Serien waren schon immer mein Laster. Meine Prokrastinationsform Nummer eins. Die Serie Bones faszinierte mich, weil sie mit einer meiner Sehnsüchte spielt: Die Sehnsucht danach, zu WISSEN, wie der Mensch von Grund auf funktioniert, die Sehnsucht nach unhintergehbaren Tatsachen, die Menschen ausmachen. Und dieses Wissen liegt nach Bones in den Knochen.
Dass dabei mit rassistischen und sexistischen – vermeintlichen – Wahrheiten über die „Natürlichkeit“ des Menschen und die Wissenschaft vom Menschen gespielt wird, erschließt sich der_m Betrachter_in oftmals erst auf den zweiten Blick, macht es doch unter dem Deckmantel von „Wissenschaftlichkeit“, „Rationalität“ und „Logik“ jeden Widerspruch zu nichte.
Für diejenigen unter Euch, die mit der Serie nicht vertraut sind ein paar Infos:
Dr. Temperance Brennan ist forensische Anthropologin im (fiktiven aber an das real existierende Smithsonian Institute angelehnte) Jeffersonian Institute in Washington, D.C. und arbeitet bei Kriminalfällen mit dem FBI-Agenten und ausgebildeten Scharfschützen Seeley Booth zusammen. Ihr Spezialgebiet sind dabei die Fälle, in denen vom Opfer nur noch Knochen übrig sind. Anhand der Knochen zieht Brennan, Spitzname „Bones“, Rückschlüsse auf das Opfer, den Mörder und/oder die Tatwaffe und den Mordhergang. Ein Team von weiteren Wissenschaftler_innen unterstützt die beiden dabei.
Auf der einen Seite werden in der Serie Geschlechterstereotype unterwandert und das Team ist durchweg „divers“ – in der ersten Staffel wird das Institut noch von einem Schwarzen Archäologen geleitet, in der zweiten Staffel bekommt Bones noch eine direkte Vorgesetzte – eine Schwarze Gerichtsmedizinerin. Und wie nun kann eine wissenschaftliche Gruppe, die von einer Schwarzen FRAU! geleitet wird, Rassismen und Sexismen re/produzieren?
Dr. Brennan, also Bones, wird als rational und logisch denkend dargestellt. Nur das Zwischenmenschliche ist ihr völlig fremd: „Ich hasse Psychologie. Das ist eine weiche Wissenschaft“ erklärt sie in der ersten Folge der ersten Staffel. Aber natürlich gibt es eine Begründung für Brennans Rationalität: Dadurch, das Temperance als Kind von ihren Eltern verlassen wurde und (bis zur ersten Staffel der Serie) auch nicht weiß, warum und was aus ihnen geworden ist, lehnt sie die menschlichen Beziehungen ab und verlässt sich nur noch auf wissenschaftliche Fakten. Ähnliche Meme gibt es in Computerspielen, wenn es für die kampfeslustigen Frauen stets eine Hintergrundgeschichte gibt, die ihre Brutalität erläutert (meistens steckt dann Rache/Vergeltung als Motiv dahinter).
Anhand der Serie ließe sich viel verdeutlichen, über die „moderne“ Sicht auf die Wissenschaft vom Menschen. Darüber, wie als „wissenschaftlich“ nur das gilt, was mit modernster Technik sichtbar oder begreifbar (im buchstäblichen Sinne) gemacht wird. Wie die Metapher von hart und weich, also von wissenschaftlich/unantastbar mit unwissenschaftlich/schwammig an den „Knochen“ festgemacht wird. Und das, wo selbst die moderne Medizin inzwischen weiß, dass Knochen nicht „hart“ und unveränderlich sind, angefangen beim Wachstum, über ihre Reperaturfähigkeit, Nachgiebigkeit und so weiter und so fort.
