Zehn Jahre Mädchenmannschaft: (m)ein persönlicher Rückblick

Ein schönes, unmögliches Ziel hatte ich mir da gesetzt: „Ich schreibe einen Eintrag über die wichtigsten Aktionen und Proteste, die die Mädchenmannschaft in den letzten zehn Jahren begleitet hat!“ Das hatte ich meinen Blogkolleginnen verkündet und dachte, dass es vollkommen ausreiche, eine Woche vor geplanter Veröffentlichung des Beitrags alle Infos zusammenzusuchen.

Ich brühte mir also einen Tee auf, machte mir einen Zopf (liebevoll die „Arbeitspalme“ genannt) und begann zu lesen. Ich bookmarkte Beiträge, suchte nach meinungsstarken Debatten und recherchierte Hashtags. Nach zehn Minuten hatte ich zwei Dutzend offene Tabs. Alles Texte aus den ersten fünf Monaten des Jahres 2013. Warum 2013? Es war ein ereignisreiches Jahr: es ging um Kinderbücher und rassistische Begriffe, der Hashtag #aufschrei wurde massenmedial rezipiert und, ach ja, irgendein mittelmäßiger Fernsehsender kam mit einer neuen Show um die Ecke: „Who Wants To Fuck My Girlfriend?“.

zehn jahre mädchenmannschaft, voll krass ey.

Dann fragte ich mich: Wie will ich denn bitteschön zehn Jahre Aktivismus in einen Beitrag gießen? Nach wenigen Minuten entschied ich mich dafür, nur die „großen“ Debatten aufzunehmen. Die, die einen publikumswirksamen Hashtag hatten: #Aufschrei, #Ausnahmslos, #Schauhin, #TeamGinaLisa … Ich klickte, las, erinnerte mich, rollte mit den Augen, wurde wütend. Ich war auch erstaunt darüber, wie viele Beiträge auf diesem Blog gespeichert sind. Nach drei Stunden gab ich auf – und kam ins Grübeln.

Was hat das Schreiben, Shitstormen und Diskutieren eigentlich gebracht? In letzter Zeit bin ich oftmals zynisch und denke: Alles schon gesagt, analysiert, kritisiert. Und trotzdem verändert sich die – pardon – Gesamtscheiße nicht wirklich. Oder besser gesagt: zu langsam. Gesellschaftliche Veränderung kann mit Breitbandgeschwindigkeit nicht mithalten. Nüchtern betrachtet hat sich in den letzten zehn Jahren trotzdem etwas geändert. Das sieht man aber meist erst mit etwas Abstand. Auch die Mädchenmannschaft ist dafür ein Beispiel. Innerfeministische Kritik haben wir ja nicht nur selbst geübt, sondern auch erhalten.

2009 fing ich an, auf der Mädchenmannschaft zu bloggen. Ich war sehr stark vom bildungsbürgerlichen Glauben motiviert, dass Diskussion und die „richtigen“ Argumente schon ausreichen, um Menschen von der Wichtigkeit feministischer Perspektiven zu überzeugen. Anfangs war ich begeistert von der regen (und oftmals unmoderierten …) Diskussionskultur, die zu jener Zeit mitunter zu hundert+ Kommentaren unter Blogeinträgen führte. Ich dachte: „Ist doch super, hier wird diskutiert! Hier können alle was lernen!“ Heute weiß ich, dass wir damals einfach noch kein richtiges Konzept hatten, mit diskriminierenden Beiträgen umzugehen. Dieses „Lasst uns alle miteinander reden“ bedeutet nämlich auch, dass unverbesserliche Schreihälse (wieder) ein Forum bekommen und andere sich zurückziehen (müssen). Sie kam recht schnell, die Ernüchterung 2.0.

Wie andere feministische Blogger_innen lernte ich: Im Netz manifestieren sich ähnliche Strukturen wie sonst auch in der Gesellschaft – manchmal versteckter, manchmal offensichtlicher. Die Möglichkeiten und Fallstricke reichen von „Yeah, die eigene Identität entdecken und ausleben“ bis zu anonymen Hassmails. Die ersten Jahre zog ich noch viel aus den Diskussionen online; immerhin war ich im Netz mit Menschen verbunden, mit denen ich viele politische Ansichten teilte. Um die eigene Bubble zu finden, reicht manchmal nur eine Stichwortsuche. Diese – meine – feministische Netz-Community war sehr identitätsstiftend für mich. Was ich heute mache, mit wem ich Zeit verbringe, wie ich mich selbst sehe und mit welchen Politiken ich sympathisiere, hat viel mit den Debatten der letzten zehn Jahre zu tun.

