Wie könnten neue Männlichkeiten aussehen?

In letzter Zeit wurde vermehrt in der Öffentlichkeit über „Männlichkeit,“ gar über „Männlichkeiten“ diskutiert. Endlich! Dachte ich zunächst, wünsche ich mir persönlich doch seit längerem eine Diskussion über neue Männlichkeiten jenseits von dem, was man im Englisch-sprachigen Raum „toxic masculinity“ nennt – toxische, schadhafte, destruktive Männlichkeit.

Doch zu früh gefreut. Hauptauslöser der Diskussion war ein Zeit-Artikel der Autorin Nina Pauer mit dem Titel „Die Schmerzensmänner.“ Pauers Artikel hat ein Problem – das Zusammenstoßen von neuen und alten Männlichkeitsstereotypen. Der „Schmerzensmann“ wird definiert als Mann, der sich selbst ständig reflektiert, sich passiv an seinem Bier festhält und nicht weiß, wann er „den move“ anzusetzen hat. Angeblich sei dies ein Problem für Frauen, so Pauer, denn wer will so einen schon als Partner? Der für mich problematischste Kern des Textes offenbart sich in einem Satz: „Spiegeln gleich stehen sich die Geschlechter gegenüber und hyperreflektieren ihre Beziehung zu Tode, bevor sie überhaupt angefangen hat.“ Da ist es wieder: Es ist falsch für den Mann zu viele stereotypisch feminine Züge anzunehmen. Das „Hyperreflektieren“ einer keimenden Beziehung gehört meines Erachtens zum Stereotyp ‚junge romantische Frau‘. In vielem ist der Schmerzensmann das Gegenteil eines anderen männlichen Stereotyps: Dem ‚Player‘, dem jagenden Macho, der seine weiblichen Opfer analysieren zu können glaubt und „den move“ perfektioniert hat. Persönlich ist mir ja der Schmerzensmann lieber, aber darum soll es in diesem Text gar nicht gehen.

Pauer’s Schmerzensmann ist ein Stereotyp, ein überzeichneter noch dazu, eine neue Schublade in die der ’neue Mann‘ gesteckt werden soll. Explizit geht es um die heterosexuelle, romantische Zweierbeziehung, impliziert wird ein gesellschaftliches Zusammenstoßen von Weiblichkeiten und Männlichkeiten, das etwas anders formuliert auch in ihrem Buch „Wir haben keine Angst“ stattfindet. Wieder der zu passive Mann, der nichts auf die Reihe bekommt und sein Potential ausnutzt, und die zu aktive Frau, die sich bemüht Erfolg zu haben und dabei fast vor Druck zerbricht. Beides stereotype Charaktere, die unsere Gesellschaft zugegeben hervor gebracht hat. Sie sind beide Exemplare der „graduates with no future,“ der Absolventen ohne Zukunft, wie sie Paul Mason in seiner Analyse der letztjährigen Revolutionen und Aufständen „Why It’s Kicking Off Everywhere“ beschreibt: Junge Menschen, gut ausgebildet aber ohne direkten Zukunftsplan. Junge Menschen, die zwischen den Rollen, die ihnen vorgelebt und vorhergesagt wurden, hängen.

Junge Männer, die reflektiert oder depressiv sind, attraktiv zu finden oder nicht ist meines Erachtens eine persönliche Frage. Problematischer aus einer kulturwissenschaftlichen oder gar feministischen Position wird es, wenn die Frage, ob Männer ‚Gefühle zeigen dürfen‘ hektisch und, ironischerweise, unreflektiert in der Öffentlichkeit debattiert wird. Ich würde es begrüßen, wenn mehr Männer wie selbstverständlich über ihre Gefühle reden würden, allerdings stimme ich auch diesem Text auf Anarchie und Lihbe zu, dass dafür nicht unbedingt feministische Räume genutzt werden müssen. Wir Männer haben schließlich das Privileg, dass uns die ganze Gesellschaft zuhört. Die feministische Frage in diesem Fall ist meiner Meinung nach: Wieso wurde und wird es so negativ bewertet, wenn Männer ‚hyperreflektieren‘, ‚Gefühle zeigen‘ sprich: feminin sind? Doch weil ‚feminin‘, weiblich sein immer noch als weniger gut bewertet wird.

