Wann hast du dich dafür entschieden, hetero zu sein?

Gerade die vermeintlich harmlosen Fragen sind die, hinter denen sich die fiese Heteronormativität versteckt und erst sichtbar wird, wenn mensch ein wenig um die Ecke denkt. Paradebeispiel dafür ist die Frage: „Wann wusstest du, dass du lesbisch oder schwul bist?“ oder wahlweise „Wann hast du dich dafür entschieden, homosexuell zu sein?“ – Fragen, die all diejenigen ziemlich oft hören, die nicht (mehr) in Hetero-Beziehungen leben.

Zugegeben: Oberflächlich betrachtet wirken die Fragen erst einmal wenig verdächtig, aber es verbirgt sich eine ganze Menge in ihnen: Zum einen wird Heterosexualität als das „Normale“ gekennzeichnet und so als Norm bestätigt. Homosexualität hingegen wird implizit als Abweichung markiert, für die mensch sich angeblich entscheidet. Auch der Fakt, dass hier immer eine Wahl stattgefunden haben soll, lässt aufhorchen: Wählen Menschen, wen sie begehren? Und: Trifft das dann nur auf Lesben, Schwule und Bisexuelle zu?

Ein tolles Video von Chris Baker und Travis Nuckolls, das im US-amerikanischen Colorado Springs aufgenommen wurde, dreht den Spieß um. Die Interviewer fragen erst, ob die Befragten glauben, dass Homosexualität eine Wahl sei und stellen dann die alles entscheidende Frage: „Wann haben Sie sich eigentlich dazu entschieden hetero zu sein?“

Neben vielen biologistischen Erklärungsversuchen oder solchen, die Homosexualität als „life style“ verorten, kommt beim Thema Heterosexualität eher größere Verwirrung auf: Es wirkt so, als mussten sich die Befragten noch nie Gedanken um ihre eigene Sexualität machen. Der Fokus liegt zur Abwechslung mal nicht auf „der Homosexualität“ und „den Homosexuellen“, sondern auf heterosexuellem Begehren. Die Verwirrung wundert nicht: Heterosexualität wird ja auch nicht ständig mit Theorien belegt. Das Video stellt da einen interessanten Perspektivwechsel dar.

26 Kommentare zu „Wann hast du dich dafür entschieden, hetero zu sein?

  1. Ich finde die beiden Fragen “Wann wusstest du, dass du lesbisch oder schwul bist?” und “Wann hast du dich dafür entschieden, homosexuell zu sein?” deutlich unterschiedlich. Während die zweite Frage vollständig im Artikel besprochen ist, signalisiert die erste Frage für mich durchaus Empathie und Interesse. Wenn ich versuche sie zu rephrasieren, dann könnte damit auch “Wann wurde dir bewusst (hast du von deiner Umwelt signalisiert bekommen), dass du von einer konstruierten Norm abweichst?”; gab es ein prägendes Erlebnis welches dir den Konflikt mit der Heteronormativität vor Augen geführt hat?
    Also eben nicht „Wann hast du angefangen Menschen deines Geschlechts zu lieben“ sondern eher, „Wann wurde dir klar, dass dein Art zu lieben als nicht-normal bezeichnet wird“.

  2. @ Peter Hoffmann

    Ja – und irgendwie auch nein.

    Ich habe darüber auch schon beim Schreiben nachgedacht und denke, dass du Recht hast, dass die erste Frage noch etwas anderes impliziert (so wie du das beschrieben hast). Aber auch das Stellen der Frage hängt für mich vom Kontext ab. Klar wird so eine Frage im intimen Freund_innenschaft durchaus gestellt, weil mensch sich gut kennt und interessiert ist am Intimleben der Freundin. Aber sie würde (zumindest hoffentlich) nicht so plakativ gestellt werden wie oben beschrieben. Solche Fragen werden aber auch oft von Menschen gestellt, die einfach nur wahnsinnig neugierig sind, obwohl sie die Befragten nur flüchtig kennen. Denn das Intimleben derjenigen, die von der Norm abweichen, scheinen immer eins mehr öffentliches Gut zu sein und erleben öfter einen Rechtfertigungszwang.

