Über die „Kampagne zur Senkung der Kaiserschnittrate in Deutschland“

Ende Juni startete eine vom „Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psycho­therapie und Gesell­schaft e.V.“ (AKF) initiierte „Kampagne zur Senkung der Kaiser­schnitt­rate in Deutschland“, der Anstoß ging aus vom Runden Tisch „Lebensphase Elternwerden“. Dieser veröffentlichte eine Stellung­nahme zu Kaiser­schnitt­geburten, mit der Forderung, die Kaiser­schnitt­rate in Deutschland auf ein „medizinisch not­wen­diges Maß“ zu senken.

Nele Tabler, deren beide Kinder Anfang der Achtziger mittels Kaiser­schnitten zur Welt kamen, reagierte auf diesen Aufruf mit einem wütenden Blog­text. Wir haben mit Nele gesprochen und sie gefragt, warum sie mit der Kampagne des AKF unzufrieden ist und was sie sich stattdessen wünschen würde.

Nele, warum hat dich der Aufruf des AKF so geärgert?

Darüber habe ich selbst ein paar Tage nachdenken müssen und ich muss dafür ein bisschen ausholen.

Ein Nebenprodukt der Frauenbewegung in den Siebzigern ist die so genannte „sanfte Geburt“ gewesen. Weg mit der Herrschaft der vorwiegend männlichen Ärzte über gebärende Frauen, zurück zu den „weisen Frauen“, den Hebammen.

All das lief darauf hinaus, dass Kinder sanft geboren und ewig gestillt werden sollten und es irgendwie immer das Problem der Frauen war, wenn etwas davon nicht funktionierte. Die Frauen nicht entspannt genug waren, sich nicht so gut/intensiv vorbereitet hatten, wie es ihnen empfohlen worden war. Sie ihre unbewussten Ängste nicht richtig bekämpft hatten und was weiß ich noch alles.

Aber bei manchen hat das mit der „sanften Geburt“ doch sicher geklappt und zu schöneren Geburtserlebnissen geführt?

Alle Frauen, die ich kannte, alle Verfechterinnen der sanften Geburt, alle von der Theorie überzeugt, haben dann in der Praxis „versagt“. Eine Frau warf ihren Mann irgendwann aus dem Kreißsaal, nachdem er versucht hatte, mit ihr korrekt nach Lehrbuch zu atmen. Jahre später bezeichneten beide dieses Ereignis als den Punkt, an dem ihre Beziehung den ersten irreparablen Knacks bekam. Sie fühlte sich von ihm und der Hebamme regelrecht terrorisiert, während er die Welt nicht mehr verstand.

Ich war auch von den sanften Geburten überzeugt gewesen, u.a. weil ich beruflich und in der Verwandtschaft viel „Ärztemurks“ gesehen hatte. Doch nachdem das erste Kind bereits drei Wochen „übertragen“ war, die Herztöne „komisch“ wurden, all die Hausmittelchen, die Hebammen empfahlen, keinerlei Wirkung zeigten, blieb nur noch die Wahl, zwischen künstlicher Einleitung mit der Gefahr von Zange oder Saugglocke oder ein Kaiserschnitt.

Und es wurde der Kaiserschnitt?

Ja. Danach ließ mir leider von der „Sanften Geburt Seite“ einreden, ich hätte zu früh aufgeben, mich von den Ärzten verunsichern lassen. Also sollte es beim zweiten Kind „besser“ laufen. Ich habe mich solange gegen medizinische Maßnahmen gewehrt, bis das Kind irgendwo feststeckte und es zum Kaiserschnitt in allerletzter Minute kam. Diese Geburt haben wir beide nur knapp überlebt.

Dass meine Kinder nicht nur leben, sondern auch ohne Geburtsschaden zur Welt kamen, ist den Kaiserschnitten zu verdanken. Erst im Laufe der Jahre hat sich meine Dankbarkeit für diese Methode mit anderen Gefühlen vermischt.

Was meinst du damit?

Je länger es zurückliegt, desto mehr habe ich den Eindruck, in meinem Leben fehlt etwas, mir ist entscheidende Erfahrung entgangen: Ich habe nicht wirklich bewusst erlebt, wie meine Kinder auf die Welt gekommen sind. Je nach Gemütszustand kommen dann noch Gedanken auf wie „Alle anderen Frauen funktionieren richtig, was ist bei dir bloß falsch?“. Dinge, die ich vom Verstand her natürlich richtig ein­ordnen kann und die mich trotzdem manchmal richtig depressiv machen. So schalte ich schon seit Jahren bei Geburtsszenen den Fernseher aus, weil ich sonst zu heulen anfange.

