Fußball-WM 2011 zu Tode instrumentalisiert?


Nach den ersten anderthalb WM-Woche wird’s Zeit für eine kleine Presseschau. Nicht, dass ich wirklich dazu kommen würde, alles zu lesen – also gerne Hinweise auf weitere interessante Texte in die Kommentare posten. Die Auswahl setzt einen negativen Grundtenor: Es herrscht Enttäuschung über sportliche Leistungen, das Aussehen der Frauen, die zwanghaft korrekte Sprache und vor allem die Überhöhung des Ereignisses.

Spiegel Online schießt sich ein: Die WM sorgt vielleicht für Rekordeinschaltquoten, die Spielerinnen loben den Gastgeber und die Stadien sind auch ziemlich gut besucht, aber das zu berichten, ist ja irgendwie langweilig. Alles nur kalkulierte Euphorie, schreibt Barbara Hans deswegen und das kann nicht funktionieren. Die WM sei schon im Vorfeld „zu Tode instrumentalisiert“ worden: „Die Frauen sollen für das Sommermärchen sorgen, das Ansehen Deutschlands in der Welt verbessern, den Feminismus stärken. Und, ach ja, gewinnen natürlich auch. Abpfiff!“ Da mag sogar was dran sein, ebenso wie an Hans‘ Anmerkung, dass Fußballerinnen genauso wenig sexy sein müssten wie Fußballer. Wirklich naiv jedoch ist ihr Rückblick auf das „echte“ Sommermärchen, die WM 2006, die sie sich als jenseits jeglicher politischer und ökonomischer Instrumentalisierung vorstellt, bei dem die Begeisterung ganz natürlich und ganz ohne flankierende Werbemaßnahmen stattfand. „Und da war es, das Märchen. Nicht konzipiert, einfach da.“ Aber sicher. Wir geben zurück in die FIFA-Zentrale.

Nicht überraschend mokiert sich Jan Fleischhauer ebenfalls bei SPON über politisch korrekte Bezeichnungen der Veranstaltung und die von der Heinrich-Böll-Stiftung propagierte Idee, Frauenfußball könnte eine emanzipative Bewegung darstellen. Dass Stadionordner den Frauen der Landesarbeitsgemeinschaft Lesben aus NRW ihr Banner „Fußball ist alles, auch lesbisch“ abnahmen, findet Fleischhauer irgendwo auch richtig, die Entschuldigung des DFB deswegen betrachtet er vermutlich als schwächliches Einknicken vor der Weltherrschaft linker Lesben.

In den SPON-Chor stimmt auch Jakob Augstein ein und beklagt die Instrumentalisierung der WM, allerdings verbunden mit einem ganz interessanten Twist zur Quotendiskussion. Schluss mit der künstlichen Überhöhung des Frauenfußballs, meint er, stattdessen lieber Frauenförderung neben dem Platz: „Die offensive Unterstützung, die diese WM erfährt, ist wie ein Placebo für echte affirmative action. Es gäbe genug Gründe, die institutionalisierte Förderung von Frauen auszudehnen. In den 200 größten deutschen Unternehmen sind nur 3,2 Prozent der Vorstandsposten mit Frauen besetzt.“

Apropos Fußball-WM und Sprache: Im Interview mit sportschau.de verrät Bastian Sick, dass er auf die Landsmännin nicht verzichten will, auf die Libera hingegen gerne und auf Anglizismen ohnehin. Die Sprachwächter der Bild wird’s sicher freuen. Aber nicht nur über das sprachliche, auch über das sportliche Niveau wird geklagt, zum Beispiel von Carsten Eberts bei der Süddeutschen: „1:0 und 2:1, das sind bislang die typischsten Ergebnisse.“ Ja, schlimm, das ist ja fast so wie beim … wartet, wie heißt das noch? … Fußball.

