Radikalität und Solidarität im feministischen Netz

Seit circa drei Jahren bin ich feministisch im Netz aktiv, schreibe Texte, beteilige mich an Aktionen, twittere, facebooke, vernetze mich mit anderen. Wenn ich anderen, die nicht vor allem im Netz feministisch unter­wegs sind, davon erzähle, ernte ich häufig etwas ungläubige Blicke. Ungläubig, weil sich viele nicht vor­stellen können, dass und wie das Internet als politischer Raum funktionieren kann. Ich würde es beschreiben als Raum, in dem Queer-/Feminist_innen zusammen­kommen und politisch handeln. Ähnlich einer Polit­gruppe im Meatspace, die regelmäßig Plena hält, zusammen Aktionen plant, Flugblätter schreibt und verteilt oder einfach nur Menschen Platz gewährt, die diesen brauchen – für Flausch, zum Austausch, für Solidarität, für Gespräche, für Diskussionen, Streits, für das eigene (Dazu)Lernen. Das feministische Netz ist also meine Polit­gruppe. Mit eigenen Kommunikations­codes, eigenen Ideen oder auch der Kritik an gesell­schaftlichen Macht­ver­hältnissen.

Die Menschen, die ich in diesem Internet treffe, sind irgendwie immer da. Wir brauchen keine festen Treff­punkte, keine Zeit und keinen fest­gelegten Ort. Manchmal treffen wir uns auch außerhalb des Netzes, auf Veranstaltungen, Work­shops, Vorträgen, Tagungen oder schlicht bei einem Wodka in einer Bar oder bei einer Person zu Hause. Zu einigen habe ich eine enge persön­liche Beziehung aufgebaut, sie zählen zu meinen Freund_innen, ich kann in eine andere Stadt fahren und süße Zettelchen vorfinden, auf denen steht: “Fühlt euch wie Zuhause, die Betten sind frisch bezogen, bedient euch am Kühl­schrank und habt eine gute Zeit

Queer-/Feministischer Aktivismus im Netz hat mittlerweile eine Reich­weite aufgebaut, die auch außerhalb des Netzes spürbar ist, zum Beispiel wenn Ver­anstaltungs­einladungen ins Post­fach flattern (“kannst du zu diesem und jenem Thema sprechen?”), Artikel über “uns” in großen Tages­zeitungen veröffentlicht werden oder “wir” Debatten initiieren, die dann in den Feuilletons statt­finden. Queer-/Feministischer Aktivismus im Netz nimmt an gesell­schaftlichen Diskursen teil – das zwar sowieso, weil alles Teil des Diskurses ist – aber irgend­wie ein bisschen selbst­initiiert. So zumindest mein Eindruck. Klar, weil der Backlash spürbar ist – auch im Netz – und Wider­stand nach sich zieht. Repressionen, Gewalt und Unter­drückung führen auch immer dazu, dass sich emanzipatorische Gedanken, Ideen und Bewegungen breit machen können (in dem Rahmen, der ihnen gewährt wird).

Neben dem Raum zu Vernetzung, nutzen viele Aktivist_innen das Netz auch zur Bildung und Formung ihrer eigenen politischen Perspektive auf gesell­schaftliche Macht­verhältnisse. Wer genügend Ressourcen mitbringen kann, hat die Möglichkeit, innerhalb kurzer Zeit viel zu lernen und auch direkt anzuwenden. Die im Internet zugänglichen Wissens­archive in Form von Wikis, Blogs, Webseiten, Papers und PDFs sind unglaublich reichhaltig und vielfältig. Queer-/Feministische Theorie im Schnell­durchlauf. Eine Alternative zur Akademie? I don’t know. Auf jeden Fall ist das “feministische Netz” eine Alternative zu linken Polit­gruppen oder eine sehr hilf­reiche Erweiterung/Ergänzung.

