Wer war… Emma Goldman?

Dieser Text ist Teil 17 von 53 der Serie Wer war eigentlich …

Emma Goldman war eine russisch-amerikanische Anarchistin, die am 27. Juni 1869 im heutigen Litauen (damals Russisches Reich) als Tochter eines jüdischen Theaterdirektors geboren wurde.

Emma Goldmanm (1911) via Wikimedia Commons

Als Emma 13 Jahre alt war, zog sie mit ihrer Familie nach Sankt Petersburg. Dort arbeitete sie in einer Fabrik als Korsettmacherin und kam erstmals mit revolutionär gesinnten Kreisen in Berührung.

Mit 17 emigrierte Goldman mit ihrer älteren Schwester Helene in die USA nach New York, wo sie einige Jahre in einer Textilfabrik arbeitete und so die Lebensverhältnisse der amerikanischen Arbeiter_innen kennenlernte. Die amerikanische Staatsbürgerschaft erhielt sie durch die Heirat mit einem Arbeitskollegen, von dem sie sich im Jahr darauf scheiden ließ. Nach der Hinrichtung von vier Anarchisten nach der Haymarket Affäre radikalisierte sich Goldman und begann auf Demonstrationen und Veranstaltungen zu sprechen.

Ihre Themen, die sie auf unzähligen Vortragsreisen durch sämtliche Bundesstaaten vortrug, waren der Kampf für die Redefreiheit, für die damals illegale Geburtenkontrolle, für sexuelle Freiheit, gegen Nationalismus und kapitalistische Ausbeutung, ab 1914 auch gegen Militarismus und den Kriegseintritt der USA. (Antje Schrupp)

Goldman wurde mehrere Male in ihrem Leben verhaftete, u.a. wegen „Anstiftung zur Aufruhr“ oder wegen Verteilung von Information zur Geburtenkontrolle. Sie befürwortete Abtreibung, da viele Frauen auf Grund ihrer prekären Situation keine andere Wahl bliebe.

Mit 20 Jahren lernte Goldman den militanten russischen Anarchisten Alexander Berkman kennen, der wegen eines Mordanschlags auf den Industriellen Henry Clay Frick zu 22 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. In Vorträgen und Veröffentlichungen verteidigte sie Berkmans Tat, fing aber langsam an, den Sinn gewalttätiger Anschläge im Namen des Anarchismus anzuzweifeln. Nach der Ermordung des damaligen US-amerikanischen Präsident William McKinley durch einen Anarchisten wurde Goldman mit der Tat in Verbindung gebracht, ihre Mittäterinnenschaft aber nie nachgewiesen. Im Gegensatz zur öffentlichen Wahrnehmung favorisierte Goldman in ihren späteren Jahren zunehmend Bildung – und nicht Gewalt – als politisches Mittel. Dennoch sah Goldman Gewalt in Situationen von repressiver Staatsgewalt als notwendiges Übel an.

1919 wurde Goldman zusammen mit Berkman nach Russland ausgewiesen, ihre amerikanische Staatsbürgerschaft war schon Jahre vorher widerrufen worden. Nach zwei Jahren verließen die beiden Russland desillusioniert, da sie die repressiven Methoden der Bolschewist_innen ablehnten. Goldman lebte bis zum Zeitpunkt ihres Todes in England (wo sie wiederholt heiratete, um die britische Staatsbürgerschaft zu bekommen), Spanien, Frankreich und zuletzt in Kanada, wo sie am 14. Mai 1940 in Toronto verstarb.

Auf ihrem Grabstein steht geschrieben: „Freiheit wird nicht zu einem Volk herabsteigen; ein Volk muss sich selbst zur Freiheit erheben“. In ihrer Autobiographie „Living My Life“ schildert Goldman ihr ereignisreiches Leben. Auf der Mädchenmannschaft ebenfalls erschienen: Für den langen Winterabend: Die Autobiographie von Emma Goldman.

7 Kommentare zu „Wer war… Emma Goldman?

  1. Wieder ein interessanter Name, den ich noch nicht kannte.

    Ich möchte diesen Passus

    „Sie befürwortete Abtreibung, da viele Frauen auf Grund ihrer prekären Situation keine andere Wahl bliebe.“

    sehr gerne noch etwas anreichern, da in gängigen Diskussionen m.E. etwas vergessen wird :

    Die Abtreibungsdebatte war damals nicht, wie gemeinhin vermutet, eine Wellness- und Selbstverwirklichungs-, sondern eine Gesundheits- und Überlebensfrage :

