Autos: Wenn Frauen nicht mehr fahren wollen

Die deutsche Rennfahrerin Clärenore Stinnes umrundete als erster Mensch von 1927 bis 1929 mit einem serienmäßigen Personenwagen die Erde. Vorher war sie u.a. die erfolgreichste Rennfahrerin Europas. Kein Lebensziel für mich, ich fuhr lieber jahrelang erstmal überhaupt nicht mehr Auto.

Meinen Führerschein machte ich Ende 1997, Anfang 1998 in einer ortsbekannten und nahezu legendären Fahrschule in der Kleinstadt, in der ich aufwuchs. 20.000 Einwohner_innen, einspurige Straßen die man in Jugend- und Teeniejahren schon millionenmal mit dem Fahrrad abgefahren hatte, weites Land mit weiten Straßen, auf denen manchmal keine Autoseele rumkurvte. Mein Fahrlehrer war ein brummiger Meckerfritze mit ganz eigenem Humor, der es bei den Fahrstunden sehr genau nahm mit dem BERG ANFAHREN und der angenehmerweise überraschend wenig frauenfeindlich war, jedoch den einen oder anderen „Fliegender Teppich“-Witze in meiner Gegenwart riss. Doch was juckte es mich? Bald sollte ich den Führerschein haben, und das hieß: Erwachsen sein!

Kaum den Lappen in der Tasche, cruiste ich wie wild mit dem roten VW Golf III der Eltern durch die Stadt, später, als ich mich vor Studienbeginn bei der Lokalzeitung verdingte, durch andere ostwestfälische Kleinstädte, ohne Navi, ohne Karte, dafür gerne mit aufgedrehter Musik. Unvergessliche Fahr-Soundtracks: „Picture me rollin`“ von Tupac, „Just crusin`“ von Will Smith und bei Abend- und Nachtfahrten durch die gewohnten Straßen der Kindheit auch gerne mal „My Hometown“ von Bruce Springsteen. Alles war gut, das Auto war mein Freund, nur schlichen sich schon dort wahrscheinlich die ersten Fehlerchen als Wegbereiter der Kopfbremsen ein: Kaum Autobahnfahrten, wenig weite Strecken – aber nun gut, man war halt auf dem Dorf, und auf dem Weg zu Minipreis um für Mutter eine Kiste Wasser zu kaufen kann man schließlich auch nicht alles haben.

Furchtlos fahren auf dem Dorf

Ich fuhr ansonsten furchtlos, bei Tag und Nacht, bei Schnee und Eis, brachte Leute von A nach B, fuhr auf Scheunenpartys, parkte auf Ackern in denen der Matsch knöchelhoch stand, fuhr auch mal kilometerlang rückwärts wenn auf irgendwelchen Feldwegen nix mehr ging, fuhr auf den letzten Drücker zu irgendwelchen Pressekonferenzen von irgendwelchen Landpomeranzen in Städten in denen ich zuvor noch nie gewesen war, fuhr einmal den Außenspiegel des Golfs ab und es juckte mich gar nicht. Ich hielt meine Auto-Beziehung für absolut zuverlässig. Dann zog ich in die „große“ Stadt in der ich studierte. Und noch war nichts schlecht bei mir und den Autos.

Anfangs rettete mich autofahrtechnisch der schmerzbefreite Stumpfsinn, den man als durchaus wertvolles Abfallprodukt eines Kleinstadtlebens manchmal mit sich rumträgt, und innerhalb weniger Wochen mietete ich über das Carsharing-System der Universität verschiedene Wagen für verschiedene Anlässe: Einen Ford Fiesta zum einkaufen, einen Ford Transit für diverse Umzüge, und irgendeine Familienkutsche (deren Namen, Marke und Farbe ich vergaß). Ich fuhr zu IKEA und zu Freund_innen und zum ALDI und alles war prima. Erstmal.

