Berit Völzmann ist Juristin, Rechtsreferendarin am Landgericht Köln und wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Rundfunkrecht an der Universität zu Köln. Sie hat ihre Dissertation über geschlechtsdiskriminierende Wirtschaftswerbung geschrieben und wird beim 40. Feministischen Juristinnentag in Leipzig eine Arbeitsgemeinschaft zu dem Thema leiten. Das Interview mit ihr führte unsere Kolumnistin Maria Wersig.
Die Diskussion über Sexismus in der Werbung ist in den Medien neu entflammt, weil ein Bezirk in Berlin künftig keine sexistische Werbung mehr auf eigenen Werbeflächen dulden möchte. Ärger über Sexismus in der Werbung geht von Rollenstereotypen – zum Beispiel für Mädchen und Jungen – bis hin zu frauenfeindlichen und menschenverachtenden Anzeigen und Werbespots. Was ist für Dich sexistische Werbung?
Sexistische Werbung ist für mich jede Werbung, die Geschlechtsrollenstereotype transportiert.
Also zum Beispiel Werbung für Putzmittel mit einer Hausfrau?
Nicht grundsätzlich, aber möglicherweise. Sie ist es dann, wenn die Werbung nicht nur einen putzenden Menschen zeigt, sondern die Botschaft vermittelt, dass es gerade Aufgabe „der Frau“ ist, zu putzen. Das kann sich insbesondere aus einer ausdrücklichen Formulierung ergeben (etwa „Ich als Frau weiß…“; „Frauen sind soundso“; „Männer mögen dasundas“). Die bloße Darstellung einer Hausfrau in einer Werbung ist für sich genommen zunächst unproblematisch. Irgendjemand muss schließlich putzen. Das Problem entsteht erst dadurch, dass in vielen Werbekampagnen Hausfrauen und eben so gut wie keine Hausmänner das Putzmittel bewerben. Durch die Masse ähnlicher Bilder entsteht eine Verfestigung von Rollenklischees. Das ist zu kritisieren. Aber es ist schwer, der einzelnen Werbung (juristisch) einen Vorwurf zu machen. Das ist anders, wenn sich einer solchen einzelnen Werbung eine ausdrückliche geschlechtsstereotype Aussage entnehmen lässt.
Ist Nacktheit ein Problem?
Grundsätzlich und für sich genommen erst einmal nicht. Problematisch ist aber häufig, wie Nacktheit und leichte Bekleidung eingesetzt werden und welche Vorstellungen von Sexualität (meist geht mit leichter bzw. nicht vorhandener Bekleidung eine Sexualisierung einher) verbunden werden. Insbesondere im Rahmen von Sexualisierung wird häufig ein heteronormatives Machtgefälle inszeniert – entweder zwischen den abgebildeten Testimonials oder zwischen Testimonial und betrachtender Person. Ein Beispiel für letzteres ist die sogenannte Blickfangwerbung: die nackte Frau neben der Schinkenschneidemaschine. Dabei ist kein Produktbezug erkennbar, wohl aber die Andeutung weiblicher sexueller Verfügbarkeit für die angesprochene Adressatengruppe. Typischerweise handelt es sich bei so beworbenen Produkten um sogenannte „Männerprodukte“. Will heißen: mit einer nackten Frau wird beworben, was ein Mann kaufen soll. Auch darin liegt letztlich eine diskriminierende Aussage.
Gibt es auch eine juristische Definition?
Es gibt eine Norm in Norwegen, die geschlechtsdiskriminierende Werbung verbietet und sich dafür mehrerer Fallgruppen bedient. In Deutschland gibt es vereinzelte Vorschläge für Fallgruppen geschlechtsdiskriminierender Werbung im Rahmen des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), welches etwa auch irreführende Werbung verbietet. Ich habe im Rahmen meiner Dissertation eine Norm für das UWG entwickelt, welche geschlechtsdiskriminierende Werbung verbietet. Sie enthält eine Definition und erklärende Fallgruppen.
Was sind Beispiele für Fallgruppen in Norwegen?
Das Norwegische Marktgesetz unterscheidet drei Fallgruppen: Die „herabsetzende Beurteilung“, die „kränkende Darstellung“ und den „Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter“, wobei letzterer den Oberbegriff zu den beiden erstgenannten Fallgruppen bildet und auch für die Erfassung von Fällen herangezogen werden kann, die nicht eindeutig der „herabsetzenden Beurteilung“ oder „kränkenden Darstellung“ zugeordnet werden können.
Unter Bezugnahme auf die erste Fallgruppe wurde etwa eine Werbung untersagt, in der Models verschiedene Kleidungsstücke präsentierten und die weiblichen, mit Bademoden bekleideten Testimonials sämtlich eine „aufreizende“ Stellung einnahmen, während das männliche Model mit einem Bademantel bekleidet in sachlicher, „lässiger“ Weise posierte.
Hältst du die norwegischen Fallgruppen für tauglich?