Ich habe selten so viele radikale Queer-/Feminist_innen kennen­gelernt, wie in diesem Internet. Mensch kann förmlich dabei zusehen, wie sich Menschen politisch entwickeln, welche Richtungen sie wann und in welchem Kontext ein­schlagen und ein­geschlagen haben, wie sich ihr Blick auf die Dinge fort­während ver­ändert.

Seit einiger Zeit gewinne ich den Eindruck, dass sich durch diese Entwicklungen des queer-/feministischen Aktivismus im Netz Dynamiken zeigen, die ich mit Entsolidarisierung und Spaltung beschreiben würde. Während letzteres durchaus nötig ist, um politisch handlungs­fähig zu bleiben (warum sollte ich mich einer Gruppe zugehörig fühlen, die meine Perspektiven unsichtbar macht?), habe ich mit ersterem so meine Bauch­schmerzen. Solidarität in queer-/feministischen Zusammen­hängen verstehe ich so, dass ich Kritik übe (hey, du hast dies und jenes nicht mit­bedacht), während ich dennoch viele Dinge unterstütze. Ein Beispiel: Die Sicht­barkeit von Frauen im Netz ist kein Thema mehr, was mich brennend interessiert, auch weil “Frauen” als Ziel­gruppe irgendwie nicht weit genug gedacht ist (Kritik), ich unterstütze es aber dennoch – entweder durch Ver­linkung, Retweets oder indem ich mich einfach nicht aktiv davon abgrenze. Ich kann zu einem Thema auch schweigen und damit meine Solidarität bekunden. Solange Queer-/Feminismus kein gesell­schaftlicher Status Quo, keine Selbst­verständlichkeit ist, nicht das Denken aller Menschen durch­zieht, ist eine aktive Abgrenzung davon eher schädlich. Das heißt nicht, dass ich alles gut­heißen muss, sondern ich sollte darauf schauen, wo und wie ich Kritik übe. Warum sollte ich dafür die FAZ als Plattform nutzen? Statt eines feministischen Blogs?

Solidarität heißt auch, die Möglichkeit von Bündnissen offen zu lassen. Die Petition gegen Kristina Schröder habe ich unter­stützt (die Mädchenmannschaft hat als Kollektiv mitgezeichnet), obwohl mich die darin aufgestellten Forderungen nicht wirklich betreffen. Die Politik Kristina Schröders tangiert mich aber sehr wohl und ich will, dass diese Frau ihren Posten räumt. Ich habe meine Position als Bündnis­partnerin wahr­genommen, Kritik habe ich dennoch an dieser Aktion, zumindest an weiten Teilen der Inhalte. Ich muss diese aber nicht in Mainstream­medien äußern, die meine Perspektive sowieso verflacht und antifeministisch rezipieren und damit den Backlash- und Post­feminismusdiskurs weiter befeuern, sondern ich kann das auf meinem Blog tun, wo ich die Regeln bestimme oder das Gespräch mit den Initiator_innen suchen. Allerdings heißt auch hier das Gebot der Stunde Solidarität. Ich sollte mir nämlich Gewahr sein, dass ich zwar Teil einer queer-/feministischen Gruppe bin, ergo meine Kritik auch immer eine inner­feministische ist, mein Blog aber auch von Leuten gelesen wird, die Feminismus scheiße finden, ablehnen oder gar bekämpfen.

Dementsprechend muss ich entweder geschützte Räume dafür auf­suchen (eine E-Mail schreiben zum Beispiel) oder, wenn ich will, dass möglichst viele solidarische Menschen meine Kritik mit­bekommen, mein Blog­post entsprechend verfassen. Ich muss immer das “Draußen” mit­bedenken in diesem Internet. Die gesell­schaftlichen Macht­verhältnisse, die alles durch­ziehen und auf­passen, in welchen Diskurs ich mich reinsetze mit meiner Kritik. Einfach nur zu sagen, Mely Kiyak sei voll ableistisch und gehe gar nicht, wenn sie Sarrazin als “behindert” abwertet (zusammen­gefasst), befeuert den rassistischen und pro-sarrazin’schen Diskurs. Mely Kiyak ist anders positioniert als Sarrazin. Weil Antirassismus weniger Gewicht hat als die Festigung rassistischer Strukturen. Weil eine Migratisierte weniger Gewicht hat als ein weißer Deutscher, der den deutschen Volks­körper fanatisch beschwört.

