„Können wir nicht einfach ein Taxi rufen?“ – (Im)mobilität mit dem Rollstuhl, ein Abenteuer nicht nur zur Weihnachtszeit

Ed Greve, Aktivist und Gelegenheitsperformer (einen seiner Auftritte verlinken wir für Euch unten), hat eigentlich andere Hobbies außer sich über das LAGeSo in Berlin und öffentlich verordnete Immobilität aufzuregen, aber opfert immer wieder gerne seine Freizeit, um auf diverse Missstandspossen aufmerksam zu machen. Heute auf seinem Aufreger-Radar: Die Ankündigung des LAGeSos, den Bedarf an Fahrdiensten für Menschen mit Behinderung um Weihnachten herum nicht decken zu können. Seiner Meinung nach kein Weihnachtswunder, sondern bewusst kalkuliertes Systemversagen. Mit freundlicher Genehmigung veröffentlichen wir nochmal bei uns seinen Facebook-Rant.

Weihnachtspost – aber solche die keinen Spass macht

Das LAGeSo ist in Berlin u. a. zuständig für den SFD – Sonderfahrdienst für Menschen mit Behinderung. Mit diesem – so der Anspruch – soll ein „Ausgleich für behinderungsbedingte Nachteile“ im öffentlichen Verkehr geschaffen werden.

Besonders ernst zu nehmen, scheint das LAGeSo bzw. das Land Berlin diese Aufgabe allerdings nicht.

„Behinderungsbedingte Nachteile“ sind beispielsweise:
– Mit dem Rollstuhl in kein Taxi einsteigen zu können. Ja, wirklich. Taxizentralen schicken Großraumtaxen. Ohne Rampe. Rollstühle „kann man ja tragen“.
– Massive Verspätungen durch defekte Fahrstühle inkauf nehmen zu müssen.
– Als Rollstuhlfahrer*innen kaum je zu zweit im selben Bus fahren zu können.

Würde man solche Nachteile ausgleichen wollen, müsste man flächendeckend spontan verfügbare Fahrzeuge bereitstellen. Stattdessen bittet der SFD darum, „Ihre Bestellung nach Möglichkeit frühestens 14 Tage und spätestens 2 Tage vor Ihrer Fahrt aufzugeben.“ Selbstbestimmt sollte 60 Jahre nach der Mondlandung anders aussehen.

So weit so blöd.

Vor ein paar Tagen habe ich dann ein Schreiben erhalten. Das LAGeSo kündigt an, den Bedarf an Fahrdiensten um Weihnachten herum, nicht decken zu können – „auch in diesem Jahr“.

Was im Folgenden so klingt, als hätte man es mit einer unerwarteten Naturkatastrophe zu tun, die uns alle trifft und wegen der wir nun alle etwas enger zusammenrücken müssen, einander helfen müssen und nur das Nötigste in Anspruch nehmen sollen, damit genug für alle bleibt – ist in Wahrheit vor allem eins: Kalkuliertes Systemversagen.

Während nämlich auch in diesem Jahr „die Nachfrage das Angebot übersteigt“ fällt auch in diesem Jahr Weihnachten auf den 24.12., sind auch in diesem Jahr Fahrstühle kaputt und hat sich auch in diesem Jahr – Überraschung – die Zahl der rollstuhlfahrenden Bewohner*innen Berlins nicht schlagartig verdoppelt.

Wie also auch in diesem Jahr die Nachfrage das Angebot so dermaßen übersteigen kann, dass am heutigen Tage (09.12.) laut Hotline keine einzige Fahrt mehr für den 24.12. verfügbar ist, lässt sich so wenig erklären wie die plötzlichen Ausfälle der S-Bahn, wenn die erste Schneeflocke fällt.

Einziger Lichtblick in der Sackgasse: Die geschützten Radstreifen, die man auch mit E-Rollstuhl ganz gut befahren kann. Trotzdem, gerade jetzt um diese Jahreszeit wäre es mal ratsam, den Blick auf Verkehrspolitik zu erweitern und sich auch für Mobilität und Zugänge auch für diejenigen einzusetzen, die nicht nur temporär und auf mehr als zwei Rädern unterwegs
sind.

Bonus-Track:

Habe ich schon die Mondlandung erwähnt?

Ich finde ja, die Mondlandung steht sinnbildlich für so viele Absurditäten in Bezug auf menschliche Mobilität. Ganz offensichtlich natürlich die Tatsache, dass es schon vor 60 Jahren möglich war, interplanetare Grenzen zu überschreiten, während auf der Erde… naja, wisst ihr selber. Ich bleib jetzt aber mal beim engeren Thema.

Erstaunlich häufig bekomme ich von Passant*innen, die Anteil nehmen wollend mit mir vor einem defekten Fahrstuhl stehend smalltalken zu hören: „Das ist, weil wieder Winter ist. In der Kälte gehen die so oft kaputt.“ Auch mein Rollstuhl soll seit neustem ein Problem mit Kälte haben.
Also im All ist es etwa minus 273,15° Celsius kalt. Den Raketen hats nicht geschadet. Aber anscheinend ist verlässliche Mobilität für Rollstuhlfahrer*innen zu garantieren sowohl für Rollstuhl- als auch Fahrstuhl- als auch Bahnhersteller*innen und -betreiber*innen mehr rocket science als die eigentliche rocket science.

Ein Kommentar zu „„Können wir nicht einfach ein Taxi rufen?“ – (Im)mobilität mit dem Rollstuhl, ein Abenteuer nicht nur zur Weihnachtszeit

  1. Kann ich für Leipzig ähnlich bestätigen. Hier gibt’s nicht mal mehr wirklich die Möglichkeit sich zu regelmäßigen Therapien/Arztbesuchen fahren zu lassen. (Bzw schnell zu organisieren sind nur Krankentransportfahrten, quasi in einem Ambulanzwagen zu fahren) Es gibt zwar noch den mobilen Behindertenfahrdienst, aber der ist heillos ausgebucht, seitdem sich alle anderen gemeinnützigen Organisationen aus dem Feld des transportieren von Menschen mit Rollstühlen (und anderen mobilen Einschränkungen) zurück gezogen haben. Nun fahr ich mit einem Taxi-Unternehmen zu meiner Therapie. Welche übrigens für die Kasse deutlich teurer ist, als ein Behindertenfahrdienst. Finde es ja wirklich löblich, dass die Taxi-Unternehmen den Bedarf an diesen Fahrten auffangen. Privat mit Ihnen zu fahren, ist aber leider ein Luxus (ca. 50€ sind schon mal einzuplanen, ein Taxi mit Rampe überhaupt zu bestellen, Fahrtkosten kommen dann noch oben drauf). Und bei Unterhaltungen mit meinen Taxi-Fahrern erfahren, dass sie generell keine Fahrten abends machen. Konzerte, Theater oder einfach mal so abends weg gehen, ohne großen Aufwand einfach nicht zu bewältigen. Dann doch lieber die dvd od Stream zu Hause.

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