Mit Kindern reden (extended version)

Dieser Beitrag erschien gestern auf Marias Blog Me, Myself and Child. Wir freuen uns über die Erlaubnis zur Veröffentlichung.

Aus gegebenem Anlass (sprich: weil ich mich heute schon wieder über M-Kopf und N-Kuss ärgern musste) möchte ich hier noch mal den Text posten den ich vor ca. einem Monat schon einmal hier bzw. hier veröffentlich habe.

Ich bin müde. Ich bin müde und fühle mich ausgesaugt. Jegliche vorzubringende Argumente wurden aus mir raus gesaugt, obwohl ich sie in den meisten Fällen nicht mal selbst aufgeschrieben und ausgeschrien habe. Zurück bleibt ein dicker Klumpen in einem leeren Raum. Viel Wut ist in dem Klumpen, Angst auch… Seit Tagen will ich Dinge sagen und kriege nichts raus. Es wurde doch alles gesagt, denke ich. Warum kommt es nicht an? Dann fällt mir ein: weiße Menschen halten weiße Räume weiß, weinen weiße Tränen, weil sie ihre Deutungshoheit, ihre Macht nicht abgeben wollen. Macht die sie zu lange hatten, die sie nie hätten haben dürfen. Das ist Gewalt, schreibe ich in einem unveröffentlichten Rant. Das ist Krieg, schreibt eine Freundin mir und anderen in einer privaten Unterhaltung… Man(n) solle sich mit wichtigeren Dingen beschäftigen, das Wort gehört der Vergangenheit, die muss man(n) bewahren, man(n) solle eben mit den Kindern reden, darüber wie es früher war. Ich weiß nicht ob ich lachen oder weinen soll. Ich versuch es noch mal mit schreiben:

“…weil sie denken, alle Menschen in Deutschland sind weiß” so beendet meine Tochter gestern meinen Satz, von dem ich gar nicht mehr genau weiß wie er anfing. Wir reden. Über die Kinderbücher und darüber warum manche Menschen an diesem einem Wort festhalten wollen. Meine Tochter ist 7. Sie hat’s verstanden.

Das Wort mit N kannte sie bis vor einer Woche nicht. Vielleicht hatten wir bis dahin einfach Glück. Als ich aber erfuhr wie das Titelbild der Zeit aussehen würde, habe ich mich Abends noch mit ihr hingesetzt. Ich habe es nur ein einziges Mal gesagt und es blieb mir fast im Halse stecken. Ich habe seit Monaten darüber nachgedacht. Seit eine andere Mutter erzählte, dass ihr Sohn beleidigt wurde. Auf dem Schulhof. Von einem anderen Kind. Im hier und jetzt. Ich wollte noch mehr Zeit haben. Ich wollte nicht, dass es so läuft. Aber jetzt musste ich. Ich wollte nicht, dass sie es von jemand anderes hört oder liest. Also haben wir geredet und am nächsten Morgen habe ich gebetet, dass sie an keiner Ausgabe der Zeit vorbeikommt…

Ein paar Tage später stand sie vor mir und sagte: “Mama, dieses Wort mit N was du mir in dem Buch gezeigt hast, hab ich schon wieder vergessen!” sie zuckte mit den Achseln. Ich atmete kurz auf. Noch ist sie gelassen. Es ist nicht das erste Mal, dass ich mit ihr über Rassismus spreche. Sie weiß, dass es weiße Menschen gibt, die glauben sie sind Schwarzen Menschen überlegen. Sie muss das wissen. Sie ist Schwarz. Ihre besten Freund_innen sind Schwarz. Alle lesen sie Bücher oder bekommen sie vorgelesen. Alle leben Sie hier in Deutschland. Sie weiß, dass die alten weißen Menschen Quatsch erzählen. “Mama, irgendwie sind Schwarze Menschen viel cooler als weiße” Nur die alten weißen Menschen wissen es noch nicht. Sie führen lieber Krieg. In der Vergangenheit. Gegen Kinder. Gegen die Zukunft.

Wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht mal ob sie das Wort wirklich noch nicht kannte oder einfach nicht bewusst wahrgenommen hat. Neulich wurde in der Sendung mit der Maus gezeigt wie Schokoküsse hergestellt werden. Der erste Kommentar unter dem Facebook-Foto (TW), was am Tag darauf gepostet wurde enthielt das N-Wort. Gleich. der. erste. Kommentar. auf der Seite einer KINDERsendung. Im Internet finde ich meist die richtigen Worte. Das schlimme ist, dass mich sowas in der analogen Welt immer erstmal sprachlos macht, oft werde ich davon noch überrascht, vor allem wenn es um nicht ganz so eindeutige Aussagen geht. Dann bleibt mir die Wut und der Ärger oft im Halse stecken. Ich darf aber nicht sprachlos sein. Wenn ich als weiße Mutter eines Schwarzen Kindes dazu schweige, kommt das einer Zustimmung gleich und ich stelle mich gegen mein Kind. Gleichzeitig habe ich nicht immer die Kraft und Ausdauer auf alles zu reagieren und manchmal bin ich auch einfach nicht dabei. Wie spreche ich mit meinem Kind über Rassismus ohne dabei selbst Rassismus zu reproduzieren? Ich mache mir oft Gedanken darüber wie tief meine eigenen Rassismen sitzen und über das, was ich alles nicht sehe und was ich ihr in den Jahren zuvor schon, aber auch jetzt, vielleicht mitgebe ohne es zu wollen und zu merken. Wie realistisch bin ich in der Umsetzung meines kritischen Weißseins?

Ich versuche mir bestimmte Strategien und Sätze zu recht zu legen und mich so viel möglich mit anderen Eltern in ähnlichen Situationen auszutauschen. Das Kind versuche ich, so gut es eben in dieser Weißbrotgesellschaft geht, zu empowern, d.h. ihr den Kontakt zu Schwarzen Bezugspersonen zu bieten und ihr möglichst viele Medien (Bücher, Filme, Serien, Musik etc.) anzubieten, in denen Schwarze Menschen eine positive Rolle spielen, bzw. positiv und nicht-stereotyp /ohne Klischees dargestellt werden (was wirklich nicht ganz einfach ist). Sie hat zum Glück von klein auf viele Schwarze Freund_innen und ist eigentlich sehr selbstbewusst. Allerdings spüre ich gerade stark, wie mit zunehmendem Alter der Einfluss ihrer Peers zunimmt, während meiner abnimmt und jetzt noch ein anderer großer -Ismus immer stärker wird und eben soviel Aufmerksamkeit benötigt: Sexismus (und Rollenklischees).

Ich muss versuchen abzuwägen. Wie kann ich meine Kräfte einsetzen um sie zu Unterstützen und zu Beschützen ohne zu viele Energien zu verschwenden, die ich für den Alltag und die schönen Dinge brauche. Wie sehr fällt es auf sie zurück, wenn ich mich bei Lehrer_innen und Erzieher_innen oder Eltern ihrer Freund_innen beschwere und gegen eine Wand renne? Wie viel muss sie jetzt wissen, was hat Zeit für später? Wie viel muss und kann ich mit ihr besprechen und wo muss sie ihre eigenen Strategien finden, bzw. wo und wann braucht sie vielleicht andere Menschen, die ihre Erfahrungen besser verstehen als ich. Was kann ich noch tun? 

Für die weiße Mehrheitsgesellschaft in diesem Land gibt es kein(en) Rassismus(problem), um jedes kleine Wort muss gekämpft werden und je älter mein Kind wird, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass sie ganz direkt rassistisch angegriffen wird …. und das macht mir Angst.

13 Kommentare zu „Mit Kindern reden (extended version)

  1. Danke für diesen wirklich bewegenden Einblick. Es ist interessant und eben zugleich traurig zu lesen, was man sich als Mutter eines nicht-weißen Kindes alles überlegen muss, um dieser Gesellschaft ein starkes, fröhliches Kind zu erziehen. Ich kann mir nur vorstellen, dass die Verfechter des N-Wortes über solche Dinge nicht nachdenken.

  2. Es wird sich – meiner Meinung nach – erst dann etwas grundlegend ändern, wenn die Mütter weißer Kinder mehr überlegen. Es ist doch die weiße Mehrheitsgesellschaft, die sich selbst ändern muss und ändern wollen muss. Schwarze Kinder vor dem M- und dem N-Wort zu schützen, ändert wenig an der Haltung, die den Einsatz eben dieser Wörter auch im dritten Jahrtausend leider immer noch unbedenklich erscheinen macht. Eben: unbedenklich. Es muss sich das Denken ändern, dann wird das Tun folgen (und auch das Unterlassen).