Pauers Artikel ist, meine ich, eine Mischung aus Stereotypen und persönlichen Beobachtungen und Vorlieben, die dann zu allgemeinen Aussagen vermengt werden. Ein weiterer neuer Text über Männlichkeiten, der auch vor allem mit Stereotypen und persönlicher Erfahrung arbeitet, ist Ralf Bönts „Das entehrte Geschlecht: Ein notwendiges Manifest für den Mann“. Wie der Titel vermuten lässt möchte Bönt für den Durchschnittsmann sprechen, der eben das „entehrte Geschlecht“ ist. Dieser ist für Bönt in seiner Rolle gefesselt, durch die Funktionen die er auszuführen hat, durch das schlechte Image des Mannes als Täter. Eine euphorische Kritik auf Zeit.de spricht vom „Respekt“ für die Frauenbewegung die Bönt ausdrückt. Dies stimmt zwar – aber seine Version der Frauenbewegung ist mitten in der zweiten Welle mit Alice Schwarzer stehen geblieben. Er ist so gnädig, Selbstverständlichkeiten wie das Wahlrecht für Frauen abzunicken. Aber seine Bewertung der Errungenschaften der Frauenbewegung ist optimistisch. So ist sie im Grunde abgeschlossen. Durch das ganze Buch zieht sich der Eindruck, dass alle Privilegien nun bei den Frauen liegen und der Mann zwischen gesellschaftlicher Rolle und Feminismus gefangen und entmachtet ist. Seiner Meinung nach nickt der Durchschnittsmann „beflissen zu Emanzipation und Gleichberechtigung der Frau“. Sofort fügt er aber hinzu:

„Tatsächlich sieht er im Feminismus meist aber noch immer bloß einen Feind. Jemanden, der ihm etwas wegnehmen will. Das ist zwar nicht ganz falsch, denn Feministinnen wenden sich natürlich gegen ihn, gegen wen denn sonst?“

Dass Feminismus auch bedeuten kann, gegen systematischen und strukturellen Sexismus zu sein, findet bei Bönt keine Beachtung. Auch fehlt die Komponente der Kritik strukturellen Ungerechtigkeit. Er beschreibt durchaus sehr richtig und gut beobachtet, wie sehr der Durchschnittsmann in die Arbeitsrolle gepresst wird, wie wenig er sich der Familie widmen kann, wie wenig ihm geglaubt wird, wenn er zum Beispiel ernsthaft krank ist. Aber es liest sich durch das ganze Buch hindurch als ein binäres Mann gegen Frau, gerade weil er immer wieder zu Schwarzer, Beauvoir und de Gouges zurück kehrt. So beschwert er sich über Arbeitsbedingungen des Mannes, lässt aber die damit verbundene Klassen- und Gesellschaftsstruktur unanalysiert. Auch negiert er an einigen Stellen männliche Privilegien. So ist es ja durchaus wahr, dass der durchschnittliche Arbeitnehmer nicht besonders viel Macht hat. Aber woran liegt das? Er wehrt sich auch gegen die Stereotypisierung des Mannes als aktiver Part in sexuellen Beziehungen. Ich möchte ihm zwar zum Teil zustimmen – nicht immer muss der Mann „den move“ machen – aber seine Erklärung, dass der Mann nicht penetriert sondern die Frau umschließt, wirkt merkwürdig konstruiert. Wie sehr die aktive Rolle nicht nur als Grundeinstellung hingenommen sondern gefordert wird, sieht man unter anderem in der Schmerzensmanndiskussion.