Aber warum kritisierst du die Kampagne dann so scharf? Genau diese psychischen Belastungen werden doch dort angesprochen?

Nein, denn meine Gefühle werden nicht allein dadurch verursacht, dass meine Kinder Kaiser­schnitte waren. Ich bin der Meinung, dass die „Sanfte Geburt Bewegung“ letzt­end­lich den Frauen ebensolchen Druck macht, wie die „technischen Ärzt­_innen“. Es geht nicht um die Frauen oder die Kinder, sondern um Ideologien. Hätte ich trotz der Kaiser­schnitte Zu­spruch von der „Sanfte Geburten Fraktion“ bekommen, würde ich vielleicht heute nicht so depressiv auf die Erinnerung reagieren. Deren Vor­haltungen ver­letzen ebenso wie die Vor­würfe der „Techniker­_innen“, nach­dem zum Beispiel in einem Geburts­haus etwas falsch gelaufen ist.

In den Kommentaren auf der Seite zur Kampagne wird in einigen Beträgen ziemlich deutlich zwischen „richtigen“ und „falschen“ Geburten, also zwischen vaginalen Geburten und Kaiserschnitten unterschieden.

Es ist wie immer: Anstatt, dass Frauen und ihre Selbstbestimmungs­rechte gestärkt werden, macht man ihnen Vorwürfe und baut Druck auf. Als wäre eine schwangere Frau nicht sowieso schon allen möglichen „Rat­schlägen“ ausgesetzt, was sie tun und lassen soll und alle meinen, ihr etwas vorschreiben und ihr Verhalten bewerten zu dürfen. Am Ende kann sie es nur falsch machen.

Der AKF hat sich in den Kommentaren deines Blog­ein­trages zu Wort gemeldet. Dort heißt es, dass man Mütter stärken wolle und es vor allem darum gehe, dass Frauen nicht mit Horror­szenarien zu einem Kaiser­schnitt gedrängt werden sollen, die ihn gar nicht wollen.

Wenn wie bei dieser Kampagne Frauen bis ins kleinste Detail erklärt wird, welche Schäden Kaiser­schnitte bei den Kindern angeblich/möglicher­weise anrichten, nützen hinter­her ent­schuldigende Erklärungen wie „das trifft ja nicht auf me­di­zi­nische Fälle zu“ gar nichts mehr. Sie sind einfach nur heuchlerisch, denn wie soll denn die Psyche, der Körper eines Menschen später zwischen einem medizinischen und einem „unnötigen“ Kaiserschnitt unterscheiden? Diese Argumentation ist absurd.

Abgesehen davon denke ich, man könnte für jede Geburtsmethode entsprechend gruslige Studien über Folgeschäden erstellen. Für Kinder, die sich beinah selbst mit der Nabelschnur erwürgt haben. Für Kinder, die sich stundenlang durch den engen Geburtskanal quälen mussten. Für Kinder, deren Gehirn mit einer Zange geschädigt wurde. Und, und, und … ich bezweifle, dass sich viele der dort beschriebenen Folgen wirklich so eindeutig, wie es suggeriert wird, auf das Geburts­erlebnis zurück­führen lassen.

Trotzdem, das Grundproblem, das in der Kampagne angesprochen wird, bleibt ja bestehen: Frauen werden häufig aus verschiedensten Gründen zu unnötigen oder gar unfreiwilligen Kaiserschnitten gedrängt. Und wie es um die Hebammen als Vertrauenspersonen und eventueller Gegenpol zur Krankenhausmaschinerie steht, wissen wir ja. Was also tun?

Jede Schwangerschaft, jede Frau, jedes Baby hat ganz eigenen Rhythmus, in der Regel dauert es um die vierzig Wochen, mal etwas länger, mal etwas kürzer, bis Mutter und Kind für die Geburt bereit sind. Kaiser­schnitte zu Zeit­punkten, die medizinischem Personal gerade am besten in ihre Termin­kalender passen, sollten wirklich verboten werden. Bei einer solchen Kampagne wäre ich ganz vorne mit dabei. Aber nicht bei einer, die mit Schuld­gefühlen und Halb­wahr­heiten arbeitet. Das sind die gleichen Strategien wie die der Kaiser­schnitt­fraktion in den Kranken­häusern und die werdenden Mütter werden dazwischen zerrieben.

*************************************************

Hier kann der Aufruf des AKF online gezeichnet werden.