  3. @Keks: Danke <3

    @Inge: Das mag vielleicht in der Theorie stimmen und steht ja auch irgendwie so da oben im Artikel, aber in der Praxis ist es nun mal anders. Weiße Mütter (und Väter und Großeltern und Erzieher_innen und Lehrer_innen etc.) überlegen in den meisten Fällen NICHT.
    Soll ich mich jetzt zurücklehnen und sagen: "he ihr weißbrote macht mal" und dann warten bis sich was ändert während ich zusehe wie mein Kind diskriminiert wird, weil: hey, ist ja nicht meine Aufgabe?
    Es geht mir doch gerade darum zu sagen, dass sich die weiße Mehrheitsgesellschaft weiterhin und konsequent dem Thema Rassismus verschließt und solange, dass so ist MUSS ICH als Bezugsperson eines nicht-weißen Kindes Aufklärungsarbeit leisten..

  4. @Inge:

    Schwarze Kinder vor dem M- und dem N-Wort zu schützen, ändert wenig an der Haltung, die den Einsatz eben dieser Wörter auch im dritten Jahrtausend leider immer noch unbedenklich erscheinen macht.

    Das ist das eine, und das stimmt sicherlich – auch wenn ich denke, dass das Problematisieren diskriminierender Begrifflichkeiten viele Leute überhaupt erstmal darauf bringt, welche Haltung sie eigentlich einnehmen und welche Handlung sie ausführen, wenn sie sie benutzen, und gerade auch bei dieser „Aufklärungsarbeit“ sehe ich weiße Leute in der Verantwortung. Auch glaube ich, dass Denken und Tun nicht so linear auf einander folgen, sondern wesentlich verschränkter mit einander sind – und dass selbst das (vermeintlich) edelste Denken sich nicht immer in unschädlichem Verhalten niederschlägt… Zumal Rassismus ja viel mehr, viel machtvoller ist als einfach eine „Haltung“, die ich ablegen oder beibehalten kann.

    Das andere ist, was es mit einem Menschen macht, wenn er mit solchen Begriffen konfrontiert wird, und ich finde es schon erstrebenswert, anderen Menschen (insbesondere Kindern, für deren Wohlergehen ich nochmal eine besondere Verantwortung trage) Verletzungen zu ersparen. Allein deswegen ist der Schutz vor rassistischen Beleidigungen, so gut es eben geht, wichtig. Mir ist es dann eigentlich auch eher unwichtig, ob Menschen durch eigene Einsichten (wie schon im Text oben steht: Wo sollten die überhaupt flächendeckend her kommen, angesichts der Tatsache, dass es die weiße Mehrheitsgellschaft seit Jahrzehnten erfolgreich schafft, bestimmte Stimmen und Diskurse zu ignorieren?) dahin gekommen sind, nicht mehr diskriminieren zu „wollen“ – ich finde, sie_wir haben das zu unterlassen, ob sie_wir wollen oder nicht.

  5. Selbstverständlich bin auch ich dafür, Kinder und andere Menschen vor Verletzungen zu schützen – unabhängig davon, ob diese Verletzungen aus Absicht, Unbedachtheit oder sonst etwas geschehen.
    Und ja, ich sehe es als meine Aufgabe als Teil der weißen Mehrheitsgesellschaft, nicht nur in den Bereichen, die mich selbst betreffen (also dort, wo ich zu einer oder mehreren Minderheiten gehöre), das Bewusstsein zu wecken, dass und wie Verletzungen entstehen können beziehungsweise wie sie vermeidbar sind. Die zum großen Teil unsäglichen Reaktionen in Foren und Feuilletons zeigen ja, wie nötig das ist.
    Sicher, zunächst ist es sehr gut, einfach mal die Klappe zu halten und zuzuhören, wenn Betroffene (oder doch besser: Getroffene) sich äußern. Da die Welt und die Gesellschaft nun einmal ist, wie sie ist, sehen wir ja, dass das leider eben doch nicht reicht. Meine Aufgabe ist sozusagen einer der vielen Wecker zu sein. Ein Wecker, der abwartet, ob es andere Wecker gibt und ob diese gehört werden, hat seine Aufgabe nicht richtig verstanden, scheint mir.