Spaßbremse Großstadt

Denn die ersten negativen Aha-Erlebnisse ereilten mich natürlich  alsbald: Auf einmal in einem Parkhaus in dem Mietauto sitzen und zum ersten Mal im Leben mit einem Automatikgetriebe konfrontiert sein – öargs. Bei langen und mühseligen Fahrten bei schlechtem Wetter mit einem motzenden Beifahrer nach Düsseldorf und Duisburg denken wie schön doch das Semesterticket funktioniert – nicht hilfreich. Von einspurigen Dorfstraßen auf gefühlt dutzendspurige Stadtrouten umdenken – es gibt Schöneres. Grumpy Großstadtfahrer die mich glauben ließen, jedes Hupen wäre mir gewidmet. Der Absturz nahte.

Weg vom Fenster war ich dann zunächst Ende des Studiums: Kein Uni-Carsharing mehr, und das Projekt Auto fahren war – abgesehen von den Fahrten mit dem elterlichen Auto bei Besuchen in der Kleinstadt – größtenteils auf Eis gelegt. Vermeidungsverhalten folgte. Geschwister, Freunde, Ex-Freunde wollten mich immer mal wieder bezirzen: „Willst Du heute mal fahren?“ „Nein, danke, heute mal nicht.“ Und so fuhr ich dann mal nicht, mal nicht, mal nicht, und das immer öfter und irgendwann fast ständig. Ich gewöhnte mich ans Leben der ständigen Beifahrerin, hatte aber noch nicht kapiert dass ich schnurstracks auf dem Weg zur Nie-wieder-Fahrerin war.

Ich will keinen Dienstwagen. Es wird eng.

Ich arbeitete, wurde irgendwann befördert, ein Dienstwagen stand in Aussicht, groß, schön, robust, ach verdammt, und ich merkte: Das Autofahren und ich, wir hatten uns irgendwie auseinander gelebt. Ich ließ mir von der Firma ein Bahncard bezahlen und fuhr anderthalb Jahre mit dem Zug durch die Republik und redete mir ein dass das GANZ SUPER und VIEL BESSER FÜR DIE UMWELT war. (Dabei war es natürlich hochgradig scheiße.) Aber, so sagte ich mir, eigentlich hatte ich ja kein Problem mit dem Auto fahren – nur mit teuren, großen, schönen, robusten Dienstwagen, für die ich mich nicht verantwortlich fühlen wollte.

Zuhause in der Kleinstadt, redete ich mir ein, mit den kleinen alten VWs meiner Eltern, da, da war das Fahrerlebnis noch ein anderes! Da konnte ich es, für immer und immer! Und dann, eines Sonntags, wachte ich morgens zu Besuch im Elternhaus auf und dachte: „Brötchen holen, gute Idee!“, und stieg ins Auto meiner Mutter (einem Lupo in diesem komischen blau wie es Anfang des neuen Jahrtausends alle ganz spitze fanden), Schlüssel ins Zündschloss, Fuß auf der Kupplung, und da hatte ich auf einmal diesen Gedanken der wie eine Vollbremsung durch mein Hirn fuhr: „Ich kann nicht mehr Auto fahren.“ Bums.

Ich fuhr dann doch irgendwie zum Bäcker, parkte umständlich in einer Parklücke die ungefähr so groß war wie ein Kardashian-Anwesen (um mir zu beweisen wie unfähig ich war), und fuhr wieder zurück, stellte das Auto ab und wollte nie wieder eins als Fahrerin betreten – es sei, denn  ich würde nochmal 50, nein, besser 100 Fahrstunden absolvieren, und zwar bei einer behutsamen Fahrschule die auf Nulpen wie mich spezialisiert wären und wo jede_r Fahrlehrer_in wie Peter Zwegat aussehen und über mich sagen würde: „Mein schwerster Fall!“

Menschen, die locker-lässig mit Autos durch die Gegend fuhren, kamen mir ab sofort vor wie GENIES, wie furchtlose Freigeister, die ihr Leben im Griff haben und patent sind und Heizungen entlüften können. Gleichzeitig gabelte ich in meinem sozialen Umfeld immer mehr Frauen auf, krasse, starke, taffe Frauen, die zwar den Führerschein hatten aber auch nicht mehr Auto fuhren oder fahren wollten. Es fing an mich zu beschäftigen.

