Räume und Ängste

Es gibt Räume,

die mein Herz höher schlagen lassen. Aber nicht, weil ich Schmetterlinge im Bauch habe.

die mich aufregen. Aber nicht, weil meine Vorfreude so groß ist.

in denen ich keinen Appetit verspüre. Aber nicht, weil Luft & Liebe alles ist, was ich zum Leben brauche.

in denen ich mir keine Pausen gönne. Aber nicht, weil ich Langeweile nicht ausstehen kann.

in die ich nicht (hinein) passe. Aber nicht, weil ich zu viel Raum einnehme.

in denen ich verstumme. Aber nicht, weil ich anderen so gerne zuhöre.

vor und in denen ich Angst habe.

Angst. Ein Phänomen? Etwas, das ich bin? (ängstlich!) Irrational? Krankheit? Einbildung? Nur in meinem Kopf?

Hab dich nicht so. Sei doch … Alles wird gut. War doch nicht so schlimm. Wie beim „kleinen Angsthasen„?

Ich hatte schon Angst vor Insekten und Wasser.
Ich hatte schon Angst vor’m Sprechen, vor’m Versagen. Ver_Sagen.
Ich ver_sage nicht, ich bekomme etwas ver_sagt. Zuneigung, Liebe, Wertschätzung. Zum Beispiel, weil meine Stimme ver_sagt. „Rede ordentlich!“ „Kannst du nicht sprechen?“ „Konzentrier‘ dich, wenn du sprichst!“ #Eltern
Ich fange an zu stottern, wenn ich Angst habe, aufgeregt bin, mich gestresst fühle. Ich ent_sage mir selbst Liebe, Zuneigung, Wertschätzung, wenn ich Angst habe, aufgeregt bin, mich gestresst fühle.

„Ich habe dir was zum Lesen mitgebracht. Es geht um deine Krankheit. Ist ganz interessant.“ – „Ich habe keine ‚generalisierte Angststörung‘, Mutter. Ich habe Panikattacken.“ – „Achso.“ #Gesprächbeendet

Ich hatte schon Angst vor der Angst. Weil sie mich handlungsunfähig macht. Weil sie sich so übermächtig anfühlt und ich mich ohnmächtig fühle. Weil ich Angst habe, dass die Angst mich umbringt. Angst zu sterben. Keine Angst vor dem Tod, solange ich selbst darüber entscheiden kann, ob ich sterben will oder nicht. Suizidgedanken sind Selbstermächtigung in Momenten größter Ohnmacht.

Ich hatte schon Angst vor meiner prügelnden Ex-Freundin. Vor ihren Erniedrigungen. Vor ihren Kontrollen. Davor, dass sie es wieder einmal schafft, sich zum Opfer zu machen und mir die Schuld dafür zu geben.
Ich hatte schon Angst (davor), die Verantwortung für die Ängste anderer zu übernehmen. Weil es meine Ängste antickt. Antickt, mir Liebe, Zuneigung und Wertschätzung zu ent_sagen, antickt, dass mir Liebe, Zuneigung und Wertschätzung ver_sagt wird, weil ich anderen meine Verantwortungsübernahme für ihre Ängste ver_sagt habe. Weil ich ver_sagt habe.

Ver_sagens_ängste: Angst vor den Reaktionen darauf, anderen ihre diskriminierenden Selbstverständlichkeiten zu ver_sagen. Etwas dagegen zu sagen. dagegen zu handeln. Angst zu sagen, dass Gewalt nicht immer ein Synonym für Cis-Typen (in Hetero-Beziehungen) ist. Angst zu sagen, dass #Eltern nicht immer ein Synonym für Familie ist. Angst zu sagen: #Gesprächbeendet.

