Stellungnahme des Bündnisses kritischer Kulturpraktiker_innen

Theateraufführungen, Ausstellungen, Installationen – Welches Publikum erreichen sie? Welche Personen werden immer wieder ausgeschlossen? Über dieses Thema und Ansätze zur Öffnung von Angeboten sollten Anfang Januar bei der Tagung „Mind the Gap“ diskutiert werden. Die Tagung an sich aber re_produzierte direkt wieder alle Ausschlüsse, die sie betrachten wollte. Das Bündnis kritischer Kulturpraktiker_innen schrieb eine Stellungnahme.

Anfang dieses Jahres fand am Deutschen Theater Berlin die Tagung “Mind the Gap” statt, die sich den „Zugangsbarrieren zu kulturellen Angeboten und Konzeptionen niedrigschwelliger Kulturvermittlung” widmen wollte. In der Ankündigung begründeten die Veranstalter_innen, dass „gerade junge Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund aus nicht westlichen Herkunftsländern, Menschen mit Behinderung und viele Menschen mit geringen Einkünften klassische Kultureinrichtungen besonders selten“ besuchen.

Bereits hier stellt sich die Frage, nach welchen Gesichtspunkten und wie präzise die Begriffe und Konzepte ausgewählt sind, die von den Tagungsleiter_innen verwendet werden. So werden im gesamten Tagungskontext und gerade auch im Tagungsrückblick Begriffe wie „Milieu“, „Kunst“, „Migrationshintergrund“, „Behinderung“ unreflektiert gebraucht, welche jedoch gerade in den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften längst als problematische, Differenz festschreibende Kategorien diskutiert werden. Folglich ist es notwendig, mit viel präziseren Begriffen zu arbeiten, um strukturelle Ausschlüsse wie Rassismus, Klassismus und Ableismus und ihre Wirkungen als “Gap”-Erzeuger zu analysieren und schließlich Methoden zu ihrer Überwindung zu konzipieren.

Denn auf der Basis von vereinfachenden Begriffen, wie sie etwa bei der o.g. Tagung verwendet werden, folgern die beteiligten Sprecher_innen, dass es darum ginge, Barrieren durch “niedrigschwellige Kulturvermittlung” zu beheben. Und hier zeigt sich ein problematischer Ansatz, der per se von einem Defizit bei den einzelnen Bevölkerungsgruppen ausgeht, da ihnen Unkenntnis oder Ferne zu Kunst, Kultur und Bildung unterstellt wird. Einerseits werden also sämtliche Individuen aus unterschiedlichsten Zusammenhängen, Bezügen und Verortungen als eine “Gruppe” festgeschrieben und darin “kunstaffinen”, “gebildeten” Besucher_innen von Kultureinrichtungen gegenübergestellt. Da andererseits “niedrigschwellige Kulturvermittlung” als Heilmittel zur Überwindung der “Gaps” vorgeschlagen wird, bleibt der wichtigste Bearbeitungsbereich unangetastet: die Programme, Inhalte und das Personal der Kulturinstitutionen selbst.

Ein Bündnis von Kulturpraktiker_innen und Wissenschaftler_innen hat mit der Aktion “Mind the Trap”  bei der o.g. Tagung interveniert, um auf die Problematiken des Tagungskonzeptes und -inhaltes hinzuweisen. Die Leiter_innen der Tagung Prof. Dr. Birgit Mandel und Thomas Renz haben in ihrem Tagungsrückblick auch dazu Stellung bezogen: „Und Protest kam sehr massiv durch Störungen und Interventionen […] von einer Gruppe junger Off-Theaterschaffender die sich darüber beklagten, dass zu wenig ‘bunte’ Wissenschaftler eingeladen wären. Eine schwarze oder mindestens braune Hautfarbe sei Voraussetzung, um über Nicht-Besucher klassischer Kultureinrichtungen zu forschen. Einer wissenschaftlich fundierten Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Gruppen würde damit jegliche Legitimation entzogen. Nur Betroffene selbst dürften über sich forschen und diskutieren.” Hierbei zeigt sich, wie etablierte Sprecher_innen aus Kulturinstitutionen und Wissenschaft rassistischen Ausschluss erzeugen und argumentieren. Die Aussagen, Personen und Forderungen des Bündnisses und der Intervention werden hierbei völlig falsch dargestellt; so handelt es sich bei den an der Aktion Beteiligten um Personen mit unterschiedlichsten Bezügen, Marginalisierungserfahrungen und aus verschiedenen Praxisfeldern der Wissenschaft und Kunst, die ihre Selbstbezeichnung aus der Postkolonialen Theorie sowie der Praxis von Anti-Rassismus und Human-Rights-Bewegungen ableiten. Die Tagungsleiter_innen übersetzen dann “People of Color” jedoch als “bunt” – ein NICHT harmloser, sondern völlig ignoranter Übersetzungsfehler. Außerdem lenken sie (völlig) davon ab, dass die Tagung ihrem eigenen Anspruch nur bedingt gerecht wird. Zwar war die Tagung scheinbar als „wissenschaftliches Forum konzipiert, auf dem diejenigen Wissenschaftler, die empirisch zu den Barrieren der Nutzung kultureller Angebote bei verschiedenen Zielgruppen forschen, auf der Basis systematischer Auswertung einer großen Zahl an quantitativen und qualitativen Befragungen, ihre Ergebnisse vorstellten.“ Unter den geladenen Referent_innen, die im Übrigen auch aus Praxisfeldern kommen, war jedoch keine einzige wissenschaftliche und künstlerische Expert_innen eingeladen, die sich mit Ausschlüssen und Marginalisierungen aus dieser Perspektive kritisch auseinander setzt. So entschleiert die Sprecher_innenliste der o.g. Tagung eine Ignoranz und den Ausschluss von Personen und Inhalten, die sich seit mehreren Jahrzehnten genau mit der Produktion, Legitimierung und Wirkung von “Gaps” produktiv auseinander setzen.

Das Bündnis kritischer Kulturpraktiker_innen ist ein Zusammenschluss von Kulturschaffenden und Wissenschaftler_innen, die sich gegen strukturelle Ausschlüsse (Sexismus, Rassismus, Klassismus, Ableismus etc.) und Diskriminierung aussprechen und diese in ihrer künstlerischen, wissenschaftliche und politischen Arbeit zu überwinden suchen. Die Intervention hat hohe Wellen in der Kunst- und Kultur-, der Wissenschaftsszene sowie in der Presse geschlagen, da sie nicht als “Guerilla-Angriff“ verstanden wurde, sondern als ein kritischer Kommentar zu einem monokulturell ausgerichteten System, das strukturelle Ausschlüsse produziert und durch solche Tagungen perpetuiert wird. Vor dem Hintergrund dieses breiten Zuspruches kritisieren wir mit Nachdruck die Sprecher_innenschaft, Konzepte, Begriffe und Programme von Tagungen wie “Mind the Gap”, da sie selbst rassistischen Ausschluss schaffen anstatt sich mit dem eigentlichen Gegenstand konstruktiv auseinander zu setzen.

Ein Kommentar zu „Stellungnahme des Bündnisses kritischer Kulturpraktiker_innen

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