    Was mich noch an der Frage stört: Zum einen bedeutet es ja nicht, dass er_sie schwul oder lesbisch ist, nur weil mensch eine gleichgeschlechtliche Beziehung eingeht. Andersrum würde die Frage wohl nicht gestellt werden (Beispiel: Eine Frau, die ihr ganzes Leben lang mit Frauen zusammen war und nun mit einem Mann zusammen ist, bekommt wohl nicht die Frage gestellt, seid wann sie denn nun weiß, dass sie hetero ist).

    Es stört neben dem Erklär-Zwang also auch dieser Label-Zwang.

  3. @Peter:
    Mit dieser Umformulierung setzt du Homosexualität aber mit einer Form gesellschaftlicher Rebellion gleich, verkürzt sie also letztendlich auf eine rein politische Aussage. Das ist dann inhaltlich doch wieder identisch mit der zweiten Frage.

    Das prägende Element bei jeder Art von Sexualität (bzw. dem individuellen Sexualitätsbewusstsein) ist nach meinem Verständnis nicht die Frage, ob/wie ich als Individuum und die Gesellschaft als normierende Gruppe zusammenpasse(n), sondern einfach nur was ich selbst möchte bzw. welche Form der Paar-/Gruppenbildung mir selbst körperlich-emotionale Befriedigung verschafft. „Wann wusstest du, dass du lesbisch oder schwul bist?“ bedeutet umformuliert damit nichts anderes als „wann war dir klar, was du wolltest?“, weil die Frage auf die Selbsterkenntnis abzielt, nicht auf die Aussenwirkung. (Dass darin dann ein politisch-rebellisches Element drinsteckt, weil es im Ergebnis der herrschenden Normierung widerspricht, ist zwar richtig, aber eben nicht beabsichtigt.)

    Aber völlige Zustimmung dazu, dass die Frage Empathie und Interesse signalisiert. Der deutliche Unterschied zwischen den beiden Fragen ist aus meiner Sicht, dass „wann wusstest du …“ vorurteilsfrei ist und „wann hast du dich entschieden …“ nicht.

  4. Tolle Sache, das. Ich würde dir aber in einem Punkt widersprechen, Magda:

    „Andersrum würde die Frage wohl nicht gestellt werden (Beispiel: Eine Frau, die ihr ganzes Leben lang mit Frauen zusammen war und nun mit einem Mann zusammen ist, bekommt wohl nicht die Frage gestellt, seid wann sie denn nun weiß, dass sie hetero ist).“

    Leider gibt es diese Frage sehr häufig. Mal genau so wie in deinem Beispiel, mal etwas vorsichtiger, à la „(Also) Bist du jetzt (doch) hetero?“, und zwar auch von Verwandten und Freund_innen.

    Es vermittelt dann ein Gefühl, als wäre mensch nun wieder „normal“ geworden, oder hätte gar vorher gelogen.

  5. Erst dachte ich auch, die Frage „Wann wusstest du, ob du hetero-/homosexuell bist“ sei empathischer.
    Allerdings wurde mir dann bewusst, dass auch diese immernoch von einer entweder-oder-Konstruktion ausgeht. Sexualität ist imho ein fließendes und sich im Laufe eines Lebens wandelndes Ding. Begehrlichkeiten verändern sich. Und es kann mir niemand erzählen er/sie/es habe wirklich alles ausprobiert, um wirklich sagen zu können „ich bin das oder jenes“. Sexualität für eine einmal im Leben feststehende Sache zu halten, würde ich sehr kritisch sehen. Sowohl was diverse Praktiken angeht als auch die Personen, auf die sich das Begehren richtet. Oder mit denen dieses Begehren dann ausgelebt wird.
    Mal ein plattes Beispiel:
    Welche Sexualität haben Menschen, die sich in der Swinger-Community ausleben? Sind die jetzt alle Bisexuell, wenn sie mal mit unterschiedlichen Geschlechtern* verkehren?
    Wie beantworten trans*Menschen diese Frage, wenn sie sich nicht (vollständlich) geschlechtlich „anpassen“ lassen? Wie beantworten deren Partner_innen diese Fragen?

