Von „personalisierten Investitionshindernissen“ und „Quasselstrippen“

Seit 90 Jahren, seit dem Januar 1919, dürfen Frauen in Deutschland wählen – genau zum richtigen Zeitpunkt erscheint also „Damenwahl“, herausgegeben von Alice Schwarzer.

In Damenwahl portraitieren Tissy Bruns, Chefkorrespondentin des Tagesspiegels, und Chantal Louis, Redakteurin bei Emma, 18 Politikerinnen aller Parteien und lassen diese von ihrem ersten Mandat erzählen.

Herausgekommen sind dabei Portraits von Frauen, die oft Quotenfrauen waren, als „Trümmerfrauen“ nach oben gekommen sind – also immer dann, wenn die Partei nicht weiterwusste oder von einer Krise geschüttelt war, Frauen, die meist quer in die Politik eingestiegen sind und nicht den langen Weg durch alle Ebenen gegangen sind – weil sie, wie gleich mehrere von ihnen sagen, dann niemals dort angekommen wären, wo sie sind.

Welche Frauen kann man nun in „Damenwahl“ kennenlernen? Da ist zum Beispiel Bärbel Höhn von den Grünen, von der es bald nach ihrem Einstieg in die Politik heißt, sie nerve.

Doch sie bleibt hart, wenn es ihr um etwas geht. Und sie lässt sich auch nicht dadurch einschüchtern, dass FDP und CDU als das „personalisiertes Investitionshindernis“ bezeichnen.

Über Katja Kipping, PDS, und ihre Anfangszeit als Verkehrsexpertin im sächsischen Landtag schreibt Tissy Bruns:

So brüllt ein Verkehrpolitiker der CDU zur PDS-Fraktionsführung rüber: Mensch, Ihre Verkehrsmädels, haben Sie die denn nicht besser im Griff? (…) Auf den ersten Blick seien Jugend und gutes Aussehen hilfreich; auf den zweiten schädlich, weil das automatisch mit Harmlosigkeit gleichgesetzt werde und viele nicht damit umgehen könnten, sobald sich zeigte: Die ist ja gar nicht harmlos. „Und dann gibt es eine Stufe, da wird es egal.“

Dieses Buch gibt auch einen Einblick in die Waffenkammer des Politikbetriebs: Melanie Huml, CSU, wird von Konkurrenten um den Posten als Becksteins Staatssekretärin eine Schwangerschaft angedichtet; über Christa Thoben, NRW-Wirtschaftsministerin von der CDU, wird das Gerücht gestreut, sie habe ein Verhältnis mit dem Partei- und Fraktionschef. Persönliche Angriffe, die sich auf das Thema Kinder und Liebe beschränken, weil man vielleicht glaubt, Frauen seien an diesen Stellen besonders empfindlich.

Doch beim Lesen des Buches stellt man fest: Empfindlichkeiten leisten sich die Politikerinnen nicht; auch nicht Andrea Nahles, die sich von Bild-Kolumnist Franz Josef Wagner sogar nachsagen lassen muss, die „Quasselstrippe“ sei höchstpersönlich am Untergang der SPD Schuld. Im Gegenteil verraten die 18 Frauen, was sie gelernt haben, geben Tipps wie Silvana Koch-Mehrin aus der FDP:

„Im Weltbild vieler Männer ist es noch nicht angekommen, dass Frauen hierarchisch über ihnen stehen. Das muss man sportlich sehen, sonst ist es sehr ermüdend.“

Oder Grünen-Chefin Renate Künast:

„Es kommt darauf an, genau zu wissen, welche drei Punkte man durchsetzen will. Dann kann man bei den 15 anderen gelassen die Deals machen, die nötig sind.“

Alle Portraitierten ermutigen Frauen, es ihnen nachzutun. Die SPD-Bundesministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul sagt sogar, Frauen, die in der Politik mitmischen wollen, dürften sich um keine der ihnen angeboteten Positionen drücken. Eine andere SPD-Ministerin, Ulla Schmidt, sagt, es sei überaus wichtig, „dass Frauen sich auch melden, wenn Ämter zur Verfügung stehen. Sonst werden wir es nie ändern.“

Ein Buch zum Nach- und Mitdenken. Denn: „Der Kopf ist nicht zum Nicken, sondern zum Denken da“, wie Heidemarie Wieczorek-Zeul darin zitiert wird.

