Privilegiertes Unbehagen

Es wird ungemütlich. Das Flut­licht geht an. Alle Gesichter schauen auf einmal in die gleiche Richtung. Es wird plötzlich so warm hier. Der abrupt neue Fokus wird deutlich, eine Mar­kierung sicht­bar. Ende der Sekt­stimmung. „Generalverdacht“. Das Un­wohl­sein, dass sich durch Rassis­mus­kri­tik bei manchen Menschen aus­breitet, ist nicht weiter überraschend; es könnte – punktuell, wie diese Erfahrung für viele ist – ausgehalten, gar produktiv genutzt werden für persönliche Reflektion. Zu the­ma­ti­sieren, dass Rassis­mus nicht allein das „Problem“ von People of Color ist, sondern eine Struk­tur, die Ge­sell­schaf­ten syste­ma­tisch durch­zieht und von der Nicht-Margi­nali­sier­te systema­tisch profi­tieren (und dass es im Regel­fall People of Color sind, die markiert, beobachtet und unter General­verdacht gestellt werden), kann kein ent­spannen­der Pro­zess sein – eben­so­wenig wie die Aus­einan­der­setzung mit anderen dis­krimi­nieren­den Struk­turen. Bemerkens­wert ist, wie aus Unbehagen schnell Ab­wehr­re­flex und schließlich Aggression wird: Vorwürfe der Un­freundl­ichkeit, der Wut, Arroganz und Gemein­heit, des (unfairen) Angriffs, der Überempfindlichkeit, der vermeintlichen Verharmlosung von „eigentlichem“ Rassismus (also dem der extremen Rechten, mit dem man ja nichts zu tun habe als Die Mitte / Die Linke), der Kontra­produk­tivi­tät und des Neben­wider­spruchs werden laut, wenn struk­tu­reller Rassis­mus be­nannt wird. Oft fällt der Be­griff des „um­gekehr­ten Rassis­mus“ (reverse racism), der Macht­ver­hält­nisse zu eigenen Gunsten au­sblendet.

buildingWas für antirassistische Aktivist_innen Alltag ist, ist auch Alltag in bestimmten Institutionen; auch jenen, die sich Anti­rassis­mus verpflichtet fühlen und dies bei­spiels­wei­se mit Gleich­stellungs- oder Diversity-Be­auf­trag­ten um­zu­setzen ver­suchen. Ge­ra­de das Hoch­schul­wesen hat Frauen- und Gleich­stellungs­be­auf­trag­te, deren Arbeit in eta­blier­ten Macht­struk­tu­ren und rein theo­re­tischen Be­kennt­nissen zu ab­strak­ter Gleich­heit unter­geht. Dass Gleich­stellungs­be­auf­tragte aber auch selbst dis­krimi­nier­end agieren kön­nen, hat zuletzt die Allgemeines-Gleichstellungsgesetz (AGG)-Beauftragte der Humboldt-Universität zu Berlin illustriert, die gewählten Student_innen­ver­tre­ter_innen des LGBTI-Referats unter anderem die Nutzung uni­versi­tärer Räu­me für deren Ver­anstal­tungen ver­wei­gerte.

Auch am Minneapolis Community and Technical College in Minnesota, USA, ereignete sich vor kurzem ein nun öffentlich gewordener Fall strukturellen Rassismus und Sexismus, der für Entsetzen in der akademischen und nicht-akademischen community antirassistischer und antisexistischer Aktivist_innen sorgte: die Professorin Shannon Gibney wurde – auf Initiative von zwei weißen Studenten – von der Universität formal dafür gerügt, in ihrem Seminar strukturellen Rassismus so thematisiert zu haben, dass jene Studenten sich angegriffen fühlten.

Chaun Webster, Twin Cities-Aktivist (in Minneapolis und Saint Paul), Autor und Gründer der Free Poet’s Press, hat beim Blogger_innenkollektiv Opine Season einen Artikel zu dem Vorfall verfasst, in dem er Prof. Shannon Gibneys Erfahrungen kontextualisiert und Forderungen für eine Umstrukturierung von Bildungsinstitutionen formuliert. Mit seiner freundlichen Genehmigung durften wir den Artikel übersetzen und erneut publizieren.

Ein paar Dinge, die wir aus der MCTC-Attacke auf Prof. Shannon Gibney lernen sollten.