Die Rede vom „entehrten“ Mann als automatischen Täter erinnerte mich an die Diskussion um die Rolle von Männern in rape culture, unter anderem angestoßen durch einen Text des inzwischen sehr umstrittenen Hugo Schwyzers, den ich hier kommentiert hatte. Natürlich ist nicht jeder Mann ein Täter, aber da wir immer noch in Zeiten von Vergewaltigungen und sexueller Belästigung leben kann man es Frauen* auch schwer vorwerfen, wenn sie skeptisch sind. Auch in diesem Punkt ist was Bönt beschreibt durchaus richtig, aber scheitert dann doch an der detaillierteren Analyse. Er negiert völlig, dass der Penis eine Waffe sein kann, da er ja schließlich aus weichem Gewebe besteht. Das negiert meines Erachtens die Realität.

Am Rande: Ein Problem von sowohl Bönts als auch Pauers Text ist ohnehin, dass sie von heterosexuellen Beziehungen zwischen Cis-Menschen ausgehen, was wiederum viele Wirklichkeiten negiert.

Ein großes Problem des ganzen Buches ist, dass seine Definitionen etwas monolithisch sind. Männer, Frauen, Feminismus: Alles gibt es nur einfach. Es hätte dem Buch geholfen, wenn er kritisch von mehreren Männlichkeiten sprechen würde. So sind die Ursache von vielen Dingen, die er beklagt, gerade die toxischen Männlichkeiten, die etwa „Weichheit“ und „Weiblichkeit“ negativ konnotieren. Ich stimme mit ihm darüber ein, dass es Zeit für eine neue Männlichkeit ist. Auch mit den drei Kernforderungen stimme ich überein:

1. Das Recht auf ein karrierefreies Leben. Der Mann muss auch jenseits einer beruflichen Stellung respektiert werden. 2. Das Recht auf Krankheit jenseits der Vorwürfe von Hypochondrie und Fühllosigkeit. 3. Das Recht auf eine geehrte Sexualität jenseits von Ablehnung, Diffamierung, Kapitalisierung und Kriminalisierung.

Doch ich würde diese Punkte auch für andere Menschen als Durchschnittsmänner fordern. Anders als er glaube ich nicht, dass der Feminismus sich nur gegen den Mann richtet oder gar schon am erfolgreichen Ende ist. Es gibt noch viele toxische Männlichkeiten und Weiblichkeiten und den Sexismus als System zu bekämpfen. Und Männer* wären gut beraten, mit und nicht gegen Frauen* zu kämpfen.

14 Kommentare zu „Wie könnten neue Männlichkeiten aussehen?

  1. Danke! Es tut gut Kritik an diesem Buch nicht als Frau formulieren zu müssen … Auf zeit.de (http://www.zeit.de/2012/13/Vaeter) schreibt Bönt noch das: „Spiegelbildlich zu materieller und politischer Gleichberechtigung der Frauen müssen Männer jetzt endlich die volle familiäre Rehabilitation einfordern. Das Instrument ist der Vaterschaftstest. (…) Je mehr aber der Mann in der Familie ankommen darf, desto mehr seiner ach so begehrten Positionen werden zwangsläufig vakant. Aber die Damen sollten sich nicht täuschen: Die meisten Männer haben nur einen blauen Overall und etwas Werkzeug anzubieten im Tausch gegen die Zeit, in der sie mit den Kindern auf den Spielplatz gehen.“ Da wird mir echt schlecht … Wer wieder nur so polemische Worte anzubieten hat, entlarvt, dass er offensichtlich keinen gemeinsamen Kampf von Männern und Frauen gegen Sexismus als System will.

  2. Sehr guter Text und „endlich“ von einem Mann geschrieben. Dass in Texten dramatisiert und stereotypisiert wird ist denke ich dramaturgisches Mittel. Dass nicht jeder so ist, solte dem geschulten Leser klar sein, aber es ist mühsam unter jedem Text zu schreiben: dies ist ein überspitzter Text, wer sich wieder findet sollte über sich nachdenken.

