Typisch türkische Oma. Keine Chance.

„Kacke! Alles kacke.“ Es ist Montagmorgen. Ich stehe an der Bahnhaltestelle und höre jemanden auf Türkisch meckern. „Diese bescheuerten Rolltreppen. Nichts funktioniert hier! Wäre ich doch bloß zu Hause geblieben.“ Ich schaue mich neugierig um. Eine alte türkische Oma, das Kopftuch fest unter dem Kinn geknotet, besteigt grummelig die letzte Treppenstufe und betritt den Bahnsteig. Sie atmet erschöpft ein und aus und schaut sich skeptisch um. Sie entdeckt mich, unsere Blicke treffen sich. Sie neigt den Kopf zur Seite, mustert mich durchdringend und stratzt dann mit ihren Stützstrümpfen entschlossen direkt auf mich zu. Ich bekomme Panik.

„Sprichst du Türkisch, meine Tochter?“, fragt sie mich. Dann lacht sie. Überflüssige Frage! „Ach, meine Schöne“, sagt sie, „Allah sei Dank, dass ich dich gefunden habe.“ Sie schlingt ihre Arme um meine Hüfte, um mich fest an sich zu drücken. Klein, pummelig weich und stark zugleich – so typisch türkische Oma halt. Ich ergebe mich. Dagegen habe ich keine Chance.

Sie hakt sich bei mir unter und beginnt einen langen Monolog über ihre Bus- und Bahn-Odyssee. Wenn sie schimpft, schüttle ich eifrig den Kopf und empöre mich mit ihr. Ihr Mann liegt seit einigen Wochen im Krankenhaus. Normalerweise fährt ihre Tochter sie dahin, heute konnte sie nicht. Deshalb wagte sie sich alleine durch den verwirrenden Schilder-Dschungel. „Allah ist Zeuge, ich bin doch jeden Tag bei ihm. Was bin ich so doof und gehe auch heute hin?“, ärgert sie sich. „Na, vielleicht hat das auch sein Gutes“, will ich entgegnen. Sie unterbricht mich: „Verwöhn deinen Mann ja nicht! Kacke ist das. Kacke.“

Kacke sind übrigens auch die Umbauarbeiten, an denen wir vorbeilaufen, die Treppen, der Hund, an dem wir vorbeigehen, und die Sitze in der Bahn, auf die wir uns setzten. Dabei rümpft sie die Nase. „Hör mir zu, meine Tochter“, sagt sie und beugt sich zu mir vor. Ihr Kopftuch ist nach hinten gerutscht, eine Strähne lugt hervor. „Vor dreißig Jahren, als ich nach Deutschland kam, sagte man mir, ich solle meinen Führerschein machen. Warum, dachte ich damals. Ich hatte doch einen starken Mann, gesund und kräftig. Der tat alles für mich. Und jetzt? Jetzt steht das Auto vor der Tür und niemand fährt es.“ Sie schüttelt den Kopf und ärgert sich. „Guck dir die Deutschen an! Meine Nachbarin ist 80 und düst mit ihrem Auto durch Berlin. Ach, ich war dumm und naiv. Deshalb sag ich dir, meine Schöne: Lerne eine Sache, falte sie zusammen und klemme sie in ein Loch in der Wand. Irgendwann wirst du sie brauchen. So Allah will.“ Sie nickt mir ermutigend zu. Ich lächle.

Gleich muss ich aussteigen. „Und noch was: Vertreib deine Zeit nicht mit Kochen! Guck, ich hab so viel gekocht und getan, mein Mann ist trotzdem krank geworden. Kacke.“ Sie grübelt. Irgendwas will sie mir noch mitgeben. „Und räum auch nicht so viel auf. Ein bisschen Unordnung macht nichts.“

Ich lächle und bedanke mich. Sie wünscht mir nicht zu viele Kinder und betet für mich. „Warte, meine Tochter“, ruft sie mir noch durch das Fenster hinterher: „Nicht vergessen: Lern Deutsch!“

(Dieser Text erschien ursprünglich als Kolumne in der Taz.)

14 Kommentare zu „Typisch türkische Oma. Keine Chance.

  1. Klasse, die Oma!
    Grade weil sie so gar nicht dem typischen Bild entspricht dass die meisten Leute von türkischen Omas mit Kopftuch haben. Grade deswegen mag ich Kübras Texte so gerne: Weil sie meine eigenen Vorurteile entlarven :-)

  2. voll süß das mit der oma, man erwartet ja echt erst mal was ganz anderes, aber die war ja ziemlich gut drauf ^^

  3. Die Oma ist echt spitze. In ihrem „Stöhnen und Schimpfen“ liegen tiefe Erkenntnisse. Lebenserfahrungen, die ihr eigenes Leben spiegeln. Echt cool. Man wird echt positiv überrascht, beim Lesen. Und eigentlich ist sie ganz „deutsch“, jung wie Teenager und Erfahren wie 100 Jahre. Alle Achtung. :))

  4. Haha. Sehr nett. Meine Oma ist auch „typisch türkisch“. Könnten alles wortwörtliche Zitate von ihr sein, bis auf die Sache mit dem Deutschlernen natürlich.
    Da fällt mir auf, dass meine Oma und die Oma von Kürbas Geschichte sich nie kennenlernen würden. Schade für beide.

  5. @Inge:
    Es gibt Kulturräume, in denen alte Frauen tatsächlich liebevoll „Oma“ genannt werden. Wo ist dein Problem? Ich vermute mal „Oma“ wird für dich eine negative Konnotation haben, aber ich kann nicht ganz nachvollziehen warum.

  6. @Inge: Nein, ich meinte das überhaupt nicht im Sinne von „mach dich mal locker!“ Es tut mir Leid, wenn meine Frage so rübergekommen ist. Es war tatsächlich eine ernst gemeinte Frage, denn zugegebenermaßen ist mir als junger Hüpfer die negative Konnotation, wenn einen fremde Leute „Oma“ nennen, nicht so bewusst. Also danke für den Artikel – der beantwortet meine Frage. ;)

  7. @Sabrina – ja war bewusst überspitzt formuliert – wie es mir dabei geht – gefühlsebene … sonst alles klar jetzt ;-)

  8. „Grade weil sie so gar nicht dem typischen Bild entspricht dass die meisten Leute von türkischen Omas mit Kopftuch haben.“

    Ah ja?
    Hat keinen Führerschein, hat nur gekocht und aufgeräumt usw.?
    Nur weil ihr jetzt auffällt, dass sie ihre Zeit verschwendet hat (ihr Mann ist ja doch krank geworden), entspricht sie also keinen Klischees?

    Könnte übrigens auch meine Oma sein, kein Führerschein, immer Hausfrau, jetzt ist der Mann gestorben und sie hat schlichtweg keinen Lebenssinn mehr.

Kommentare sind geschlossen.

Betrieben von WordPress | Theme: Baskerville 2 von Anders Noren.

Nach oben ↑