Wer Unterstützung dabei sucht, eine Kaiserschnittgeburt zu verarbeiten oder des­wegen Kontakt zu anderen Frauen sucht, kann sich zum Beispiel an das Kaiser­schnitt-Netz­werk wenden, dort gibt es auch ein Ver­zeichnis von Beratungs­adressen. Beratung für Frauen in Nieder­sachsen und weiterführende Links und Literatur findet Ihr bei der Kaiser­schnitt­stelle. Das Netzwerk Geburts­ver­arbeitung richtet sich allgemein an Frauen, die mit ihrem Geburts­erlebnis hadern. Frauen, die an einer post­partalen Depression leiden oder vermuten, sie könnten eine haben, finden Hilfe bei Schatten & Licht e.V.

Außerdem ist die begleitende bzw. die Nachsorge­hebamme eine passende An­sprech­partnerin. Sie ist nicht nur in der körperlichen, sondern auch der psychischen Betreuung und Beratung von Kaiser­schnitt­müttern aus­ge­bildet.

26 Kommentare zu „Über die „Kampagne zur Senkung der Kaiserschnittrate in Deutschland“

  1. Ich kann Neles Gefühle so gut nachvollziehen! Vor der Geburt meines 2. Kindes wollte ich UNBEDINGT vaginal entbinden, da das erste per Notkaiserschnitt zur Welt kam. Zum einen war dieser Kaiserschnitt der totale Horror, zum anderen dachte auch ich, dass ich ganz unbedingt diese Erfahrung brauche, ein Kind „richtig“ zur Welt gebracht zu haben. Nachdem ich bei der zweiten Schwangerschaft wieder deutlich über den Termin war, habe ich mich dann spontan doch zu einem geplanten Kaiserschnitt entschieden und heute bin ich mir sicher, das war die beste Entscheidung, die ich treffen konnte. Bei der ersten Geburt ist eine Menge schiefgelaufen, was durch eine bessere Hebammenbetreuung wahrscheinlich zu vermeiden gewesen wäre. Aber die Ärztinnen haben erst eingegriffen, als es fast zu spät war. Deshalb unterstütze ich durchaus die Forderungen nach angemessener Bezahlung von Hebammen. Und das, obwohl ich im Zusammenhang mit der zweiten Geburt ziemlich schräge Dinge mit verschiedenen Hebammen erlebt habe…
    Bei Gesprächen über die Wahl des Geburtsortes (Hausgeburt, Geburtshaus, verschiedene Krankenhäuser und Kliniken) bin ich mitterlweile ziemlich schnell ungehalten, wenn die von Nele kritisierten Argumente kommen. Es wird zum Beispiel auch gerne verschwiegen, dass die Frauen, die zu Hause oder im Geburtshaus entbinden, eine Positivauswahl (keine Riskiofaktoren) darstellen und schon alleine deshalb die Kaiserschnittrate bei diesen Frauen geringer ist. Nichts desto trotz wird jede 3. Geburt, die im Geburtshaus oder zu Hause begann, im Krankenhaus beendet.
    Im Geburtsvorbereitungskurs wird der Kaiserschnitt entweder gar nicht thematisiert oder so dargestellt, als wäre das was ganz schlimmes und den Frauen so eingeredet, dass sie versagt haben werden, wenn sie schlussendlich per Kaiserschnitt entbinden. Wenn die Frauen dann nachher traumatisiert sind, wird das allerdings dann auf die bösen Ärzte geschoben. Dass aber solche Kampagnen durchaus ihren Teil dazu beitragen, weil sie suggerieren, dass ein Kaiserschnitt eben keine richtige Geburt sei, auf die Idee kommt wohl keiner…
    Mag sein, dass man auch mit weniger Kaiserschnitten auf eine ähnlich hohe Zahl von Geburtsschäden kommt, aber bei jedem individuellen Fall eines solchen ist das hochdramatisch und keineR will sowas erleben. Von daher sollte man den Kaiserschnitt meiner Meinung nach nicht so verteufeln, wie es manche GeburtshelferInnen tun, sondern froh sein, dass es heutzutage diese Möglichkeit gibt.

  2. Diese Diskussion finde ich sehr wichtig. Doch es wäre auch schön, wenn es uns gelänge, sie ohne Wut und (gegenseitige) Vorwürfe zu führen, denn in ihr überschneiden sich sehr viele verschiedene Aspekte, die auch nicht so leicht synthetisiert werden können.