Erschienen bei KiWi Paperback, 224 Seiten, mit einem Geleitwort von Angela Merkel, 8 Euro 95.

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20 Kommentare zu „Von „personalisierten Investitionshindernissen“ und „Quasselstrippen“

  1. ich frage mich gerade, warum nicht Tissy Bruns und Chantal Louis auf dem cover stehen, wenn sie die portraits geschrieben haben. hat das einen im buch ersichtlichen grund?

  2. “Im Weltbild vieler Männer ist es noch nicht angekommen, dass Frauen hierarchisch über ihnen stehen. Das muss man sportlich sehen, sonst ist es sehr ermüdend.”

    Ich will das mal sportlich sehen. Was denkt Ihr, wie das gemeint ist, dass Frauen „hierarchisch“ über „den Männern“ stehen?

  3. Ich glaube nicht, dass Silvana Koch-Mehrin das so generalisierend gemeint hat, wie du es aufgefasst hast, Ryan… Da es sich um ein aus dem Zusammenhang gerissenes Zitat handelt, könnte ich mir vorstellen, dass es bei dem Zitat darum ging, dass es Frauen gibt, die hierachisch über den besagten Männern stehen. Nicht alle Frauen stehen hierachisch qua Geschlecht über den Männern, aber es soll mittlerweile Frauen geben, die in Hierachien über Männern stehen, habe ich mal gehört ;-)

  4. Darf ich kurz zum Thema erkämpftes Wahlrecht? Dazu vorher ein ein Zitat von Michael Klonovsky :
    „Seit jeher hat das Patriarchat den größten Teil seiner Energien der Unterdrückung von Männern gewidmet.“

    Geschichte des Wahlrechts
    Quelle : http://de.wikipedia.org/wiki/Wahlrecht

    „Das parlamentarische Prinzip wurde in England über Jahrhunderte hinweg im Interessenskonflikt mit den Monarchen errungen. Das Wahlrecht war allerdings an Stand und Klasse gebunden. ……Im 19. Jahrhundert breitete sich das parlamentarische Prinzip immer weiter aus. Das Wahlrecht war jedoch meistens durch Bedingungen an Stand, Besitz (Kurienwahlrecht), Bildung oder Steuerleistung (Zensuswahlrecht) auf einen kleineren Teil der Gesamtbevölkerung beschränkt. Frühe Ausnahmen waren die USA (seit 1830), die Schweiz (1848) und Deutschland (1871), wo das allgemeine Wahlrecht (für Männer) galt. Es wurde in Österreich 1907 eingeführt.….
    Deutschland
    Otto von Bismarck führte 1867 im Norddeutschen Bund das allgemeine Wahlrecht (für Männer) ein, um die Liberalen zu schwächen. Richtigerweise ging er davon aus, dass die breite Bevölkerung auf dem Lande eher konservativ wählen werde. Langfristig jedoch stärkte das allgemeine Wahlrecht die oppositionelle Sozialdemokratie. 1871 erhielt auch das neugegründete Deutsche Reich das Männerwahlrecht.In Preußen, dem wichtigsten Einzelstaat, wurde nach dem Steueraufkommen des Einzelnen unterschiedlich gewichtet (siehe Dreiklassenwahlrecht). …… Es ist zu berücksichtigen, dass 1871 noch 34 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung jünger als 15 Jahre alt waren (1933 24 Prozent, Bundesrepublik 1980 18 Prozent).[15] Ein Wahlalter von mindestens 25 Jahren schloss also einen großen Prozentsatz der Bevölkerung aus. So kam es, dass 1871 nur knapp zwanzig Prozent der Gesamtbevölkerung wählen durften, trotz allgemeinen Männerwahlrechts. Erst nach Ende des Ersten Weltkrieges und der Einführung der Weimarer Republik wurde mit dem 19. Januar 1919 das Frauenwahlrecht in Deutschland erstmalig umgesetzt. Gleichzeitig wurde auch das bis dahin in Preußen noch geltende „Dreiklassenwahlrecht“ abgeschafft….. Nach der Errichtung der nationalsozialistischen Einparteien-Diktatur hatten Wahlen zwar keine relevante politische Bedeutung mehr. Trotzdem wurde Frauen das passive Wahlrecht 1933 entzogen; Juden hatten theoretisch ab März 1936 kein Wahlrecht mehr.“

    Es bleibt zu diskutieren warum zunächst nur Männern und nicht auch Frauen das Wahlrecht eingeräumt wurde. Wollten Männer sie aus niedrigen persönlichen Motiven aus den politischen Entscheidungsprozessen aussperren? Haben sich Frauen mit Politik nicht auseinandersetzen wollen? Oder war die Politik damals noch sehr militarisiert, ein altes Kulturerbe Männer/Militär, eine traditionelle Selbstverständlichkeit?

