Vom Zwiespalt, eine starke Aktivistin sein zu wollen und sich sehr verletzlich zu fühlen.

Marie Albrecht studiert Soziale Arbeit und veröffent­licht hin und wieder zu Themen, die ihr am Herzen liegen. Momentan sind das vor allem der gesell­schaftliche Umgang mit Menschen, die sexualisierte Gewalt erfahren haben, das Recht auf Stadt und die Potentiale feministischer Raum­aneignung. Hier könnt ihr Maries Rede von der #metoo-Demo am 28. Oktober in Berlin lesen:

Ich heiße Marie. Das Organisations-Team dieser Demo hat mich gefragt, ob ich einen Rede­beitrag halten möchte, weil ich schon mal von meinen Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt öffent­lich berichtet habe. Dazu habe ich auch geschrieben, dass ich nicht möchte, dass mich Andere deswegen als „Opfer“ abstempeln.

Kristina Brandt, eine US-amerikanische Autorin, hat mal einen Artikel darüber geschrieben, wie ihr Ex­freund sie missbraucht hat und dass ihr das lange nicht bewusst war, weil er sie nie geschlagen hat. In diesem Artikel sagte sie auch: „I want to be a voice, not a victim“. Ich möchte eine Stimme sein und kein Opfer.

Ungefähr so hab ich mir das auch gedacht: aktiv sein, statt passiv! Alle schlimmen Erlebnisse in konstruktive feministische Arbeit umwandeln! So richtig was erreichen!

Foto: Orga-Team #metoo

Und doch, als ich die Anfrage vom Orga-Team bekommen habe, habe ich mich unsicher gefühlt. Ich hab mich gefragt: habe ich überhaupt etwas relevantes zu sagen? Und falls ja, was ist das eigentlich? Ich habe dann einem Freund von der Anfrage erzählt und gesagt, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich das über­haupt schaffe. Dieser Freund meinte dann: „Glück­wunsch! Mach das doch. So zwei bis drei Seiten schreiben sich doch schnell runter“.

Danach ging es mir erst mal schlecht. Einerseits konnte ich verstehen, was er mit diesem „Glückwunsch“ meinte: Glück­wunsch dafür, dass du ernst genommen wirst. Glück­wunsch dafür, dass du eine öffentliche Stimme bekommst. Glück­wunsch dafür, dass andere Menschen denken, dass du was zu sagen hast! Und ja, ich fühle mich geehrt, dass ich hierhin ein­geladen wurde. Aber deswegen ist es mir noch lange keine Freude.

Froh wäre ich, wenn ich nichts zu diesem Thema sagen könnte, weil mir noch nie etwas Schlimmes passiert ist. Noch lieber wäre es mir, wenn es diese Demo einfach nicht gäbe, weil es sowieso keine sexualisierte Gewalt mehr gibt.

Und deswegen habe ich mir als zweites gedacht: Was fällt dir eigentlich ein? Wie kommst du darauf, dass es was Supertolles ist, öffentlich zur reden? Und dass es doch total einfach ist, zu einem Thema wie „sexualiserte Gewalt“ die richtigen Worte zu finden?

Glaubt mir, ich wäre total gerne diese Aktivistin, die jederzeit ein paar kämpferische Parolen parat hat. Die sich ein paar revolutionäre Thesen aus dem Ärmel schüttelt und so richtig was bewegt. Und auf der einen Seite bin ich das vielleicht auch: Ja, ich nutze meinen Schmerz, um feministische Arbeit daraus zu machen – aber das macht diesen Schmerz nicht weniger schmerz­haft. Es macht ihn nicht weniger real. Sexualisierte Gewalt hat mich geprägt und ob ich das will oder nicht, sie hat mich ver­ändert.

Ich versuche all meine Wut, meine Angst, meine Ohnmacht und meine Wunden konstruktiv zu nutzen. Aber das heißt nicht, dass es mir damit gut geht.