  6. Danke für den Text!

    Eine Frage:
    Als Weiße Mami von einem Weißen Mädchen bin ich immer auf der Suche nach guten Kinderbüchern, die nicht Weiß, sexistisch etc. dominiert sind.
    Ich kenn die Bücherliste von gladt. wo einige gute Bücher dabei sind (auch einige umstrittene).
    (http://www.gladt.de/archiv/paedagogik/Buecherliste.pdf)
    Hast du oder irgendwer anders vielleicht noch gute Tips von Büchern, wo eben z.B. auch mal eine Schwarze Person die Hauptrolle spielt).
    vielen dank für jeden tipp

  7. Hi,

    ich bin als Kind mit den Worten „Weißbrot“ und „Kartoffel“ belegt worden und empfand das immer als schlimm, auch wenn man es mit einem Lachen abtut – so wie eben meine türkischen und eritreischen Freundinnen mit anderen Beleidigungen zu kämpfen hatten. Das möchte ich nur mal einwerfen.

    MfG

  8. Einer der grundlegen Unterschiede, „PHP“, ist doch wohl, dass Du auch mit den von Dir genannten Belegungen immer noch Teil der weißen Mehrheitsgesellschaft warst, bist und bleibst. Das Gefühl, persönlich ausgegrenzt worden zu sein, will ich Dir nicht absprechen, aber über dieses Gefühl hinaus, was passiert denn schon? Deine persönliche Erfahrung lässt sich nicht gleichsetzen mit dem institutionalisierten und internalisierten Rassismus, den alle, deren „Erscheinungsbild“ von dem Mehrheitsweiß abweicht, alltäglich erleben. Privates Autsch ist und bleibt Einzelschicksal.

  9. So, nochmal ein paar 101-Hinweise: „Reverse Racism“ existiert nicht. Rassismus ist/konstituiert ein Machtgefälle, kein liberales Individualverhältnis, von dem alle gleich betroffen wären (eine Google-Suche offenbart die essentielle Rassismus-Definition: Rassismus = Vorurteil und Macht). Jemanden N* zu nennen, ist nicht dasselbe, wie jemanden eine Kartoffel zu nennen – schon gar nicht, wenn jene Kartoffel Teil hegemonialer Machstrukturen (also, wie Inge schon schrieb, nicht marginalisiert) ist. Geschichte und gesellschaftliche/Sprachpositionen sind von Bedeutung. Nicht systematisch von Rassismus betroffen zu sein, heißt nicht, dass man problemlos durch’s Leben segelt. Jede Debatte zu Rassismus/rassistischen Begriffen ohne Umschweife auf weiße Befindlichkeiten lenken zu können (und zu wollen), ist ein Privileg. „Empowerment“, gerade auch das empowerment Schwarzer Kinder, lässt sich googlen. Kommentare, die sich über Deutschenfeindlichkeit [sic] und „reverse racism“ [sic] auslassen, werden nicht freigeschaltet wegen der Netiquette.

    Hier ein paar Info-Links zu weiterführenden Texten zum Thema:

    http://maedchenmannschaft.net/?s=critical+whiteness
    http://maedchenmannschaft.net/?s=rassismus
    http://blog.derbraunemob.info/
    http://resistracism.wordpress.com/racism-101/
    http://noiseaux.tumblr.com/tagged/white%20privilege

  10. Ich glaube, einige haben immernoch nciht verstanden, dass Rassismus nicht einfach bedeutet, mal von anderen Kindern gehänselt zu werden. Schön wär´s.

    Falls euch das entgangen ist: Es geht hier um Verbrechen, die Leuten deswegen angetan wurden, weil sie von der Mehrheitsgesellschaft als minderwertig wahrgenommen werden. Dass jemand wegen seiner Hautfarbe als Kartoffel bezeichnet wird ist im Einzelfall sicher sehr schlimm, aber hat nichts mit systematischer und struktureller Benachteiligung zu tun, die sich jahrhundertelang manifestieren konnte.

    Sorry, aber hier geht´s um schwerwiegende gesamtgesellschaftliche Tendenzen, die weit über persönliche Schicksale hinausgehen, und jetzt jede Erfahrung, die xy mal im Sandkasten gemacht hat, damit auf eine Stufe zu stellen, ist der blanke Hohn.

Kommentare sind geschlossen.

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