    „Colette erzählt in Gribiche von dem qualvollen Todeskampf einer kleinen Varieteränzerin, die den unerfahrennen Händen ihrer Mutter ausgeliefert blieb. Ein übliches Mittel, sagte sie, bestand darin, konzentrierte Seifenlauge zu trinken und anschließend eine Viertelstunde zu rennen. Bei solchen Verfahren kommt häufig das Kind durch den Tod der Muter um.“

    (Simone de Beauvoir, Das andere Geschlecht, S. 619)

    Ich kenne noch die Begrifflichkeit „Engelsmacher“ oder die Wochenendreise nach Holland. Und damals gab es in ländlichen Gebieten die Waschschüssel und den Krug, Eisblumen im Winter am Fenster und kalt war es, bis der Kohleofen durchgeheizt wurde.

    „Man kann annehmen, dass Abtreibungen und Geburten sich in Frankreich etwa die Waage halten“ (Dr. Deplas, Combat, 03/1948).

    Abgetrieben wurde unter den unmöglichsten Bedingungen, ausgelöst und gesellschaftlich geprägt von einer bürgerlichen Scheinheiligkeit und Doppelmoral – so die Begründung in „Das andere Geschlecht“. Ich denke, sie hat recht.

  2. @ Thomas

    Interessante Passagen, aber eins ist mir nicht ganz klar: Wer vermutet denn, dass Abtreibungs jemals etwas mit „Wellness“ oder „Selbstverwirklichung“ zu tun hatte?

    Das entspricht weder den sozialen Realitäten noch wird es den Frauen gerecht, die sich zu diesem Schritt entscheiden.

  3. @Magda : In manchen Diskussionen, die ich verfolgte, aber aufgrund der hohen Sensibilität des Themas nicht beteiligte,
    hatte ich zumindest den Eindruck, dass es von Manchen so gesehen wird – vielleicht täusche ich mich. Ich weiss, dass so
    eine Entscheidung in dieser Tragweite auch für gewöhnlich nicht auf die leichte Schulter genommen wird.

    Ich wollte diesen Punkt gerne wie gesagt anreichern, da es auch von Emma Goldman thematisiert wurde wie auch die
    Geburtenkontrolle.

    Ich habe jetzt gerade den Klassiker von Simone de Beauvoir durch, muß das ganze noch irgendwie verdauen. Es ist eine
    Mischung aus hoher Betroffenheit, unerwarteter angenehmer Überraschung und ein besseres historisches Verständnis bzw. auch Verständnis
    dafür, welche Bewegtheiten hier vorgelegen haben. Je mehr Bücher ich lese, umso mehr habe ich auch das Gefühl wenig
    zu wissen und lediglich einen Bildausschnitt zu kennen.

    Wenn ich jetzt z.B. sarkastische Bemerkungen über Männer lese, weiss ich, dass es ein Klassiker ist und eher ins Reich der
    „Immanenz des Ewigweiblichen“ gehört, dass sich noch nicht im feministischen Sinne von Simone de Beauvoir emanzipieren
    konnte. Es war bereits 1949 bei manchen Frauentreffen wohl eine gewisse Normalität.

    Simone de Beauvoir wollte auch den jahrhundertelangen Geschlechterkampf beenden, dieser Punkt ist für mich besonders
    wichtig zu betonen, da er m.E. gemeinhin nicht bekannt ist.

    Ich wollte jetzt auch nicht zu sehr vom Thema des Threads abweichen, das wäre unhöflich von mir – sorry.
    Vielleicht ergibt sich ja noch Gelegenheit hier darüber zu diskutieren. Auf Männerbewegtenseite habe ich dies schonmal versucht.

    Wie ich schon sagte, die Serie „Wer war…“ finde ich sehr aufschlußreich zum besseren Verständnis der Historie.

  4. @Thomas: Ich kenne keine Feminist_innen, die Abtreibung als Wellness betrachten und Selbstverwirklichung ist für mich eher so ein Schmähwort, dass aufkam, als Frauen einfach Selbstbestimmung einforderten.

  5. „Ich kenne keine Feminist_innen, die Abtreibung als Wellness…“.

    @Helga : Davon bin ich ausgegangen. Ich kenne die S. 77 ff von „Wir Alphamädchen“ und die Auseinandersetzung mit der
    Thematik, und auch auf S. 85 den Hinweis, im Beratungsgespräch den Vater miteinzubeziehen, halte ich für einen geglückten
    Standpunkt.

    Den Aufklärungsbedarf sehe ich auch nicht bei Feminist_innen oder Diskutant_innen hier, sondern ganz woanders.

    Selbstbestimmung ist für mich der angemessene Begriff für ein menschliches Grundrecht.

Kommentare sind geschlossen.

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