Solidarität ist nicht essbar

Jessica Valenti fragte jüngst „What is feminism worth?“. In ihrem Blog geht sie auf eine US-amerikanische Debatte um den Aktivisten Dan Choi ein, der für Reden eine Gage von zehntausend US-$ fordert.
Valenti plädiert für bezahlten feministischen Aktivismus. Sie weist auf dessen Kosten hin, der oft dazu führt, dass ein_e potentielle_r Aktivist_in nur so viel tun kann, wie es ihre / seine persönliche Finanzlage erlaubt. Weiterhin verweist sie auf den gesamtgesellschaftlichen Umgang mit Aktivismus: Einerseits werden Aktivist_innen wie Eigentum der Allgemeinheit behandelt, andererseits ruht der Einsatz für die Gesellschaft, gerade was Frauenrechte angeht, oft auf den Schultern von Ehrenamtlichen oder schlecht bezahlten (jungen) Menschen.

Eine derartige Debatte findet in Deutschland derzeit nicht statt, dabei ist das Thema für mich allzeit aktuell: Bei fast jedem feministischen Verein und Projekt treffe ich auf schlecht bezahlte Arbeitskräfte, eine nicht gefüllte Portokasse und eine Schar von Menschen, die ehrenamtlich arbeiten – häufig über das normale Maß neben einem Vollzeit-Job hinaus. Ich treffe auf verarmte Aktivistinnen der zweiten Frauenbewegung, deren Engagement sie eben nicht nur während ihrer „Berufstätigkeit“ kaum ernährte, sondern auch ihre Rente auf ein Minimum reduzierte und ihnen schlimmstenfalls auch noch Schulden hinterließ.

In solchen Momenten zücke ich meinen Geldbeutel, klaube raus was ich entbehren kann und schaue, ob ich die Eine oder Andere für einen meiner Vereine als Referentin holen kann. Beim Betrachten der Vereinskasse, stelle ich zunächst freudestrahlend und dann doch desillusioniert fest: Mehr als 200 € Gage ist nicht drin. Doch: Die zukünftige Referentin wird froh sein, über die 200 € – es gibt ja wenigstens ein bisschen Geld.

Es kommt der Tag der Veranstaltung und dank Solidarsystems und dem Willen, allen Interessent_innen den Vortrag zu ermöglichen, wird ein Eintritt von 0-5 € (nach Selbsteinschätzung) festgelegt – wohl wissend, dass das die Kosten für den Vortrag vermutlich nicht decken wird.

Die Referentin kehrt in ihr Projekt zurück mit wenig mehr Geld in der Kasse und das Spiel beginnt von Neuem: Zu wenig Geld, schlecht bezahlte Arbeitskräfte und die nächste Aktivistin/Referentin wird für ein Minimum an Gage geholt.

Eine geradezu endlose Kette, die gerne „Solidarität“ genannt wird, schließlich arbeiten wir/sie alle für die Frauenbewegung. Dies ist das Ergebnis, vom dem was Jessica Valenti mit “We’re expected to do the work for free, because if we were really committed, it wouldn’t be about the money.” ausdrückte.

Denke ich daran, was wir für eine 3. Frauenbewegung aus einer 2. Frauenbewegung lernen können, ist die Frage nach finanziellen Mitteln für mich zentral.

Ich freue mich, wenn ich von meistens jungen Aktivistinnen/Referentinnen selbstbewusste Honorarforderungen vernehme, gleichzeitig frage ich mich jedoch auch, wie ich bzw. wir (der jeweilige Verein) das bezahlen sollen. Der Kreislauf der zu stark begrenzten finanziellen Mittel geht dafür schon zu lange und in mir beginnt das Gefühl zu nagen, dass die angefragte Referentin die Anfrage nicht zu schätzen weiß. Zu Unrecht natürlich, aber dennoch ist dies eine verheerende Folge von Solidarität: Es entsteht das Gefühl einen Anspruch auf Solidaritätserwiderung zu haben, auf Berücksichtigung der Ist-Situation und einen Verzicht auf das eigene Auskommen von der Anderen, – eben genauso, wie bei allen anderen. Unzufriedenheit ist geradezu vorprogrammiert.

Stecke ich meine Negativ-Gefühle zurück und bin bereit, die Forderung der oftmals jungen Referentin zu erfüllen, komme ich jedoch gleich in die nächste Zwickmühle: Das Geld in der Kasse wird weniger, eine andere Referentin wird daher wieder und vielleicht noch mehr zurückstecken müssen.

Was ist die Lösung aus dieser Misere?

Einfach weniger Veranstaltungen und Vorträge organisieren? Höheren Eintritt verlangen? Dafür kämpfen, dass mehr staatliche Mittel in die Vereinstöpfe fließen?
Ich weiß es nicht, doch in mir nährt die Erkenntnis: Solidarität ist nicht der Weg.