Aber versprochen war ebenwas anderes. Keine dreckigen Fouls, Fehlpässe und Chancentode, sondern weiblich-eleganter Fußball, Frauenfußball, eben „20Elf von seiner schönsten Seite“. „Wo ist der Zauberfußball?“, will die Agenturmeldung der dapd zur Partie Brasilien gegen Norwegen folgerichtig wissen (Marta hat das ja inzwischen beantwortet). Auch das Versprechen von Sexyness – etwa in der Nike-Werbung mit Lira Bajramaj „Wer scharf aussieht, schießt auch schärfer“ – wird nicht wirklich erfüllt, wie ein vielleicht frustrierter Fußballblogger moniert: „Ich will niemanden zu nahe treten, aber nur wenige Frauen der diesjährigen Fußball-WM gehören optisch zu den Frauen, von denen die Mehrheit der Männer träumen. Warum? Weil das Fußball-Training die von der Natur vorgegebenen weiblichen Vorzüge eher abschwächt, als verstärkt.“

Beinahe ebenso gut kennt sich Autor Klaus Hansen aus, wie er im Interview mit der Jungle World zeigt: Er hat nach eigener Auskunft das Ohr an der männlichen Fanszene und berichtet: „Als junge Fußballfans hörten, dass die Fußballerinnen es ins Allerheiligste, ins Panini-Sammelheft mit den Klebebildchen, geschafft haben, kommentierten sie: ‚Dieses Jahr wird es das erste Mal sein, dass ein volles Album weniger wert ist als ein leeres.‘ Männer respektieren den Frauenfußball vielleicht, aber sie mögen ihn nicht.“ Basta, Hansen sagt, wie‘s ist. Und hat auch noch eine Lösung, wie Frauenfußball trotz dieser männlichen Missmutigkeit erfolgreich sein könnte. Das sollen … ja, genau die Frauen erledigen, die sollen sich gefälligst interessieren, sonst wird das ja nie was: „80 bis 90 Prozent der Zuschauer in einem Fußballstadion sind Männer, die Männern zugucken. Warum gucken die fehlenden 80 bis 90 Prozent Frauen nicht den Frauen zu? Hier ist noch viel Luft nach oben.“ Oh, ja.

Als Abschluss der kleinen Presseschau noch ein Lesetipp: Sven Goldmann bilanziert bei Zeit Online schon jetzt, dass die Lifestyle-Vermarktung nur so eine mittelgute Idee war: „Das Event frisst seine Kinder“

17 Kommentare zu „Fußball-WM 2011 zu Tode instrumentalisiert?

  1. Eine unglaublich unlustige, aber dem Totschlag-Argument „hey, alles nur Satire“ verpflichtete Kolumne bringt Deniz Yücel von der TAZ hier http://taz.de/1/sport/die-wm-kolumnen/artikel/1/endlich-maedchenfeinde-raus/
    Vermutlich erkennt zwar jeder halbwegs denkende Mensch das Runterbeten sämtlicher Begriffe des „Bullshit Bingo zur WM“ als Satire, das macht den Text aber schlichtweg nicht besser. Wenn man das nigerianische Team als „beinhaart-behaarte Nigerinnen“ bezeichnet, verstehe ich den „Witz“ nicht…

  2. Auch der Eitelbolzen Plasberg will nicht zurückstehen und boulevardisiert seine Sendung „Hart aber fair“ morgen Abend noch eine Stufe tiefer mit dem Thema „Das verordnete Sommermärchen -müssen jetzt alle den Frauenfussball gut finden?“.
    Der Tenor passt auf den ersten Blick in den Gedankengang des obigen Textes. Doch wahrscheinlich wird es wieder mal eine Krawallshow. Dafür sorgt der Moderator schon.

