#metoo – Wichtige Aktion zur Sichtbarmachung oder Aktivismus-Sackgasse?

Der Hashtag #metoo war gestern überall auf Twitter und Facebook. (Vor allem) Frauen teilten den Hashtag um zu signalisieren, dass sie sexualisierte Gewalt erlebt haben und beschrieben oftmals in Details ihre spezifischen Erlebnisse. Ich stehe dieser Aktion mit gemischten Gefühlen gegenüber.

Zunächst an alle, die ihre Geschichten geteilt haben und/oder sich selbst sichtbar gemacht haben als Personen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben, und in diesem Akt (oder zum Beispiel dann nachfolgenden Gesprächen) Empowerment gefunden haben: Das ist großartig und wichtig.

Aber ich habe einige Fragen und Bedenken:

1) Ich verstehe prinzipiell den Wunsch danach aufzuzeigen, wie weit verbreitet sexualisierte Gewalt ist. Einige Menschen (vor allem cis Männer) mögen sich gestern sehr überrascht durch ihre Timelines gescrollt haben und festgestellt haben wie viele Menschen, die sie kennen, Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt haben. Ich hingegen war überhaupt nicht überrascht – genauso wenig wie die meisten, die jemals etwas zu sexualisierter Gewalt gelesen haben, die zuhören, wenn Menschen aller Geschlechter um sie herum etwas erzählen (und manchmal flüstern), oder die einfach nicht als cis Männer in dieser Welt leben. Ich frage mich, wie sich dieser Hashtag unterscheidet von der Anrufung an Männer sich vorzustellen, was wäre, wenn es um ihre Mütter, Töchter, Frauen ginge (denn genau das wird der Effekt für viele sein: sie stellen fest, dass Frauen in ihrem Umfeld sexualisierte Gewalt erleben)? Es gibt so viele Belege für die Geläufigkeit sexualisierter Gewalt, aber Männer müssen nur verstehen, dass es so geläufig ist, dass sogar Menschen, die sie mögen, betroffen sind? (Ich wäre viel erfreuter, wenn Typen (und auch Frauen, die häufig das System mitstützen) realisieren würden, dass sie nicht nur viele Betroffene sexualisierter Gewalt kennen, sondern beste Kumpels sind mit Tätern.) Bei sexualisierter Gewalt geht es um Macht. Es ist Teil des Systems, dass Menschen entscheiden können nichts über dieses Thema zu wissen, dass sie Erlebtes nicht als Gewalt anerkennen und dass sie Gewalt normalisieren. Ich schätze, dass so etwas wie #metoo verdampfen wird sobald ein paar Think Pieces geschrieben wurden (vielleicht am besten von Männern, für die andere Perspektive!).

2) Ich habe häufig das Gefühl bei solchen Hashtag-Aktionen, dass Menschen unter Druck gesetzt werden sich zu positionieren, sich als Überlebende/ Betroffene zu „outen“. Manche mögen das Gefühl haben sie schulden Leuten ihre Erzählung. Manche mögen das Gefühl haben, sie könnten nur noch über Gewalt sprechen, wenn sie ganz genau ausführen, wie ihre persönlichen Erfahrungen hinsichtlich dieser Gewalt sind. Es ist natürlich sehr wichtig Betroffenen zuzuhören und deren Perspektiven zu zentrieren, aber dies kann im Umkehrschluss nicht bedeuten, dass Menschen nur dann sprechen können/ als zuhörenswert angesehen werden, wenn sie all ihre Traumata offen legen. Wer ist die anvisierte Zielgruppe für diese Erzählungen? Warum benötigen wir Details? Wann und wem hören wir zu – und in welchen Fällen lassen wir es? (Wieviel hat dies mit den komplexen Positionierungen von Personen zu tun und wie nah sie an dem „perfekten Opfer“-Bild (weiß, schlank, cis, ableisiert, hetero) sind?) Wer entscheidet, welche Erzählungen als valide gelten und welche nicht? Wer kann überhaupt erzählen? Welche Erzählungen werden somit wiederholt und sichtbarer? (Außerdem wer kann sich durch so eine Hashtag-Aktion vor allem empowert fühlen?)

