Perfektionismus

In der Serie “Der Kommentar” veröffentlichen wir eure Gedanken zu einem Thema eurer Wahl. Heute schreibt Ina darüber, was sie an der Berichterstattung über Frauen ärgert:

Als interessierter Mensch und als Feministin freue ich mich jedes Mal, wenn ich in einer Zeitung einen Artikel über eine herausragende Frau lese, deren Besonderheit weder in ihrem Aussehen liegt, noch in der Tatsache, dass sie jemand Berühmtes geheiratet hat.

So auch, als ich den Artikel über Ute Frevert las, der vor Kurzem in der Zeit erschien. Ute Frevert ist eine Ausnahme-Frau, keine Frage: Mit 16 Jahren Abitur gemacht und anschließend eine wissenschaftliche Karriere als Historikerin in Deutschland und Yale. Ein Vorbild für junge Frauen, zumal sie es auch noch geschafft hat, Kinder zu bekommen und außerdem eine ist, die sich auch intensiv mit Geschlechtergeschichte beschäftigt.

Ein Artikel, der mich eigentlich freuen sollte, den ich genießen sollte. Pustekuchen!

Erst mal wird sie in einem Steckbrief vorgestellt als „Der Mensch“ Ute Frevert und dann „seine Idee“. Ich weiß, dass es in diesem Fall eine Frage des grammatischen Geschlechtes ist, aber dass ihre Idee als „seine Idee“ vorgestellt wurde, stieß mir unangenehm auf. Nun gut, darüber lese ich hinweg.

Im tatsächlichen Artikel fand ich dann einen Abschnitt, der mich noch wütender machte. Darin ließ sich die Autorin über das Outfit der Historikerin aus, und nach der detaillierten Beschreibung der Kleidung lässt sie sich auch noch dazu hinab zu behaupten, Frevert könne auch für ihre eigene Tochter gehalten werden. Dass der Abschnitt über ihr Äußeres wegen des danebenstehenden Fotos irgendwie überflüssig ist, ist nur ein Teil dessen, was mich so wütend macht.

Der eigentliche Grund meiner Wut ist folgender: Warum muss eine Frau, die einen tollen Job macht, auch noch perfekt und jugendlich aussehen? Warum kann man nicht einfach darüber schreiben, wie sie ihre Arbeit macht? Über die Inhalte schreiben, die ihr wichtig sind?
Ich kann mich nicht an einen Artikel über einen Forscher oder Politiker erinnern, in dem sein Aussehen und seine Kleidung auch nur erwähnt wurden. Bei Männern reicht es scheinbar, über ihre inhaltliche Kompetenz und die Erfüllung ihrer Aufgaben zu schreiben. Warum wird uns Frauen suggeriert, wir müssten alles sein: rundum perfekt, gut aussehend, Mutter, Karrierefrau?

Ein Mann kann menschlich ein Arschloch sein, fünf Mal geschieden und schlecht angezogen – entdeckt er ein neues Element, wird trotzdem nur darüber geschrieben. Bei Frauen ist das nicht so. Da spielt immer gleich alles eine Rolle. Also, wieso kann man nicht einfach über eine Forscherin schreiben, indem man die Person Ute Frevert vorstellt, ihre Idee und den beinahe seitenfüllenden Artikel dann über ihre Gefühlsforschung (die übrigens, Überraschung!, doch nicht „Frauensache“ ist sondern „wie fast alles, meist Männersache gewesen“ ist, so ein Originalzitat aus dem Artikel) und ihre vielen Bücher?

Und was ich mich auch frage: Gibt es wirklich immer noch das Vorurteil, dass kluge Frauen nicht gut aussehen können? Und warum spielt das Aussehen überhaupt eine Rolle?

INA

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14 Kommentare zu „Perfektionismus

  1. Hm, zum einen beklagen wir uns darüber, dass wir keine Rollenvorbilder beruflich erfolgreicher Frauen haben, die eben auch Mütter sind, so dass nach wie vor in vielen Frauenköpfen dieses „entweder Kinder oder Karriere“ verankert ist .
    Andererseits stoßen mir solche Artikel auch häufig unangenehm auf, weil ich ähnlich denke wie du. Wie oft kann man in einem Portrait über einen Wissenschaftler lesen, dass er Vater von 3 Kindern ist?
    Ich finde, das ist eine schwierige Gratwanderung. Zur Zeit ist es halt leider noch immer so, das solche Frauen irgendwie doch als Rollenvorbilder dienen müssen, um zu zeigen, dass es eben keine Entscheidung zwischen Karriere und Kindern sein muss. Andererseits betont es, wie besonders beruflich erfolgreiche Frauen mit Kindern nach wie vor sind.

  2. ach azundris, witzig, klug, prägnant und dann kommt wieder der punkt, wo ich mal wieder keine ahnung hab, was du sagen willst. :-)

  3. Oh, ich habe gerade gemerkt, dass ich etwas das Thema verfehlt habe… Ina hat sich darüber beklagt, dass Frau Freverts Aussehen so ausführlich besprochen wurde. Aber ich glaube, das fällt schon auch ein wenig in die Kategorie „Rollenvorbild aufbauen“.
    Und mal ganz ehrlich, es gibt auch unzählige Portraits über Männer, in denen das Outfit, die Körpersprache, der familäre Hintergrund usw. beschrieben wird. Bis auf den Satz , dass sie auch ihre Tochter sein könne, habe ich die Beschreibung ihres Äußeren als nicht besonders unangebracht empfunden, das hätte auch über einen Physiker da stehen können, so nach dem Motto: „Statt des beigen Anzugs vom Vorabend trägt er nun Jeans und Polohemd, die Füße stecken in Turnschuhen.“
    Aber wie gesagt, im Prinzip stößt es mir auch eher bei Portraits über Frauen auf, wenn dort betont wird, wie gut sie aussehen, dass sie 3 Kinder haben usw.