An dieser Stelle will ich nur darauf eingehen, wie hier Geschlecht und „Rasse“ als „natürlich“ und wissenschaftliche Tatsache dargestellt und im selben Moment ad absurdum geführt werden. (Um es gleich vorweg zu nehmen: Bereits auf einem UNESCO-Workshop stellten Fachwissenschaftler_innen aus dem Bereich Humanbiologie/Anthropologie fest, dass es keinen wissenschaftlichen Grund gebe, den Begriff „Rasse“ weiterhin zu verwenden. Wer mehr dazu lesen möchte: siehe Literaturtipp unten)
Nehmen wir der Einfachheit halber direkt die erste Folge der ersten Staffel. In einem See wird eine Leiche gefunden und geborgen. Bones und ihr Assistent kommen mit Booth, dem FBI-Ermittler an den Tatort:
Booth: „Was kannst Du mir sagen?“
Bones: „Nicht viel, sie war eine junge Frau, wahrscheinlich zwischen 18 und 22 (…) Hautfarbe unbekannt“ (…)
Assistent erklärend: „Die Epiphysenfuge zeigt das Alter an, die Form der Beckenknochen das Geschlecht“
Später wird Angela, eine Teamkollegin, ein 3D-Modell des Opfers darstellen. Mit einem B.A. in bildender Kunst und Informatik hat sie die Fähigkeit, sowohl „Phantombilder“ der Opfer zu zeichnen, als auch ein Programm entwickelt, dass die 3D-Darstellung von Personen anhand der von Bones weitergegebenen Informationen ermöglicht. Das Programm kann auch ganze Tathergänge nachstellen, aber soweit nur, damit ihr Euch folgenden Dialog besser vorstellen könnt:
Angela präsentiert das Opfer als Hologramm: „Ihr Schädel war schwer zerstört. Aber Rassemerkmale, Größe der Wangenknochen, Nasenbogen, Größe des Hinterkopfs, alles spricht für eine Afro-Amerikanerin.“
Man braucht hier noch nicht mal Kenntnisse über den Aufbau menschlicher Knochen oder bekannter Rassentheorien, um zu merken, dass „Afroamerikanerin“ ein Konstrukt ist, das historisch gewachsen ist und Vorstellungen von (als natürlich gedachter) „Rasse“ und Migrationsgeschichten vermischt. Afroamerikanisch meint: Menschen mit schwarzer Hautfarbe, die in US-Amerika leben* (*Den Komplex der darüberhinaus geht, lass ich an dieser Stelle weg). Wie man das an Knochen erkennen soll? (Und erinnern wir uns an den Satz weiter oben: „Hautfarbe unbekannt“ – Hautfarbe reicht hiernach bis auf die Knochen)
Aber es wird noch absurder:
Bones: „Angela, lass das Programm noch mal durchlaufen und nimm die Parameter einer weißen Frau.“ (scheint immer noch unzufrieden mit dem Ergebnis) „Splitte es auf, gemischte Merkmale.“
Angela: „Lenny Kravitz oder Vanessa Williams?“
Bones: „Ich weiß nicht, was das bedeutet.“
Offensichtlich lassen die „Rassemerkmale, Größe der Wangenknochen…“ doch keinen eindeutigen Rückschluss zu. Bones lässt Angela die „Parameter einer weißen Frau“ eingeben, ohne das ersichtlich wird, welche ‚Parameter’ das genau sind, ist offenbar immer noch unzufrieden (sprechen die Knochen wohl doch keine so genaue Sprache?) und bittet um „gemischte Merkmale“. Auch diese Angabe ist zumindest Angela nicht eindeutig genug, so dass sie zurückfragen muss, ob eher so Lenny Kravitz-gemischt oder Vanessa Williams-gemischt. Mit dem Standardsatz von Bones, „Ich weiß nicht, was das bedeutet“ macht sie deutlich, dass sie von der Existenz dieser Prominenten keine Ahnung hat.