Klar haben wir an einigen erfolgreichen (Online-)Protestaktionen teilgenommen beziehungsweise diese (selbst-)kritisch begleitet oder selbst Debatten angezettelt, einige Beispiele davon sind:

Und, und, und … Du siehst, es ist nicht möglich, alles aufzulisten. Wir haben unzählige Petitionen unterschrieben und Crowdfunding-Projekte unterstützt, mischten uns in große Debatten ein, teilten aus und steckten ein. Eine wachsende feministische Präsenz online trug auch dazu bei, dass wichtige feministische Begrifflichkeiten und Konzepte in die Massenmedien fanden und herrschaftskritische Aktivist_innen und Autor_innen heute sichtbarer sind und ab und zu sogar für ihre Expertise bezahlt werden. Wer möchte, kann sich im Netz heute eine exklusiv feministische Community zusammenschrauben und zu fast jedem Thema feministische Positionen finden, egal ob es sich um Mode, Politik, Kultur, Nerdkram oder Sex handelt. Das ist etwas, was noch vor zehn Jahren so nicht möglich war. Und es ist gut, dass wir heute nicht mehr „nur“ darüber diskutieren, dass es feministische Stimmen braucht, sondern auch, welche feministische Perspektiven vertreten und wie normativ diese womöglich sind. (Die Kritik an weißen, heteronormativen Strukturen innerhalb feministischer Kontexte ist sicherlich nichts neues, aber ich würde argumentieren, dass die Sichtbarkeit jener Kritiken auch im Mainstream eine neuere Entwicklung ist).

Nach vielen Jahren Feminismus im Netz und der etlichen Wiederholung von Argumenten und Aktionen spüre ich allerdings schon länger nicht mehr nur Ernüchterung, sondern manchmal auch etwas Verbitterung. Ein #aufschrei hat nicht gereicht, es braucht ein #metoo. Nächstes Jahr heißt es dann vielleicht: #againandagain. Ein ewiger Loop von Erfahrungen teilen, in Frage gestellt werden, sich empören, wütende Blogtexte schreiben, resignieren … und dann kommt der nächste Hashtag. Meine einzige Strategie, dabei nicht permanent genervt aufzustöhnen, ist die stete Erinnerung, dass Menschen unterschiedliche Lebenswege und somit unterschiedliche Lernprozesse durchgehen. Und dass andere Menschen Geduld mit mir hatten, obwohl mein Lernen auch auf ihre Kosten stattfand.

Ohne Frage sind feministische Debatten, herrschaftskritische Perspektiven und die harten Zahlen & Fakten heute Dank des Netzes für eine viel größere Anzahl an Menschen zugänglich. Das heißt aber nicht, dass dieses Wissen auch überzeugt. Zum wiederholten Male zu twittern, dass jemand „xyz nicht verstanden hat #wütendersmiley“ oder welche „Kackscheiße“ sich diese Zeitung oder jene Künstler_in wieder geleistet hat, scheint heute noch weniger politische Konsequenzen zu haben als noch vor ein paar Jahren. Es scheint zu verpuffen, manchmal sogar den gegenteiligen Effekt zu haben.

Ein Beispiel: Als ich den dickenfeindlichen Werbespot von Edeka kritisierte, beobachtete ich eine gute, kritische Diskussion darüber, dass dicke Körper permanent als Lachnummer oder Abschreckung dienen und dass das diskriminierend ist. Aber eigentlich habe auch ich genau in der Logik der Werbemachenden gehandelt: Shitstorm und viel Aufmerksamkeit = genial! Auch hier wieder ein Loop: Einige regen sich auf; andere lernen durch die Debatte dazu; wieder andere verteidigen die Werbung … Und Edeka freut sich über die Gratiswerbung. Das nächste Filmchen wird kommen, der nächste Shitstorm sowieso. #againandagain

Wie positioniert man sich da als Feminist_in? Ich bin heute manchmal ratlos.

Klar können wir alle durch Texte, neue Informationen und Blickweisen etwas dazulernen. Ich mag das nicht kleinreden. Ich glaube immer noch an Bildungsarbeit, im Netz oder auf der Straße, auch wenn das manchmal naiv daherkommt. Ich glaube an kleine Veränderungen, die Großes bewirken können. Das permanente Wiederholen einfachster feministischer Grundsätze, das ständige hinterfragt oder angezweifelt werden, hat in feministischen Online-Communities aber auch ein paar Spuren hinterlassen. So manch eine Diskussion erscheint mir manchmal wie aus einem katholischen Lehrbuch abgeguckt: gut/böse Logiken, passiv-aggressive Gesprächskultur, individuelle Buße-Aufforderungen … Ich nehme mich da nicht raus, habe da auch oft genug mitgemacht. Und nee, das ist keine Aufforderung, bitte immer freundlich zu bleiben und schick zu lächeln. Freundlichkeit garantiert keine Gerechtigkeit, das lehrt uns die Geschichte. Wut ist wichtig, Wut muss raus. Aber Wut und Empörung als einzige Strategie nutzt sich leider zu schnell ab. Und ich sehe an der oben beschriebenen Debattenkultur, die insbesondere im Netz gelebt wird, kaum etwas Produktives, sondern nur eine Verhärtung von Fronten.

Ich versuche mich mehr und mehr damit anzufreunden, dass politische Arbeit eben auch heißt wirklich viele Loops zu erleben. Dinge immer und immer wieder zu erklären oder zu diskutieren. Und auch mal zu scheitern. Mit der Schnelligkeit des Netzes und der Art und Weise, wie wir dort in Lichtgeschwindigkeit Debatten durchkauen und wieder ausspucken, konnte ich mich allerdings nie so richtig anfreunden. Dennoch schaue ich mit einem pochenden Herzen auf die letzten Jahre zurück: auf die Menschen und Perspektiven, die ich kennenlernen beziehungsweise selbst anstoßen durfte. Hey, ohne Frage kann ich sagen: Einige meiner besten Freund_innen haben einen Blog ;)!

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