Ich kann den Ableismus an Kiyaks Aussagen kritisieren und mich trotzdem solidarisch mit ihr zeigen. Einerseits, weil ich es nicht zulassen kann, dass ein Unterdrückungs­verhältnis gegen das andere aus­gespielt wird (und damit Bündnisse und Solidarität zu Recht verhindert werden) und andererseits ich marginalisierte Sprech­positionen nicht unsichtbar machen will. Warum? Weil ich durch die Unsicht­barmachung den rassistischen Diskurs unter­stütze, der ja tagtäglich marginalisierte Sprech­positionen in die Peripherie drängt.

Da mein Eindruck ist (wie oben beschrieben), dass queer-/feministischer Aktivismus im Netz nun stärker im Mainstream rezipiert wird oder Einfluss auf den Mainstream ausübt, ist es wichtig darauf zu achten, an wem und woran ich als Queer_Feminist_in Kritik übe und wie ich diese Kritik formuliere. Ich habe weiter­hin den Eindruck, dass hier zwei Entwicklungen parallel verlaufen: Einerseits bietet das geöffnete Türchen in den Mainstream die Möglichkeit, dort radikale Positionen unterzubringen, wovon ja viele rege Gebrauch machen. Andererseits sehen einige durch radikale Positionen das geöffnete Türchen in Gefahr und fangen an, sich aktiv von diesen Positionen abzugrenzen, sich mit diesen Positionen (die ja weiterhin prekäre und marginalisierte (Sprech-)Positionen sind) zu ent­solidarisieren. Zweitere Entwicklung halte ich für gefährlich. Es ist ein Buckeln nach oben und Treten nach unten. Ein verinnerlichtes Teile-und-Herrsche-Prinzip, das bedient wird und wahr­scheinlich auf eigenen Abwehr­mechanismen gründet und letztlich nur reaktionäre, sexistische, rassistische, homophobe, transphobe und andere Unterdrückungs­verhältnisse stützt.

Ich verstehe das nicht so ganz, weil hier marginalisierten und radikalen Positionen ein immens großes Wirkungs­feld zugesprochen wird, das sie nicht haben. Weder im queer-/feministischen Umfeld des Internets noch draußen im Meatspace. Nicht haben, weil die gesellschaftlichen Machtverhältnisse und eigene Privilegierungen und damit zusammen­hängende Abwehr­mechanismen es verhindern (es müsste ja das eigene Weltbild umgekrempelt werden und das geht ja gar nicht, einself!). Es finden Kämpfe um Definitions­hoheit statt, queer-/feministischer Aktivismus im Netz entwickelt Historizität und da wollen möglichst viele mit­arbeiten und ihre Positionen vertreten sehen. Was ich verstehen kann, aber nicht mit­bedacht wird, dass Positionen, die sich am gesellschaft­lichen Mainstream zumindest teilweise orientieren, sowieso gehört und berück­sichtigt werden.

Keine radikalen Positionen zu vertreten, heißt immer auch, sich ein bisschen anzubiedern, Kompromisse einzugehen und Gefahr zu laufen, sich mit beispiels­weise sexistischen Positionen gemein zu machen und damit beispiels­weise Heteronormativität weiter zu stützen. Was im Endeffekt auch heißt, marginalisierte Sprech­positionen unsichtbar zu machen, wenn nicht gar weiter zu gefährden.