12 Kommentare zu „Solidarität ist nicht essbar

  1. Solidarität ist in vielen feministischen Projekten ein Synonym für jahrzehntelange Selbst- und Fremdausbeutung. Das impliziert wie du schon schriebst, die Schlechtbezahlung von Referentinnen und Helferinnen.

    Staat und Städte sind pleite. Von dort ist nichts zu erwarten, schon gar nicht für feministische Frauenprojekte. Zudem ist die Konkurrenz groß geworden; Frauenbücher werden auch bei Amazon angeboten, Selbstverteidigung machen auch gemischte Vereine; frauenspezifische Vorträge laufen auch über nichtfeministische Bildungseinrichtungen.

    Wie kommt frau vielleicht raus aus der Finanzmisere?
    * Kommerziell werden
    * Spenden aquirieren
    * Standpunkt „Alles billig für alle Frauen“ auflösen
    * Selbsteinschätzungsregel bei Beiträgen/Kosten wegfallen lassen
    * Fördermittel durch Streichung des Feminismus-F im Namen erreichen (machen manche Frauengesundheitszentren)
    * Stiftungen anzapfen

    Ich glaube, dass Frauenprojekte heutzutage nicht mehr auf der reinen Sozialschiene laufen können, ein Schritt in die Kommerzialisierung hätte schon getan werden müssen. Der Bedarf für solche Projekte ist ja da, nur kommen zu wenig zahlungskräftige Kundinnen. Am Tropf der Fördertöpfe zu hängen führte meines Wissen in der Vergangenheit zu seltsamen Anstellungsverhältnissen, die nur bis zur nächsten Haushaltssitzung der Stadt dauerten und wieder verlängert wurden, wenn Gelder für das Projekt bewilligt wurden. Welche Frau hält so eine finanzielle Unsicherheit auf Dauer aus?

    Langjährige Aktivistinnen brennen irgendwann auch aus, sowas passiert umso schneller je weniger fürs Leben dabei raus kommt.
    Von feministischer Arbeit gibt es auf Grund schlechter Bezahlung weder Renten noch eine andere Risikoabsicherung.
    Feministisches Ehrenamt ist nur möglich, wenn diejenige, die hilft, gut abgesichert ist.

    Wenn ich wenig Geld hätte, würde ich für kein Projekt zu wenig Geld für einen Vortrag bzw. Workshop verlangen. Denn die Solidarität hört schnell auf, wenn eine Einzelne wirklich in finanziellen Nöten ist. Da ist die beschworene lokale Solidargemeinschaft schnell weg.

    Das Drama des Geldmangels beruht vielleicht auf antiker Mädchenerziehung mancher Aktivistinnen und der Frauen überhaupt. Frauen brauchen nicht so viel Geld, weil sie ja den Mann hat. Frauen trauen sich auch oft nicht, genug zu verlangen, es ist ja für die Sache. Wie kann frau so viel für ihre Dienstleistung verlangen, wenn es anderen Frauen auch schlecht geht.

    Die Selbstverarmung von Frauen in Frauenprojekten muss aufhören. Aber wie genau?
    Frau Sichtermann & Co. weiß wohl besser wie das geht, an Geld zu kommen.

    Ich weiß es auch nicht und sowas frustriert.

  2. @GwenDragon
    Danke für Deine ausführliche Antwort!

    Die kommerzielle „Ausschlachtung“ halte ich teilweise auch für eine gute Idee (hab mich ja in der Richtung auch Selbstständig gemacht). Dennoch ist dies für viele der sozialen Projekte irgendwie uncool. Die Beratungsangebote werden ja durchaus teilweise bereits mit Gebühren belegt, aber das Gebühren eben auch eine soziale Grenze ziehen, ist auch augenscheinleich – so dass mir dieser Weg nur ungerne gangbar erscheint.
    Dennoch gibt es Projekte, bei welchen ich eine stärkere Kommerzialisierung gutheißen würde und auch für sozial verträglich halte, z.B. das feministische Blogs Einnahmen über Werbung erzielen (und sich eben nicht als nicht-kommerziell verstehen).

    Selbsteinschätzungspreise usw. halte ich jedoch immer noch für eine gute Idee, denn die finanziellen Möglichkeiten durch scheinbar objektive Kritierien (also Ermäßigungen für Arbeitslose, Auszubildene usw.) einzuschätzen, ist bei intensiver Betrachtung schwer möglich.