    Die Realitäten sind wie in manchen Studien über angebliche Kausalitäten Orgasmen/Einkommen. Wenn das Ergebnis vorher feststeht gibt es genug Möglichkeiten für eine „wissenschaftliche“ Beweiskette. Deswegen hat sich das ptolemäische Weltbild auch fast 2000 Jahre gehalten, weil es „wissenschaftlich“ belegt werden konnte.

    Möglicherweise ist das Zitat von Fr. Dr. Koch-Mehrin aus dem Zusammenhang gerissen. Dieses Phänomen habe ich jedoch schon öfters beobachtet. Männer versuchen Frauen zu helfen – mit Erfolg, und dann werden diese Loyalitäten und mentoriellen Hilfen quittiert mit Kommentaren dieser Art oder mit Berichten „Frauen boxen sich an die Spitze der Industrie“.

    @Ryan: Es stimmt übrigens. Frauen standen schon immer über den Männern. Es greift ein altkulturelles religiös zementiertes Weltbild, was die Frau als Bessermensch über den Mann stellt. Männer und Frauen haben dieses Bild gelebt. Ich auch : Hätte mir vor 15 Jahren eine Frau eine geknallt hätte ich mich gefragt was ich wohl falsch gemacht habe. Heute würde ich dies als Gewalt erkennen.

  5. Beim Durchlesen des Artikels, wie den „variablen“ Kommentaren, kam ich mir gerade vor, wie in meiner Pubertät eines „noblen“ Internates. Die „reichen“ Mitschüler/innen gegen die „intellektuellen“ Mitschüler/innen! Nicht – aus den, immer noch vorhandenen massiven Fehlern lernen, sondern sich beklagen, bzw. um angebliche „Rechte“ fighten. Ich denke, diese junge, gescheite Plattform müsste zu anderen Äußerungen animieren!

  6. Liebe Sonnenschein. Du täuschst Dich.

    Ich kämpfe nicht.

    Mein Ziel ist das was ich dem Ethikrat auch schon mal geschrieben habe : Geschlechterfrieden.

    In einem Klima gegenseitiger Wertschätzung neue Wege des Zusammenlebens zu finden, jenseits von Revanchismus, banaler Geschlechterverachtung, Schuldzuweisungen. Das nüchterne Hinterfragen von altkulturellen Werten auf ihre Gültigkeit.

    Was ich in Foren oder Medien lese stimmt mich nicht immer optimistisch.
    Der „umarmende Feminismus“ lässt m.E. am meisten hoffen.

    Ich halte mich zurück, da mein obiger Beitrag wohl wirklich etwas „off-topic“ war. Manchmal ist es besser schweigend zu lesen.

  7. (Nicht nur) bei den Kommentaren zu diesem Posting fällt mir eines auf:
    manche Männer scheinen Probleme damit zu haben, wenn, wie hier in diesem Blog, mal Frauen das Hauptthema sind. Flugs wird manndat zitiert oder Anti-Feministen wie Klonovsky, nur damit dann doch wieder die „armen Männer“ das Hauptthema sind.
    @Mädchenmannschaft: ich bin froh, daß es Euch gibt und hoffe, daß Ihr weiterhin feministisch bleibt- frau muß ja zum Glück nicht jeden Anti-Feministen, der hier kommentiert, „umarmen“… ;)
    LG,
    mondfee

  8. @Mondfee

    Frau und Mann bilden die zwei Seiten der Münze „Mensch“

    Menschen die immer nur eine Seite dieser Münze betrachten, haben einen eingeschränkten Blickwinkel.

    Entweder sind hier auch Meinungen aus beiden Blickwinkeln zugelassen, (insofern sie sachlich sind und mit Respekt vor dem anderen vorgetragen) oder – …..