    Was wieder den Punkt aufwirft, dass diese Fragen Menschen auf ausschließlich Zweigeschlechtlichkeit reduzieren. Entweder eine Person hat auf das eigene oder das gegenteilige Geschlecht eines Menschen zu „stehen“. In meinen Augen ist das zu eng gedacht.

  6. Diese Frage ist in beiden Richtungen, bzw. allen drei Richtungen Blödsinn. Man kann sich nicht für eine sexuelle Ausrichtung entscheiden. Man ist, was man ist und was das ist, das kann man nur fühlen, man kann es feststellen, aber nicht entscheiden oder gar ändern. Wer so etwas entschieden haben will, unterschätzt entweder seine Biochemie oder versucht Aufmerksamkeit zu erregen. In beiden Fällen wird er/sie nicht glücklich damit werden. Wer es hingegen tatsächlich entscheiden kann, der ist ein Soziopath und im Prinzip nichts von alledem. Auf so jemanden ist das Konzept von Glück und Unglück nicht anwendbar. Leidtragende sind in beiden Fällen die verschaukelten Partner.

  7. @Khaos.Kind

    Also ich muss nicht erst körperliche Nähe zu Männern suchen, um zu wissen, dass ich hetero bin. Schon beim Gedanken daran läuft es mir kalt den Rücken herunter.
    (Nur damit keine Missverständnisse aufkommen: Das ich körperliche Nähe zu einem Gleichgeschlechtlichen eklig finde, heißt nicht, dass ich Menschen eklig finde, die das anders sehen)

  8. @khaos.kind

    „Und es kann mir niemand erzählen er/sie/es habe wirklich alles ausprobiert, um wirklich sagen zu können “ich bin das oder jenes”.“

    das ist auch nicht notwendig, manche menschen wissen auch ohne ausprobieren, dass sie etwas wollen oder nicht wollen, bzw. etwas sind oder nicht.

    „Sexualität für eine einmal im Leben feststehende Sache zu halten, würde ich sehr kritisch sehen. Sowohl was diverse Praktiken angeht als auch die Personen, auf die sich das Begehren richtet.“

    ich sehs kritisch, wenn jemand „anderes“ kritisch sieht. ich verstehe, dass menschen, die die erfahrung gemacht haben, dass etwas als unveränderlich wahr genommenes, das sich dann doch verändert hat, diese sicht einnehmen, aber es gibt auch menschen, bei denen verändert sich nichts, hat sich noch nie was verändert und wird es auch nie. und wenn du jetzt das wort „nie“ aufgreifst, dann möchte ich gleich vorausschicken, dass ich nie an gott glauben werde und es sehr anstrengend finde, wenn mir gottgläubige mit „woher willst du das wissen, wie kannst du ausschließen, dass du in der zukunft doch mal an gott glaubst?“ kommen. ich kann das ausschließen.

  9. Khaos.Kind fragt:

    Wie beantworten trans*Menschen diese Frage, wenn sie sich nicht (vollständlich) geschlechtlich “anpassen” lassen? Wie beantworten deren Partner_innen diese Fragen?