Es gibt ein Video (facebook-Link) von Tarana Burke, die vor zehn Jahren den Hashtag „metoo“ ins Leben rief. In diesem Video spricht sie gemeinsam mit ihrer Tochter Kaia über ihre jeweiligen Erfahrungen als Über­lebende sexualisierter Gewalt. Kaia Burke beschreibt darin, wie sie ihrer Mutter das erste Mal davon erzählte, was ihr passiert ist. Und sie sagt, dass sie, nachdem sie es aus­gesprochen hatte, das erste Mal das Gefühl hatte, dass das was passiert ist, nicht ihr Fehler ist.

Vor zwei Wochen habe ich das erste Mal gesagt: „Ich bin miss­braucht worden“. Keine Erklärungen, kein recht­fertigendes „aber“. Einfach nur: „ich bin miss­braucht worden“. Ich habe lange gebraucht, um diesen Satz laut auszu­sprechen. Als ich es getan habe, habe ich mich so verletz­lich und so schwach gefühlt, wie lange nicht mehr. Und doch hat Kaia Burke Recht: Auch wenn ich mich immer wieder frage „Wie konnte das alles passieren? Wie hätte das ver­hindert werden können?“, habe ich mir auch gedacht: Ihr hättet das nicht tun dürfen. Es gibt Erklärungen, aber keine Ent­schuldigungen. Ihr seid Schuld. Nicht ich.

Wie gesagt: Ich wäre so gerne diese starke Aktivistin. Ich würde so gerne tag­täglich dieses Patriarchat angreifen, in der Hoffnung, es irgend­wann platt zu machen. Leider bin ich manchmal viel zu sehr damit beschäftigt, einzelne Personen anzuschauen und zu sagen: „warum machst du einfach und fragst mich nicht? Was soll das?“.

Es gibt viele unglaublich krasse Feminist*innen, die mutige Arbeit leisteten und leisten. Ihnen haben wir zum Beispiel die Analyse zu verdanken, dass auch das Private politisch ist. Aber was, wenn das Private auch intim ist? Was wenn ich öffentlich radikal sein will und mich inner­lich so verletz­lich fühle? Was wenn ich so sehr mit Selbst­verteidigung beschäftigt bin, dass gar keine Energie mehr für Angriff überbleibt?

Tarana Burke hat die #metoo-Kampagne ins Leben gerufen, weil sie an die Kraft der Empathie glaubt. An die Kraft des Nicht-alleine-Seins und des sich-umeinander-Kümmerns.

Ich habe für meine feministische Arbeit innerhalb des letztens Jahres unglaublich viel Hass abbekommen. Mir wurde Gewalt angedroht, meine Position infrage gestellt und vor­geworfen, ich sei über­sensibel und dogmatisch. Selbst als ich bei Facebook, wo ich nur mit recht wenigen aus­gewählten Leuten befreundet bin, was zur #metoo-Kampagne schrieb, kam sofort einer an: Es seien ja nicht alle Männer!

Als ob das hier der Punkt sei.

Wenn ich zu einem Thema etwas sagen kann, dann dazu, was für ein Zwie­spalt es ist, darüber zu reden, was passiert ist. Sein Inneres nach außen zu kehren und es damit angreifbar zu machen. Ich kann euch was zu dem Konflikt sagen, eine starke feministische Aktivistin sein zu wollen und sich dabei sehr verletz­lich zu fühlen.

Es ist eure Entscheidung, wie ihr damit umgeht, aber ich möchte, dass ihr folgendes wisst: Egal welche Ent­scheidung ihr trefft oder auch, wenn ihr euch jeden Tag um­entscheidet: es ist okay. Es geht hier um euch und ihr seid keinem Menschen und keiner politischen Bewegung irgend­etwas schuldig. Tut das, was ihr braucht, um zu heilen.

Danke an euch alle, die ihr auf diese Demo gekommen seid. Danke an alle, die den metoo-Hashtag verbreitet haben. Danke an alle, die seit Jahrzehnten ihr Inneres nach außen kehren, um irgendetwas zu verändern. Danke auch an alle, die sich dazu ent­schlossen haben, zuhause zu bleiben und ihren Schmerz nicht zu veröffent­lichen. Danke, dass ihr gut auf euch aufpasst.

Ich kann euch nicht sagen, was für euch richtig und wichtig ist. Aber egal, was ihr tut, ich möchte, dass ihr wisst, dass ihr es wert seid, gut behandelt zu werden.

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