    Jeder mag sich sein eigenes Urteil bilden.

  9. Thomas´ Einwand finde ich berechtigt: Ein Wahlrecht das diese Bezeichnung verdient gibt es auch für Männer erst seit 90 Jahren. Aber was solls: Für wen nicht alles wird die Schublade „Antifeminist“ aufgemacht, so manche Kritik an fragwürdige Tendenzen im Feminismus dürfen hierzulande eben offenbar nur Menschen mit Ueterus aüßern.

    Im Weltbild vieler Männer ist es noch nicht angekommen, dass Frauen hierarchisch über ihnen stehen.

    Frauen, die hierarschisch über Männer stehen gab es doch schon immer: Die Ehefrauen der hierarchisch über anderen Männern stehenden Männer bzw. die adligen Frauen. Nach meiner Auffassung ist das eher die Unklarheit, ob Frauen gegenüber nun der Kavalier (historisch: der Beschützender) gemimt werden muß/soll, oder ob jetzt auf Augenhöhe entweder paktiert oder gekämpft werden kann. Die Kritik der dritten Welle an der Zweiten ist eben noch nicht überall angekommen, insbesondere nicht in Deutschland.

    Als einen gelungenen Kommentar zu unserer Bundeskanzlerin als Vorwortschreiberin finde ich den der gebürtigen Iranerin Mariam Lau:
    http://debatte.welt.de/kommentare/109346/merkel+und+schwarzer+schwestern+von+gestern

  10. @Pete:
    daß nicht alle Frauen Feministinnen sind, dürfte bekannt sein.
    Und Feminismus heißt nicht, daß frau jeden Schwachsinn gutfinden muß, nur weil ihn eine Frau (wie hier Frau Lau) von sich gibt…
    Einfach mal die Kommentare zu Deinem Link von Christina Passberger
    (28.01.2009 – 19.44 Uhr) und Mazza (28.01.2009 – 20.07 Uhr) lesen, mehr muß zu diesem Hetzartikel wirklich nicht gesagt werden.

  11. @Mars:
    >>Frau und Mann bilden die zwei Seiten der Münze “Mensch”
    Menschen die immer nur eine Seite dieser Münze betrachten, haben einen eingeschränkten Blickwinkel.<<
    Seltsam, daß sowas immer FeministInnen vorgeworfen wird, Leuten von manndat o.ä. aber nicht.
    Außerdem hinkt Deine Metapher:
    würdest Du z.B. JuristInnen vorwerfen, daß sie sich „nur“ mit Recht beschäftigen und die anderen Dinge der Welt nicht betrachten und deshalb einen „eingeschränkten“ Blickwinkel haben?
    Bin ja echt mal gespannt, wann die Antifeministen sich mal neue Beleidigungen einfallen lassen!*ggg*

  12. Nochwas zu Frau Lau:
    sie war mal bei der taz, und daß einige Leute bei dieser Zeitung Probleme mit Alice Schwarzer haben, dürfte bekannt sein…ich sag nur Bascha Mika.*grausel*

  13. @Mondfee: Ich habe nicht im Geringsten behauptet, dass jede Frau bzw. Feministin Mariam Lau toll finden muss weil sie eine Frau ist. „Den“ Feminismus jibt et nich.

    Aber ich muss auch nicht mit jeder Feministin diskutieren, insofern bin ich raus.

  14. @Pete:
    >>“Den” Feminismus jibt et nich.<>Aber ich muss auch nicht mit jeder Feministin diskutieren, insofern bin ich raus.<<
    q.e.d.. :D

  15. Ups, das sollte so heißen:
    @Pete:
    „“Den” Feminismus jibt et nich.“
    Vollste Zustimmung.
    „Aber ich muss auch nicht mit jeder Feministin diskutieren, insofern bin ich raus.“
    q.e.d. :D

  16. Ich hoffe, daß Frau Lau ihren Artikel in der Welt-Debatte inzwischen bereut hat. Erstens hat sie mit ihrem Kommentar zu Angela Merkel und Alice Schwarzer in der Sache Unrecht und ferner sind ihre Zeilen so abgefasst, daß sie genau den Nerv getroffen haben von ForistInnen, die ihre Homophobie und Hetze gegenüber Feministinnen zum Ausdruck bringen konnten.
    Hier hat Frau Lau keinen fairen journalistischen Stil besessen.

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