Das Recht auf eigene Sprache ist ein Menschenrecht.

  7. @Gwendragon
    Das Recht auf eine eigene Sprache ist aber auch dann ein Menschenrecht, wenn man zufällig in einer hochdeutschsprechenden Gegend aufgewachsen ist. (Ich z.B. in Mecklenburg-Vorpommern)
    Und ich kann hier nur für (Ober)Bayern sprechen, aber wenn Dialekt in meinem Alltag überhaupt ein Thema war, dann wurde er zur Ausgrenzung (der Städter, Preissn, usw.) verwendet. Es deutet halt auch auf einen ziemlichen Minderwertigkeitskomplex hin, wenn dialektsprechende Leute einem sofort Arroganz, Bildungsdünkel u.ä. unterstellen, nur weil man hochdeutsch spricht. Und das obwohl man sich ohne Weiteres verstünde auch wenn der eine bairisch und die andere hochdeutsch redet.

    Ich möchte eben auch gern in meiner Muttersprache kommunizieren, ohne dafür schief angesehen zu werden.

  8. Ich spreche auch nur Hochdeutsch, was wohl daran liegt, dass ich nicht weit von Hannover aufgewachsen bin, wo angeblich das beste Hochdeutsch gesprochen wird. Auch meine Eltern sprechen beide kein Dialekt. Mit Dialekten habe ich selber keine Probleme, auch wenn ich nicht immer alles verstehe. Ist doch schön, wenn es so viele Sprachvarietäten gibt. Diese Kabbeleien, was nun besser ist, Hochdeutsch oder Dialekt, kann ich nicht nachvollziehen. Ich hab keine Lust darauf, schief angeguckt zu werden, weil ich Hochdeutsch oder Dialekt spreche.

Kommentare sind geschlossen.

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