    Ich weiß nicht, wie andere Trans*Menschen die Frage beantworten, aber ich fühlte mich von der ursprünglichen Frage („Wann hast du dich dafür entschieden, hetero zu sein?“) sofort herausgefordert, schon als ich sie vor einigen Wochen woanders gelesen hatte. Ich wusste erst gar nicht, ob ich dazu überhaupt etwas sagen kann, denn ich fühle mich inzwischen durch und durch lesbisch. Ich war schon immer sexuell und partnerschaftlich nur an Frauen interessiert und fühle mich selbst als Frau.

    Aber ich habe eine Vergangenheit als heterosexueller Mann, da ich mit einem männlichen Körper geboren wurde und damals nicht verstand, dass ich dennoch ein Leben als Frau führen kann. Als ich mich mit 11 mehr oder weniger bewusst entschlossen habe, entgegen meinem Gefühl eine männliche Rolle zu erfüllen, habe ich mich gleichzeitig ebenso halb-bewusst „zur Heterosexualität entschieden“.

    Und das übrigens, obwohl ich das Konzept der Heterosexualität nie so wirklich verinnerlicht habe. Wie kann ein Mensch ein Geschlecht besonders schön und liebenswert finden, und zugleich glücklich damit sein, dem anderen (aus seiner Sicht nicht so schönen/liebenswerten) Geschlecht anzugehören? In meinem Verständnis von Heterosexualität ist dieser Gegensatz ein zentrales Element und für heterosexuelle Menschen vermutlich auch eine Selbstverständlichkeit. Aber da ich das so nie gefühlt habe und meiner eigenen Männlichkeit nie irgendwas positives abringen konnte, frage ich mich inzwischen, ob mich „heterosexuell“ jemals treffend beschrieben hat.

    Ich glaube übrigens generell nicht, dass die Antwort von Trans*Menschen auf die Frage davon abhängt, ob man sich hormonell und/oder genital angleichen lässt. Einen Penis (noch) zu haben ändert meiner Meining nach nichts daran, wie sehr man sich lesbisch fühlt, sondern allenfalls daran, wie wohl man mich dabei im eigenen Körper fühlt. Und eine etwas unglückliche Lesbe ist immer noch eine Lesbe.

  10. @alex
    „das ist auch nicht notwendig, manche menschen wissen auch ohne ausprobieren, dass sie etwas wollen oder nicht wollen, bzw. etwas sind oder nicht.“

    Jein. Lustigerweise werden nicht-offensichtlich-heterosexuelle Menschen öfters gefragt, woher sie denn wissen (wollen), dass sie nicht heterosexuell sind, wenn sie es nicht ausprobiert haben. Und selbst wenn, hat Paula gut angesprochen, dass nach gleichgeschlechtlichen* Partner_innenschaften auch mal eine „zurück in die Herde“-Haltung ausgesprochen wird. Genau das ist doch der Knackpunkt – dass dieses Wissen, was mensch will bei Heterosexualität als Norm gilt und bei anderen Sexualitäten eben nicht. Genau da setzt obiges Video an.

    Es geht mir nicht darum, dass alle alles mögliche ausprobieren müssen. Steht bei meiner langjährigen monogam orientierten Beziehung auch nicht an – weil sie eben derzeit einvernehmlich monogam orientiert und auf unbestimmte Zeit ausgelegt ist.
    ABER
    Ich fände es schon schön, zumindest offen für fließendere, variablere Konzepte zu sein. Menschen ändern sich. Ständig. In jungen Jahren werden andere Prioritäten gesetzt als im im „mittleren“ oder höheren Alter. Mit z.B. steigendem Bildungsgrad oder Karriereposition verändern sich die Ansprüche an Partner_innenschaften. Mit bereits vorhandenen Kindern werden andere Wertmaßstäbe an Partner_innenschaften angesetzt als ohne oder mit vielen oder mit kleinen oder in Bezug auf weiteren Nachwuch (mitunter entscheidet hier auch die Gesetzeslage oder der technische Forschungsstand). Das ist das schöne am Leben und an der (Post)Moderne – Menschen müssen sich nicht für irgendwas ihr Leben lang festlegen, sondern können auf das reagieren, was sich ergibt.

