Was kann feministische Ökonomie leisten?

Dies ist ein Bericht von der Tagung “Schneewittchen rechnet ab. Feministische Ökonomie für anderes Leben, Arbeiten und Produzieren”. Insgesamt waren sechs Bloggerinnen auf der Tagung und haben von ihren Eindrücken berichtet – alle Berichte findet ihr auf gender-happening.de.

Auf der Podiumsdiskussion im Nachmittagsblock „Alternativen & Utopien“ stellten die Soziologin Dr. Christa Wichterich, die Volkswirtin Dr. Friederike Habermann und die Politologin Christine Rudolf ihre unterschiedlichen Auffassungen von feministischer Ökonomie als Konzept und Strategie zur Diskussion.

Für Christa Wichterich ist feministische Ökonomie ein Ansatz, der das Ganze der Ökonomie in den Blick nimmt. Sowohl die Produktivität der Natur als auch die Sorgearbeit sollen als Produktionsfaktoren anerkannt werden. Da soziales Geschlecht durch Ökonomie produziert und diese wiederum von Geschlechterverhältnissen geprägt ist, sollen Ungleichheitsmomente als Prozess in der Ökonomie erkannt werden. Das Ziel ist, sowohl die einzelnen Atkeur_innen wie auch übergreifende Machtstrukturen im globalen Kontext sichtbar zu machen. Hierbei steht die Logik von Versorgung und sozialer Reproduktion im Vordergrund, anhand derer Kritik an der kapitalistischen Verwertungslogik geübt wird. Wichterich betont, dass die feministische Ökonomie kein abstraktes Analyseinstrument ist. Sie sei eine Strategie, mit der Konflikte in als nicht system-relevant gewerteten Bereichen aufgefangen und mit der Möglichkeiten zur Veränderung der Mainstream-Ökonomie aufgezeigt werden können. Als Beispiel hierfür nennt sie die Unterstützung und Sichtbarmachung der Arbeitskämpfe von Hebammen und Kita-Angestellten. Als wissenschaftliches Konzept sei feministische Ökonomie in so fern wichtig, als sie der neo-klassischen Ökonomie, also dem hegemonialen Konzept an Universitäten, eine wissenschaftliche Alternative entgegensetzt.

Für Friederike Habermann ist feministische Ökonomie ebenfalls ein anti-hegemonialer Ansatz, der Schwerpunkt liegt für sie auf der Sichtbarmachung von Inklusions- und Exklusionsmechanismen. Das primäre Ziel ist die Erlangung von Herrschaftsfreiheit, wobei der globale Kontext mit gedacht werden muss. Konkret verhandelt sie dies am Beispiel von Frauen* im globalen Norden, deren Karrieren teilweise dadurch ermöglicht werden, dass migrantisierte Frauen* ihre Sorgearbeit übernehmen. Sie fragt, wo denn global gesehen der Mehrgewinn sei, wenn diese dafür ihre eigenen Kinder im Heimatland lassen müssen. Für Habermann steht fest, dass die kontemporäre Realpolitik so viele Folgekatastrophen nach zieht, dass die Mainstream-Ökonomie als gescheitert bezeichnet werden muss. Die Lösung sieht sie in alternativen Ansätzen, die sich im Alltag entfalten müssen. Die feministische Ökonomie soll Lebensweisen aufzeigen, die alternative Identifikationspunkte schaffen. Diese sind mangels Vorgesehenheit im liberalen Karrieremodell, dass den weißen Mittelstandsmann als Idealtypus setzt, in der Regel weder benennbar noch greifbar.

In Abgrenzung zu Wichterich und Habermann stellt Christine Rudolf die Eignung von feministischer Ökonomie als Ansatz und Strategie in Frage. Da diese die Mainstream-Ökonomie als Ausgangspunkt nimmt,unterwirft sie sich auch den Marktmechanismen dieses Modells. Rudolf plädiert für einen weniger wissenschaftlichen Ansatz, der von den in der Praxis Betroffenen ausgeht. Diesen sollte es freigestellt sein, ob und wie sie in den als Krise definiertem Jetzt-Zustand des bestehenden Systems hineingehen wollen. Konkret schlägt sie vor, ein Instrument wie Gender Budgeting (öffentliche Gelder, die geschlechtergerecht verteilt werden sollen) den Bedürfnissen entsprechend zu verteilen. Sie setzt auf Strategien wie Betroffenenbefragungen, um vorgegebene Einteilungen wie Privatheit und Parteipolitik zu überwinden. Daran verhandelt sie auch die Begrenztheit von alternativen Modellen im Alltag. Gerade beim Instrumentarium Gender Budgeting sei Berlin das einzige Bundesland, in dem Bürgerinitiativen überhaupt involviert seien.

Im Anschluss an die Diskussion blieb Platz für Fragen. Einer Teilnehmerin war der Begriff Gender Budgeting nicht klar geworden. Dieser wurde am Beispiel des Betreuungsgeldes als Konzept erläutert, dass die konkreten Auswirkungen auf soziale Rollen in die Verteilungspraxis von Geldern mit einbezieht. So hat zum Beispiel die Einführung des Betreuungsgeldes den Effekt, dass in Zukunft mehr Frauen* zur Betreuung ihrer Kinder zu hause bleiben. Die von einer Teilnehmerin geäußerte Ambivalenz in Sachen Solidarisierung mit Projekten und/oder Gruppen wurde mit dem Hinweis auf die genaue Reflektion dessen beantwortet, mit wem, zu welchem Zweck und mit welchem Ziel für was gekämpft werden soll. Wie schon beim Vortrag „Gutes Leben jenseits des Wachstums – Entwürfe und Kritik feministischer Ökonomik“ am Vormittag blieb auch bei der Podiumsdiskussion „Was kann feministische Ökonomie leisten?“ verhältnismäßig wenig Raum für Publikumsfragen. Insgesamt konnten nur diese beiden verhandelt werden, was von den Teilnehmenden bedauert wurde.

Am wichtigsten fand ich persönlich die konzeptionelle Kritik, die feministische Ökonomie als ausreichende Strategie zum Erreichen von Herrschaftsfreiheit in Frage stellt. Für mich war auffällig, dass im Verlauf der Tagung das Wirtschaftssystem, zu dem Alternativen aufgezeigt werden sollen, an keiner Stelle als westlich zentriertes markiert war. So entstand der Eindruck einer universellen Gültigkeit, wobei außer Acht gelassen wird, dass zum Beispiel die kritisierte Trennung von Erwerbs- und Reproduktionsarbeit durchaus nicht in allen Teilen der Welt besteht. Für mich als Beobachtende stellte sich im Anschluss daran die Frage, wie strategisch erreicht werden kann, eine Tagung wie „Schneewitchen rechnet ab“ sowohl im Hinblick auf die eigene Positioniertheit als auch auf die Teilnehmenden inklusiver zu gestalten. Bei der Betonung vom feministischer Ökonomie als Strategie, die “Inklusions- und Exklusionsmechanismen aufzeigen und Kritik an der Fokussierung des Karrieremodells auf den weißen Mittelstandmann üben will” (Habermann), war es doch auffällig, dass außer zwei Dokumentierenden und einer Workshop-Veranstaltenden keine Frauen* of Color im Publikum oder unter den Expert_innen zu finden waren. Dieser Punkt wurde in der folgenden Veranstaltung im Open Space nochmals aufgegriffen, um in selbst organisierter Gruppenarbeit nach Lösungsansätzen dafür zu suchen.

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