    Warum ein zweitklassiger Text von Frau Pauer so viel Aufmerksamkeit erlangt, bleibt mir verschlossen. Hingegen sagt mir ihr Buch mehr zu. Auch ich habe im Umfeld mehr Männer als Frauen, die ihr Leben nicht auf die Reihe kriegen und keinerlei Verantwortung übernehmen wollen und können. Das sind aber nur wenige…dagegen kenne ich mehr Männer die liebe- und verantwortungsvoll sind.

    Trotzdem müssen Frauen sich irgendwann entscheiden: Kinder oder Karriere. Das ist eine Frage, die sich der Mann nie stellt ob nicht will oder braucht. Gegen diese exestenzielle Frage ob man Nachfahren haben möchte oder nicht, finde ich die Forderung von Männern bei Krankheiten ernst genommen zu werden bissl lächerlich. Denn ich denke es ist Geschlechtsunspezifisch ob zu einem gesagt wird: stell dich nicht so an…im übrigen sehr oft gehört bei Regelschmerzen…hüstel…und wer ernsthaft krank ist, der ist es und bedarf Pflege.

    Was mich ehr nervt ist die Doppelbelastung der Frau: Arbeit und zu Hause noch den Haushalt. Männer haben Feierabend, Frauen haben Haushalt und daran hat sich auch mit dem Feminismus gar nichts geändert…

    Ansonsten, liebe Männer, seid doch einfach mal wie ihr seid…authentisch!

  3. Ich habe Bönts Buch nicht gelesen und werde es bis auf weiteres aus Gründen auch nicht tun (Rhetorik wie die von Christoph und von @aufZehenspitzen zitierte tut ihr übriges), deshalb hoffe ich, jemand hier, die/der das Buch gelesen hat, ist evtl. so freundlich mir kurz etwas zu erklären: Als Punkt 3 des zitierten Forderungskatalogs nennt Bönt offenbar

    Das Recht auf eine geehrte Sexualität jenseits von Ablehnung, Diffamierung, Kapitalisierung und Kriminalisierung.

    Wie ist das zu verstehen, worauf bezieht der Autor sich hier? Das mit der Kapitalisierung leuchtet sofort ein, aber wo im Mainstream wird heterocismännliche Sexualität denn abgelehnt und kriminalisiert? Ich sehe weit und breit männliche* Sexualität (so wie sie z.B. medial konstruiert und propagiert wird) als Default, als das Normale, das Natürliche, das Erstrebenswerte, sogar zur Entkriminalisierung und Legitimation von Übergriffigkeit herangezogene – sicher bisweilen karikiert, aber diffamiert? Das Männer* sich gegen die gängigen Konstruktionen wehren, kommt mir sehr plausibel vor, mich wundert es manchmal geradezu, dass das nicht häufiger passiert – aber das scheint mir nicht das zu sein, worauf der Autor hinaus möchte. Oder doch? Vielleicht mag jemand etwas Background liefern? Vielen Dank!

  4. Der Punkt ist wirklich merkwürdig (wie so vieles), darauf hätte ich eigentlich auch noch eingehen müssen. Ich habe den Punkt auch nicht ganz verstanden: Es bezieht das, glaube ich, auf die Mann-als-Täter/Jäger-Klischees. Männliche Sexualität als Raubtier oder so. In diesem Zusammenhang geht er auch gegen die „Penis als Waffe“-Sache an. Richtig explizit wird er allerdings nicht, was er in diesem Falle genau meint, wenn ich mich nicht irre. Das ist einer der Punkte, bei dem es zum Problem wird, dass er nur von einer Männlichkeit spricht.

