Schöpfer unserer selbst

Gestern startete die Süddeutsche Zeitung eine neue Serie: „Der Kult um den Körper“. In Folge 1 schreibt Alex Rühle über Schönheitsoperationen und Anwendungen wie Botox-Spritzen. Seine zentrale These: Die Schönheitsindustrie gaukelt vor, dass selbst aus dem mangelhaftesten Ausgangsmaterial ein Wunderwerk werden kann – und hat damit Erfolg.

Es folgt eine Bestandsaufnahme über die Zahl der Eingriffe und auch ein Überblick, wie viele Milliarden Dollar die Schönheitsindustrie mit ihrem Versprechen, jeden zum Wünsch-Körper und -Aussehen trimmen zu können, verdient.

Die American Society of Plastic Surgeons schreibt, dass mittlerweile weltweit 30 Milliarden Dollar im Jahr für Schönheitsoperationen ausgegeben werden. Allein in Deutschland gibt es laut Deutscher Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie jährlich etwa 750.000 ästhetisch-chirurgische Eingriffe. Die Operationen sind erschwinglich geworden, und es ist auch kein Stigma mehr, dem eigenen Aussehen operativ nachzuhelfen.

Inzwischen bekennen sich viele Hollywoodstars offen zu ihren Eingriffen und Behandlungen. Linda Evangelista, die Sängerin Anastacia oder „Sex and the City“-Star Kim Cattrall schwören auf die glättende Kraft des Nervengifts Botulinumtoxin Typ A, kurz Botox. Seit es in den USA 2002 für kosmetische Zwecke zugelassen wurde, hat es rasend schnell einen Weltmarkt erobert.

(…) Es gehört zu unserem menschlichen Selbst- und Freiheitsverständnis, dass wir uns nach unserem eigenen Bild erschaffen, so wie es uns passt, so wie wir uns wohlfühlen. (…) „The Swan“, „Total Makeover“, „I Want a Famous Face“ – in all diesen Sendeformaten wird der normale Körper als jämmerlicher Erstversuch angesehen, voller Fehler und Mängel, die man beheben muss. Es wird aber auch immer insinuiert, dass noch aus dem mangelhaftesten Ausgangmaterial ein Wunderwerk kreiert werden kann, dass Schönheit für jeden zu haben ist, wenn man nur eisern an sich arbeitet und sich den Magiern der plastischen Industrie anvertraut. (…)

Dieser Text spricht mir aus dem Hirn und piekst mit dem Finger genau dorthin, wo die Idiotie der Schönheitsindustrie am deutlichsten wird. Absolut lesenswert.

6 Kommentare zu „Schöpfer unserer selbst

  1. Botox würde ich doch gerne vom Thema Schönheitsoperation trennen. Denn dabei handelt es sich nicht um die dauerhafte operative Veränderung am Körper, sondern um das Spritzen von Gift um optische Alterserscheinungen zu bekämpfen. Nur eine bestimmte Kategorie von Schönheitsoperationen hat überhaupt das Ziel, das Alter zu vertuschen.

    Das ist worauf ich auch immer insistieren will, die Meinung, man könne das Ausgangsmaterial völlig verändern. Es ist krank, zig Operationen zu machen, damit man ein ganz anderes Aussehen bekommt. Es ist schon ein Unterschied, ob eine Frau ein bestimmtes körperliches Merkmal als Mangel empfindet und es operativ leicht verändert, oder ob nach einer OP von Nase über Wangenknochen bis zu den Lippen nichts mehr an die Person erinnert, die sie mal war.

  2. @ ariane: klar ist das ein unterschied. aber ich könnte mir vorstellen dass nach der ersten op eine größer bereitschaft da ist auch weitere durchführen zu lassen.. nicht bei jedem natürlich.
    völlig zufrieden mit seinem körper ist man ja im grunde nie. und wenn man dann noch durch ein „gutes“ ergebnis an der einen stelle belohnt wird (und man sieht das eine manipulation des körpers so einfach ist – jetzt mal vorausgesetzt man hat das nötige kleingeld) ist der nächste schritt nicht weit…
    ich stelle mir das irgendwie ähnlich einer sucht vor (ohne das jetzt auf persönliche erfahrungen oder im bekanntenkreis beziehen zu können)… so wie beim tätowieren. das erste braucht noch überwindung, das nächste folgt ganz schnell (oder der wunsch ist zumindest da). sind für mich zwar zwei völlig unterschiedliche dinge aber ich könnte mir vorstellen das der mechanismus dahinter ähnlich ist.

  3. Es ist wirklich mit dem Tättowieren vergleichbar. Bei einigen Menschen wird es zur Sucht. Sie suchen immer den nächsten Kick, noch mehr Fläche, noch mehr Farbe, noch ausgefallenere Stellen. Dann gibt es die, die denken viel nach, was ihnen Gefallen würde, weshalb sie dort dieses und dort jenes Motiv wollen. Und dann genug davon haben, weil sich ihr Wunsch erfüllt hat. Gleich ist es mit den Schönheitsoperationen. Es gibt solche, die tun das einmal, weil sie dieses eine eben unbedingt wollten, aber viel weniger schönheitsoperationsgefährdet für die Zukunft sind, als solche die noch keine hatten. Weil ihr Verhältnis zu ihrem Körper exakt definiert ist.

  4. @Ariane
    „Weil ihr Verhältnis zu ihrem Körper exakt definiert ist.“
    verstehe ich nicht. was kann man sich darunter vorstellen?

  5. Ich meine, wenn definiert ist, was man vom Körper erwartet, was er zu sein hat. In einem ersten Schritt akzeptiert man den eigenen Körper und ist glücklich mit ihm – gleichzeitig entscheidet man aber genau und unwiderruflich, was an diesem Körper, den man liebt, anders sein könnte. Ist die Veränderung vollzogen (muss nicht zwangsläufig eine OP sein), ist man glücklich, weil er den Zustand erreicht hat, den man wollte.
    Ich wollte das in Gegensatz zur Dauerschnipselei, da noch ein paar Zentimeter, dann doch lieber dickere Lippen, ach ja, dünner könnten die Beine auch sein, stellen.

Kommentare sind geschlossen.

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