Definitionsversuche: Angst als Reaktion auf etwas. Angst als Umgang mit etwas. Ich bin nicht ängstlich, sondern etwas macht, dass ich mit Angst darauf reagiere. Angst ist kein ‚Phänomen‘, keine ‚Krankheit‘, keine ‚Störung‘, nichts ‚Irrationales‘, sondern ein von mir machmal mehr, manchmal weniger bewusst entschiedener und gesteuerter Umgang mit erlebten Diskriminierungen, erlebter Gewalt und Traumatisierung. Angst ist nicht nur in meinem Kopf, sondern (auch) mit körperlichen Reaktionen und konkreten Handlungen und Emotionen verbunden, die für andere wahrnehmbar werden (können): Herzrasen, Appetitlosigkeit, Schwindel, Fantasien, Ent_Ver_rückungen, Müdigkeit, Übelkeit, (selbst herbeigeführtes) Kotzen, Schweißausbrüche, verändertes Atmen, Wut, Ärger, Weinen, Verzweiflung, Trauer, sich selbst verletzen, Suizid_Gedanken, Panik, Weg_Bewegung, Gegen_Not_wehr, Schreien, Sorgen (sich Sorgen machen, für sich sorgen, für andere sorgen, sich Sorgen machen um andere) Schlaf, Bewusstlosigkeit, Nicht_Essen, Drogen/Substanzkonsum, Verwirrung, Nervosität, Krämpfe, Starre, Hautveränderungen, Hormonausschüttungen, Freude und vieles mehr.

Es gibt (Angst_)Räume,

in denen wünsche ich mir nicht mehr Raum für mich. Aber nicht, weil ich ihn nicht brauche. Sondern, weil diese Räume _an sich_ diskriminierend sind.

in denen ich nicht interveniere. Aber nicht, weil es nicht notwendig wäre. Sondern, weil es nichts bringt.

die für Cis-Typen gemacht sind, die weiß und hetero und dünn und ableisiert sind und keine Ängste haben und deshalb keine Erwartungen/Vorstellungen/Wünsche/Ansprüche mit diesen Räumen verknüpfen, außer höchstens drei Schlüpfer und mindestens eine Frau, die für sie kocht (und ihre Schlüpfer wäscht) und sie dabei anlächelt.

die für diese Cis-Typen gemacht sind und in denen _trotzdem_ „No/Fight Sexism, Racism, Homophobia, blablablabla“ an den Wänden steht.

die für Frauen, Lesben, Trans* und Queers (wie mich) gemacht sind, die weiß und dünn und ableisiert sind und die oftmals Geld haben und studiert haben und ein nach bestimmten Vorstellungen von bestimmten Leuten so und so gegendert konform-nonkonformes Auftreten und öfter als oftmals einen Pass und eine Krankenversicherung und eine Aufenthaltsgenehmigung und eine Arbeitserlaubnis auf Lebenszeit haben und die Ängste haben und die feministisch/kritisch sein wollen und deshalb Erwartungen/Vorstellungen/Wünsche/Ansprüche mit diesen Räumen verknüpfen. Nämlich sich wohl zu fühlen.

die für diese Frauen, Lesben, Trans* und Queers (wie mich) gemacht sind und in denen andere (auch) Ängste haben und kein nach bestimmten Vorstellungen von bestimmten Leuten so und so gegendert konform-nonkonformes Auftreten und keine Krankenversicherung und keine Wohnung und keine Aufenthaltsgenehmigung und keine Arbeitserlaubnis auf Lebenszeit und sich nicht wohl fühlen und nicht anwesend sind und in denen _trotzdem_ „No/Fight Sexism, Racism, Homophobia, Transphobia, Ableism, Classism, Fatshaming blablablabla“ an den Wänden und auf den Flyern und Homepages und Stellungnahmen und Wohnungsanzeigen und Aufrufen steht.

3 Kommentare zu „Räume und Ängste

  1. Ich finde diesen Text ganz großartig! Vielen Dank Nadine! Ich glaube, dass niemand wirklich ganz angstfrei durchs Leben geht (selbst die Privilegiertesten unter uns – auch wenn da natürlich gewaltige qualitative und quantitative Unterschiede bestehen); gerade deshalb wäre es doch gut, wenn wir uns häufiger mal auf unser gemeinsames Dasein rückbesinnen würden, finde ich.

  2. Dankeschön für den persönlichen Text. Mir tat es gut, das Gewalt in nicht-hetero (lesbischen?) Beziehungen als Grund zur Angst genannt wurde.

  3. Meine Angst hilft mir oft dabei nicht zu vergessen, das andere_ Gewalt und Angst erleben. Anders.

    Das vielleicht nicht erklären können, weil die Angst nicht (einfach_überhaupt) empirisch begründbar (sog. „irrational“) ist. Vielleicht nicht erklären wollen, weil sie Gewalterlebnisse schon zu oft erklären mussten.

    Oder das die sog. „anderen“ eben einfach wegbleiben, gar nicht da sind.

    Dafür mag ich meine Angst. Manchmal.

    Danke für diesen Text.

Kommentare sind geschlossen.

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