  5. bääh… Neee… So ein schönes Wetter, und immernoch kramt man diesen Pauer-Text hervor…
    Der war im Winter sexistisch und ist auch heute noch sexistisch. Punkt. Genug drüber geredet. Warum nicht mal über nen guten Text?
    Klar: Missverständlich… Schließlich könnte man jetzt denken, ich meine damit, dass er sexistisch ist, weil er Männer diskriminiert oder Ähnliches. Ist aber nicht so. Das offene Geheimnis der Debatte ist doch, dass hier ein Diskurs reproduziert wird, der in seiner Gesamtheit (und nicht nur in seinen antifeministischen Aussagen) Männlichkeit (und eben nicht Männlichkeiten) privilegiert. Das Anerkennen des Schmerzensmännerthemas als ein relevantes Thema, bestätigt bereits den Ausschluss solcher Stimmen aus dem Diskurs, über deren Nicht-Normalität, hier: Nicht-Männlichkeit, hier verhandelt wird. Ähnliches gilt für die Rede von „toxischen Männlichkeiten“: Eine mangelhafte Gesellschaftsstruktur (nennen wir sie Patriarchat), wird psychologisiert und auf mangelhafte Identitäten projeziert, denen die volle Verantwortung für ihren eigenen Ausschluss zugeschrieben wird.
    Im Diskurs selber redet dann die „Mitte“, die es nochmal geschafft hat, bei 3 auf der richtigen Seite, also der Seite der Macht zu stehen über diese mangelhaften Identitäten, aber sicherlich nicht mit ihnen. Über den eigenen Anteil am Patriarchat muss, bzw. kann diese dann garnicht mehr reden. Thema sind schließlich die Anderen, hier die Schmerzensmänner, anderswo Gutmenschen, noch woanders schüchterne Extrovertierte. Etablierte reden abwertend über Schwächere um indirekt ihre Positionierung im Zentrum der Macht zu beschwören und zu erhalten. Immer begleitet von der Beschwörung der Gefahr, diese schwächliche Identität sei die neue Norm oder zumindest auf dem Weg dahin, wodurch das wir-Kollektiv bedroht wird.
    Können wir nicht auch mal über diese Mitte reden anstatt immer nur über die Dropouts?

    „Natürlich ist nicht jeder Mann ein Täter, aber da wir immer noch in Zeiten von Vergewaltigungen und sexueller Belästigung leben kann man es Frauen* auch schwer vorwerfen, wenn sie skeptisch sind.“
    Das sehe ich nicht so. Jeder Mann ist qua Subjektivation ein Täter oder ein Opfer. Wenn er eine Sprechposition einnehmen will, funktioniert das nur in der Täterrolle. Und das stößt nicht nur bei Frauen* auf Skepsis (Angst? Respekt? Unterordnung? Passivität?), sondern bei allen, die diese überlegene Stärke als solche anerkennen und nicht den Weg der Gegengewalt wagen. Genau so reproduziert sich das Patriarchat doch zu großen Teilen… Und nicht durch toxische Klischeemacker, die auch hegemonialen Männlichkeiten zur Abgrenzung dienen können.
    Daraus erst ergibt sich doch das Privileg, dass Männern* „überall zugehört“ wird: Sie sind eine potentielle Bedrohung und damit relevant. Sind sie das nicht, sind sie unsichtbar, wenn nicht gerade ein Diskurs durch Blogs und Feuilltons tobt, der sie als Krankheit sichtbar werden lässt, ihnen die Sprechposition aber verweigert.