    Meine Wahrnehmung sagt mir auch, dass die Idee der Solidarität ein Vermittlungsproblem hat. Als Beispiel: Verheiratete Frauen, die zuhause bleiben weil gut-verdiender Mann, die bei Selbsteinschätzungspreisen sich als einkommenslos definieren und damit nur den Minimalbeitrag zahlen; oder Studentinnen, mit mehr als ausreichendem Einkommen, die keinen Mittelbetrag zahlen, weil ja Studentinnen per Definition „arm“ sind. Hier fehlt das Verhältnis zum Solidarsystem und dieses Verhältnis muss ja auch vermittelt werden (woher soll das Wissen darum sonst kommen?).

    Vielleicht ist es auch ein wichtiger Schritt, dass sich im feministischen Umfeld keine_r darauf berufen kann, aus Luxus heraus, sich als nicht-kommerziell zu verstehen, wenn dies nicht aus sozialen Gründen notwendig ist. Blogs empfinde ich da als gutes Beispiel: Um Einnahmen über Werbung zu erzielen, muss die Werbung keinen Einfluss auf die Inhalte haben. Dementsprechend können alle selbst gehosteten Blogs Einnahmen erzielen – worauf jedoch häufig aus „antikapitalistischen“ oder „privatspaß“ Gründen verzichtet wird. Da verpufft Geld einfach…
    Andererseits muss ich mich auch an meine eigene Nase packen, da mein Unternehmen dringend Preiserhöhungen braucht, ich mich aber einfach nicht traue, von meinen bereits nicht reduziert sozial verträglichen Preisen abzurücken.

    Am Tropf der Fördertöpfe zu hängen führte meines Wissen in der Vergangenheit zu seltsamen Anstellungsverhältnissen, die nur bis zur nächsten Haushaltssitzung der Stadt dauerten und wieder verlängert wurden, wenn Gelder für das Projekt bewilligt wurden. Welche Frau hält so eine finanzielle Unsicherheit auf Dauer aus?

    Ich kenne einige Frauen, die das schon ’ne ganze Weile machen….
    Ich bin nicht sicher ob das alle Vereine so halten, aber einer meiner hält sich einen Förderverein u.a. zur abwickelnden Finanzierung der Räumlichkeiten und Arbeitskräfte im Ernstfall. Wie sieht das eigentlich in anderen Vereinen aus, die an öffentlichen Töpfen hängen?

    Zu Deinem Nachtrag:
    JA! Ich habe häufig den Eindruck, dass einkommensstarke Frauen schlecht behandelt werden, da diese sich ja wahlweise ans Kapital oder Patriarchat oder Ähnliches verkaufen. Das ist auch etwas was dringender Änderung bedarf.
    Ich errinnere mich an einem Fall, wo mir eine Frau – im Umfeld eines armen Vereins mit verarmten Mitfrauen – fast schüchtern ihren gutbezahlten Job nannte und ich darauf entgegnete: „Ach! Du bist die, die spendet!“ Ihr erleichtertes Lächeln ließ mich ahnen, dass sie sich in der Regel anderes anhören darf.

  3. @Stephanie – es gibt bei all dem natürlich ein logisches Problem, und das liegt darin, dass man für ein revolutionäres Engagement, also eines, das darauf abzielt, die gesellschaftlichen Bedingungen grundlegend zu veränder, nicht wirklich erwarten kann, dass eben diese Gesellschaft einer dafür Geld gibt. Von daher müsste man wohl zweigleisig fahren: Arbeite ich dem Mainstream zu bzw. im Rahmen dessen, was gesellschaftlicher Konsens ist? Dann muss ich dafür Geld verlangen. Aber es kann eben auch sein, dass ich außerhalb des Konsenses bin (und um solche SItuationen wird eine Feministin normalerweise nicht herumkommen) – dann kann ich dafür kein Geld erwarten.

    Ich persönlich übersetze das in meine „Honorarpolitik“ so: Werde ich von irgendeiner großen Organisation oder Institution eingeladen, etwa einen feministischen Vortrag zu halten (Gleichstellungsbeauftragte, Kirche, Gewerkschaft etc), dann verlange ich dafür ein ordentliches Honorar. Zu autonomen Gruppen, die keine staatliche Förderung bekommen, gehe ich auch schon mal ohne Honorar, wenn ich ihre Anliegen teile (Manchmal sammeln sie aber und kriegen trotzdem Geld zusammen). Aber ich versuche mir immer klar zu machen, dass man beides trennen muss.

    Die Frauenbewegung hat ja in den 1980ern sich institutionalisiert und dabei bezahlte Stellen für feministisch arbeitende Frauen in den Institutionen geschaffen. Das hat allerdings logischerweise zur Folge gehabt, dass diese Frauen in erster LInie das Wohl dieser Institutionen und nicht das der Frauenbewegung im Blick haben müssen. Das meine ich jetzt nicht moralisch oder im Sinne von gut oder schlecht, sondern in dem Sinne, dass man beide Aspekte unterscheiden muss und nicht vermengen darf.