    Das eine ist die „Bevormundung“ von Frauen durch eine (apparateorientierte) Medizin, die ihnen „beibringt“, ihrem eigenen Körpergefühl zu misstrauen und die Schwangerschaft und Geburt durchrationalisieren will. Ich habe das selbst erlebt, weil ich bei beiden Schwangerschaften vorzeitige Wehen und eine vorzeitige Öffnung des Muttermundes hatte. Ich musste liegen und täglich 2x wurden die „Wehen“ gemessen, die ich nicht spürte, ich hing an einem Tropf, der meinen Herzschlag beschleunigte, was dann wieder durch Valium gebremst werden sollte usw. usw. Es ging immer nur um das Kind in den Gesprächen mit den Ärzten; ich war bloß noch das „Gefäß“ für das Kind und zudem eines, das sich schuldig und unzureichend fühlte, weil ich offenbar nicht fähig war, „richtig“ schwanger zu sein. –Und dann kommt das „Andererseits…“: Mein Sohn, der zu früh geboren wurde, hätte vielleicht ohne die „Apparatemedizin“ nicht überlebt. Vielleicht wäre ich selbst ohne moderne Medizin schwer erkrankt und geschädigt worden.

    Die Schwangerschaft und die Geburt sind Grenzsituationen, weil in e i n e m Körper z w e i sind. Deshalb ist es empörend, wenn Außenstehende werdenden Müttern erzählen wollen, was „gut“ für das Kind ist, als sei die Mutter jetzt nur noch Gefäß für ein Anderes. Sie selbst wird aber die Verantwortung für dieses andere Wesen durchaus spüren – und auch die für sich. Was helfen könnte (was ich zumindest als große Hilfe erfahren habe), ist die Betreuung durch eine gute Hebamme schon während der Schwangerschaft (meiner zweiten, in der sich genau dieselben Symptome zeigten wie während der ersten), die der Frau hilft, auf ihr eigenes Körperempfinden zu achten, ich möchte fast sagen „zu lauschen“ und dem zu vertrauen. Ich konnte auf diese Weise zum Beispiel die Entscheidung treffen, die „Liegephase“ während der zweiten Schwangerschaft nicht in der Klinik zu verbringen, sondern zu Hause. Und ich konnte vor und während der Geburt gut entscheiden, was sich j e t z t für mich und das Kind „richtig“ anfühlt. Die zweite Geburt habe ich daher als etwas Wunderschönes erlebt, während die erste ein Desaster (Notzangengeburt, Herzstillstand des Kindes, schwerer Dammriss) war.

    Ich glaube, dass die Zusammenarbeit mit dieser großartigen Hebamme mich so gestärkt hat, dass ich auch hätte entscheiden können: Jetzt will ich einen Kaiserschnitt, weil ich mich damit sicherer/besser fühle. Und genau darauf kommt es an: Dass eine Frau sich entscheiden kann, wenn es darauf ankommt. Deshalb finde ich die Kritik an den lange vorher geplanten Kaiserschnitten (meine Schwägerin musste/sollte ihren so legen, dass die Urlaubspläne des betreuenden Arztes berücksichtigt wurden und beim zweiten Mal wurde es so gemacht, dass das Kind unbedingt vor Weihnachten zur Welt kommen musste wegen der Schichtpläne in der Klinik) berechtigt. Wichtig ist, dass möglichst viel Entscheidungsfreiheit bleibt. Man kann nicht alles planen. Wie eine Schwangerschaft und eine Geburt verlaufen, dafür gibt es kein „richtig“ und „falsch“.Es kann sinnvoll sein, einen Kaiserschnitt zu wählen und es kann sein, dass es für eine andere Frau die falsche Entscheidung ist. Ich habe bei meiner Schwägerin erlebt, dass es durchaus einen Druck von Seiten der Kliniken gibt, sich für Kaiserschnitte zu entscheiden, weil das besser planbar ist. Sich dagegen zu wehren, finde ich trotz allem sinnvoll.

  3. @Jutta: Das, was deine Schwängerin erlebt hat, ist natürlich vollkommen daneben, ich glaube, das deutete Nele in ihrem Interview ja auch an. In meinem Bekanntenkreis spiegelt sich durchaus die 30 % Kaiserschnittrate in Deutschland wieder, aber sowas habe ich bisher noch nie als Begründung gehört für einen Kaiserschnitt, von daher würde ich jetzt mal hoffen, dass es sich dabei eher um eine Ausnahme als die Regel handelt.
    Ich wurde 1 Woche vor dem errechneten Termin von der Beleghebamme im Stich gelassen, weil sie lieber anlässlich des 75. Geburtstages ihrer Mutter mit dieser in den Urlaub gehen wollte. Das war für mich eben auch ein starker Grund, warum ich mich dann 2 Wochen später für einen geplanten Kaiserschnitt (zwischen Entscheidung und Geburt lagen 2 1/2 Stunden) entschieden habe. Das ist hoffentlich genauso eine Ausnahme wie die Urlaubspläne der/des OperateurIn und kein Beleg dafür, dass freischaffende (Beleg)Hebammen unzuverlässig sind…

  4. „In den Kommentaren auf der Seite zur Kampagne wird in einigen Beträgen ziemlich deutlich zwischen „richtigen“ und „falschen“ Geburten, also zwischen vaginalen Geburten und Kaiserschnitten unterschieden.“

    Ich finde keine Kommentarsektion auf der Seite, bin ich doof?