  6. @Galumpine

    Kannst du nochmal spezifizieren, wen du mit „Etablierte“ und „Schwächere“ genau meinst und welchen Männern/männlich Identifizierten die Sprechposition verweigert wird? Ebenso würde mich interessieren, welche Aspekte des Diskurses für dich untergehen bzw. stärker herausgehoben werden könnten, ich finde deinen Kommentar nämlich sehr interessant. Danke und schönen Tag in der Sonne noch :)

  7. Es ist schwierig, auf alles einzugehen, aber ein Punkt liegt mir sehr am Herzen. Hinter aller Rhetorik und hinter allen Dingen, die man zu recht kritisieren kann, ist es ein Anliegen von den Männern, die über ihre Rollen reflektieren, dass ihre Unzufriedenheiten mit ihren Rollenerwartungen ernst genommen werden. Aber wie ein paar Kommentare hier zeigen, werden solche Erfahrungsberichte und Wünsche gleich zu entkräften versucht. Das geschieht bestimmt nicht bewusst, aber es ist trotzdem schade. Solche „neuen Männer“ versuchen ja gerade ihre neuen, nicht typisch männlichen Anliegen akzeptiert zu finden. Und eigentlich sollten feministisch geschulte Menschen dafür besonders sensibel sein, weil es auch parallel zu ihrem Kampf verläuft.

    Was ich zb meine sind solche Dinge:

    „Denn ich denke es ist Geschlechtsunspezifisch ob zu einem gesagt wird: stell dich nicht so an…im übrigen sehr oft gehört bei Regelschmerzen…hüstel…und wer ernsthaft krank ist, der ist es und bedarf Pflege.“

    und

    „Ich sehe weit und breit männliche* Sexualität (so wie sie z.B. medial konstruiert und propagiert wird) als Default, als das Normale, das Natürliche, das Erstrebenswerte, sogar zur Entkriminalisierung und Legitimation von Übergriffigkeit herangezogene – sicher bisweilen karikiert, aber diffamiert?“

    Ich möchte den Autorinnen keine bösen Absichten unterstellen, aber es schmerzt schon, so etwas zu lesen. Der erste Punkt ist, dass Männer tatsächlich Problem haben, Anerkennung und damit echte treatment für ernsthafte Krankheiten und Schmerzen zu finden. Zum Zweiten ist es sicher richtig, dass Hetero-Sexualität natürlich gilt. Aber aus der Erstpersonen-Perspektive erleben Männer das ganz anders, die Repression kommt von anderer Seite.

    Abschließend:

    „Junge Männer, die reflektiert oder depressiv sind, attraktiv zu finden oder nicht ist meines Erachtens eine persönliche Frage.“

    Nein, ich denke, dass das ganz falsch ist. Wer das sagt, verkennt, dass das Private immer noch politisch ist. Es ist nicht einfach „subjektive Präferenz“. Die ist auch abhähngig von der Kultur, in der sie geformt wird. Und unsere Kultur marginalisiert Männer, die reflektiert und depressiv sind. Sie gelten als nicht-begehrenswert außer vielleicht als normale Freunde, auf keinen Fall als Sexpartner. Ich bin ein Hetero-Mann, bei dem in der Pubertät chronische Depression festgestellt wurde. Ich kämpfe immer noch damit. Und bitte, bitte glaubt mir, Frauen, als Objekte meines Begehrens, fühlen sich dadurch oft (nicht immer!) uninteressiert oder manchmal auch angewidert. Das nervt. Und es ist nicht einfach persönliche Präferenz – damit werden unfaire Geschlechterrollen weiter rationalisiert. Grrr.

  8. Ich sollte vielleicht ergänzen, dass ich nicht so konfrontativ erscheinen wollte. Überhaupt nicht. Erstens stimme ich zu, dass Hetero-Männer ihre Probleme nicht in feministischen Kontexten besprechen müssen, sofern ihre Rolle nicht zum Thema gemacht wird. Wenn ihre Rolle zum Thema gemacht wird, dann braucht es die korrekte Perspektive. Denn zweitens verstehe ich, dass Frauen nicht denselben Zugang zur männlichen experience habe, auch wenn sie im Partriarchat leben und mehr davon umgeben sind. Wir sind prima facie für die andere Perspektive blind. Das ist so. Daher sollte jedem ein Glaubensvorschuss gewährleistet werden.