    Diese ökonomische Flexibilität, die derzeit vom „System“ gefordert wird, wünsche ich mir auch in den Köpfen der Menschen. Oder wenigstens Offenheit dafür. Auch und gerade im Bezug zu Begehren und Partner_innenschaften! Nicht mehr und nicht weniger.

    ad „nie“
    Du darfst für dich ausschließen, was du möchtest. Aber um bei deinem Beispiel zu bleiben: In meiner Idealvorstellung von Welt würdest du es zumindest neutral prüfen, in wie weit dein „nie“ noch gilt, sollte dir ein Engel/Maria/Prophet/Pan/Buddha/whatever erscheinen. ;)

  11. @Khaos.Kind

    Offenheit kann auch als Druck zurückkommen: „Du solltest für alles offen sein, deshalb nimm mich!“ Und dann fängt das Begründen an, warum es halt nicht so ist, dass Offenheit halt nicht da ist.

    Ich mag es, wenn Menschen andere Menschen nicht in eine Ecke drängen. Ihnen sagen, wie sie sein sollen. Auch wenn es doch noch so offen und fließend ist. Ist doch alles kein Problem, sei offen… es könnte doch sein… woher weißt du…
    HILFE! Ich! Will! Nicht!

    Mir wurde jahrelang mitgeteilt, dass ich auch irgendwann das Rauchen anfangen würde, so als sei es ein Naturgesetz. Ich habe nie das Verlangen nach einer Zigarette gespürt.

    Und was meine S*xualität angeht, will ich gar nicht offen sein. Und ich will auch nicht, dass diverse Heteras offen für mich sein sollen, nur weil ich diese begehren könnte. Ich find’s okay so wie es ist. Und Frustrationsmomente, die gut überwunden wurden, helfen der Persönlichkeitsbildung. ;)

    Es tut mir gut, zu wissen, dass nicht alles geht. Und ich will deshalb nicht, dass andere dieses Bild in Bezug auf mich im Kopf haben, es könne was gehen.
    Weil, nur mal so nebenbei, ich wählte nicht zwischen hetero und lesbisch, sondern dann schon eher zwischen abstinent leben und lesbisch. Hetero war nie eine Option.

  12. @irgendeine Userin
    „Offenheit kann auch als Druck zurückkommen: “Du solltest für alles offen sein, deshalb nimm mich!” Und dann fängt das Begründen an, warum es halt nicht so ist, dass Offenheit halt nicht da ist.“

    Nur weil mensch variablere Konzepte von Sexualität präferiert, heißt das nicht, dass grundlegende Verhaltensnormen wie „Yes means Yes and No means No“ vergessen werden dürfen. Oder dass es beliebig wäre. Darum habe ich doch das Beispiel aus meinem eigenen Leben gebracht. Für einen unbestimmten Zeitraum habe ich mich auch festgelegt. Das kann sich ändern oder nicht. Aber ich schließe eine Veränderung in welche Richtung auch immer nicht aus.
    Offen heißt nicht, dass jedeR alles mit/machen muss! Das halte ich für Pseudo. Und ja, Prinzipien können auch gegen eineN angewendet werden. Meistens von Menschen, die sich für oberinformiert halten, es aber nicht sind (letztens auf ner Frauen*vollversammlung).
    Deswegen ist das Prinzip ja nicht falsch. Oder würdest du das anders sehen?
    (und muss ich echt noch erwähnen, dass Offenheit nicht nur für die mögliche Variabilität des eigenen, sondern auch des Lebens anderer Menschen gelten sollte und dem mit Toleranz und Akzeptanz begegnet werden sollte?)