3) Sexualisierte Gewalt ist nicht neu, noch ist es neu, dass Menschen darüber sprechen. Frage deine lokalen Femminist_innen dir „Vergewaltigungskultur“ zu erklären und ich bin mir sicher, sie werden mit den Augen rollen und dich zum Googeln schicken: Denn Leute haben das Phänomen wieder und wieder erklärt und (hier wiederhole ich mich gern) es gibt einfach so viel zu dem Thema: Studien, Essays, persönliche Erzählungen. Organisationen und Gruppen arbeiten gegen sexualisierte Gewalt und unterstützen Opfer (so zum Beispiel auch die Organisation von Tarana Burke, einer Schwarzen Aktivistin, die den Hashtag erstmals vor zehn Jahren verwandte und darauß wesentlich mehr machte, als Alyssa Milano, die nun für die Verwendung des Hashtags gefeiert wird) . Wie bezieht sich die gestrige Hashtag-Aktion auf deren Arbeit/ auf feministische Theorie und Praxis/ zum Hände schmutzig machen?

4) Nun gibt es sicher Leute, die argumentieren, dass #metoo symbolischen Wert hat, aber nicht einmal dessen bin ich mir sicher oder anders: Was soll dieser symbolische Wert sein? Wer wird von diesem profitieren?

5) Ich bin müde. Ich bin es müde über erlebte Gewalt nachzudenken und zu wissen, wie viel Menschen betroffen sind. Ich bin aber auch diese Art von symbolischen Bekenntnis-Aktivismus müde, der häufig auch von jenen Leuten genutzt wird, die ansonsten jegliche andere Form von Aktivismus gegen sexualisierte Gewalt abtun oder die niemals Menschen in ihrem Freund_innenkreis, Arbeitskolleg_innen oder Familienmitglieder hinterfragen und kritisieren würden. Die meisten von uns – ob wir nun sexualisierte Gewalt erlebt haben oder nicht – haben an irgendeinem Punkt unseres Lebens diese Gewalt normalisiert, haben Menschen nicht ernst genommen oder selbst eine Form sexualisierter Gewalt ausgeübt. Ich möchte wissen, wie wir Betroffene unterstützen, Gemeinschaften aufbauen, in denen Menschen zur Rechenschaft gezogen werden und uns tagtäglich einsetzen.

6) Und all jene (vor allem cis Typen), die noch nie sexualisierte Gewalt erlebt haben und angesichts der #metoo-Posts überrascht und überwältigt waren, stellt sicher, dass ihr versteht, was es bedeutet davon überrascht sein zu können. Und dann fangt an Dinge zu lesen, Leuten zuzuhören, zieht endlich eure Freunde zur Rechenschaft und gebt Geld (so viel Geld wie möglich) an Organisationen, die gegen sexualisierte Gewalt und für andere feministische Themen kämpfen.

4 Kommentare zu „#metoo – Wichtige Aktion zur Sichtbarmachung oder Aktivismus-Sackgasse?

  1. Hi Charlott,
    vielen Dank für dein Kommentar. Ich habe mich gestern genau mit den selben! Fragen und Gedanken beschäftigt. Jetzt weiß ich, dass ich nicht alleine bin…
    Meine Sorge ist, dass all die Hashtagkampagnen zwar eine mediale Wirkung entfaltet haben, sich aber nicht in signifikanter Bewegung materialisieren lassen bzw. materialisiert haben. Ich hab das Gefühl, dass nach der kurzen medialen Aufmerksamkeit alles einfach verpufft. Warum eigentlich?
    Meine andere Sorge ist, dass diese Hashtagkampagnen eher dazu führen, dass man einen Gewöhnungseffekt hat…

  2. Ich finde es gut, dass es diesen Hashtag gibt. Ich sehe viele ihn posten, die sonst nichts feministisches Posten. Die nicht in Gruppen oder Online-Kreisen unterwegs sind, wo alle nachts beim Aufwachen Statistiken und Geschichten runterbeten können. Die nicht so sehr das Gefühl und die Gewissheit haben, damit alleine zu sein.
    Klar, es ist keine mega große feministische Kampagne und wird auch Gesellschaft nicht sofort verändern. Aber es ist wichtig für all diejenigen, die sonst sich nicht dazuzählen und die eigenen Erfahrungen relativieren. #metoo bringt keine überaschendenworte, aber sie können ganz einfach, auch ohne Erklärung, öffentlich gemacht werden. So habe ich das viel gesehen. Ohne gleich intime Details preisgeben zu müssen.
    So lange die Fakten noch nicht allgemein gesellschaftliches Gut sind, braucht es solche Aktionen, egal die wie viel tausendste es von Feminist_innen ist. So lange die Gewalt da ist, braucht es auch so ein sichtbar machen – damit es nicht immer dieselben sind die sprechen, schreiben und zuhören.

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