  3. Wo der Zauberfußball bleibt? Das ist die Vor-run-de! Kann sich jemand erinnern, wie in der Vorrunde der letzten Männer-Fußball-WM gespielt wurde? Genau: laaaangweilig…

  4. Worüber ich letztens nachdenken musste:
    Warum gilt Fußball eigentlich als etwas typisch männliches?
    Andere Sportarten wie Boxen, Tennis, oder Hockey haben beim weiblichen und beim männlichen Part genau so viele Anhänger und Anhängerinnen.
    Wieso kann das beim Fußball nicht auch so sein?

  5. @maedchenmusik: Yücel war mit seiner taz-Kolumne während der Männer-WM auch schon so superlustig.

    Ich kann ansonsten noch einen abgründigen Artikel über Karla Kick, das hier völlig zu kurz gekommene Maskottchen, nicht empfehlen:

    Und obwohl sie nicht sprechen kann, ist sie sehr wohl in der Lage, sich mit allen Fans auf emotionaler und nonverbaler Ebene auszutauschen.
    […]
    Karla Kick, das Offizielle Maskottchen, entwickelt von der Frankfurter Kreativagentur GMR Marketing GmbH, verkörpert einerseits typisch deutsche Tugenden wie Gründlichkeit und Disziplin, andererseits ist sie auch auf Abenteuer aus, zeichnet sich durch ihre Spontaneität aus, ist temperamentvoll, verrückt nach Kindern und sehr verspielt

    Bleibt schließlich die Frage: Wer oder was ist Klaus Hansen?

  6. „das „echte“ Sommermärchen, die WM 2006,“ Dieser medial verbreitete Mythos hält sich hartnäckig wie Fusspilz im Nagelbett. ntv zeigte nach der Fussball-WM 2006 mindestens 4 x den Film „Hooligans – ein anderes Sommermärchen“ und berichtete, was hinter den offiziellen Kameraeinstellunen an Gewaltexzessen in vielen großen deutschen Austragungsstädten geschah.

    Teil 1: http://youtu.be/tLJingTkqLE

    Ferner gibt es eine Auflistung rechtsradikaler Übergriffe während der Spiele, die aber so umfangreich ist, dass sie den Rahmen der Kommentierung hier sprengen würde.

  7. Also zu „langweilig“ ist die Berichterstattung sicher nicht. Höchstens für Leute die sich nicht für Fußball interessieren, denn das machen die Medien richtig: Sie sind äußerst sachlich, mal abgesehen von der (logischen) Parteilichkeit für das deutsche Team.

    Und wem es an „körperlichem Einsatz“ mangelt: Es gibt Teams die diesen einfach nur schwer bringen können. Der Trainer der Japanerinnen witzelte rum das sie wie Nigeria gegen Deutschland auftreten wollen, was natürlich völlig utopisch ist wenn alle Spielerinnen einen Kopf kleiner sind als die Deutschen.
    Man stelle sich nur mal in der Männerbundesliga eine Mannschaft vor die aus lauter Marko Marins besteht. Als Einzelspieler vielleicht überragend, 11 davon aber müssen gegen körperlich Überlegene aber anders auftreten. Und zwar technischer. Das nötigt den körperlich stärkeren Teams natürlich auch eine andere Taktik auf, da einseitig hartes Spiel zu sperren führt. So wird das ganze Spiel „befriedet“. Wer das aber auf die „weibliche Natur“ zurückführt hat offenbar weder Ahnung vom Fußball noch von Frauen. Wenn nämlich Gleichstarke aufeinandertreffen führt das oft zu einem regelrechten Gemetzel auf dem Platz. Gefällt mir auch besser, da spektakulärer. Deshalb glaube ich auch das Männerfußball auf die Dauer erfolgreicher bleiben wird.

    Im übrigen ist mir aufgefallen das viele Teams bei der WM jetzt recht tief gestaffelt stehen was ein schnelles Spiel für angreifende schwierig macht. Also eigentlich der selbe Effekt wie bei den Turnieren der Männer. Taktisches abtasten.
    Ich weiß schon warum ich am liebsten Amateurfußball gucke, mehr Fehler, mehr Action, mehr Tore :-)

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