  13. Wenn man mich gefragt hätte, wäre meine Antwort gewesen: Als ich vier Jahre alt war. Meine Zukunft war für mich bis dahin eine ganz klare Angelegenheit, ich war der felsenfesten Überzeugung, dass meine beste Freundin und ich für immer zusammenbleiben und später heiraten würden. Ich fand sie unglaublich hübsch, wollte sie beschützen und war sehr eifersüchtig auf jeden Jungen, der sich ihr näherte. An Fasching war sie die Prinzessin, ich ging als Tiger, damit jemand auf sie aufpasste.
    Bis mir meine Mutter erklärte: Mädchen können keine Mädchen heiraten, nur Jungs. Hm. Ich dachte eine Weile darüber nach und verliebte mich also stattdessen in einen Nachbarjungen. Manchmal spielten wir Prinz und Prinzessin, meistens aber widmete er die Zeit seiner Autorennbahn, die ich als Mädchen nicht anrühren durfte, während ich ihn anschmachtete oder ihn mit Wachsmalkreide portraitierte. An Fasching war er Cowboy und ich Pippi Langstrumpf, im nächsten Jahr: Er Indianer, ich Dornröschen.
    Er verließ mich für ein anderes Nachbarmädchen, weil der Weg zu ihrer Haustür noch kürzer war als zur Tür meines Elternhauses und er dann nicht so weit gehen müsse. Und ihre Mutter gab ihm mehr Schokolade als meine.
    Und heute? Ich glaube mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, dass ich bi bin, habe aber nur die heteroseite ausgelebt. Warum? Es hat sich so ergeben. Es war einfacher. Die Frauen, in die ich mich verliebte, waren leider alle hetero. Nach einer Partnerin hätte ich sehr aktiv suchen müssen, männliche Verehrer dagegen waren stets vorhanden, während nie eine Frau ihr Interesse an mir offen geäußert hat. Und es gibt ja auch tolle Männer und so lebe ich nur die eine Seite meiner Sexualität. Ich glaube, dass geht sehr vielen Bisexuellen so: die als „normal“ geltende Seite, die Norm eben, das ist viel leichter zu leben, um mit dem Strom zu schwimmen genügt es ja, sich nicht zu bewegen, dann wird mensch schon mitgezogen. Und als Bisexuelle (r) lebt mensch ja nicht GEGEN die eigene Sexualität, sondern eben nur einen von zwei Teilen nicht aus.
    Natürlich drängt sich die Frage auf „aber woher weisst Du dann, dass Du bi bist, wenn Du es nie ausprobiert hast?“ Ich weiss es. Punkt. Ich verliebe mich in Menschen, nicht in Männer oder Frauen und ich habe den ganzen Zirkus um die Existenz von zwei Geschlechtern nie nachvollziehen können, den ganzen Homo – Hereto Zirkus übrigens auch nicht. Die Festlegung auf ein Geschlecht, sei es das andere oder das eigene, erschien mir schon immer absurd und irgendwie unverständlich, eine unnötige Einschränkung. Wozu sich entscheiden müssen?
    Und ich bin auch sicher: irgendwann treffe ich die Frau, mit der ich herausfinden kann ob meine Theorie über meine Bisexualiät tatsächlich stimmt. Aber bis jetzt habe ich eigentlich keine Zweifel, was die Antwort betrifft.
    Mich beschäftigt mehr, was passiert wäre, wenn meine Mutter mir gesagt hätte (weil es der gesellschaftlichen und gesetzlichen Realiät entsprochen hätte…) „schön, na klar, könnt ihr später mal heiraten, deine Freundin und Du. Und Enkelkinder könnt ihr ja adoptieren, kein Problem, Dein Vater und ich, wir freuen uns schonmal drauf.“