Die Fallgruppen funktionieren in Norwegen recht gut. Das liegt aber vor allem daran, dass die Fallgruppen mittlerweile über Literatur und Rechtsprechung gut ausdifferenziert sind – immerhin existiert die Norm seit 1978. Problematisch an den Fallgruppen ist, dass sie sehr weit und unbestimmt sind und persönlichen Ansichten einen weiteren Spielraum lassen. Was ist herabsetzend? Was ist kränkend? Das sehen Feminist_innen unter Umständen anders als konservative Gläubige. Welche Maßstäbe sind da objektiv?
Wie lautet deine Definition?
Ich stelle grundsätzlich auf die Wiedergabe von Geschlechtsrollenstereotype oder sonstiger geschlechtsbezogener Über-/Unterordnungsverhältnisse ab. Zusätzlich enthält meine Norm erläuternde Fallgruppen. Mir ist es wichtig, nicht auf offene Begriffe wie „kränkend“ und „herabsetzend“ abzustellen. Entscheidend ist, welche Aussage einer Werbung entnommen werden kann. In einem zweiten Schritt muss die Aussage daraufhin untersucht werden, ob sie geschlechtsdiskriminierend ist.
Wie sieht die juristische Forschung in dem Bereich aus?
Die juristische Forschung zu sexistischer Werbung ist überschaubar. Sie ist fast ausschließlich auf das UWG bezogen. Es gibt nicht Wenige, die die Möglichkeit einer juristischen Regulierung ablehnen – meist mit dem Hinweis darauf, dass Recht und Moral zu trennen sind. In diesem Rahmen wird häufig auch darauf verwiesen, dass Nacktheit heute nicht mehr anzüglich sei und nur die Prüden und Ewig-Gestrigen ein Problem mit „diskriminierender Werbung“ hätten. Das reduziert sexistische Werbung zum einen auf einen sehr kleinen Ausschnitt und es verkennt, dass Sexismus und Sexualität nicht kongruent sind und Nacktheit an sich nicht das Problem ist. Überwiegend wird der grundgesetzliche Bezug zu Art. 3 Abs. 2 GG nicht erkannt.
Also die Verpflichtung des Staates, die Gleichberechtigung durchzusetzen?
Genau. In Art. 3 Abs. 2 GG heißt es: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Der zweite Satz wurde nach langen Kämpfen 1994 eingefügt. Er ist Ergebnis der Erkenntnis, dass Gleichberechtigung nicht nur durch den Abbau geschlechtsdiskriminierender Normen erreicht werden kann, sondern dass die bestehenden, verfestigten Ungleichheiten in der Gesellschaft durch positive staatliche Aktionen abgebaut werden müssen. Geschlechtsdiskriminierende Werbung verfestigt geschlechtsbezogene Eigenschafts- und Verhaltenszuschreibungen. Dies minimiert Entfaltungsmöglichkeiten für beide Geschlechter und erschwert damit den Weg zu vollständiger Gleichberechtigung.
Vor kurzem wurden alle Werbemaßnahmen vorgestellt, die der Werberat gerügt hat. Das waren eher wenige. Funktioniert die Selbstkontrolle der Werbewirtschaft?
Sie funktioniert in vielen Fällen, aber nicht in allen. Letzteres liegt zum einen daran, dass die Werbegrundsätze sehr weit formuliert sind und dem persönlichen Alltagssexismus Tür und Tor öffnen. Nicht selten werden diskriminierende Werbebilder nicht gerügt, weil ein „ironischer Unterton“ erkennbar sein soll. Hinzu kommt, dass das Gremium sehr homogen besetzt ist (10 Männer, 3 beigeordnete Frauen). In Österreich etwa ist die Besetzung heterogener. Zusätzlicher gibt es dort, anders als in Deutschland, ein beratendes Gremium aus genderspezifisch geschulten Menschen. Das fehlt in Deutschland.
Was kann der Staat überhaupt rechtlich tun, um Änderungen herbeizuführen?
Er kann eine Norm – beispielsweise im UWG – einführen, die geschlechtsdiskriminierende Werbung untersagt.
Wenn man eine Regelung getroffen hat, wie in Berlin, ist natürlich auch die Umsetzung ein Problem. Wie können die Akteure in der Verwaltung oder die privaten Pächter öffentlicher Werbeflächen sexistische Werbung erkennen?
In erster Linie durch einen guten, ausdifferenzierten Katalog mit anschaulichen Beispielen. Zusätzlich wichtig ist eine Schulung der Entscheider_innen sowie allgemein das Bewusstsein der Gesellschaft. Es ist erstaunlich, in welcher Form die Kategorie „Geschlecht“ noch immer zur Stereotypisierung genutzt wird, insbesondere wie tief die Vorstellungen von „Normalität“ sind. Die Medien haben an der Verfestigung dieser „Realität“ einen entscheidenden Anteil. Erhellend (aber offensichtlich nicht häufig praktiziert) ist immer wieder das gedankliche Vertauschen der Geschlechter in einem Spot oder etwa der Ersatz eines geschlechtsbezogenen Stereotyps durch ein rassistisches oder religiöses (was mitnichten heißen soll, dass es keine rassistische oder religiös diskriminierende Werbung gibt oder dass eine solche stets einfacher zu erkennen ist).