Wie vielen in diesem Netzwerk hier bewusst ist und anderen nicht, wurde Shannon Gibney, Professorin für Anglistik und African Diaspora Studies des Minneapolis Community and Technical College (MCTC) kürzlich von der Institution formal gerügt.

Die Rüge erfolgte aufgrund des Unbehagens zweier weißer, männlicher Studenten, die sagten sie seien persönlich angegriffen worden, während Prof. Gibney in ihrem Politikwissenschafts- und Kommunikations-Seminar eine Diskussion über strukturellen Rassismus führte. Diese Studenten unterbrachen Prof. Gibney während der Diskussion und sagten, dass allein schon die Thematisierung verletzend für sie sei. Das MCTC ging so weit, Prof. Gibneys Verhalten während des Seminars als einen Verstoß gegen die Anti-Diskriminierungs-Politik zu bewerten, und sie wurde zu zwei Treffen mit dem Diversity-Beauftragten verpflichtet, um zu lernen, wie sie Menschen aller Herkunft besser willkommen heißen könne.

Es ist ein Skandal, wenn auch keine Überraschung, dass das MCTC eine solch rückständige Philosophie befürwortet, die das Wohlbehagen von zwei weißen, männlichen Studenten als gesunden Schwerpunkt einer Diskussion um strukturellen Rassismus ins Zentrum rückt. Es mangelt nicht an Ironie, dass eine brilliante Woman of Color und Professorin für das Führen einer Diskussion um strukturellen Rassismus diszipliniert wird, wenn diese bei weißen, männlichen Studenten Unwohlsein auslöst, und weiterhin zu einem Training geschickt wird, das die Universität unverschämterweise als Nachhilfe in interkultureller Kompetenz für Prof. Gibney darstellt.

Dies sollte uns zurecht empören, angesichts der Geschichte der Berichte von Women of Color, ihrer Wahrheiten, die für unzulässig erklärt werden, isoliert sind durch die Annahme ihrer Inkompetenz. Dieser Vorfall sollte allerdings mehr als nur Empörung auslösen, sondern uns zur Organisierung der Verteidigung von Prof. Gibney führen. Ich denke, der Vorfall sollte uns etwas über das Wesen von Institutionen wie dem MCTC lehren.

1. Diversity-Sprachpolitik ist nicht hilfreich, sie ist problematisch

Zunächst finde ich es wichtig, dass wir verstehen, dass aus der Sprache von Diversity ein bequemes Mittel zum Verstecken für Institutionen wie das MCTC wurde. Das MCTC prahlt damit, dass über die Hälfte der Student_innen of color seien, und dieser Hinweis wird implizit und in manchen Fällen auch explizit als Argument für die eigene Gleichheits- und Gerechtigkeitsarbeit genutzt.

Es ist wichtig, dass wir uns nicht von der Sprache von Diversity verwirren lassen, die uns glauben lässt, dass, wenn communities of color in der Mehrzahl sind, dies ein zu(ver)lässiges Kennzeichen für gerechte Verhältnisse sei. Nur weil eine soziale Gruppe in der Mehrheit ist, bedeutet dies nicht, dass diese Gruppe einen bestimmten Grad an Macht besitzt. Selbst, wenn sie im Klassenzimmer in der Minderheit sind, haben zwei weiße, männliche Studenten die Macht bezüglich Legitimitätspolitik; und diese Macht befindet sich an der Kreuzung ihrer race, Klassenzugehörigkeit, Geschlechtszuschreibung und anderer Indikatoren. Wir sprechen hier über Machtverhältnisse, und es ist bedeutsam, dass uns das klar ist und auch klar wird, in welcher Weise Sprache dazu benutzt werden kann, dies zu verdecken.

Berufliche Position wie die der_des Diversity-Beauftragten sind zu kosmetischen Mitteln des Schulterschlusses mit dem status quo geworden und repräsentieren nicht die Energie der Proteste, die solche Positionen hervorbrachte. Das bedeutet nicht, dass manche Einzelpersonen nicht mutig handeln in solchen Positionen; aber sie tun es dann, wenn die Zustände unerträglich sind. Man kann das deutlich im Fall der früheren Diversity-Beauftragten, Dr. Joi D. Lewis, sehen, die von Student_innen of color geliebt wurde, aber ihre Position nur für neun Monate behielt. Nach neun Monaten trat sie von ihrem Posten zurück, da sie ihre Gesundheit mehr wertschätzte als die einschränkenden institutionellen Leitlinien – zurecht.