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  15. „Ich verliebe mich in Menschen, nicht in Männer oder Frauen und ich habe den ganzen Zirkus um die Existenz von zwei Geschlechtern nie nachvollziehen können, den ganzen Homo – Hereto Zirkus übrigens auch nicht. Die Festlegung auf ein Geschlecht, sei es das andere oder das eigene, erschien mir schon immer absurd und irgendwie unverständlich, eine unnötige Einschränkung. Wozu sich entscheiden müssen?“

    ich fühle mich nicht eingeschränkt, auf ein geschlecht „beschränkt“ zu sein, wären dann immer noch 3,5 milliarden….
    und ich verstehe auch nicht, warum man sein eigenes nicht darstellen kann ohne anderes abzuwerten. wieso kann man/frau/was anderes nicht einfach schreiben: bei mir ist es so. warum braucht es da für manche den zusatz: wer anders lebt als ich, schränk sich ein, entscheidet sich… als ob ich mich dafür entschieden hätte, nur an einem geschlecht interesse zu haben, genausowenig habe ich mich dafür entschieden, dass das bei mir fix ist, es ist so. ich kann nicht sagen, ich schau mal, vielleicht ändert sich das mal, mal sehen, was die zukunft bringt, bei mir ist das nicht so. mich nerven eure wertungen @khaos.kind @miri

  16. (und muss ich echt noch erwähnen, dass Offenheit nicht nur für die mögliche Variabilität des eigenen, sondern auch des Lebens anderer Menschen gelten sollte und dem mit Toleranz und Akzeptanz begegnet werden sollte?)

    Ja @khaos.kind, wäre nett. :-)

    Als ich meinen Kommentar gestern abschickte, hatte ich hinterher noch weitere Assoziationen, die ich mir notierte: Bewertungen, Offenheit, Möglichkeiten. Von daher ging es mir ähnlich wie @alex.

    Etwas sei besser für mich (oder für alle), wir würden in einer besseren Welt leben, wenn ihr nur so oder so seid, hat für mich etwas von einem missionarischen Eifer.
    Ich glaube daran, dass es auch gut gemeint ist.
    Musste aber daran denken, dass Menschen einfach unterschiedlich sind. Mir können hundert Leute erklären, dass Koriander ein geniales Kraut sei. Es wird für mich niemals dieses Moment haben, da ich Rezeptoren auf meiner Zunge habe, die dazu führen, dass Koriander – auch in Mikromengen – das Essen für mich seifig schmecken lässt. Eine Erfahrung, die viele leider nicht mit mir teilen. Und ich kann es nicht beweisen. Ich muss darauf hoffen, dass meine Aussage dahingehend respektiert wird und ich nicht plötzlich mit der wunderbaren Überraschung leben muss, dass mir eine Hauptmahlzeit mit Koriander kredenzt wird, weil er doch so wunderbar schmecke.

    Respekt.
    Ich kann zum „Glück“ nicht überzeugt werden. Ich kann das „Glück“ für andere wahrnehmen, aber manches ist für mich nicht lebbar. Und da will ich auch nicht mit Argumentationen und „sanfter Gewalt“, es sei doch besser, wenn alle… hingedrängt werden. Weil, was für andere gut sein kann (fließend etc.), ist für mich gruselig und nicht lebbar. Deshalb war für mich das Video so erfrischend, weil es die Leute auf dieselben Erfahrungen hinwies: Das Leben war einfach so. Es ist so geworden. Da gab es nicht so unbedingt die Wahl. Aber ich möchte die Möglichkeit dazu haben. Und es ist nicht besser und schlechter als anders.

  17. @miri
    Ich musste etwas schmunzeln als ich deinen Kommentar las. Verzeih mir. :-)
    Die Wahl haben ist relativ. Meine Wahl war lesbisch glücklich leben oder ewige Single bleiben. Ich wollte glücklich sein. Deshalb habe ich, wie es so schön heißt, „keine Kosten und Mühen gescheut“, es auch zu werden.

