„We are many, they are few!“ – Von Percy Shelley zu Pauline Newman

Dieser Text ist Teil 80 von 140 der Serie Die Feministische Bibliothek

Verso_978_1_78168_098_8_Masks_of_Anarchy_300dpi_CMYK_SiteAnlässlich des 1. Mai möchte ich das Buch Masks of Anarchy. The History of a RADICAL POEM, from Percy Shelley to the Triangle Factory Fire vorstellen, welches zwei Lebensgeschichten verbindet und dabei politische Kämpfe verschiedener Jahrhunderte (und an verschiedenen Orten) verknüpft. In dem von Michael Demson geschriebenen und von Summer McClinton illustriertem Comic  wird in wechselnden Kapiteln zu Percy Shelley und Pauline Newman erzählt.

Shelley (4. August 1792 – 8. Juli 1822) war ein bedeutender englischer Dichter, der zu Lebzeiten immer wieder aufgrund seiner radikalen politischen Äußerungen verfolgt wurde, und dessen schrifstellerisches Werk tatsächlich erst nach seinem Tod wirkliche Bedeutung erlangte. Im Jahr 1819 schrieb er das titelinspierende Gedicht „The Masque of Anarchy„. Dieses war eine Reaktion auf das sogenannte Antwort Peterloo Massaker in Manchester. Dort hatten sich am 16. August 1819 zehntausende von Protestierende zusammengefunden um eine Repräsentation im politischen System einzuforden. Auslöser dafür waren auch die verherrenden ökonomischen Umstände, eklatante Lohnkürzungen in den Webereien, Arbeitslosigkeit und der Anstieg von Essens-Preisen. Kurz nach dem Beginn der Kundgebung auf dem St Peter’s Field stürmte das Militär mit gezückten Waffen in die Masse. Es starben 15 Menschen, mehrere Hundert wurden verletzt. Shelley befand sich zu dieser Zeit außer Landes, die Ereignisse bestürzten ihn und inspirierten ihm zu seinem Gedicht. Dieses wurde aber zunächst veröffentlicht: Zu radikal, zu aufrührend. Es erschien 1832.

Newman (18. October 1887 – 8. April 1986) floh als Kind mit ihrer Familie in die USA, nachdem ihr Vater, ein Rabbi, 1896 im heutigen Litauen umgebracht wurde. Ab ihrem 9. Lebensjahr arbeitete sie in Fabriken in New York. Mit 11 kam sie in die „Triangle Shirtwaist Factory“, wo sie nach und nach politisch aktiver wird und beginnt Frauen zu organisieren. Sie liest die Jewish Daily Forward, eine sozialistische Zeitung auf Yiddisch, und kommt der Sozialistischen Partei nah. Im Jahr 1907 ist sie kein unbeschriebenes Blatt mehr, die New York Times betitelt sie gar als neue Joan of Arc.  Immer ist sie an den Grenzen und Überschneidungen der – männlich dominierten – Arbeiter(_innen)bewegung und einer feministischen Bewegung, die Arbeiterinnen kaum mit betrachtet, unterwegs. Oft dabei: Das Gedicht von Percy Shelley, welches sie wieder und wieder vorträgt, sich durch dieses inspirieren lässt und mit anderen diskutiert. All ihre Aktionen und Verknüpfungen allein könnten Stoff für eine vielbändige Comic-Reihe geben, hier wird sich auf einen kleineren Ausschnitt begrenzt, der seinen „Höhepunkt“ findet beim Brand in der Triangle Shirtwaist Factory am 25. März 1911 bei dem 146 Arbeiter_innen ums Leben kamen – unter anderem weil die Türen zu den Produktionsräumen von außen verschlossen waren. (Wie aktuell dieses Thema bis heute ist und wie wichtig weiterhin diese Kämpfe erschließt sich schon bei einem einfachen Gedanken an das „Rana-Plaza-Unglück“ vor gut einem Jahr.) Newman, die eben gerade für die Verbesserung der Arbeitsbedingen in diesen Fabriken kämpfte, verlor bei dem Brand viele Freund_innen und Mitstreiter_innen.

„Miners of Kalamazoo! We are many… they are few!“

Das Comic hat bewusst weibliche Erzählperspektiven gewählt. Die Kapitel zu Percy Shelley werden nicht durch ihn erzählt, sondern aus der Perspektive seiner zweiten Frau, die keine geringere als Mary Shelley, Autorin von „Frankenstein“ und Tochter der Frauenrechtlerin Mary Wollstonecraft, war. Trotzdem ein negativer Punkt für diese Teile: Dass sich einige Frauen in dem Umfeld Percy Shelleys das Leben nehmen, u.a. seine erste Ehefrau, hätte noch stärker problematisiert werden können. Newman hingegen wird eine eigene (fiktionalisierte) Erzählstimme gegeben – was auch daran erinnert, dass es zwar von ihr ein Manuskript zu einer Autobiographie gibt, diese aber nie veröffentlicht wurde. Auch wird immer wieder die spezifische Position Newmans als Frau in der Arbeiter_innenbewegung beleuchte, so kam sie erst nur in die „Socialist Literary League“, da sie vorgab dort putzend zu helfen, denn natürlich war der Club nur für Männer offen.

Auf gerade einmal 93 Seiten schafft es das Comic viele Aspekte anzureißen und packend (eine) Arbeiter_innen- und Protest-Geschichte zu erzählen. Zu Newman gibt es um Ende hin auch noch ein Ausblick auf ihr weitere bewegte Leben, ihre Erfolge, ihre Tätigkeiten und das Kennenlernen ihrer Partnerin Frieda Miller. Auf poetische Art und Weise werden unterschiedlichste Aktivismusformen und deren zusammenhängende Bedeutungen in dem Buch verbunden, von Protesten auf der Straße, Lesekreisen, dem Schreiben von Poesie und organisierter Arbeit in den Gewerkschaften. Und so kommt dann alles zusammen, wenn es heißt:

‚Rise like Lions after slumber
In unvanquishable number –
Shake your chains to earth like dew
Which in sleep had fallen on you –
Ye are many – they are few.‘

[Steht auf wie Löwen nach dem Schlummer
in unüberwindbarer Anzahl
Schüttelt die Ketten ab wie Tau,
welcher im Schlaf auf euch gefallen ist
Ihr seid viele – sie sind wenige.]

Demson, Michael. 2013. Masks of Anarchy. The History of a RADICAL POEM, from Percy Shelley to the Triangle Factory Fire. London, New York: Verso.

Mehr zum Lesen zu Kämpfen rund um Arbeit findet ihr in unserer Kategorie Ökonomie. Konkret könntet ihr zum Beispiel den Gastbeitrag „Bezahlte Reproduktion: Politische Kämpfe und Organisierung von illegalisierten Arbeiter_innen“ von Emilia Roig lesen.

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