  5. Vielen Dank für das sehr interessante Interview.
    Da ich selbst noch 3- 7 Wochen bis zur Geburt habe interessieren mich solche Themen natürlich besonders.

  6. ich kann im prinzip meine vorschreiberinnen nur bestätigen. ALLERDINGS habe ich mich unter der geburt nicht mehr in der lage erlebt, zu entscheiden, was für mich richtig ist. ich kann nur für mich sprechen, aber diese situation war mit nichts anderem vergleichbar und ich konnte ganz sicher nicht mehr klar denken. mit situation meine ich schlicht die heftigen wehen, ich stand eher neben mir, als das ich etwas hätte ’selbst bestimmen‘ können. und dann gefragt zu werden (nach dem, was man so geburtstillstand nennt, obwohl es sich ganz sicher nicht wie stillstand anfühlte) ist blanker hohn. da braucht man menschen an seiner seite, die FÜR einen entscheiden, das heißt, besser einschätzen können, wie vorzugehen ist. also: gegen kaiserschnitte zwecks besserer schichtpläne, für kaiserschnitte mit besserem ergebnis für mutter und kind.

  7. Ich finde, in dieser ganzen Debatte wird deutlich, was für ein merkwürdiges, widersprüchliches Bild von Frauen in der Rolle einer Mutter vorherrscht. Vorstellungen und Ansätze, die in den 1960-1980er Jahre der zweiten Frauenbewegung Sinn gemacht haben auf dem Wege sich zu emanzipieren,den weiblichen Körper und damit auch Schwangerschaft und Geburt wieder in eigene Hände zu nehmen und sich die Macht zurückzuerobern, werden heute noch in Debatten als Argumente verwendet, wobei sich der Kontext mittlerweile einfach ein Stück in der Realität der Frauen verändert hat/haben kann (je nach Frau natürlich).

    Dass es Frauen gibt, die sich aus persönlichen, medizinischen oder anderen gerechtfertigten Gründen für einen Kaiserschnitt entscheiden, oder dass ein Kaiserschnitt generell einfach auch Leben retten kann, wird nicht gesehen in dieser Anti-Kampagne.

    Ich finde, niemand kann einer Frau ihr Recht absprechen, über ihren Körper und damit zusammenhängene Prozesse wie Schwangerschaft und Geburt zu entscheiden. Jede Frau ist unterschiedlich, jede Schwangerschaft, jede Geburt und jede Mutter-Kind-Beziehung.

    Eigentlich ist es eine Zumutung, unter welchen gesellschaftlichen, sozialen und politischen Prämissen Frauen in Deutschland Mütter zu sein haben.

    Es fängt an bei der richtigen Art schwanger zu sein, dann folgt die richtige Art der Geburt und dann natürlich die richtige Art, wie man sein Kind zu erziehen und zu versorgen hat.

    Für mich ist das eine groteske Mischung aus Überbleibseln von Mütter-Ideologien der NS-Zeit gepaart mit sich auf die eigene Weiblichkeit zurückbesinnende naturalisierende Ansätze der Frauenbewegung.

    Generell finde ich nicht, dass irgendwer eine Frau zu irgendeiner Art von Geburt drängen darf, genauso wenig, wie man einer Frau ihre Entscheidung für einen bestimmten Weg absprechen darf.
    Auch die Entscheidung einer Mutter ihr Kind zu einem gewissen Zeitpunkt per Kaiserschnitt bekommen zu wollen, kann und sollte nicht verurteilt werden.

    Diese Aussage von „Wir sind ja nicht in den USA!“ finde ich fraglich.

    Wer sind wir, dass wir uns anmaßen können, anderen Frauen abzusprechen, wann es für sie gut ist, ihr Kind auf die Welt zu bringen?

  8. Dass es Frauen gibt, die sich aus persönlichen, medizinischen oder anderen gerechtfertigten Gründen für einen Kaiserschnitt entscheiden, […] (R.)

    War von dir mit Sicherheit nicht so gemeint, trotzdem: Mich stört, dass es immer eine „Rechtfertigung“ brauchen soll. Wie bei Schwangerschaftsabbruch.

  9. @R, Re: „Dass es Frauen gibt, die sich aus persönlichen, medizinischen oder anderen gerechtfertigten Gründen für einen Kaiserschnitt entscheiden, oder dass ein Kaiserschnitt generell einfach auch Leben retten kann, wird nicht gesehen in dieser Anti-Kampagne. “

    Wo taucht das denn bitte in der Kampagne auf? Die wendet sich doch ausdrücklich nur gegen nicht medizinisch indizierte Kasierschnitte, und begrüsst solche ebenso ausdrückliche als medizinische Errungenschaft, die unzählige Leben – Mütter wie Kinder – gerettet hat.