Wie schätzt Du den Stand der politischen Debatte zu dem Thema ein? Ist eine bundesweite Regelung noch in weiter Ferne?
Ich glaube ja. Eine Anfrage von Pinkstinks vor der Bundestagswahl hat ergeben, dass letztlich alle Parteien (befragt wurden jene mit Aussicht auf Einzug in den Bundestag) eine gesetzliche Regelung gegen geschlechtsdiskriminierende Werbung ablehnen. In unserer Gesellschaft fehlt häufig das Bewusstsein für Sexismus. Das ist auch auf politischer Ebene nicht anders. Die meisten halten das für normal, was jeden Tag um sie herum passiert. Deswegen rechtfertigen auch viele Sexismus mit „Es ist doch aber so“ oder „Frauen sind doch so“. Die Schwierigkeit ist, immer wieder zu hinterfragen, ob etwas tatsächlich „so ist“ bzw. warum es so ist. Ich halte es daher für wichtig, nicht nur für eine gesetzliche Regelung zu kämpfen, sondern auch für eine Verbesserung der Kriterien und Zusammensetzung des Werberates. Vor allem aber bedarf es gesellschaftliche Aufklärungs- und Bildungsarbeit. Meine Dissertation und die Mitarbeit bei Pinkstinks geben mir da ganz gute Möglichkeiten.
Ich ahne da was:
1. Ein Haufen Idio*en wird bestimmt wieder das Totschlagargument „künstlerische Freiheit“ aus dem Hut zaubern! Das funktioniert ja auch schon so toll in der Pornodebatte oder sogar in Bezug auf rassistische Begriffe in Kinderbüchern…
2. Wenn’s brachial nicht geht, geht’s eben subtil: Statt nacktem Körper dann eben lasziver Gesichtsausdruck, eindeutg zweideutiger Spruch etc.
3. Die arme Werbewirtschaft wird Schaden nehmen und Kunden werden weniger kaufen und wir werden alle den Zusammenbruch des Wirtschaftssystems zu verschulden haben etc.
4. Sex ist doch eine ganz natürliche Sache und wer Nacktheit verbieten will, der ist prüde… *facepalm*
5. Das sind doch alles gar keine Rollenklischees, das ist die Realität in der Mehrheitsgesellschaft! Nur weil ein paar Randständige sich nicht vertreten fühlen, spielen die jetzt beleidigte Leberwürste! *kreisch*
6. Wir wollen ja auch unsere Produkte gar nicht an Homos oder Emanzen verkaufen, wir wollen die coolen Kids (Hallo Hollister und Abercrombie) – und die wollen nun mal coole Werbung!
PS: Ich bin absolut für ein Verbot sexistischer Werbung, glaube allerdings (ähnlich wie Berit Völzmann), dass wir darauf leider noch eine ganze Weile werden warten müssen. Besser die Debatte noch etwas stärker in die Öffentlichkeit tragen, als gleich einen Gesetzentwurf vorlegen, sonst passiert ein ähnliches Debakel wie beim Veggieday!
Wichtiges, deprimierendes Thema. Gibt es irgendwie die Möglichkeit Texte von Berit Völzmann zu finden/lesen? Ich hab gegoogelt, aber kam nur auf die Uniseiten.
Vielen Dank für den Kommentar, Lea. Wenn die Diss draußen ist, gibt es die zu lesen. In letzter Zeit habe ich eher Vorträge und Workshops gehalten.
In dem Zusammenhang hätte mich – wenn schon vom Grundgesetz die Rede ist – im Rahmen des Interviews interessiert, wie Berit Völzmann das Verhältnis zwischen Art. 3 II GG und Art. 5 GG (insbesondere: Kunstfreiheit, wobei natürlich die Frage ist, wie weit diese für Werbung einschlägig ist) sieht. Dass bei einem Verbot sexistischer Werbung zumindest ein Spannungsverhältnis zwischen den beiden Grundrechten bestehen kann, liegt jedenfalls nahe. Und dass dieses Spannungsverhältnis pauschal eindeutig zu Lasten der Kunstfreiheit gelöst werden kann, ist zumindest zweifelhaft.
Ich bin jedenfalls gespannt, wie der Normentwurf aussieht und ob es ihm gelingt, die rechtlich schwer fassbare Regulierung sexistischer Werbung vernünftig zu regeln.
Ich bin tatsächlich gegen ein Verbot sexistischer Werbung, weil, wie im Interview ja auch klar wird, die Definition häufig vage ist und ein Verbot unserem Staat, gegen den ich ein gelindes Misstrauen habe, ein weiteres Machtmittel in die Hand gibt, um Unliebsames zu unterdrücken. Zivile Proteste wie Kaufboykott, Demonstrationen, Plakatüberkleben usw. erscheinen mir als sinnvollere und langfristig wirkungsvollere Mittel.
@Berit: Vielen Dank für die Antwort. Werde die Augen danach offen halten.