Pussy Riot und die macho-orthodoxe Scheinjustiz

Am vorigen Freitag hat in Moskau der Schauprozess gegen die Feministinnen von Pussy Riot begonnen. „Heilige Mutter Gottes, verjage Putin“, das zwei Minuten lange Punk-Protestgebet, das die Gruppe im Frühjahr in der Christ-Erlöser-Kathedrale sang, könnte sie sieben Jahre Haft, womöglich auch Zwangsarbeit kosten. Denn in Russland, wie es an einer anderen Stelle des Lieds heißt, „ist der Geist der Freiheit im Himmel“.

Auf Erde herrscht der Über-Macho und frühere KGB-Offizier, der in guter alter sowjetischer Tradition seine politischen Gegner einsperren lässt. Das Groteske daran: Pussy Riot und andere ähnliche Bewegungen stellen zwar das System Putin in Frage, können jedoch ohne Weiteres keine ernstzunehmende Gefahr für die Macht darstellen. Der Schauprozess erfüllt also keine reale Funktion der „Stabilisierung“ des Regimes und ist insofern pragmatisch nicht nachvollziehbar. Er dient lediglich dem Zweck, die symbolische Ordnung und Autorität wiederherzustellen. Ganz im Stile des Ancien Regimes darf die Ehre des Monarchen und seiner herrschenden Entourage nicht verletzt werden. Wer sich einen Lèse-Majesté-Verstoß begeht, muss exemplarisch bestraft werden, und zwar unabhängig davon, ob eine solche Strafe in irgendeiner Weise rational oder verhältnismäßig ist.

Besonders ekelhaft ist, hier noch ein Mal, die Rolle der Orthodoxen Kirche in dieser Affäre. Patriarch Kyrill, der bei den letzten fragwürdigen Präsidentschaftswahlen im Dezember Putin öffentlich unterstützt hat, gibt sich jetzt empört. In Russland gilt zwar formell eine Trennung zwischen Staat und Kirche, diese lebt jedoch fast zu 100 Prozent von Förderungen aus dem Staatshaushalt. Mehrere Angestellte der Kirche haben sich bei der Staatsanwaltschaft „zutiefst beleidigt“ erklärt und das wird der Strafverfolgung in die Hände spielen: Die „Beleidigung“ ist nämlich wesentlich für den Tatbestand der „großen Verletzung der öffentlichen Ordnung“, der den Aktivistinnen vorgeworfen wird. Dabei hat Pussy Riot nichts anders als die Wahrheit ausgesprochen: „Die Kirche huldigt dem verfaulten Führer. Patriarch Gundjajew glaubt an Putin. Hure, du solltest an Gott glauben“, heißt es im Lied.

5 Kommentare zu „Pussy Riot und die macho-orthodoxe Scheinjustiz

  1. und wieder einmal zeigt sich, was passiert, wenn man einem lupenreinen demokraten ans bein pinkelt. ich bin schockiert! journalist_innen, künstler_innen, oppositionelle werden aus tw. schwer nachvollziehbaren gründen unverhältnismäßig lange ins gefängnis gesteckt oder noch schlimmer: umgebracht! und politiker_innen der westlichen welt schweigen…ich möchte an dieser stelle an anna politkovskaja erinnern, die wunderbar über die zustände in russland berichtet und angeklagt hat. sehr zu empfehlen ist hier „in putins russland“.

  2. leider finde ich die quelle nicht mehr, wo ich vorn paar wochen gelesen habe, dass speziell im falle von Pussy Riot irgendwas aus dem 7. jhd. nachgeguckt wurde, um sie anklagen zu können. weil nach sog. geltenden gesetzen PR nix gemacht hat, was sich sonst als sog. anklage und schau-prozess, inhaftierung etc. anwenden liesse.
    mE gehts u.a. auch ganz klar um sog. abschreckung.
    also im osten/in russland weiterhin lediglich „more of the same“.
    (analog dazu fällt mir ein, dass i.d. kath. kirche ja auch weiterhin „mulier tacet = frau hat zu schweigen“ gilt.)

    ausserdem : „wir im westen“ hängen ja „wunderbar“ am gas-tropf; da kommt dann auch nix von wg. kritik, einsatz für betroffene (von sog. offizellen) und/oder entspr. information durch malestream-medien usw.

    @Tina : sehe ich auch so. wer nicht weg-gesperrt wird, wird ebend ermordet.

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