Und an dieser Stelle kann man sich immer noch, ohne vorhandene Kenntnisse vom Aufbau des menschlichen Skeletts folgende Fragen stellen:
– Wie konnten die deutschen Übersetzer_innen dieser Serie so unsensibel eins zu eins Begrifflichkeiten verwenden, die bereits bei der „Judenvermessung“ im dritten Reich verwendet wurde, diese mitbegründet hat? (Aber auch für andere Gruppen verwendet wurde). Ab wann ist eine Schwarze schwarz – hier wird mit der weißen „Angst“ gespielt, dass phänotypisch angeblich stets
die schwarze Hautfarbe weiter gegeben wird (und nicht nur die Hautfarbe, wenn wir uns die dazugehörigen Metaphern angucken) . Die Angst des weißen Mannes vor der Ausrottung der eigenen, weißen „Rasse“.
– Wieso werden hier als biologisch gedachte Rassetypologien mit sozialhistorisch belegten Vorstellungen von Herkunft vermischt?
– Wieso macht selbst die rationale Bones „Fehler“ bei der Deutung der Knochen („weiße Parameter“, „gemischte Merkmale“)
– und kann dann noch auf die Frage von Booth „Wie hast Du sie (die Leiche) erkannt, bevor Du wusstest, wie ihr Gesicht aussieht?“ mit „Ich hab die grundlegende Struktur ihrer Gesichtszüge erkannt, der Rest ist nur Dekoration“ antworten?
Und wenn man sich mit der Geschichte der Rassentypologien und Rassenhygiene, der „Humanbiologie“ beschäftigt, bleiben weitere Fragen offen:
– Nach Vermessung von Knochen und Schädeln, Körperformen und was es nicht alles noch gibt, gab es unter der (natur)wissenschaftlichen Community keine allgemein anerkannte Rassedefinition. Die Anzahl der vermeintlichen sich biologisch unterscheidenden „Rassen“ schwankte je nach Autor_in zwischen drei und 300. Immer wieder wurde die Existenz voneinander abgrenzbarer „Rassen“ angezweifelt und inzwischen ist Common Sense, dass der „Rasse“begriff nicht taugt oder anwendbar ist.
– Sogar „Hautfarbe“, ein scheinbar offenSICHTLICHES Merkmal erscheint erst mit der europäischen Aufklärung als sichtbares Unterscheidungsmerkmal, vorher gab es keine Weissen, Schwarzen, Gelben oder Roten Menschen(gruppen).
– Die Variationsbreite innerhalb der, tja, mit welchem Euphemismus beglücke ich euch jetzt – jeweiligen „Populationsgruppe“, „geografischen Bevölkerungsgruppe“, „Gruppe gemeinsamer Abstammung“ ist bei allen untersuchten Werten größer, als zwischen verschiedenen Gruppen. Gleiches gilt für Geschlecht. Oder auch: Es könnte sein, dass Männer* im Mittelwert größer sind als Frauen. Dennoch gibt es sowohl Frauen die 1,40 groß sind und solche, die größer sind als 1,80. Über das Individuum sagen sämtliche Versuche, Typologien zu erstellen, also verdammt wenig aus.
Aber Unsicherheiten, Forschungslücken, Kontexte – das wird natürlich dem „roten Faden“ einer Geschichte untergeordnet. So prägt sich Halbwissen bis Bullshit über vermeintliche Typologien von Menschengruppen (Achtung: Euphemismus!) in die Hirne der Zuschauer_innen und wird nie aufgeräumt.
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Lesetipp: AG gegen Rassenkunde (Hg) 1998: Deine Knochen – Deine Wirklichkeit. Texte gegen rassistische und sexistische Kontinuität in der Humanbiologie. Unrast
Ein toller Artikel. Ich schaue „Bones“ auch sehr gerne und muss zu meiner Schande gestehen, dass ich bisher nie viel darüber nachgedacht habe, wie der Begriff der Rasse verwendet wird. Ich war einfach fasziniert davon, wie viel ein Skelett über das Leben und Streben einer Person erzählen kann. Ich werde in Zukunft aufmerksamer sein.