    Wie eine Rechtfertigung zu einem Kaiserschnitt aussehen soll, die nicht medizinische Gründe hat würde mich interessieren. Ich muss dabei an die kolportierten „Hollywood“-Kaiserschnitte denken, bei denen das Kind im 8. Monat entbunden wird, um die Figur der Mutter möglichst wenig zu „beschädigen. Falls du etwas anderes gemeint hast bitte ich um Aufklärung, ich will dir nichts unterstellen. :)

    (Was solche Kaiserschnitte angeht – sofern sie überhaupt in relevanten Zahlen stattfinden – bin ich, Selbstbestimmung über den eigenen Körper in allen Ehren, sehr skeptisch, ich ordne das in Richtung Pro-Ana ein, aber das ist hoffentlich ein anderes Fass)

  10. „Wenn wie bei dieser Kampagne Frauen bis ins kleinste Detail erklärt wird, welche Schäden Kaiser­schnitte bei den Kindern angeblich/möglicher­weise anrichten, nützen hinter­her ent­schuldigende Erklärungen wie „das trifft ja nicht auf me­di­zi­nische Fälle zu“ gar nichts mehr.“ huch? aber selbstverständlich trifft das auf medizinische Fälle genauso zu. Nur ist bei denen die Alternative – worst case kind und/oder mutter tot – schlimmer. Aber in einem Fall, wo eine Schwangere schlicht Angst vor einer normalen Geburt hat oder einen wichtigen Termin, den sie nicht verpassen will?

    Wenn ich mit meiner damalig naiven, von Mediendarstellungen geprägten Vorstellung von achso unkomplizierten schmerzfreien Kaiserschnittgeburten ins Krankenhaus gegangen wäre, um eine solche zu arrangieren, dann hätte ich mir erwartet, dass man mir genau eine ebensolche Liste von Risiken und Nebenwirkungen vorlegt. Ja, ich will das wissen. Damit ich in Kenntnis der Risiken eine _bewußte Entscheidung_ treffen kann.

    A bißerl mehr feministisches Selbstbewußtsein, bitte!

  11. @sara: Das Konzept der „orgasmischen Geburt“ ist für mich ehrlich gesagt nur eine weitere Form einer idealisierten Geburt, die die wenigsten Frauen erreichen können und wo frau sich dann fragt „was hab ich falsch gemacht?“.

    @$random_mother: Das was Du hier schreibst, ist genau das, was Nele anprangert. Statt Schwangere und ihre Ängste und Bedürfnisse ernst zu nehmen, müssen sie nur die „richtigen“ Informationen bekommen und somit zur „richtigen“ Entscheidung genötigt werden. Wie wir hier schon gelesen haben, sind nicht alle Mütter, die sich für Kaiserschnitte entschieden haben, völlig uninformiert gewesen oder hatten „schlicht Angst“. Mehr Respekt vor weiblicher Selbstbestimmung bitte!

  12. @Marie: Ich schrieb nicht, dass der Beitrag Frauen ihre Selbstbestimmung abgesprochen hätte, sondern dass die Entscheidungen respektiert werden müssen. Solange unterschieden wird zwischen „richtigen“ und „falschen“ Entscheidungen, ist das kein Respekt.

  13. @helga: Ich habe random mother nicht so verstanden, dass sie zwischen „falschen“ und „richtigen“ Entscheidungen unterscheidet, sondern so, dass sie zwischen bewussten, also informierten und nicht (hinreichend) informierten Entscheidungen unterscheidet. Letzteres halte ich für eine sehr wichtige Unterscheidung. Ich kann auch nicht erkennen, dass eine Information über Risiken eine Nötigung ist. Das gilt für die Risiken einer „sanften“ Geburt ebenso wie für die Risiken eines Kaiserschnitts. Zur Nötigung wird das Ganze, wenn die Risiken mancher Methoden gegenüber den Risiken anderer Methoden einseitig hervorgehoben werden. Das machen nach meiner Erfahrung leider sowohl die Propagandist_innen der „sanften“ Geburt als auch die Bediensteten im Krankenhaus häufiger mal. Von daher bin ich ganz bei Neles letztem Absatz, aber die von random mother zitierte Passage ist mir auch aufgestoßen.

  14. @Helga: Das heißt, der Forschungsstand sollte nicht vermittelt werden, also es sollte nicht über Risiken des Kaiserschnitts für die Mutter aufgeklärt werden, da dies die Entscheidungsfreiheit der Frauen einschränkt?