Ich habe Verständnis dafür, wenn nicht alle radikale Perspektiven aktiv unterstützen und beklatschen, weil sie andere Strategien politischen Handelns für sinnvoller bzw. gewinn­bringender erachten, nur: für wen? Das kann gerne transparent gemacht werden, statt Objektivität zu postulieren oder den einen richtigen Weg für alle zu wollen. Ich habe allerdings kein Verständnis dafür, wenn hier auf Kosten vieler Politik für wenige gemacht wird. Zumal sich teilweise in Zeiten des Streits und Wider­spruchs auch mit Leuten zusammen­geschlossen wird, die ganz offen anti­feministische, rassistische oder sexistische Ein­stellungen pflegen und hofieren. Das ist unsolidarisch und schadet letztlich allen queer-/feministischen Aktivist_innen im Netz.

Ich möchte daher zum Schluss nochmal daran erinnern, dass Solidarität auch ohne aktiven Zuspruch bekundet werden kann, Spaltungen notwendig und gut sind und eigene Abwehr­reflexe nicht immer in geifernden Texten enden müssen, die eigentlich nur aussagen, dass marginalisierte Positionen doch bitte leise sein sollen. Wenn ich schon nicht an meinen eigenen Lücken arbeiten will, dann kann ich mich immerhin darauf ausruhen, dass es angesichts der Wirk­mächtigkeit gesell­schaftlicher Macht­verhältnisse keine negativen Konsequenzen nach sich ziehen wird. Eher im Gegenteil. Oder einfach mal gar nichts sagen und mich auf das konzentrieren, was mir politisch wichtig ist. Queer-/Feministischer Aktivismus im Netz muss keine in sich geschlossene und inhaltlich homogene Bewegung sein, um zu wirken, ich wünsche mir Viel­fältigkeit ohne die ständig angekurbelten Schließungs­prozesse, Beiß­reflexe und das “Nach-unten-treten”.

16 Kommentare zu „Radikalität und Solidarität im feministischen Netz

  1. Was für ein schöner Text! Und nebenbei – wenn auch off-topic bzw. eigentlich auch off-mädchenmannschaft – noch schnell: Tolle Texte auch auf medienelite in letzter Zeit! Und ohgottohgott zu den an mancher Stelle erfolgten Reaktionen dazu… Naja, aber ist ja wie gesagt off-topic hier…. Sorry.

  2. So wie ich es verstehe, lässt sich der Artikel zusammenfassen mit: Bitte den Burgfrieden wahren. Ist das seine Intention? Falls ja: Persönlich fände ich eine solche Einstellung nicht wünschenswert. Eine fruchtbare Entwicklung von Diskussionen erfordert auch manchmal Distanzierung und keine bedingungslose Nibelungentreue.

  3. @Karla,

    nein genau nach Burgfrieden ist mir ja eben nicht. Ich spreche ja auch explizit von der Notwendigkeit und Wichtigkeit von Spaltung, auch Distanzierung und solidarische Kritik sollten als unbedingte Korrektive erhalten bleiben.

  4. toller text, nadine! meine rede, das fällt mir in letzter zeit immer häufiger auf. schnappatmung und beissreflex sind die reaktionen, die sich manche provokateure ja eigentlich wünschen. in der regel bleibt dieser wunsch auch nicht nicht-erfüllt.

    die einsetzende abwehrhaltung führt dazu, dass die eigentlich (individuell) wichtigen themen unter den teppich gekehrt werden. es werden fast schon künstlich fronten geschaffen, wo vorher keine waren.

    wem seine/ihre inhalte wichtig sind, sollte sich zwischen schnappatmung und beissreflex eine minute tiefes durchatmen gönnen. und dann nochmal überlegen, ob nach dem biss nicht vielleicht doch der ein oder andere zahn zu bruch gehen könnte. wer immernoch zubeißen möchte, meinetwegen. aber hinterher bitte nicht lamentieren, dass die eigenen inhalte unter den tisch fallen.

  5. „Allerdings heißt auch hier das Gebot der Stunde Solidarität.“

    Mir fehlt hier neben den Begriffen der Entsolidarisierung und Spaltung noch der Begriff der Ausgrenzung.

    Mir ist der Text an den Stellen wo’s wirklich zur Sache geht – z.B. 5. Absatz zu Entsolidarisierung und Spaltung – zu distanziert. „ich gewinne den Eindruck, dass…“ wirkt wie neutrale Beobachterin von ihrem Schreibstuhl. Du bist Beteiligte.