Wenn Frauen nicht mehr fahren wollen

Ich googlete ein bisschen im Internet. Das Verhältnis von Frauen zu Männern in Bezug auf Fahrangst läge bei 6 zu 1, hieß es da. Was war da los? Befand ich mich aufgrund meiner Fahrblockade in einem Nebenkriegsschauplatz der Geschlechterkämpfe? Verdammt! Dass die Angst vor Autos oder vor dem Autofahren als Amaxophobie bezeichnet wird, lernte ich ebenfalls, und ich beschloss dass ich das natürlich auf gar keinen Fall habe, haha! Und ich fuhr natürlich immer noch nicht wieder Auto.

Jahre später in Griechenland: Ich fuhr wieder Auto, und zwar like a Boss.
Jahre später in Griechenland, auf der Insel Kos: Ich fuhr wieder Auto, und zwar like a Boss.

1888 unternahm Bertha Benz im Benz Nummer 3 ihres Mannes Carl Benz die erste Überlandfahrt der Geschichte. Sie fuhr 106 Kilometer von Mannheim nach Pforzheim und einige Tage später auf einer anderen Route zurück. Im 1898 gegründeten „Österreichischen Automobil-Club“ akzeptierte man Frauen nur als „außerordentliche Mitglieder“, dennoch waren 1909 von den 1145 Mitgliedern immerhin 59 Frauen.

1909 durchquerte Alice Ramsey die Vereinigten Staaten mit einem Auto. 1926 brach Elisabeth Junek die Rekorde, als sie zur ersten professionellen Grand Prix-Fahrerin wird – einer ihrer größten Erfolge war der Große Preis von Deutschland, bei dem sie einen neuen Streckenrekord erzielte. Clärenore Stinnes schließlich umrundete als erster Mensch mit einem Auto die Welt. Und ich? Ich fuhr immer noch „nicht mehr“ Auto.

Gerettet hat mich am Ende ausgerechnet ein Urlaub auf einer griechischen Insel, die ich mit einer guten Freundin bereits zum zweiten Male bereiste. Resolut beschloss sie bereits kurz nach Ankunft, dass es nun an der Zeit war mal mit dem Auto über die Insel zu fahren – wenn man schon mal da ist! Von meiner Überzeugung, inzwischen eine Nicht-Fahrerin zu sein, erzählte ich ihr vorsichtshalber erstmal nix. Wir mieteten für den dritten Reisetag im Voraus ein Auto und ich hatte zwei Tage lang Zeit, mich in äußerst peinliche Gedanken zu vertiefen: Was wenn ich immer noch nicht fahren könnte? Was wenn wir das Auto nach drei Minuten wieder bei der Vermietungsgesellschaft abstellen müssten weil ich einfach unfähig war? Trotzdem packte mich minutenweise das schmerzbefreite Bauernfeeling meiner Jugend: Ich wollte es wenigstens versuchen, vielleicht war das mein Ausweg aus der Auto-Angst, und wenn ich schon Scheitern sollte, dann wenigstens auf einer griechischen Insel von der man behaupten könnte, sie strotze nur so vor engen und steilen Dorfstraßen und unwegsamen Bergwegen, deswegen, Fresse halten und durch.

Wir holten das Auto ab, ich beschloss dass ich mir fünf Minuten Zeit geben und bei Unbehagen wieder umdrehen würde, wir stiegen ins Auto, ich fuhr los, und ICH KONNTE ES, ALLES. Enge Gassen, steile Bergstraßen, Schotterwege die vorher nur Bergziegen gesehen hatten: Ich fuhr wie eine 1. Ich konnte es nicht fassen. Es lief so gut, zwei Tage später holten wir direkt nochmal einen Wagen, und das Wunder ging weiter.

Wieder zuhause meldete ich mich beim städtischen Carsharing an und fuhr weiter und fuhr und fuhr. Und vielleicht kaufe ich in diesem Jahr ein Auto, ich bin so nah dran wie noch nie. Und wer in meiner Nähe wohnt und auf einem Supermarktplatz und leeren OWL-Landstraßen nochmal üben möchte (weil jahrelang nicht mehr gefahren) möge mir Bescheid sagen. Wir packen das. Wir sollten mehr Auto fahren und mehr zusammen fahren und mehr mitfahren. Echt jetzt. Ja.

(Dieser Text ist ein Crosspost.)

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