    Ich sehe nicht, wie Entscheidungsfreiheit eingeschränkt wird, wenn über Risiken des Kaiserschnitts aufgeklärt wird, ich halte es vielmehr für notwendig, da ohne diese Informationen keine Basis da ist, sich für oder gegen Kaiserschnitt zu entscheiden.

  15. Am wichtigsten ist glaube ich in erster Linie das so ein Geblubber von solchen DogmatikerInnen jeder Seite (Only-Natürliche-Geburt vs. Kaiserschnitt-Ist-Immer-Das-Beste) ausgeblendet wird. Deren Erfahrungen sind nicht die eigenen und Risiken sind immer da, eine Geburt ist nunmal eine Extremsituation. Bauchgefühl, Selbstbewusstsein und hoffentlich ein gutes Vertrauensverhältnis zur Frauenärztin sind glaube ich das wichtigste um den richtigen Weg für sich zu finden.

    An alle die irgendeine wegen der Art ihrer Geburtswahl verteufeln wollen: Daumen runter.

  16. @Marie und Maxine: Es fordert niemand, keine informierten Entscheidungen zu treffen. Aber bei $random_mother klingt es so „wenn die alle Ahnung hätten, würden sie das anders machen“. Als ob all die Schwangeren, die sich derzeit für Kaiserschnitte entscheiden, uninformiert. Und als ob ganz klar wäre, dass sie sich anders entscheiden müssten. Das ist genau die Rhetorik, mit der die Unterscheidung in richtige und falsche Entscheidungen beginnt. Und die Basis für Vorwürfe an Mütter legt.

    Die Frage hier ist vor allem, an wen richten sich Forderungen, wo wird angesetzt mit Änderungswünschen? An Krankenkassen und ihre Vergütungsrichtlinien? (Für Kaiserschnitte gibt es mit Abstand am meisten Kohle.) An Ärzt_innen und ihre Informationspolitik? An Krankenhausleitungen und ihre Personalpolitik? (Viele Geburtstationen sind personell total unterbesetzt.) Oder an die Schwangeren? Die einzige Gruppe ohne Lobby, aber eh schon mit Verhaltensvorgaben überschüttet.

  17. Wir sind da überhaupt nicht weit auseinander. Auf jeden Fall liegt die Wurzel der Probleme nicht bei den Schwangeren, sondern im Gesundheitsapparat. Aber bis sich da etwas ändert, vergeht auch bei optimistischer Grundhaltung eine Menge Zeit, und es werden jeden Tag Kinder geboren – nicht wenige davon auf eine Weise, die für Mütter und/oder Kinder unnötige Belastungen bis hin zu Traumatisierungen mit sich bringt. Gerade wer eine autonome Entscheidung der Mutter stärken will – und das tun hier, glaube ich, alle – muss sich dafür einsetzen, dass Wissen und Rückhalt verfügbar sind, damit die Mutter diese Entscheidung gegen Indoktrinationsversuche verschiedener Stellen auch in einer Belastungssituation fällen kann.

    Ich habe random mother allein so verstanden, dass sie genau dafür eintritt. Es mag sein, dass ihr Posting etwas emotional geraten ist und deshalb – nach meiner Interpretation – missverstanden werden kann. Das gilt aber mindestens ebenso sehr für das Interview, dessen zitierte Stelle leicht so gelesen werden kann, dass die Mütter doch lieber nicht alles erfahren sollen, um sie nicht zu belasten. Und gegen eine solche Haltung würde ich ganz entschieden kämpfen.

  18. Habe mir jetzt alle KOmmentare durchgelesen. Als Hochschwangere mache ich mir natürlich eh meine Gedanken.
    Langsam frage ich mich auch, warum die Geburt unbedingt dieses „tolle, besondere Erlebnis“ sein muss? Versteht mich nciht falsch. Ich freue mich schon sehr auf unser Baby, aber vor der Geburt habe ich schon Angst, insbesondere vor den Schmerzen. Welcher Mensch hat andererseits keine Angst vor Schmerzen?
    Natürlich habe ich mich schon mit den verschiedenen Geburtsarten beschäftigt. Alles hat Vor-und Nachteile. Wenn man sich allerdings übermäßig mit den Risiken und Gefahren beschäftigt wird man irgendwann wahnsinnig. (Meine Meinung!)
    Dieser Druck, dass man sich in der Schwangerschaft und Geburtsvorbereitung möglichst ernsthaft mit der Schwangerschaft und Geburt beschäftigt macht mich manchmal schon fertig.