    Auch ist mir deine Analyse dessen wie (deine) Kritik wirken kann, zu kurz geschossen. Da geht es nicht nur darum wie „interne“ Kritik im Mainstream umgenutzt wird. Kritik ist Angriff, ist Infragestellen, ist Abgrenzen.

    Die Abgrenzung „Die die im Mainstream ihre Positionen unterbringen“ und „die anderen“ ist konstruiert. Und damit steht und fällt für mich die Kernthese deines Textes. Letztendlich beschreibst du Abgrenzung von radikalen Positionen als Entsolidarisierung, und als „buckeln nach oben, treten nach unten“.
    Das ist anmaßend. Eine Abgrenzung von dem was du als radikal empfindest bei gleichzeitiger Partizipation im Mainstream heisst ebend nicht automatisch „Entsolidarisierung“. Es kann auch schlicht und einfach heißen, dass jemand radikale Positionen nicht teilt und sich darum abgrenzt. Es kann noch vieles anderes heißen, z.B. das jemand eine andere für sie/ihn radikale Position einnimmt, die du nicht als radikal wahrnimmt, oder, oder, oder.
    Eine Unterstellung, Abgrenzung von radikalen Positionen passiere um im Mainstream mitzuschwimmen ist schlicht und einfach billiges Inhaftnehmen für ein Verhalten das DIR nix taugt. Und eine falsche Kausalverbindung.

    Dein Absatz „keine radikalen positionen zu vertreten….“ ja mei, da fühle ich mich doch sehr an die 70er Jahre Politdebatten erinnert, sowohl in Duktus als auch was den Inhalt angeht. Verkürzt gesagt „billiges Abgrenzen, wer nicht radikal sei, dürfe nicht mitspielen, weil er/sie das Gesamtspiel gefährde“. Meines Erachtens hatte sich seitdem die Diskussionskultur weiterentwickelt, aber vielleicht bin ich da zu optimistisch.

    Insofern finde ich folgenden Satz absurd
    „ich habe Verständnis dafür, wenn nicht alle radikale Perspektiven aktiv unterstützen und beklatschen, weil sie andere Strategien politischen Handelns für sinnvoller bzw. gewinn­bringender erachten, nur: für wen?“
    da du doch noch in den Paragraphen davor erklärt hast, warum ebendiese Abkehrung entsolidarisierend und anbiedernd sei.

  6. @Janus

    Ich sage in meinem Text an keiner Stelle, ich sei unbeteiligt. Ich sage auch nicht, dass Kritik an radikalen Positionen oder die Abkehr davon oder die Nichteinnahme radikaler Perspektiven per se unsolidarisch sei. Mir geht es darum, wie und zu welchem Zweck Kritik an radikalen Positionen formuliert wird, wann Abgrenzung davon geschieht und in welchen Momenten diese Abgrenzung unsolidarisch ist, weil sie marginalisierte Positionen unsichtbar macht oder ihnen ihre Berechtigung abspricht. Deswegen unterscheide ich auch nicht pauschal zwischen „Radikalen“ und jenen, die „im Mainstream schwimmen“, weil es diese Dichotomie in meinen Augen schlicht nicht gibt.

    Insofern stimme ich vollkommen überein, wenn du schreibst: „Eine Abgrenzung von dem was du als radikal empfindest bei gleichzeitiger Partizipation im Mainstream heisst ebend nicht automatisch “Entsolidarisierung”. Es kann auch schlicht und einfach heißen, dass jemand radikale Positionen nicht teilt und sich darum abgrenzt. Es kann noch vieles anderes heißen, z.B. das jemand eine andere für sie/ihn radikale Position einnimmt, die du nicht als radikal wahrnimmt, oder, oder, oder.“

  7. @Mel

    Migratisierte beschreibt eine soziale Position, die verdeutlichen soll, dass „Migrant_innen“ meist als Fremdzuschreibung und Festschreibung einer Identität verwendet wird (kritisiert also diesen Begriff zugleich) und im Gegensatz dazu das „zu einem_einer Migrant_in gemacht werden/zu einer_einem Migrant_in werden“ hervorhebt.