Nochmal: es sind oft diejenigen, die mit dem status quo zusammenwirken, die für berufliche Positionen wie die der_des Diversity-Beauftragten eingestellt werden; diejenigen, die den Protestgeist, aus dem solche Positionen entstanden, in sich tragen, werden hinausbefördert.

2. Unis sind Unternehmen und Kund_innen haben immer Recht, besonders, wenn sie weiß sind 

Das MCTC, wie alle anderen Universitäten in unserer wirtschaftlichen Struktur, ist ein Unternehmen. Es handelt mit einer gewissen Grundlinie als Vorgabe and kämpft, um diese zu beschützen. Wir müssen uns von der Illusion verabschieden, dass die Dinge, die auf einem Campus wie diesem passieren, sich primär um Bildung handeln.

 Ich möchte damit nicht sagen, dass es keine brillianten Köpfe dort gibt (Prof. Gibney ist ein Beispiel für jene), sondern dass die übergeordnete Logik in diesem Fall nicht die kognitive Dissonanz ist, die zwei weiße, männliche Studenten erfuhren, sondern ihr Unwohlsein. Kognitive Dissonanz beschreibt ein Ungleichgewicht, das zu einem Lernerlebnis führen kann; Kund_innen müssen sich wohl fühlen, and wehe, wenn sie sich nicht wohl fühlen, denn dann könnten sie ihr Geld woanders ausgeben. Das ist die Logik. Es ist eine Logik des Geldes, und wenn Student_innen of color and ihre communities sich nicht mit ihrem Geld, das sie repräsentieren, organisieren, werden sie vom MCTC nicht respektiert und nicht dazu in der Lage sein, ihre Forderungen durchzusetzen.

3.  Denkt an Langzeiteffekte und die Struktur

Es muss einen gemeinsamen und organisierten Versuch geben sicherzustellen, dass das beschämende Verhalten des MCTC bezüglich Prof. Shannon Gibney korrigiert wird, aber das Problem liegt tiefer. Dieser Fall ist ebenso symbolisch für den Angriff of Women of Color, die Lehrende sind, und Women of Color im Allgemeinen; women of color, deren Geist und Körper einem skandalösen Mangel an Respekt unterliegen in diesem Land, gegen den auch das Hochschulwesen nicht immun ist.

Es muss etablierte Mechanismen geben, die Institutionen wie das MCTC langfristig zur Verantwortung ziehen, denn Geschichte hat uns gelehrt, dass dies nicht der erste ist noch der letzte Fall sein wird, in dem die Inkompetenz einer Professorin of Color angenommen wird.

Um dies zu gewährleisten halte ich es für wichtig, dass wir auch größere Fragen zur Legitimität jener Institutionen an sich stellen. Welchem Zweck dient das Hochschulwesen? Wer profitiert von ihm? Sind andere Modelle der Bildung notwendig und wenn ja, wie können wir die ersten Stufen eines Paradigmenwechsels umsetzen? Diese und – ich bin mir sicher – eine Unmenge andere Fragen sollte uns beschäftigen, während wir voranschreiten, und wir werden voranschreiten mit dem Wissen, dass die Angriffe auf unsere communities wachsam waren, aber unsere Antwort wird ebenso wachsam sein. Eine aufmerksame Antwort, ausgestattet mit genügend kritischer Analyse und kreativer Vorstellungskraft, um neue Beziehungen zu Macht zu erreichen.

Solidarität mit Prof. Gibney!

2 Kommentare zu „Privilegiertes Unbehagen

  1. Das Hochschulwesen ist eine weiße Institution, die Hand in Hand mit Kolonialismus, Rassismus, Klassizismus und Patriarchatsgedanken einhergeht. Dazu braucht man sich nur die Geschichte der Universitäten anschauen. Dieser Geburtsfehler kann mMn nicht entfernt werden. Umso wichtiger finde ich daher den Ansatz Websters, sich über alternative Bildungsmodelle Gedanken zu machen, die von außen das rückständige System überholen könnten, können und werden – solange alle Interessierten an einem Strang ziehen.

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