  19. Ich sehe grundsätzlich auch, dass der Zugang zu mehr Informationen über Chancen und Risiken verschiedener Geburtsmöglichkeiten eine autonomere Entscheidungsfreiheit erleichtern.

    Eine völlig autonome Entscheidung über den Geburtsverlauf, die ausschließlich bei der werdenden Mutter liegt, halte ich allerdings so oder so meist für illusorisch und (für mich) auch gar nicht erstrebenswert. Für mich war das Vertrauen in die Fachkompetenz und die Erfahrung der begleitenden Hebamme sehr hilfreich und äh – empowering ;-) – Kraft gebend?. Das hätte ich nicht „mutterseelenallein“ machen wollen. Mit anderen Worten. So oder so kann und möchte ich zum Beispiel nicht alleine/autonom entscheiden ob bei einer Hausgeburt tatsächlich das Kind zu Hause auf die Welt kommt oder ob die Geburt zu irgendeinem Zeitpunkt doch in die Klinik verlegt werden muss. So viel zum Thema Autonomie und Geburt.

    Anderer Punkt:
    In der vom AKF auch zitierten GEK-Kaiserschnittstudie (gibt’s als 189 Setein starkes Pdf online) steht eine ganze Menge drin über die Risiken von Kaiserschnitten und über die Problematik der steigenden Kaiserschnittraten. Das faind ich alles sehr interessant und hilfreich zu lesen.
    Was dort allerdings zum Beispiel auch drin steht ist, dass der Forschungsstand zu Depressionen bei der Mutter und der Zusammenhang zwischen Mutter-Kind-Bindung und Geburtsmodus keinesfalls so eindeutig ist. Schade, dass die Kampagne trotzdem so tut, wie als würde es sich hierbei um „bewiesene“ Fakten handelt und somit um eindeutige wichtige Informationen, die einem anderenfalls vorenthalten würden.

    Ich zitiere aus der GEK-Studie, Seite 47.

    „Es ist zu beobachten, dass die Diskussion um die psychischen Folgen
    eines Kaiserschnitts sehr ideologisch geführt wird. Es lässt sich sowohl
    zeigen, dass sich Frauen um das Geburtserlebnis beraubt fühlen, und
    um die fehlende Erfahrung trauern (insbesondere nach einer sekundä-
    ren Sectio), als sich auch Frauen finden lassen, die froh sind, ihr Kind
    per Kaiserschnitt auf die Welt gebracht zu haben; insbesondere dann,
    wenn sie die Risiken für eine vaginale Entbindung als zu hoch einschätzen.

    Studien zu den psychosozialen Folgen werden selten durchgeführt, so
    dass zuverlässige Aussagen kaum möglich sind. Auch zur Frage der
    Mutter-Kind-Bindung nach Kaiserschnitt gibt es sehr unterschiedliche
    Erfahrungen. Nach einer Kaiserschnittgeburt brauchen die Mütter oft
    länger, eine Mutter-Kind-Bindung aufzubauen als Frauen, die vaginal
    entbunden hatten, und diese ist anfänglich auch nicht so eng (DiMatteo
    et al., 1996). Eine neuere Langzeit-Studie verglich die Mutter-KindBindung nach Spontangeburt, primärer und sekundärer Sectio nach 4
    Monaten und einem Jahr nach der Geburt und fand keinen Einfluss des
    Geburtsmodus auf die langfristige Beziehung zwischen Mutter und Kind
    (Durik, 2000). Auch Hannah et al. (2004) haben, ausgehend von einer
    prospektiven Kohortenstudie zum Vergleich zwischen vaginaler Beckendendlagengeburt und Beckenendlagengeburt per Kaiserschnitt, beide
    Gruppen von Müttern zwei Jahre nach der Entbindung unter anderem
    bezüglich Mutter-Kind-Beziehung befragt, und fanden keine Unterschiede.“

  20. Um die Diskussion noch einmal zu versachlichen: Es gibt ja große Unterschiede zwischen den Kaiserschnittraten unterschiedlicher Staaten, sogar unterschiedlicher Bundesländer. Da ich nicht glaube, dass die Menge an riskanten Geburstverläufen so unterschiedich ist – woran liegen dann die teils hohen Kaiserschnittraten?
    Die Kampagne will meines Erachtens nicht den Schwarzen Peter den Müttern zuschieben, die im Notfall sowieso nicht entscheiden, sondern dafür plädieren, den Kaiserschnitt nur da anzuwenden, wo er auch notwendig ist.
    Dass wir mittlerweile Schwangerschaft und Geburt nur noch unter Risikoaspekten diskutieren, ist ja eigentlich traurig.

Kommentare sind geschlossen.

Betrieben von WordPress | Theme: Baskerville 2 von Anders Noren.

Nach oben ↑