  4. @Antje Schrupp

    ich weiß und kenne was Du meinst. Dennoch würde ich sagen, dass andere Bewegungen mehr finanziellen Zulauf haben – sei es weil es eine solide gut verdienende „Mainstream“ Basis gibt oder weil die Bewegung selbst keinen antikapitalistischen Anspruch hat.

    Weiterhin sehe ich durchaus Unterschiede zwischen Aktivist_innen in Deutschland und den USA, z.B. in der Verplichtung gegenüber sozialem/politischem Engagement bzw. Finanzierung von sozialem/politischem Engagement.
    Soll heißen: Wer was bezahlen muss, erscheinen bei Deinem Kommentar zunächst die mehr oder minder gut ausgestatteten Vereine zu sein. Weniger geht es Dir darum, wie wir das Geld dahin bringen können, wo es gerade verstärkt gebraucht wird. Und dieses Geld muss ja nicht zwangsläufig staatlich sein (was bei dem was du gesellschaftlichen Konsens nennst, scheinbar gemeint ist, oder?), sondern kann auch schlicht privat erwirtschaftet sein.

    Ich hatte übrigens ein bisschen darauf gehofft, dass Du die Frage des Grundeinkommens aufwirfst – weil dieses z.B. auf Selbsteinschätzungspreise usw. vllt. Einfluss haben könnte…

  5. „Die kommerzielle “Ausschlachtung” halte ich teilweise auch für eine gute Idee (hab mich ja in der Richtung auch Selbstständig gemacht). Dennoch ist dies für viele der sozialen Projekte irgendwie uncool.“

    Hat doch mit Coolness nichts zu tun wenn Projekte nicht kommerziell werden wollen.

  6. Hi Stephanie,

    ich finde klar kommunizierte finanzielle Budgets immer am einfachsten für alle Beteiligten. Nicht fragen, wieviel die/derjenige haben möchte, sondern sagen: „Aufgrund unserer derzeitigen finanziellen Situation können wir eine Gage von X anbieten“. Ebenso in Bezug auf die Eintrittspreise: „Diese Veranstaltung kostet X Euro – dieser Preis setzt sich zusammen aus Y Euro Gage für die/den Referenti/en, Z Euro für die Raummiete, A Euro für Spesen etc.“ Meine Erfahrung ist, dass die Menschen bereit sind, höhere Beträge zu bezahlen oder weniger einzunehmen, sobald sie verstehen, wie sich gewisse Beträge zusammensetzen.

    LG Annina

  7. @AEFEFE
    Ups, das war komisch formuliert von mir. Sorry. Ich meinte, dass ich es für uncool halte, im Sinne von „keine gute Idee“ (mir fiel dafür einfach kein nettes, passendes Wort ein…).

  8. @Annina
    sicherlich ist diese Methode auch ein spannender Versuch für Selbsteinschätzungspreise. Nach dem Motto: „Diese Veranstaltung kosten 500 €, was bist Du bereit zu zahlen?“. Werde ich bei nächster Gelegenheit probieren und wenn’s funktioniert wärs ein guter erster Schritt, um das strukturelle Problem zu lösen.

  9. Grundeinkommen kann man natürlich immer bringen, aber das sollen ja alle kriegen, auch die, die nichts zur Bewegung beitragen ;) Ein anderer Aspekt wäre, für Arbeitsbedingungen eintreten, die noch Zeit und Kraft für Engagement lassen. Dann braucht man auch nicht für alles Geld …

  10. @Antje Schrupp

    Grundeinkommen kann man natürlich immer bringen, aber das sollen ja alle kriegen, auch die, die nichts zur Bewegung beitragen ;)

    Vorweg: Meine Grundeinkommen-Kenntnisse sind minimal, mir können also grobe Schnitzer passieren, über deren Korrektur ich mich freuen würde.

    Das Grundeinkommen erscheint mir umso spannender für die Preisgestaltung. Wenn „das Geld“ gerechter verteilt ist, sind sozialverträgliche Preise weniger notwendig und damit könnten Eintritte den Kosten angepasst werden… Andererseits bleibt ein gewisser special interest Faktor, d.h. Sachen (Vorträge, T-Shirts, Worksshops) mit kleinerer Zielgruppe sind nach de Regeln des Kapitalismus teurer.

    Ein anderer Aspekt wäre, für Arbeitsbedingungen eintreten, die noch Zeit und Kraft für Engagement lassen.

    Was schwebt Dir vor? Frigga Haugs „4-in-1 Konzept“?

    Dann braucht man auch nicht für alles Geld …

    Hat uns diese Einstellung nicht gerade in diese Situation gebracht?
    Was hälst Du von Valentis „Our time and labor is worth money“-Statement?

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