  8. @nadine

    hab ich mir gedacht, war mir aber unsicher. hatte den ausdruck so noch nirgends gelesen. und er gefällt! danke!

  9. @Mel

    Ja, ich finde ihn sehr treffend. Danke, dass du nachgefragt hast und sorry, dass ich ihn nicht im Text erklärt habe. Werde in Zukunft stärker auf sowas achten.

    Wenn du mehr über solche sprachlichen Interventionen erfahren willst: „Feminismus schreiben lernen“ von AK Feministische Sprachpraxis. Ein sehr aufschlussreiches Buch, das zum Nachdenken anregt. Da habe ich den Begriff auch zum ersten Mal gelesen.

  10. Sorry, wenn ich jetzt nur nochmal in etwas emo wiederhole, was im Text steht, aber nach einigem Gelese ist mir das folgende einfach so aus den Fingern geflossen, Ihr könnt Euch ja überlegen, ob Ihrs freischaltet oder nicht:

    Ich hänge ja echt nicht so richtig knietief in diesem Internet-Ding drin, nicht bei Twitter, nicht bei Facebook, nicht regelmäßig in „der Blogosphäre“, und ich bin weder eine -ismus-Expertin noch irgendwie aktiv in irgendwelchen queer-/feministischen-/politmäßigen Strukturen, ich würde mich vielmehr als interessierte und sympathisierende Mitleserin bezeichnen, aber – bzw. vielleicht gerade deswegen – muss ichs einfach nochmal sagen: Ich versteh das alles nicht (mit „das alles“ meine ich jetzt grad akut die Auseinandersetzung mit Nadines Texten in allen möglichen Blogs unterschiedlichster Ausrichtung und unterschiedlichstem Selbstverständnis und ähnliche Ereignisse der letzten Monate). Und ich glaube, dieses Unverständnis hat Einiges mit dem Inhalt des Textes oben zu tun, nur in weniger gewählten Worten und mit viel weniger Background. Aber trotzdem: Ich versteh das nicht. Ich versteh das Maß an (absichtlichem) Missverstehen nicht, den Mangel an Solidarität, den Mangel an Wohlwollen, den Mangel an basalem Lese- und Textverständnis, den Mangel an Bereitschaft, sich gegenseitig nicht immer gleich das Schlimmstmögliche zu unterstellen, der Mangel an Bereitschaft eigene Positionen zu reflektieren und vor allen Dingen den Grad an Bereitschaft, sich in Mainstream-Haudrauf einzureihen, nur um andauernd zu betonen, dass man sich aber ausdrücklich doch wirklich jetzt ganz in echt genau dagegen abgrenzt… Kann man nicht auch mal aushalten, dass jemand „aus den eigenen Reihen“ was sagt was man nicht nicht zu hundert Prozent unterschreibt, ohne sich direkt ins allgemeine Haudrauf einzureihen und den ganzen Doofen, die das eh schon machen, auch noch Futter zu geben a la „guck mal, sogar deren EIGENEN Leute finden die doof, hähähä…“?! Ich hatte ja sogar schon irgendwann keine Lust mehr, Schröder zu kritisieren, trotz guter Gründe, weil mir die Schröder-Kritik zu vereinnahmt war durch „überfordertes-Quoten-Dummchen“-Mainstream-Gelaber. Wenn von allein Seiten auf eine Frau eingedroschen wird, hab ich oft schon aus Prinzip keine Lust mehr mitzumachen. Und das gilt für mich umso mehr, je näher man politisch beieinander steht. Klar, kann jede im Endeffekt kritisieren und überhaupt machen, was ersiees will, aber wie gesagt: ich verstehs nicht. Und vor allem, für mich die wichtigste Frage: Wem nützt das?!?