  4. Schön wenn Frauen von dem Artikel auch nichts verstehen. Ich hatte den Artikel schon als „kann nur von Feministinnen verstanden werden“ oder als „von Frauen, für Frauen“ abgetan. Das liest sich für mich wie ein schlechter Liebesroman. Dummerweise häufen sich solche völlig Banane Artikel auf Zeit.de

  5. Der Artikel ist vielleicht auch nicht das beste Beispiel, nur das einzige konkrete Beispiel, dass ich im Moment nennen kann für ein Phänomen, dass ich schon öfter beobachtet habe.

    @Miriam: Hast du wirklich? Vielleicht achte ich da auch nicht so drauf, kannst du ein Gegenbeispiel nennen?

  6. Und sowas wie bei Frau Merkels Dekolleté würde einem Politiker auch nicht passieren, oder?

  7. Naja, über Schröders Brioni-Anzüge wurde auch lang und breit berichtet, oder? Aber bei Merkel’s Dekolleté fand ich es auch ziemlich daneben, schließlich sind die Kleider der Stars und Sternchen bei der Oskarverleihung deutlich gewagter…
    Da stellt Frau Merkel mal ihre Weiblichkeit zur Schau und schon gibt’s darum ein riesiges Trara.
    Ich hab z.B. Hemmungen, im Kostüm ins Büro zu gehen, irgendwie hätte ich dann das Gefühl, dass mich die Kollegen dann als Sekretärin abstempeln. Um mit den Jungs in der gleichen Liga spielen zu dürfen, habe ich das Gefühl, sollte ich eben besser im Anzug auftreten.

    Ein Beispiel mit einem Portrait über einen Mann, bei dem es auch „menschelt“, habe ich natürlich gerade nicht parat, aber wenn ich über eins stolper, dann werde ich das hier posten.

    Wie gesagt, ich denke auch ganz oft „War die Info, dass die Person, um die es gerade geht, zierlich ist, Mutter ist, verheiratet mit xy ist,… wirklich notwendig?“

  8. Ich habe gerade „Die Welt ohne uns“ von Alan Weisman gelesen.
    Für das Buch ist er überall hingereist und hat sich mit Wissnschaftlern (und ein paar Wissenschaftlerinnen) aus allen möglichen Bereichen getroffen. Und jede/r einzelne von denen wird im Detail beschrieben, mit Aussehen, Kleidungsstil, Biographie, Familienstatus, Musikpräferenzen und was es sonst noch über jemanden zu sagen gibt.
    Das ist mir zwar auch als Ausnahme aufgefallen, aber ich weiss nicht, ob das global gesehen wirklich häufiger mit Frauen als mit Männern durchgezogen wird. Wäre mal eine Studie wert.
    Schlimm wird es, finde ich, erst dann, wenn Kategorien aufgemacht werden wie „hinter diesem mädchenhaften Äusseren vermutet man nicht auf Anhieb eine so bedeutende Forscherin“, oder auch „spätestens nach der geburt ihrer Kinder hätte sie sich ebenso gut aus der Wissenschaft zurückziehen können“

  9. Judith, ich bin ja schon froh, daß es /manchmal/ klappt. : )
    Was ich sagen wollte ist, daß das möglicherweise eine Ausprägung davon ist, daß so lange der Mann der Standardmensch ist (Erste Frage: „Da ist ein Mensch und der schreibt was / über den wird geschrieben, ist das für mich interessant / relevant?“) und die Frau „other (und damit gemessen am Standard vermutlich mangelhaft), aber fickbar“ (Erste Frage: „Frau bekommt Forum, ist vermutlich eh Blödsinn, aber ist sie denn wenigstens /fickbar/?“) es keine wirkliche Überraschung ist, wenn Äußerlichkeiten „relevant“ werden. ;-

    (Falls von den Herren jetzt einer glaubt, „Ach, die durchgeknallte Tussi hat sich nur zu lange mit ihren Femi-Büchern eingeschlossen“, möge er YouTube oder an geeigneten Tagen /. besuchen. Das ist möglicherweise aufschlußreich.)

  10. Das der Durchschnittsjournalist noch jeden Unsinn schreibt, hauptsache er kriegt es durch, ist doch kein Geheimnis.
    Ich denke, dass solche Artikel aus der Notwendigkeit des Verkaufs heraus resultieren. Wenn man sich die Nachrichtenstruktur mal anschaut, dann fällt auf, dass „sex sells“ auch hier eine bedeutende Rolle einnimmt. Da „flirten“ schonmal Parteien miteinander oder gehen „Liebeshochzeiten“ ein usw. Irgendwie muss man eben seinen Senf loswerden, zumal jede zweite Nachricht keine ist, sondern nur eine Fortsetzung der ersten, beispielsweise „Streit spitzt sich zu“, „Debatte läuft weiter“ usw. usf. Wie eine Soap.
    Wolfgang Pohrt hat mal geschrieben, die einzige radikale Neuigkeit ist der Tod und wenn der nicht im Spiel ist, muss man das ganze eben so gestalten.

  11. Über Schröders und FIschers Aussehen/Kleidung etc wurde soviel berichtet, weil beide das auch explizit thematisiert haben. Fischer schrieb über seine Gewichtsprobleme, dann nahm es halt die Presse auf. Aber in welchem Bericht über Beck stand da mal ein Wort zu? Wie oft werden Merz und Wolff als langweilige Anzugträger abgewatscht?

    Dagegen ergibt sich bei vielen prominenten Frauen die Diskussion über das Äußere allein aus der Tatsache, dass sie eben eine Frau sind.

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