    Es ist schön, dass die Lesbe, die dich eventuell attraktiv finden könnte, bei dir offene Türen einrennen kann. Und ich hoffe, dass die Lesbe auch Kenntnis davon erhält. Weil, wie gesagt, ich habe bei „offensichtlichen“ Heteras meine Gefühlstoren recht bald geschlossen. Und bei Bifrauen in meinem Umfeld spürte ich damals, dass sie für Frauen offen waren. Aber ich war nicht deren Typ oder sie waren nicht mein Typ.

    Aber, um es kurz zu machen, die Option muss auch kommuniziert werden, es muss irgendwie bemerkt werden können. Das würde die Chancen auf jeden Fall erweitern. Von daher @khaos.kind, ich kann das nachvollziehen, diese Offenheit und Möglichkeiten. Aber es funktioniert nicht bei allen.
    Und selbst wenn zwei Bifrauen oder zwei Lesben sich zum ersten Mal treffen, heißt das nicht, dass es „BING“ macht und die Geigen im Himmel singen. Ich glaube auch nicht, dass jeder Mann für jede Hetera passt. Oder welche Optionen alles möglich sein können. Das Witzige ist, dass es manchmal nur one in a million passt – und dann ist das halt so.

  18. Vermeintlich harmlose Frage – ehrlich gesagt, ich habe keine dieser Fragen in meinem 50-jährigem Leben jemals einem Menschen gestellt und würde das auch nicht tun. Die Fragestellung ist einerseits zu intim, andererseits aber auch wieder so abstrakt, dass eine Antwort darauf, nicht auf der Ebene kommen kann, die mich bei Menschen interessieren.
    Nun mich ich einschränkend dazu sagen, dass ich anderen Menschen sehr selten Fragen stelle. Ich mag Menschen gerne kennenlernen und mag, wenn sie mir ihre Geschichten erzählen und da ich eine gute Zuhörerin bin, bekomme ich viele Geschichten zu hören. Die sind mir wichtiger.

    Aber falls – falls wirklich eine Frage sein sollte – dann finde ich die Frage interessant, ab wann Menschen zum ersten Mal ihre Sexualität erlebt bzw. gespürt haben. Meistens ist das verdammt früh und zum Glück erfrischend anders, als die späteren Erlebnisse, die sich dann schon an Normen und Regeln orientieren.

  19. (Beispiel: Eine Frau, die ihr ganzes Leben lang mit Frauen zusammen war und nun mit einem Mann zusammen ist, bekommt wohl nicht die Frage gestellt, seid wann sie denn nun weiß, dass sie hetero ist).

    Da finden sich dann schon paar Lesben, die ihren Senf dazu geben müssen.

  20. @»Paula«, @Irene

    Ich habe bei meinem Kommentar zum Thema „eine Frau wird ja nicht gefragt, ob sie hetero ist, wenn sie bisher immer mit einer Frau zusammen war“ wohl an eine bestimmte Art und Weise gedacht, wie die Frage gestellt wird, sehe aber, dass die Frage mit anderen Beweggründen jenen Frauen sehr wohl auch gestellt wird – also ja, zu pauschal von mir, ohne dass ich das eingeordnet habe.

    @ Enrico

    Sorry, dass dein Beiträge erst jetzt freigeschaltet wurde!

    Ich stimme allerdings nicht wirklich mit deinen Aussagen überein: Du siehst Sexualität als etwas sehr starres an, das sehe ich eher nicht so. Ich weiß auch nicht, was du mit „verschaukelten Partner“ meinst.

    @ Michaela

    Finde ich eine gute Idee! Kannst uns ja den Link schicken, wenn ihr das irgendwo veröffentlicht.

  21. @Magda

    Über die Veränderlichkeit von Sexualität wollte ich eigentlich gar nichts Aussagen. Es ist schon möglich, dass sich sowas im Laufe des Lebens durch tiefgreifende Erfahrungen und Erlebnisse ändert. Aber ich meine, dass diese Änderungen auf einem Level der Psyche geschehen, die dem Willen, also einer bewussten Entscheidung, nicht unterworfen und nicht zugänglich sind.

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