  11. Danke, Nadine. Kann mich Betti nur anschließen.

    Ich krieg den deutschsprachigen Netzfeminismus auch in erster Linie passiv/lesend mit und muss mich auch manches Mal wundern, wenn der Eindruck entsteht, dass in manchen „feministischen“ Blogs in erster Linie Energie/Zeit/Zeilen darauf verwendet werden sich von anderen feministischen Ansätze, von andere feministische Mittel und vor allem von anderen Feministinnen zu distanzieren (ohne Unterstrich, sind ja doch immer Frauen die Opfer solcher Bashing-Runden werden). Ich finde das auch eine Frage der Quantität und des Verhältnisses.

    Die Spekulation über die Aktivierung von Abwehrmechanismen bei Menschen, deren Verhalten Du kritisierst, empfinde ich übrigens auch als unnötig pathologisierend und ad hominem, obwohl Du wahrscheinlich recht hast.

  12. interessant, an den fakt, „dass ein Unterdrückungs­verhältnis gegen das andere aus­gespielt wird“ habe ich in den letzten tagen auch oft gedacht – in meinem fall konkret an „maus“ von art spiegelman, wo der holocaustüberlebende offen und irritierend als rassist gezeigt wird. ausgrenzung macht leute eben nicht automatisch zu besseren, reflektierteren menschen.

    nadine, dass du radikalität forderst, verstehe ich von deinem standpunkt aus, weiß aber nicht so recht, was das für andere, weniger marginalisierte (mich) heißen könnte, weil ich eine persönliche forderung an die gesellschaft weniger habe. ich fände es aus mehreren gründen seltsam und nicht in ordnung, die rechte anderer einzufordern. die rechte einzufordern, die mich betreffen, das ist fast mainstream geworden – zumindest in zeitungsdiskursen, noch nicht an den orten, wo ich hinwill. aber da kommt man wiederum mit netzweltradikalismus schlecht hin …

  13. @palü

    Radikal zu sein bedeutet nicht, besonders marginalisiert zu sein und aus dieser Position heraus politische Forderungen zu stellen. Radikal sein bedeutet, das Problem an der Wurzel zu fassen und zu kritisieren. Jeder Mensch kann radikale Forderungen aufstellen, jeder Mensch kann für die Rechte von anderen eintreten (auch wenn sie ihn_sie vermeintlich nicht betreffen – wozu ich eine andere Einstellung habe), das hat auch nicht wirklich was damit zu tun, ob ich Politik hauptsächlich im Netz mache oder draußen, beide Räume sind so eng miteinander verwoben und beeinflussen sich gegenseitig, so dass ich hier keine Trennung sehe.

    Klar geschieht Politik (auch) aus einer persönlichen Betroffenheit heraus, auch radikale Politik, wenn es aber um Solidarität geht, sollte das irgendwann in den Hintergrund rücken. Ich bin keine Feministin, weil ich will, dass ich persönlich irgendwann ein besseres Leben lebe, sondern weil ich Emanzipation für möglichst viele möchte, und zwar in erster Linie für die, die von Machtverhältnissen und ihren Auswirkungen besonders betroffen sind. Warum? Weil sie die Mehrheit stellen. Eine Politik, die Emanzipation für einige wenige (Privilegierte) will, schreibt Unterdrückung lediglich fort.

  14. @nadine
    deinen punkt unterschreibe ich, gerade im zuge der ganzen diskussion, soweit ich sie kenne.

    hm, ich habe einen anderen aspekt gemeint, den ich so öffentlich aber nicht ausführen möchte. mir geht es um den punkt, an dem man für andere zu sprechen beginnt und aus dem „für“ ein „anstelle“ wird – und das redeverhältnis sofort maternalisierend. und ich denke manchmal, dass dieser grat sehr schmal ist. ich finde es besser, diesen anderen einen raum zu verschaffen, selber zu sprechen und gehört zu werden. – weißt du, wie ich meine? falls du interesse hast, weiterzudiskutieren, lieber per mail.

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