  9. @JS:

    Zum Zweiten ist es sicher richtig, dass Hetero-Sexualität natürlich gilt. Aber aus der Erstpersonen-Perspektive erleben Männer das ganz anders, die Repression kommt von anderer Seite.

    Von welcher Seite siehst du denn welche Art der Repression?

  10. @JS: Als ebenfalls depressiver Mann stimme ich dir im letzten Punkt zum Teil zu. Mit dem Satz bin ich im Nachhinein nur mäßig zufrieden. Was ich da eigentlich sagen wollte ist, dass es so wirkt, als wollte Pauer ihre Vorliebe (was natürlich nur Spekulation ist) generalisieren. Und ich kann keinem Individuum vorschrieben, was sie_er attraktiv zu finden hat. Aber was die Darstellung/Akzeptanz depressiver Männer* angeht liegt wirklich einiges im Argen. Das hat mE wieder damit zu tun, dass depressiv als schwach/feminin interpretiert wird, was uns wieder zum Sexismus führt.
    Interessant ist übrigens, dass Bönt zwar auf physische Krankheiten eingeht, nicht allerdings auf psychische.

    @Galumpine: Danke für den interessanten Kommentar, muss ich noch ein bisschen drüber nachdenken.

    @Brigitte: Gute Frage…

  11. Die Zitate aus Bönts Buch empfinde ich als seltsam. Es mischen sich hier oberflächlich nachvollziehbare Wünsche der Männer mit Forderungen – ja – an wen? Vor allem der seltsame Satz mit der „geehrten Sexualität“. Wer soll die denn ehren? Die Partnerin? Die Gesellschaft? Die Männer selbst? Die Vergewaltigten? Alles in allem spüre ich hier mehr Verlangen nach weiterer Macht und Kontrolle als den Wunsch gemeinsam und vor allem jenseits von heteronormativem Denken etwas zu ändern. Also alles was jetzt noch als „unmännlich“ gilt – keine Karriere, Kinderbetreuung, Krankeit, das mit der Sexualität verstehe ich leider nicht so ganz, soll jetzt „ehrbar“ und männlich werden. Das ist Eroberung von Terrain und keine Verbesserung der Zustände.

    Wobei anscheinend die Meinung besteht, Frauen können krank und bedürftig sein, es wäre ihr Privileg, keiner nimmt es ihnen übel, alle haben sie lieb. Das stimmt so nicht. Sobald eine Frau nicht mehr funktioniert, sei es in Beruf oder Familie, hat sie nicht unbedingt mit Unterstützung und liebevoller Betreuung zu rechnen. Meiner Meinung nach also nicht nur ein reines Männer-Problem.

    Ich stelle mal überhaupt unsere (=unser aller, geschlecht egal) lebenswirklichkeit in frage. geht es wirklich nur noch um karriere und/oder familie? haus, auto, usw.? was ist mit anderen lebensmodellen? wandel passiert nicht durch fragloses funktionieren. und auch nicht durch das „optimieren“ der geschlechterrollen von priviligierten innerhalb bestehender strukturen.

  12. @ingejahn:

    Es mischen sich hier oberflächlich nachvollziehbare Wünsche der Männer mit Forderungen – ja – an wen? Vor allem der seltsame Satz mit der “geehrten Sexualität”. Wer soll die denn ehren? Die Partnerin? Die Gesellschaft? Die Männer selbst? Die Vergewaltigten? Alles in allem spüre ich hier mehr Verlangen nach weiterer Macht und Kontrolle als den Wunsch gemeinsam und vor allem jenseits von heteronormativem Denken etwas zu ändern. Also alles was jetzt noch als “unmännlich” gilt – keine Karriere, Kinderbetreuung, Krankeit, das mit der Sexualität verstehe ich leider nicht so ganz, soll jetzt “ehrbar” und männlich werden. Das ist Eroberung von Terrain und keine Verbesserung der Zustände.

    – entschuldige bitte das Echo, aber exakt und unter anderem das hab ich auch gedacht.

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