Ich habe sehr lange politische Arbeit aus dem Bedürfnis heraus getan verstanden zu werden. Ich wollte Lob, Zuspruch und Unterstützung für meine Themen, Perspektiven und Herangehensweisen. Noch heute erfüllt es mich mit Genugtuung und Zufriedenheit, wenn mir Menschen mitteilen, dass sie durch meine Arbeit neue Perspektiven gewinnen konnten, die sie vorher nicht hatten, dass sie meine Arbeit als bereichernd empfinden, dass sie ähnliches schon öfter gedacht, jedoch öfter wieder verworfen haben – aus Angst, es wäre falsch oder unzureichend. Ich fühle mich wohl in der Rolle der Vorreiterin oder Tonangeberin.
In Konflikten ist es mir selten gelungen, Kritik von Abwehr zu unterscheiden. Ich kann sehr stur und dickköpfig sein. Wenn eine Perspektive oder These für mich Sinn ergibt, dann verteidige ich sie nach Kräften. Wut, Ärger und Frustration, manchmal auch Filme aus der Vergangenheit überfluten mich, sobald irgendwer meine Perspektiven in Frage stellt. Es brauchte einiges an Selbsterkenntnissen, Momenten der Trauer und Verzweiflung und jede Menge Raum für Reflexion, viele, viele Gespräche, um herauszufiltern, was an meinem Vorgehen und manchmal auch an meinen Perspektiven problematisch war_ist.
Feminismus als Prozess
Eine Erkenntnis für mich war, mich in permanenten Prozessen befindlich zu begreifen und meine Perspektiven als punktuell verortend zu verstehen. Nichts kann von Dauer sein in hoch komplexen und hoch differenzierten Verhältnissen. Immer wieder muss ich mich daran erinnern, besonders dann, wenn ich Wissensproduktionen von anderen aufnehme, die in mir zustimmende Gefühle auslösen. Ich suche nach Halt in meinem politischen Sein und muss diesem Wunsch jederzeit widerstehen können, obwohl es so einfach wäre, gerade hier Dogmatismus an den Tag zu legen. Ich habe begriffen, dass nur ich selbst mir diesen Halt geben kann.
Warum brauche ich überhaupt Halt? Die Frage habe ich mir in diesem Zusammenhang sehr häufig gestellt und bin immerhin zu dem Ergebnis gekommen, dass ich in meinen Lern_Prozessen und in meinem aktivistischen Vorgehen von Punkt zu Punkt hüpfe. Und wenn ich daneben springe, dann gibt es immer wieder etwas, an dem ich mich hoch- und herausziehen kann. Immer wieder Konstanten, hinter die ich nie zurückfallen werde, solange ich ernst nehme, was ich tue, solange ich glaube, wie ich und meine politischen Verbündeten sowie die Menschen, deren Wissensproduktionen und Erfahrungen kennenzulernen eine Offenbarung für mich waren, Welt begreifen.
Ich musste lernen, dass es nicht (nur) die Widerstände von außen waren, die in mir Frustration auslösten, Verzweiflung, Wut und Trauer, nicht (nur) die Abwehr, die mir und anderen begegnet, nicht (nur) das gewaltvolle Zurückdrängen meiner Perspektiven und nicht (nur) die Gewalt und Diskriminierung, die andere und ich erfahren, sondern (auch) mein Unbehagen mit Widersprüchen. Die sich besonders dann für mich sehr schmerzhaft zeigten, wenn ich das Gefühl hatte oder den unbedingten Willen, all das, was mich und andere von außen her zurichtet, könnte – ja müsste – irgendwann aufhören.
Eigene Komfortzonen als Bedrohung für andere
Ich musste lernen, wie dieses „von außen“ niemals nur ein einziges „von außen“ ist, in dem ich immer Teil des Inneren bin. Wie mein geschützter Raum eine Bedrohung für andere sein kann, ein invasives, gewaltvolles Außen, das genauso diese Gefühle auslösen kann – auch bei mir. Es half mir, einen Umgang mit diesen Widersprüchen zu finden, indem ich sie zugelassen habe und mir meine Verantwortung in diesen Widersprüchen klar gemacht habe. Dass es eben Halt in Form eines geschützten Inneren niemals geben kann. Ich bin nicht mehr auf der Suche nach einem Platz für mich, nach genau diesem einzigen Ort, an dem ich mich sicher fühle.
Ich gebe Gewissheiten und Selbstverständlichkeiten auf und ab, gehe Risiken ein, nehme Ungewissheiten in Kauf, erwarte Widersprüche und Rückschläge, wo ich sie noch nicht wahrnehmen kann. Es gilt zu hüpfen, zu stolpern, zu stoppen, zu rasten, zu fliehen, zu fallen, wieder und immer wieder von Neuem. Scheitern als Motivation weiter zu handeln, selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen. Dass mich deshalb und trotzdem, seither und noch immer Menschen begleiten, die mir Vertrauen und Liebe schenken, gibt mir Halt in meinem (politischen) Sein. Feminismus? Ist vielleicht genau_auch das.
Was mir Feminismus gebracht hat? All diese Dinge in ihrer Gleichzeitigkeit wahrnehmen zu können: Liebe, Leidenschaft, Wut, Frust, Leichtigkeit, Trauer, Verzweiflung, Außer sich sein, Genugtuung, Zufriedenheit, Gelassenheit, Schwere, Überflutung, Ausgefüllt sein, Verbundenheit, Re_Traumatisierung, Beziehungen, Vertrauen, Nähe, Tiefe, Erschütterungen, Empowerment, Zuneigung, Fantasien, Schmerz, Utopien, Kreativität, Geborgenheit, Scheitern, Unterstützung, Loyalität, Leere, Stärke, Veränderung, Spaß, Humor, Glück, Brüche, Selbstbestimmung, Verletzungen, Zusammenhalt, Differenzen, Zugewandtheit, Mut, Kritik.
Danke für diesen schönen Text.